Okkultistische Freimaurerei

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An Umfang und Genauigkeit bisher unübertroffen enthält das bis zur Gegenwart aktualisierte große lexikalische Standardwerk über die Freimaurerei neben einem lexikografischen Teil, Grundgesetzen, Chronik und Vokabularium der Freimaurerei auch Darstellungen der Leistungen ihrer Mitglieder. Die Vielzahl der Stichworte, Bibliografie und Index ermöglichen einen leichten Zugang zur immer noch geheimnisumwitterten Welt der Feimaurer. Prof. Dieter A. Binder; geboren 1953, lehrt an der Karl-Franzens-Universität Graz und der Andrassy-Universität Budapest Geschichte. Autor zahlreicher Publikationen zur Österreichischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte. Bestellung: SCHOPF

Okkultistische Freimaurerei

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

Während viele Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert Horte der Aufklärung waren, wurde von anderer Seite eine Zeitlang mit Erfolg versucht, die gegen die Außenwelt abgeschlossenen Bauhütten zum Deckmantel der starken okkultistischen Strömungen der Zeit zu machen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie die Gold- und Rosenkreuzer ihre Ideenwelt mit dem freimaurerischen Ritual verbanden. Sie und andere beriefen sich dabei auf die Zunftlegende in Andersons Konstitutionen, die andeutete, die Freimaurerei sei Trägerin geheimer Kenntnisse des Wissens um letzte Dinge, die ihr von Weisen des Altertums, so Pythagoras und Zoroaster, überkommen seien; sie wiesen aber auch auf die 1738 erschienene, der zweiten Auflage des Andersonschen Konstitutionsbuches angehängte "Defence of Masonry" hin, die die Geburtstätte der Maurerei geheimnisvoll nach dem Osten verlegte und sie in Verbindung mit den Pythagoreern, Essenern, Kabbalisten und ihren geheimen Brauchen brachte.

Jedenfalls begannen die Okkultisten sehr bald, den freimaurerischen Symbolen eigene Deutung zu geben, wobei sie erklärten, daß ein und dasselbe Sinnbild auch von der offiziellen Freimaurerei selbst in den verschiedenen Graden verschieden ausgelegt werde. Am Eifrigsten betätigten sie sich in Frankreich. Im Mutterlande der Königlichen Kunst, in England, genügte im allgemeinen der theosophisch angehauchte Royal Arch mystischen Bedürfnissen.

Stuhl Salomos

In Frankreich knüpfte man zuerst an König Salomo an, den man als den großen jüdischen Magier ansah, als den Meister der Elementargeister, die er mit der Kraft seines geheimnisvollen Siegels beherrschte. Diese Kraft schrieb man nun dem "auf dem Stuhl Salomos" thronenden Großmeister zu, den man im Besitz des Geheimnisses durch daß ihm überlieferte, beim Tode Hirams "verlorene Wort" wähnte.

Vor der Einführung der Hochgrade existierten bereits kabbalistische Auslegungen der Symbole, suchte man in manchen Logen nach dem "Stein der Weisen", sah man in der Säule J den Schöpfer des Talmud, in der Säule B den Sekretär Salomos, den Verfasser der geheiligten "Clavicula Salomonis", unterlegte man dem "Flammenden Stern" (Pentagramm) und dem "Siegel Salomonis" (Hexagramm) besondere Bedeutung, oder man erblickte auch in J und B Namen und Zunamen eines und desselben Mannes, der eine Legion von Zwergen kommandierte und dessen Unterführer Salamander waren.

Sieben Lichter

Die Sucht nach solchen phantastischen Auslegungen kam dann in den verschiedenen Hochgradsystemen verstärkt zur Geltung. Daß Aufnahmeritual der "Ritter des Ostens" lehnte sich an Kapitel aus der Apokalypse an: der siebeneckige Tapis zeigte einen weiß gekleideten Mann mit goldenem Gürtel, daß Haupt von Strahlen umgeben, sieben Sterne in der rechten Hand und von sieben Lichtern eingeschlossen.

Der Meister der Loge hielt daß Buch mit den sieben Siegeln, sein Thron unter einem von Sonne und Mond beschienenen Regenbogen zeigte vier geflügelte Karyatiden, Löwe, Stier, Adler und ein Wesen mit menschlichen Zügen (Evangelisten!). Die Rituale der "mystischen Meister" bezeichneten als Ziel der Maurerei das Wissen um den zwischen dem Schöpfer und seinem Volk abgeschlossenen Vertrag und die geheimen Mitteilungen, die der Herr dem Patriarchen Enoch 400 Jahre vor der Sintflut gemacht habe; diese Mitteilungen hatten sich auf den wahren Namen des Herrn bezogen, nur die "mystischen Meister" wußten um daß Wort, das unbedingte Herrschaft über die Naturkräfte verbürge. Der Tapis dieses Systems zeigte vier Kreise, die vier Engel repräsentierten, die Christus auf dem Passionswege begleitet und gestützt hatten. Dem "mystischen Gesellen" wurde erklärt, daß Gott aus Salomon eine Emanation der göttlichen Kraft ausgestrahlt habe, die man Hiram nenne. Durch die ihm dadurch möglich gewordene Öffnung der ersten drei "mystischen Kreise" habe er das Scheiden der Metalle und die Beziehungen zwischen Schöpfer und Menschen kennengelernt.

Im Vierten habe er sich dem Herrn von Angesicht zu Angesicht gegenübergesehen, aber dann den Fehler begangen, auch in den fünften Kreis einzudringen, der die Domäne der Frau war; er sei dort in die Bande der Wollust verstrickt, von Hiram verlassen worden und habe nicht mehr die Kraft gehabt, den sechsten und siebenten Kreis zu öffnen.

Goldmacher

Auch eine besondere mystische französische Version des Royal Arch entstand, derzufolge auf dem Grundstein des Salomonischen Tempels sich die geheimen Zeichen befanden, die dem Eingeweihten die Gabe verliehen Gold zu machen. Die Reise des angehenden "Ritters des Tempels" durch die vier Elemente erhielt hermetische Interpretation, ebenso die Auferstehung Hirams und auch daß "heilige Wort" INRI ("Igne natura renovatur integra"). Spezifisch hermetische Embleme, wie der weiße und schwarze Adler, der Pelikan, der aus den Flammen sich erhebende Phönix finden sich in einer ganzen Reihe schottischer Grade. Alchimisten, Magnetiseure, Bekenner theosophischer Lehren, Visionäre aus der Schule Swedenborgs, Astrologen, Kabbalisten nahmen Einfluß auf den Ausbau der zahlreichen Riten. Martinez de Pasqually, Willermoz, Saint-Martin, Dom Pernetty waren Begründer okkultistischer Systeme und arbeiteten am "Großen Werk".

Séancen

In der Pariser Loge "La Sagesse triomphante" erblickten die Mitglieder nach stundenlangen magischen Übungen den sie segnenden Propheten Elias, spiritistische Séancen fanden statt, und in den Räumen der Bauhütte "Amis reunis", auf der sich die okkultische Kongresse veranstaltenden "Philaleten" aufbauten, suchte Duchâteau, der aus heißer Liebe zur Kabbala zum Judentum übergetreten war, den Stein der Weisen in seinem eigenen Urin.

Aber nicht nur in Frankreich, sondern auch in den anderen Ländern fanden sich zählreiche Jünger solcher freimaurerischen Verirrungen, die sich in alle Systeme einzunisten trachteten, so daß sich innerhalb der Freimaurerei eine Art okkultistische Internationale bildete. Manche Freimaurer reisten von Ort zu Ort, um Manifestationen beizuwohnen, die letzten Geheimnisse zu entschleiern. Dieser Wahn, der im 18. Jahrhundert einen Großteil der Gebildeten auch außerhalb der Freimaurerei beherrschte, macht es erklärlich, daß Schwindler und Abenteurer, wie Cagliostro, St. Germain, Schrepfer, Gugomos u. a., so große Erfolge erzielen konnten. Mit der Jahrhundertwende war aber dann im allgemeinen der Spuk zu Ende. (Vergl. R. Le Forestier, "La Franc-Maçonnerie et l'Occultisme au 18e siecle" in "Revue Universelle".) Bezüglich der Gegenwart s. Okkultistische Symbolik.