Freimaurerei in der islamischen Welt

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Ein Blick auf den Nahen Osten
am Anfang des 21. Jahrhunderts

Abgesehen von der Türkei gibt es Anfang des 21. Jahrhunderts praktisch keine Freimaurerlogen in der islamischen Welt. Viele Menschen in diesen Ländern verbinden Freimaurerei mit israelischem Zionismus, mit westlichem Imperialismus und gotteslästerlichem Atheismus. Und so ist Freimaurerei in den meisten islamisch geprägten Staaten verboten. Von Rudi Rabe.

Diese Darstellung basiert auf verschiedenen Quellen, unter anderem auch auf einem Artikel im Magazin der Großloge der Türkei „TESVÝYE“ (Wasserwaage, Lotwaage) mit dem Titel „Freemasonry in the islamic world“. Darin wurde jedoch nicht die ganze islamische Welt behandelt, sondern nur die Türkei und die arabischen Staaten.

Die Verdammung durch Al Azhar in Kairo

Am Ende des Artikels im türkischen Großlogen-Magazin steht ein antifreimaurerisches Verdikt der vielleicht einflussreichsten Instanz bei der Interpretation der islamischen Religion und islamischen Rechts, nämlich der islamwissenschaftlichen Großkörperschaft Azhar in Kairo mit Instituten, Schulen und so weiter. Ihr ‘Islamic Jurisdictional College’ hat im Juli 1978 die Freimaurerei ganz offiziell mit folgenden Gründen abgelehnt - ein Auszug:



„Nach gründlichen Recherchen über die Organisation der Freimaurer, nach dem Studium vieler Quellen und schriftlicher Berichte, haben wir festgestellt, dass die Freimaurerei eine Geheimorganisation ist, die ihr System je nach den Umständen verdeckt oder enthüllt.

Ihre eigentlichen Prinzipien bleiben den normalen Mitgliedern verborgen, nur Ausgewählte der höheren Grade können sie durchschauen. Freimaurer gibt es überall auf der Welt. Sie passen sich den regionalen Kulturen und Religionen nicht an. Vielmehr locken sie Mitglieder auf der Grundlage persönlicher Vorteile. Sie werden dann politisch aktiv, aber ihre Ziele sind ungerecht.

Neue Mitglieder nehmen an Initiationsritualen teil, die verschiedene Namen und Symbole haben. Die Mitglieder fürchten sich dann davor, die ihnen gegebenen Vorschriften und Anordnungen zu missachten. Zwar können sie ihre Religion weiter frei ausüben, aber nur Mitglieder, die Atheisten sind, werden in höhere Grad befördert, je nachdem, wie sehr sie bereit sind, den gefährlichen Prinzipien und Plänen dieser Grade zu dienen.

Die Freimaurerei ist eine politische Organisation. Sie hat allen Revolutionen, allen militärischen und politischen Umstürzen gedient. Bei alle diesen gefährlichen Umwälzungen gab es offen oder verschleiert eine Beziehung zu dieser Organisation.

In ihren Wurzeln ist die Freimaurerei eine jüdische Organisation. Ihr höchster internationaler Verwaltungsrat ist geheim und jüdisch; er fördert zionistische Aktivitäten. Sein Hauptziel ist die Unterminierung aller Religionen und das abspenstig Machen der Muslime vom Islam.

Die Organisation versucht, Männer zu rekrutieren, die finanziell, politisch, gesellschaftlich oder wissenschaftlich einflussreich sind, und sie dann für ihre Ziele einzusetzen. Sie nimmt Könige, Premierminister, hohe Regierungsbeamte und ähnlich hochgestellte Personen auf, nicht aber Beitrittswerber, die sie zu nichts verwenden kann.

Damit man ihr geheimes Tun nicht durchschauen kann, unterhält die Freimaurer-Organisation zur Tarnung auch verschiedene Organisationen anderen Namens. Diese sind als Lions, Rotary und so weiter bekannt. Auch sie folgen bösen Prinzipien, die den Regeln des Islam widersprechen.



Manches von dem, was hier steht, erinnert an die ebenso absurden Verschwörungsbehauptungen des deutschen Weltkriegsgenerals Erich Ludendorff und anderer antifreimaurerischer Propagandisten in den 1920iger und 1930iger Jahren. Millionen Menschen haben das in jener Zeit geglaubt, und es ist zu befürchten, dass es in der islamischen Welt des 21. Jahrhundert nicht anders ist.

Mehr Liberalität in Marokko und im Libanon

Es gibt aber auch andere Urteile, wenn auch von weniger bestimmenden Instanzen der islamischen Welt: Am 23. März 1973 ist der Oberste Gerichtshof von Marokko in Casablanca nach einem langen Gerichtsverfahren zu dem Schluss gekommen, dass die Freimaurerei mit dem Islam vereinbar ist. Hier der aus dem Französischen übertragene Text mit kleinen und unwesentlichen Kürzungen:



Der Staatsanwalt des Königlichen Gerichtshofs von Casablanca hat mit Antrag vom 2. Juli 1971 einen Antrag auf Auflösung der Loge ‘Esperance’ gestellt. Ebenso auf Schließung ihrer Räumlichkeiten und auf das Verbot aller Versammlung ihrer Mitglieder, und dies mit sofortiger Vollstreckung und Benennung eines Treuhänders mit der Begründung, dass der von der Freimaurervereinigung verfolgte Zweck im Widerspruch zu den Geboten des Islam steht.

Demgegenüber erklärt der Beklagte, vertreten durch Herrn Kaaba Abedelkrim, dass das Anliegen der Loge nicht im Widerspruch zu den Geboten des Islam steht. Dies insbesondere auch im Hinblick darauf, dass alle Grundsätze dieser Vereinigung mit der Verfassung des Königreichs vollständig übereinstimmen.

Die Loge ‚Esperance‘ hat laut Paragraph 2 ihres Statuts folgendes Ziel: "Die moralische Unterstützung ihrer Mitglieder bei der Anwendung humanitärer Prinzipien - die Förderung der Freundschaft zwischen den Mitgliedern - ihren Mitgliedern die Möglichkeit geben, soziale Dienstleistungen zu erbringen und dabei nach besten Kräften großzügig zu sein - dies alles mit Meinungsfreiheit und Respekt für alle vernünftigen Einstellungen.

Aus der Aufzählung dieser Ziele ergibt sich, dass keine darunter sind, die mit den Geboten unserer islamischen Religion im Widerspruch stehen. Ebenso dass die Ziele im Einklang mit der am 31. Juli 1970 verkündeten Verfassung des Königreichs stehen, insbesondere mit Artikel 6, der besagt, dass der Islam die Religion des Staates ist und dass der Staat jedem die Freiheit garantiert, seinen religiösen Glauben auszuüben.

Das Gericht lehnt den Antrag des Staatsanwalts ab.



Nun, Papier ist geduldig, Gutachten und Gerichtsurteile gelten nicht universal, und sie gelten so wie auch hierzulande nicht ewig: Das Verdikt aus Kairo und das Gerichtsurteil aus Casablanca stammen aus den siebziger Jahren. Angesichts der politisch-ideologischen Entwicklung, welche die islamische Welt seit damals durchmachte, erscheint es sicher, dass ein Azhar-Gutachten im Ergebnis genau so ausfallen würde.

Und das marokkanische Gerichtsurteil? Das Königreich Marokko ist zwar weniger islamisch grundiert als die meisten anderen arabischen Staaten, ob aber ein Gerichtsurteil heute noch so liberal wäre, muss dahin gestellt bleiben.

Freimaurerlogen gibt es in Marokko schon seit dem 19. Jahrhundert, als das Land noch eine französische Kolonie war. Heute existieren mehrere Großlogen nebeneinander - es gibt immer wieder Teilungen und Fusionen. 1999 konnte mit Hilfe der ‘Gand Loge Nationale de France’ (GLNF) und ihrem Großmeister Claude Charboniaud die ‘Großloge von Marokko’ installiert werden. Auch die ‘Großloge der Türkei’ war vertreten.

Freimaurerlogen wurden auch im Libanon schon im 19. Jahrhundert gegründet, als die Region noch ein Teil des Osmanischen Reichs war. Und es gibt bis heute Logen und mindestens eine Großloge.

Sowohl in Marokko als auch im Libanon soll es auch feminine Logen geben.

Rückblick in die Zeit des Osmanischen Sultanats und danach

Das mit dem Ersten Weltkrieg untergegangene Osmanische Reich war ein mächtiges Viel-Völker-Imperium: Es beherrschte nicht nur den Nahen Osten, sondern auch Teile Süd-Ost-Europas und fast ganz Nordafrika. Und der über dieses Reich herrschende Sultan war auch die höchste Instanz in Sachen Religion.

Der Artikel des türkischen Freimaurermagazins verweist auf eine interessante Analogie: Als Papst Clemens XII. im Jahr 1738 mit seiner Bulle „In Eminenti“ die Freimaurerei verdammt hatte, seien christliche Untertanen des Sultans Mahmut I. bei diesem vorstellig geworden mit dem Ansinnen, es dem Papst gleichzutun. Der Sultan habe daraufhin die islamischen Theologen der „Ulema“ damit befasst, und diese hätten festgestellt: „Wenn der Papst erklärt, dass Freimaurer Atheisten sind, muss in seinen Worten etwas Wahres sein”. Daraufhin verbot der Sultan die Freimaurerei. Und seit jener Zeit sei das Wort "Freimaurer" im Osmanischen Reich zum Synonym für "Atheist" geworden.

Die Entwicklung war aber nicht stetig. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es im Osmanischen Reich immer wieder Logengründungen, vor allem von westlichen Diplomaten. Aber auch westlich orientierte Türken der Oberklasse bis hin zu einzelnen Mitgliedern der großen Sultansfamilie schlossen sich an.

Anfang des 20. Jahrhunderts - eine politische Zäsur: Das Osmanische Reich war im 19. Jahrhundert in seinem Inneren und nach Außen immer schwächer geworden. 1908 wurde durch die sogenannte Jungtürkenrevolution, getragen vor allem von jungen Offizieren, die absolute Monarchie gestürzt und in eine konstitutionelle umgewandelt: Sultan Abdulhamid II. wurde entthront und durch seinen Bruder Mehmed V. ersetzt.

Relevant ist dies in unserem Kontext, weil viele jungtürkische Offiziere Freimaurer waren. Das Komitee von fünf Offizieren, das Abdulhamit mitteilte, dass er entthront worden war, bestand nur aus Freimaurern. Das hat die Ablehnung der politisch konservativen Kreise gegen die Freimaurerei natürlich verstärkt, und zwar im ganzen osmanischen Großreich: Der Sultan war ja auch der Kalif aller Muslime und der Hüter der heiligen Stätten in Mekka und Medina. Alles, was im Osmanischen Reich geschah, beeinflusste die arabische und islamische Welt insgesamt.

Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch des Osmanischen Imperiums und der Installierung der laizistischen Republik unter Mustafa Kemal Atatürk gab es noch eine zeitlang Logen, doch 1935 wurden sie von Atatürk verboten.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, aus dem sich die Türkei anders als im Ersten Weltkrieg herausgehalten hatte, entstanden wieder Logen: Die heutige 'Großloge der Türkei' gibt es seit 1956. Das Licht wurde von den Großlogen von New York und von Schottland eingebracht, und seit 1970 ist die Großloge von der UGLE anerkannt. Um das Jahr 2000 gehörten zu ihr 180 Logen mit ungefähr 12.000 Mitgliedern.

Auch jetzt im Jahr 2018 gibt es die Großloge der Türkei. Mit dem System Erdogan scheint sie in einer unaufgeregten Koexistenz zu verharren. Die Türkei ist damit eines der wenigen islamischen Länder, in dem das einigermaßen klaglos funktioniert.

Heute: Verbote fast überall

Ähnlich wie in der Türkei entwickelte sich die Freimaurerei auch in Ägypten in der Zeit, als dieses Land noch zum Osmanischen Reich gehörte und danach unter der Oberhoheit des Britischen Imperiums stand.

Dies dauerte bis Anfang der 1950er Jahre, also bis zum Ende der Ägyptischen Monarchie, die 1936 ein selbständiger Staat geworden war: zuletzt mit König Farouk, der 1952 von Gamal Abdel Nasser gestürzt wurde. Als Präsident verbot dieser nach der Suezkrise 1956 und der darauf folgenden Abwendung von der westlichen Welt alle Logen.

Auch in Algerien gab es Freimaurerlogen, bevor das Land 1962 von Frankreich unabhängig wurde.

Heute ist die Freimaurerei in allen arabischen Ländern mit Ausnahme des Libanon und Marokkos verboten. Eine Ausnahme sind nur Logen, die in den amerikanischen Stützpunkten dieser Länder arbeiten.  

Siehe auch

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