Fessler über sein „System“

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“Mein maurerisches System”

Von Ignaz Aurelius Feßler, 1801

Bearbeitet von Roland Müller

János Rombauer (1782–1849): Portrait Ignaz Aurelius Feßler

Aus:
Fessler’s sämmtliche Schriften über Freymaurerey. Zweyter Band, 1. Abtheilung, Dresden 1804, 356-366.


Ignaz Aurelius Fessler (1756-1839) liess sich 1783 in Lemberg in die Loge „Phönix zur runden Tafel“ aufnehmen und affiliierte am 2. Juni 1796 der Berliner Loge „Royal York“. Rasch wurde er mit der Reform der Rituale betraut, stiess aber bald auf zunehmende Widerstände, daher liess er sich 1802 „aus dieser Verbindung durch mancherley Künste hinausdrängen“. Er blieb aber in andern Logen weiterhin freimaurerisch tätig.


Mein maurerisches System.


Die drey großen Lichter der Freymaurerey leuchteten nun durch den ganzen Logenbund der gr. Loge R. Y.; in ihrer Bedeutung wurde das Wesen und die wahre Tendenz der Freymaurerey überall angekündiget; freylich nur von sehr Wenigen erkannt und beachlet.
Der historische Unterricht für die höhern Erkenntnißstufen war bis zur vierten, inclusive, (in der gewohnten Sprache der Brüder der 7te Grad,) angefertigt, den durch das frühererkaufte ehemahlige Graden- und. Capitelwesen dazu berechtigten auswärtigen Logen mitgetheilt, und den dazu befugten Berliner Brüdern mehrmahls vorgelesen. Da machte ich wieder Erfahrungen, die mich die drückende Last meiner Logenthätigkeit recht empfindlich fühlen ließen. Ein Theil der Brüder bezeigte sich für diesen historischen Unterricht völlig gleichgültig; er war ihnen nicht Bedürfniß; denn sie waren Logenbrüder geworden, um einen Ort mehr zum Vergnügen zu haben; und sie hatten höhere Grade ambirt, um sich gegen ihres Gleichen damit zu brüsten.
Ein anderer Theil hatte den guten Willen, sich zu unterrichten; aber, ungewohnt, seine Aufmerksamkeit auf einen vielumfassenden Zusammenhang von Ideen, Irrthümern und Begebenheiten fest zu hallen, vielleicht auch von den Geschäften des Tages ermüdet, schloß er seine Augen und ließ sich in einen sanften Schlaf einlesen.
Einige Brüder ließen es mir recht geflissentlich merkken, daß sie nur aus Gefälligkeit und Erkenntlichkeit für mich dem Unterrichte beywohnten. Andere machten es, wie viele Catholiken unter Kaiser Joseph.
--„Giebt es", schrien diese, "keine Scapuliere, keine Lucaszettel und keine Hexenamulete mehr, so giebt es auch keine Religion, keinen Gott."
-- “Giebt es”, sagten jene, "keine Cordons, keine Degen, keinen Ritterschlag mehr, so giebt es auch keine Freymaurerey."
-- Einige, und zwar älter Brüder, ärgerte es noch immer, daß die jüngern nun eben das wissen sollten, was sie selbst erst jetzt. erfahren hatten; sie trugen daher auch keine Bedenken, diese ganze Einrichtung, sowohl bey den sogenannten Joh.- Meistern, als bey den Mitgliedern der übrigen beyden gr. Logen in Berlin verdächtig zu machen und zu verlästern.

So war unter den funfzig höher graduirten Brüdern in Berlin die Zahl derjenigen nur sehr klein, die für das von mir aufgestellte Ganze wirklich Sinn hatten, und denen die eingeführten historischen Erkenntnißstufen wirkliches Bedürfniß waren.

Dies o verminderte Lust, für die Berliner Brüder zu arbeiten, machte mich auf meine Rechnungsfehler aufmerksam; und jetzt erst verstand ich die Worte des alten Brs. B*s*d in ihrer ganzen Bedeutung.
"Das Freymaurerwesen," sagte er den 17. Oct. 1798 in Br. von S***ns Hause vor dem freundschaftlichen Mahle zu mir: "ist jetzt ein ernsthafter Spaß, ein Spiel für große Kinder. Das ist nun freylich schlimm: wollen Sie aber das Spiel in Ernst verwandeln, so wird Ihr Ernst spaßhaft; und das ist noch schlimmer; Sie werden ausgepocht; und ich kann nicht Ihr Freund seyn, so lange Sie Spaß zu Ernst machen."
Bey so berichtigten Einsichten konnte es mir gar nicht mehr einfallen, die letzten Aufschlüsse, als den Schlußstein. meines ganzen Gebäudes, bey der Berliner Brüderschaft niederzulegen: ich war ja selbst. mit dem Gebäude durchaus nicht. zufrieden; denn es war hingestellt, wie es nach den Localverhältnissen und persönlichen Umgebungen seyn konnte, nicht, wie es nach meiner Ansicht von der Freymaurerey seyn sollte.


Maurer von Gewicht und kleine Logenleute sprachen bisher, mündlich und in Druckschriften, mancherley von einem Feßlerschen System, welches doch nirgends da ist.
Um ein solches zu schaffen, und das maurerische Publicum damit zu blenden, nahm man bald aus meinen Ritualen einige abgerissene Formeln und Sentenzen, bald gedruckte Aufsätze, an denen ich keinen Theil habe, zu Hülfe, und raisonirte so ein Ding heraus, was einem System gerade so gleich sieht, wie die Caricatur eines Menschen seinem wohlgetroffenen Portraite.

Ich habe nie ein maurerisches System gehabt, nie und nirgends eins aufgestellt. Selbst die Benennung: System der Freymaurerey, hat für mich keinen Sinn; denn es kann überall nur Logen-Systeme, kein System der Freymaurerey, geben.
Was ich unter Logen-Systemen verstehe, habe ich in meinem Versuche eines allg. Maurer- und Logen-Rechts, S. 51, bestimmt angegeben.
Logenvereine, die in den Grundsätzen" (Ansichten, hätte ich sagen sollen,) „über das Wesen und die Tendenz der Freymaurerey und in der Weise, sie auszuüben, von dem überlieferten [besser: angezeigten] Symbolum der Freymaurerey abweichen, und unter einander selbst in den Grundsätzen über das Wesen und die Tendenz der Kunst verschieden sind, heißen Logen-Systeme."


Eigenthümliche Ansichten von der Freymaurerey habe ich so gut, wie sie jeder Maurer und Logenbruder hat; aber Ansichten, selbst in einen Zusammenhang gebracht, sind noch kein System. Auf diese mir eigenthümlichen Ansichten von der Freymaurerey ist mein Versuch eines allg. M. u. L. Recht gegründet. Bey der Abfassung desselben war ich ganz frey, weder an Localverhältnisse, noch persönliche Umgebungen gebunden.
Diesen Versuch, und nicht: Ritualformeln, Sentenzen, u. dergl., hätte man vornehmen, würdigen, beleuchten und berichtigen, wenn man belehren; oder verdrehen und persifliren sollen, wenn man blenden wollte.

Die Zahl der freyen Maurer, die ich achte und liebe, ist noch sehr groß. lhnen, die sich weder durch Druckschriften haben blenden, noch durch Alternativen versteinern lassen, lege ich hier noch meine eigenthümlichen Ansichten von der Freymaurerey zur Prüfung vor.

***

Die Freymaurerey kann entweder als etwas Inneres, dem Menschen Immanentes, oder als etwas Aeußeres, durch Handlungen Darstellbares, betrachtet werden.

Freymaurerey als etwas Inneres, dem Menschen Immanentes betrachtet, ist nicht zu Etwas gut; sie ist Selbstgut, Selbstzweck; reines Product der harmonischen Vereinigung zwischen Religion, Recht und Gesetz, zwischen Glaube, Einsichten und Gesinnungen; zwischen Vernunft, Verstand und Willen im Menschen.

Freymaurerey in diesem Sinne, kann nicht äusserlich und gemeinschaftlich ausgeübt, durch keine Verbrüderung f ortgepflanzt, durch keine menschliche Anstalt gelehret; sondern muß in dem Innern des Menschen selbst, durch seine Geistestätigkeit, erzeugt und bis zur Unbedingtheit und Allseitigkeit erhoben werden; das heißt: sie muß unter allen möglichen Bedingungen die ganze Handlungsweise des Menschen umfassen, bestimmen, beseelen. Sie ist in diesem Sinne etwas Idealisches, Uebersinliches, nichts äußerlich Erscheinendes; sie ist das höchste Ziel des Freymaurers, der Grund, aber nicht der Zweck seiner Handlungen, nicht der Zweck einer Freymaurer-Brüderschaft.


Freymaurerey, als etwas Aeußeres, durch Handlungen Darstellbares betrachtet, besteht in den Zeichen, Sinnbildern, Ceremonien, Lehren und Einrichtungen, welche die Stifter der Freymaurer-Brüderschaft zur Versinnbildung des Wesens und der Tendenz der Freymaurerey unwandelbar festsetzt: und auf ihre Nachkommen fortgepflanzt haben.

Freymaurerey, in diesem Sinne, ist eine wirkliche, bestimmte, positive, der dichtenden und der vernünftelnden Willkür entzogene Kunst, die, als solche, gemeinschaftlich ausgeübt, gelehret und fortgepflanzt werden kann.

Eine Gesellschaft freyer Maurer, welche sich zur gemeinschaftlichen Ausübung, Erhaltung und Fortpflanzung dieser· Kunst vereiniget hat; heißt Freymaurer-Brüderschaft.

Der Zweck der Freymaurer-Brüderschaft ist also die gemeinschaftliche Ausübung, Erhaltung und Fortpflanzung der·Freymaurerey, in der Kunstform, in welcher sie überliefert worden ist, und in sofern sie sich durch äußere gemeinschaftliche Handlungen darstellen läßt.


Die einzigen, bisher bekannten ächten und die Kritik aushaltenden Urkunden, aus welchen das Factum der Ueberlieferung erweislich, das Wesen und die Tendenz der überlieferten Kunst erkennbar, und die Socialform der vereinigten Kunstgenossen bestimmbar ist, sind das alte Freymaurer-Examen unter Heinrich dem VI., König von England, und die altenglische Aufnehmungsacte der alten freyen Maurer [gemeint ist die Lehrlings-Lection aus „Jachin und Boaz“]; welche daher das Symbolum der Freymaurer-Brüderschaft ausmachen, indem sie die Richtschnur angeben, nach welcher die Kunstgenossen die überlieferte Kunst ausüben und fortpflanzen, und auch sich selbst als Gesellschaft im socialrechtlichen Sinne erhalten sollen.

Es darf also auch die Freymaurer­-Brüderschaft in ihre gemeinschaftlichen Kunsthandlungen nichts hinein tragen, was nicht natürlich aus diesem Symbolo fließt, und in ihre Verfassung oder Socialform nichts aufnehmen oder in derselben dulden, was mit der aus dem Symbolo erkennbaren Natur und Tendenz ihrer Kunst nicht vereinbar ist.


Von hier aus sollten nun die Ansichten specieller gegeben werden; allein, Brüder, die sich auf meinen Standpunct setzen können, bedürfen dieß nicht, und in Ansehung der übrigen will ich dem lieben Gott nachahmen, von dem der Prediger, David's Sohn, König von Jerusalem, Kap. 1. v. 13. sagt:

Dr. Luther übersetzt:
"Solche unselige Mühe hat Gott den Menschkindern geben, daß sie sich drinnen müssen quälen.“


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