Ludwig Winder (1889 - 1946)

Aus Freimaurer-Wiki
Ludwig Winder mit Unterschrift ca. 1920
Quelle: Über Wikipedia von National Archives of the Czech Republic; Autor unbekannt

Ludwig Winder: Romancier. Journalist. Freimaurer.
Eine Hommage von Chantal Puech

Vorbemerkung von Rudi Rabe: Der folgende Artikel über Ludwig Winder und die freimaurerischen Spuren in seinem Werk ist ein posthum eingelöstes Versprechen, das die Universitätsdozentin Chantal Puech vor Jahren der Tochter Ludwig Winders, Marianne Winder († 2001), gegeben hat.

Der "Deutsch-Mähre" Ludwig Winder war zu seiner Zeit in Prag ein sehr geschätzter Essayist und Schriftsteller. Dass er in Prag auch in einer Loge arbeitete, war seiner Tochter nur flüchtig bekannt. Rückfragen Chantal Puechs in Prag bei der tschechischen Großloge VLČR bestätigten es: Er war seit 1932 Mitglied der Prager Loge „Hiram zu den drei Sternen“, einer Loge, in der damals auch andere Schriftsteller, Journalisten und Künstler verkehrten. Diese Loge war die größte in Prag, 1932 zählte sie 134 Mitglieder. Zum selben Ergebnis kam parallel dazu auf Nachfrage des Freimaurer-Wiki auch der österreichische Freimaurerforscher Rüdiger Wolf. Er entdeckte in der Zeitschrift 'Drei Ringe' drei Meldungen des böhmischen Poeten und Freimaurers Johannes Urzidil, in denen Ludwig Winder als Freimaurer erwähnt wird, wobei besonders ein Artikel aus dem Jahr 1934 hervorzuheben ist (Heft 11, Seite 208), in dem Winder für die Verleihung des Literaturpreises der Tschechoslowakei gewürdigt wird.

Frau Chantal Puech will mit ihrem Text über Ludwig Winder eine Lücke füllen, nämlich: „Von der Kritik blieb vollkommen unberücksichtigt, dass das Werk von freimaurerischen Gedanken geprägt ist. Ich selbst bin keine Freimaurerin, doch dank der VLČR konnte ich mit jemandem Kontakt aufnehmen, der bei der Lektüre von ein paar Romanen etliche Symbole und mehr noch erkannt hatte, was mir Unterstützung gab. Nur dass im akademischen Milieu solche Interpretationen eher ‘von oben herab’ betrachtet werden.“ Schade.


Chantal Puech über Ludwig Winder

„Man darf sich nicht aufgeben, darauf kommt es an“ schrieb Ludwig Winder im Mai 1940 in einem Brief an Johannes Urzidil von der Loge „Harmonie“ in Prag. Dieser Regel blieb er treu, sowohl im Leben als auch in seinem Werk.

Geboren wurde er am 7. Februar 1989 im mährischen Schaffa, einer Ortschaft zwischen Retz und Znaim – „zwischen Wein und Gurke“. Nach dem Abitur arbeitete er für verschiedene Zeitungen, war dann 24 Jahre lang Feuilletonredakteur und Theaterreferent bei der Deutschen Zeitung Bohemia (DZB) in Prag. Gleichzeitig profilierte er sich als Autor, erhielt 1934 den Staatspreis für deutschsprachige Literatur. Sein Werk umfasst Gedichte (1906-1910), zwei Theaterstücke, elf Romane (zwischen 1917 und 1944 verfasst).

Als Prag nach der Machtergreifung Hitlers zum Zufluchtsort wurde, unterstützte er die emigrierten Schriftsteller und Journalisten in eigenen Beiträgen und erschloss ihnen Publikationsmöglichkeiten in der DZB. Sein kühner Leitartikel vom 22. Oktober 1933 denunzierte die „Vergewaltigung des Geistes“ durch das Nazi-Regime und erinnerte nachdrücklich an die „klare weltanschauliche und politische Trennungslinie“ zwischen dem Prager Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS; 1919 mit Urzidil gegründet) und dem Reichsverband in Berlin: Der Prager SDS setze die „Geistesfreiheit seiner Mitglieder“ voraus, stellte er klar.

Die Besetzung Prags Mitte März 1939 durch die Wehrmacht brachte ihn als Juden besonders in Gefahr. Sein Roman „Die jüdische Orgel“ war 1933 in Deutschland verboten worden, „Der Thronfolger – Ein Franz-Ferdinand-Roman“ 1937 in Deutschland und in Österreich. Zum Exil gezwungen, gelang ihm und seiner Familie am 29. Juni 1939 die Flucht über Polen und Skandinavien nach London. Die in Prag gebliebene jüngste Tochter starb 1945 im KZ Bergen-Belsen.

Sein Selbstbild als Freimaurer in seinen Werken

Ludwig Winder wurde 1932 in die Prager Loge „Hiram zu den drei Sternen“ aufgenommen, ein Engagement, das im Werk seinen Niederschlag findet und sein Menschenbild entscheidend prägt.

Seine Romane folgen dem Grundschema eines Entwicklungsromans: Auf die Probe gestellt, suchen die Figuren ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie werden, meist in der Kindheit, mit unmoralischen Verhaltensweisen konfrontiert und die Auswirkung dieses Urerlebnisses lässt sich in Form eines „Lebensplans“, einer Aufgabe oder einer Mission nachverfolgen, bis sie ihre „Stunde der Erkenntnis“ erleben. Manche Lebenspläne scheitern und Winder prangert jede Verletzung der Menschenwürde an: Tyrannei (Die rasende Rotationsmaschine, 1917), Hochmut (Kasai 1920, Dr. Muff, 1931), Erniedrigung, Unterdrückung des Mitmenschen (Die nachgeholten Freuden, 1927), Verlogenheit des Dogmas (Die jüdische Orgel 1922, Die Reitpeitsche, 1928), blinder Gehorsam (Der Kammerdiener, 1943). Parallel dazu zeigen Gegenfiguren, als Träger humaner Werte - Vernunft, Liebe, Besonnenheit, Mäßigung, dass sich der Mensch ändern kann und Herr des eigenen Schicksals werden soll.

Obwohl er ab 1941 schwer herzkrank war, führte Winder seinen freimaurerischen Weg in den zwei letzten Exilromanen weiter (1943/44). Im Roman „Der Kammerdiener“ schildert er den Reifungsprozess eines Sohnes in seiner Auseinandersetzung mit der Kammerdienernatur des Vaters, bis er sich seiner früheren Idee entsagt, „eines Tages den Vater [zu] beschämen und demütigen“ und seine Pflicht erlernt. So wie sich der Suchende in der Kammer des stillen Nachdenkens vor der Aufnahme besinnt, vollzieht Edmund seine Gesinnungswandlung im „Kabinett“, dem „schmalen und engen“ Raum, wo der Vater lebt. Zur Selbsterkenntnis und Mündigkeit gelangt, formuliert er sein Bekenntnis: „Ich glaube an die Heiligkeit der Menschenwürde. Ich glaube, dass niemand das Recht hat, auf seine Menschenwürde zu verzichten. Ich glaube, dass die Menschheit zugrunde gehen muss, wenn die Menschenwürde aufhört, unser höchster Wert zu sein.“ Symbolisch für geistige Befreiung und Neugeburt steht die lange „Waschung“ seiner Hände nach dem Tod des Vaters.

Im Roman „Die Pflicht“ schildert Winder den Wandel des gewissenhaften Beamten Josef Rada, der nach Einmarsch der Deutschen in Prag jede Beteiligung an Widerstandsaktionen zunächst ablehnt, weil ihm die Verantwortung für seine Familie eine „schwere Pflicht“ ist. Sein innerer Konflikt beginnt, als er an eine Schlüsselstelle im Verkehrsministerium versetzt wird, wo er über die deutschen Truppen- und Waffentransporte genau informiert ist und sein Sohn, selbst Widerstandskämpfer, deportiert wird. Zu der Erkenntnis gekommen, dass es eine „schwerere Pflicht“ gibt, entschließt er sich letztlich zur Tat nach den Massenmorden der Nazis in Lidice. Von da an gibt er die Informationen an den Widerstand weiter: „Es wurde ihm bewusst, dass er blind und taub gewesen war und endlich nach langer Zeit wieder sah und hörte. […] Er fühlte zum ersten Male, dass diese Menschen, die gleich ihm leiden mussten, seine Brüder und Schwestern waren. […] Der Anblick der Brüder und Schwestern gab ihm Kraft.“ Josef Rada ist den Weg vom Dunkel ins Licht gegangen, Selbsterkenntnis und brüderliche Verbundenheit haben sein Weltbild geändert: „Er war zufrieden, weil er seine Pflicht erkannt hatte.“ Die Schlussszene ist ein Appell an die nächsten Generationen, den Kampf fortzusetzen. In Haft sitzend wartet Rada auf seine bevorstehende Hinrichtung: „Was wir tun konnten, haben wir getan. Die weitere Arbeit müssen wir den andern überlassen.“ Radas Wandlung versteht sich zugleich als eine Mahnung zur Wachsamkeit, wie schon die Figur Elsa Buxbaum dazu anregte: „Das größte Verbrechen, das ein Mensch begehen kann, ist: das Stehenbleiben auf halbem Wege. Einerlei, wohin der Weg führt: man muss ihn mit offenen Augen zu Ende gehen.“ (Die nachgeholten Freuden, 1927).

Ludwig Winder starb am 16. Juni 1946 in Baldock bei London. Seine Tochter Marianne resümierte das Werk Ihres Vaters mit einem Zitat aus der Zauberflöte: „Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht, ein Mensch zu sein.“


Bibliographie: Folgende Werke von Ludwig Winder sind im Buchhandel erhältlich (2020):

  • Die jüdische Orgel. Roman. Mit einem Nachwort von Růžena Grebeníčková. Olten: Walter-Verlag, 1983.
  • Die jüdische Orgel. Roman. Hrsg. und mit einem Nachwort von Herbert Wiesner. Salzburg: Residenz Verlag, 1999.
  • Die jüdische Orgel. Roman. Neuausgabe. Hrsg. von Karl-Maria Guth. Berlin: Hofenberg, 2019.
  • Hugo. Tragödie eines Knaben und andere Erzählungen. Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff. Hamburg: Igel Verlag, 2. unveränd. Aufl., 2012.
  • Die nachgeholten Freuden. Roman. Wien, Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1987.
  • Dr. Muff. Roman. Mit einem Nachwort von Jürgen Serke. Wien, Darmstadt: Paul Zsolnay Verlag, 1990.
  • Der Thronfolger. Ein Franz-Ferdinand-Roman. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2014.
  • Die Novemberwolke. Roman. Mit einem Anhang hrsg. von Dieter Sudhoff. Hamburg: Igel Verlag, 2. unveränd. Aufl., 2011.
  • Der Kammerdiener. Roman. Mit einem Nachwort von Jürgen Serke. Wien, Darmstadt: Paul Zsolnay Verlag, 1988.
  • Die Pflicht. Roman. Mit einem Nachwort hrsg. von Christoph Haacker. Wuppertal: Arco Verlag, 2003.
    Dazu Jörg Thunecke: «Das fehlende 18. Kapitel». In: Galerie. Revue culturelle et pédagogique, vol. 24, décembre 2006/2, Luxembourg, S. 270-292. (« Das fehlende Kapitel – Anmerkungen zur vollständigen Fassung von Ludwig Winders Roman ‘Die Pflicht’ ». Ebd. S. 241-269).
  • Geschichte meines Vaters. Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff. Oldenburg: Igel Verlag, 1. Aufl., aus dem Nachlaß, 2000.


Originaltext von Ludwig Winder in "Wein" mit Zeichnungen von Adolf Hoffmeister; herausgegeben am 1. Mai 1933 von der Firma Josef Oppelt’s Neffe, Weingroßhandlung in Prag


Siehe auch

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