Philosophie: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 23. Januar 2022, 11:37 Uhr



Philosophie

Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)


im wörtlichen Sinne Weisheitsliebe, erstrebt auf der einen Seite die systematische Zusammenfassung und Ergänzung der Einzelwissenschaften, auf der andern, insbesondere im metaphysischen Teil, sucht sie die Lösung des Welträtsels, Antwort auf die letzten Fragen und steht in dieser Hinsicht in gewisser Analogie zur Religion. Auch die Philosophie beruht auf dem Trieb nach Vereinheitlichung der Erfahrung, nach Vereinfachung der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Welt, doch ist die Vernunftskomponente hier stärker als bei den Religionen, die ihr Lehrgebäude rein gefühlsmäßig errichten. Es gibt keine allgemeingültige Definition der Philosophie, da sie etwas ewig Werdendes ist. Demgemäß ist auch ihr Bestand Änderungen unterworfen.

Ursprünglich waren Philosophie und Religion eins, später bildeten dann Metaphysik, Erkenntnistheorie und Ethik (s. d.; die reine Philosophie). Hierzu kam dann die angewandte Philosophie als Rechts-, Religions-, Geschichts-, Gesellschafts-Philosophie usw., neuerdings auch die Lebens-Philosophie.

Der Ursprung der Philosophie ist subjektiv, der Wille zur Erkenntnis führt zu ihr wie der Wille zum Glauben zur Religion. ,,Philosophie ist ein Temperament, gesehen durch ein Weltbild" (Himmel). ,,Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man sei, denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen der annehmen könnte, wie es uns beliebt, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der sie hat" (Fichte). ,,Philosophie ist stets die Theorie eines Lebens, nicht des Lebens im allgemeinen" (F. C. S. Schiller, Oxford).

Vor Kant war die Philosophie mit wenigen Ausnahmen metaphysisch-dogmatisch, ein ,,intellektuelles Spiel". Kant brach das Primat der Vernunft und verhalf dem Willen zu seinem Rechte, insbesondere auf ethischem Gebiete (s. auch Sittengesetz, Sittlichkeit). Er überwand den Skeptizismus und den dogmatischen Rationalismus, faßte die Philosophie als Begriffswissenschaft von den Prinzipien des Erkennens und Handelns auf. Er räumte vor allem mit der dogmatischen Metaphysik auf und bezeichnete diese als eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft, deren Aufgabe es ist, Irrtümer vom Denken fernzuhalten, nicht aber Erkenntnis hinsichtlich des ,,Absoluten" zu geben.

Die Philosophie hat in seiner Auffassung eine Grundfrage:

,,Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?" Durch sein Wirken gewann die Philosophie an Lebensnähe, indem sie auf künstliche Systeme verzichtete, die Vernunfts- und Gefühlsdogmen durch Postulate der Vernunft ersetzte. Seine Tendenzen ausbauend, stellte die neuere Philosophie auch das Gefühl in ihren Dienst und überbrückte hierdurch die Kluft zwischen Wissen und Glauben. In diesem Sinne bezeichnet Wundt als Zweck der Philosophie: ,,Unsere Einzelerkenntnisse zu einer die Forderung des Verstandes und die Bedürfnisse des Gemütes befriedigenden Welt- und Lebensanschauung" zusammenzufassen. Rudolf Eisler (Handwörterbuch der philosophischen Begriffe) sagt, daß die Philosophie eine wissenschaftliche Synthese ,,der wissenschaftlichen Grundbegriffe und Ergebnislose zu einer einheitlichen, logisch-widerspruchslosen, den Postulaten des Denkens, der Phantasie, des Gemüts gerecht werdenden Welt- und Lebensanschauung" erstrebt. ,,Die Philosophie muß von der sinheitlichen Natur des Menschen ausgehen und nach deren volligen Befriedigung streben"(Schiller, Oxford). Müller-Freienfels unterscheidet zwischen Wissenschafts- und Lebens-Philosophie. Letztere ,,sieht in der Wissenschaft nur eine Form des Lebens. Sie ist mehr als Erkenntnis, sie ist selbst Leben." Die Philosophie soll ,,der Lebenserhaltung, Lebenssteigerung dienen, nicht die absolute Wahrheit entschleiern. Das Denken soll unserm Wollen das nützlichste Ziel weisen und uns Kraft verleihen, Mittel in die Hand geben, um sie zu verwirklichen. Die Welt ist ihrem Wesen nach Leben und nicht reines Denken" (James). Die moderne Philosophie will in diesem Sinne eine ,,Philosophie für jedermann" sein.

Kant hinterließ mit dem Begriff des ,,Ding an sich", das zwar nicht erkennbar, aber dennoch existierend ist, im Denken eine Spur des Absoluten, des Dogmatischen. Die neue Philosophie entfernt auch diesen letzten Rest, der eine Kluft zwischen ,,reiner" und ,,praktischer" Vernunft hervorrief, indem die reine Vernunft Ideen ablehnt, an die die praktische aus lebenswichtigen Gründen dennoch glauben muß.

Die neue Philosophie zeigt, daß das Denken im allgemeinen fiktiv ist, das die Fiktionen das Sein wohl niemals wirklich erfassen, aber trotzdem Handhabe zur Naturbeherrschung bieten konnen. Die Dogmen jeglicher Art in der Religion, Wissenschaft, Gemeinschaftsleben usw. sind Fiktionen. Das moderne Denken läßt Erfahrung und darüber hinausgehend auch Ideale, deren Realität in ihrer Wirkung besteht, gleicherweise gelten.

Die Stellung der Freimaurerei zur Philosophie

Die Stellung der Freimaurerei zur Philosophie ist ähnlich wie die zur Religion. Sie läßt alle Philosophie gelten; sie selbst ist keine fest umrissene philosophische Lehre und hat auch keine allgemein anerkannte Philosophie. Jede Philosophie ist mehr oder minder ein System, und in diesem Sinne ein Dogma. ,,Freimaurerische Philosophie! Das klingt wie eine contradictio in adjecto" (Wolfstieg, ,,Die Philosophie der Freimaurerei"). ,,Die Freimaurerei beteiligt sich nicht am Streite der philosophischen Lehren" (Heinichen ,,Die Grundgedanken der Freimaurerei im Lichte der Philosophie"). ,,Denn die Toleranz, welche die Freimaurerei auf ihre Fahne schrieb, gestattet keine Festlegung ihrer Mitglieder auf ein geschlossenes System" (Wolfstieg). Die Freimaurerei verfügt ,,über keinen hauptamtlichen Wissenschaftler wie die Kirche" (Schenkel, ,,Die Freimaurerei im Lichte der Religions- und Kirchengeschichte") ein Umstand, der die Präzisierung ihres Standpunktes der Philosophie gegenüber erschwert, zumal, obwohl das Ritual und die Symbolik allenthalben ungefähr gleich, die Ausdeutung dieser und die Praxis der Freimaurereien der verschiedenen Länder dennoch große Unterschiede aufweist. Überdies wird die Freimaurerei von den jeweiligen philosophischen Strömungen mehr beeinflußt als die Bewegungen mit dogmatischer Grundlage. In ihren Anfängen war sie sichtlich dem Einfluß der Stoa, des Deismus und des Rationalismus ausgesetzt doch blieb sie da keineswegs stehen. Ihre Grundeinstellung, aus der ihr Verhalten gegenüber den Problemen der Welt und des Lebens ableitbar, war und bleibt immer im Grunde relativistisch (s. Relativismus). Sie ist eine Bewegung, die relativistisch eingestellte Menschen zur Forderung des Humanitätsideals zusammenzufassen trachtet.

Dem Umstand, daß die Freimaurerei sich keiner dogmatischen Auffassung anschließt, ist es wohl zuzuschreiben, daß ihre Philosophen, mit Ausnahme von Krause, Fichte, Seydel und Caspari, keine Fachgelehrten im zunftmäßigen Sinne waren. Lessing, Herder und Goethe waren Dichter und Denker. In den freimaurerischen Schriften all dieser Autoren handelt es sich eher um eine Klarlegung der Ziele der Freimaurerei (die in Ermangelung einer dogmatischen Lehre zu Beginn nicht allzu deutlich zutage traten) und um die Erörterung der sozialen Funktion und der Existenzberechtigung der Bewegung, als um eine umfassende philosophische Untersuchung des ganzen freimaurerischen Ideenkomplexes und um eine klare Abgrenzung gegen andere Bewegungen mit ähnlichen Zielen. Unter Philosophie der Freimaurerei ist im Grunde niemals eine systematische philosophische Lehre zu verstehen, sondern Versuche, die die Freimaurerei als Bewegung und Idee mit den jeweiligen Ergebnissen des philosophischen Denkens in Einklang bringen wollen. Eine kodifizierte, philosophische Lehre der Freimaurerei wurde nirgends niedergelegt, auch in den Gründungsurkunden nicht. Wenn man dennoch von einer Philosophie der Freimaurerei spricht, so ist darunter ein Veränderungen unterworfener Ideenkomplex zu verstehen, der aus den Gebräuchen, Symbolen, Ritualen, aus der ganzen Praxis der Freimaurerei induktiv herausgearbeitet wird. Auf die in diesem Sinne aufgefaßte freimaurerische Philosophie hatte zweifelsohne Kant den größten Einfluß, obwohl er selbst kein Mitglied des Bundes war. Mit ihm setzt die philosophische Bewegung ein, die den Dogmatismus jeglicher Art ablehnt und folglich dem freimaurerischen Fühlen und Denken nahesteht. Seine Ideen wurden durch die neuere Philosophie, insbesondere Neuhumanismus, Pragmatismus und Als-Ob-Philosophie weitergeführt. Diese Lehren sind der Freimaurerei in vielen Belangen wesensverwandt, insbesondere ihr relativistischer Wahrheitsbegriff (s. Wahrheit, Relativismus), der jeglicher Intoleranz den Boden entzicht und der Duldsamkeit zum Siege verhelfen will, ihr Streben nach Harmonie, ihre humanistischen Tendenzen.

Eine Durcharbeitung der freimaurerischen Ideologie im Lichte dieser Philosophie könnte zwar auch nicht zu einem für immer feststehenden System führen, aber vielleicht einen philosophischen Unterbau der Freimaurerei zustande bringen, der, auf die bestehenden Unterschiede innerhalb der Bewegung in vollem Maße Rücksicht nehmend, dennoch zu einer einheitlichen Gesamtanschauung der Freimaurerei in philosophischer Hinsicht gelangen könnte. Philosophie der Freimaurerei ist in diesem Sinne im Grunde noch eine ungelöste Aufgabe. Nicht unerwähnt sei der sehr verdienstliche Versuch von Otto Heinichen, der in seinem Werk: ,,Die Grundgedanken der Freimaurerei im Lichte der Philosophie" die Hauptprobleme der Freimaurerei in der Beleuchtung der Philosophie von Kant, Marcus, Lotze, Driesch und Spranger untersucht, um ihre Stellung zu den Problemen der Religion, der Unsterblichkeit, der Ethik, der Freiheit wissenschaftlich herauszuarbeiten.

Ähnlich wie die Einstellung der Freimaurerei zur Philosophie als Ganzem ist ihr Verhältnis zu den philosophischen Teildisziplinen, zur Metaphysik, zur Erkenntnistheorie und Ethik. Sie lehnt auch hier jeglichen Dogmatismus, daher auch den dogmatischen Unglauben, den Skeptizismus, ab und nimmt im allgemeinen den Standpunkt des Kritizismus, Relativismus und Eklektizismus ein. Auch diesbezüglich gilt das in bezug auf die Philosophie im allgemeinen Gesagte. Die Freimaurerei hat in diesen Fragen ebenfalls keine amtliche Stellungnahme; ihre Einstellung muß aus ihren Gebräuchen, Ritualen, aus ihrer ganzen Praxis induktiv herausgearbeitet werden.

Welträtsel

Auch in diesen Belangen bestehen zwischen den Freimaurereien der einzelnen Länder bei gleichem Ritual und identischen Symbolen große Unterschiede. Die dogmatische Metaphysik, die im Übersinnlichen im ,,Ding an sich" die Lösung des Welträtsels zu finden wähnt, lehnt sie ab; genauer gesagt überlässt sie es ihren Anhängern, an derartige Lehren zu glauben, zumal diese Dogmen nicht widerlegbar sind, sondern nur abgelehnt oder angenommen werden können. Sie steht in ihren Auffassungen der kritischen Metaphysik nahe, die, von den Einzeldisziplinen ausgehend, eine erkenntnistheoretisch fundierte Allgemeinsynthese zu bilden versucht. Die Masse der Freimaurer lehnt die extreme Form des metaphysischen Monismus und Materialismus ab, neigt in gewisser Hinsicht zur dualistischen Auffassung (s. Dualismus) und ist spiritualistisch (s. Spiritualismus), indem sie an eine aktive Rolle des Geistes im Weltengeschehen glaubt.

In theologisch-metaphysischer Hinsicht weist sie den dogmatischen Atheismus und Theismus ab, lässt den idealistischen Pantheismus und den Panentheismus (s.d.), wie alle Religionen, gelten und nimmt selbst im Grunde den Standpunkt des moralischen Theismus ein. (Über das Verhältnis der Freimaurerei zur Religion s. Religion, zur Unsterblichkeit, zum Gottesproblem (s. A.B.a.W.). Bezüglich des metaphysischen Freiheitsproblems (s. Freiheit, Determinismus, Indeterminismus) lehnt sie den dogmatischen Determinismus ab, glaubt im Sinne Kants an eine sittliche Freiheit und will den Geltungsbereich des Kausalgesetzes auf die Natur beschränkt wissen.

Erkenntnistheorie

Die Freimaurerei schätzt die Leistungen der Erkenntnistheorie sehr hoch ein, doch negiert sie den Standpunkt des dogmatischen Rationalismus, Sensualismus, Intellektualismus und Empirismus, ist der Anschauung, das die Naturwissenschaften von der Erfahrung ausgehen müssen und die Verarbeitung der Wahrnehmungen rein verstandesmäßig vor sich zu gehen hat, daß es aber auch außerintellektuelle Möglichkeiten der Erkenntnis (Intuition usw.) gibt. Sie ist auch nicht einseitig voluntaristisch. Der Wille ist ihrer Ansicht nach wichtiger psychologischer Faktor, doch keineswegs der einzige. Sie anerkennt aber die wichtige Rolle, die der Wille in der Form des Pflichtbewußtseins spielt, das das Streben nach Selbstbeherrschung und Selbstveredlung ermöglicht. Bezüglich des Gegenstandes der Erkenntnis lässt sie den Standpunkt des extremen Realismus und Positivismus allein nicht gelten, obwohl sie einsieht, daß nur diese dem exakten Wissen eine verläßliche Grundlage bieten können. Sie neigt in dieser Hinsicht zum Idealismus und idealistischen Positivismus, der Tatsachen und Ideale gleicherweise gelten läßt.

Ethik

In bezug auf die Ethik nimmt sich die Freimaurerei nicht das Recht heraus, den ewigen Streit der verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen hinsichtlich des Ursprungs und der Ziele dieser Disziplin zu entscheiden. Eine rein rationale Ethik ist ihrer Ansicht nach ebenso dogmatisch wie eine rein gefühlsmäßige. Sie neigt diesbezüglich zur eklektischen Anschauung, derzufolge die Sittlichkeit aus vielen Quellen fließt (s. auch Sittlichkeit, Sittengesetz). Sie lehnt den dogmatischen Nüzlichkeitsstandpunkt des Utilitarismus sowie den Hedonismus in seiner krassen Form ab und verficht die Meinung, daß Nützlichkeit und Lust nicht die ausschließlich bestimmenden Faktoren des sittlichen Handelns sind, daß auch höhere Werte einen Einfluß in ethischer Beziehung haben.

In der freimaurerischen Ethik spielen wohl eudämonistische Momente eine gewisse Rolle, doch faßt sie das Glück nicht im rein materiellen Sinne auf. Sie ist weder pessimistisch noch optimistisch im dogmatischen Sinne, sondern erklärt, daß die Welt und die Menschen wohl nicht vollkommen, jedoch vervollkommnungsfähig sind (s. Meliorismus, Perfektionismus). Die Freimaurerei steht in Dingen der Ethik im großen und ganzen den Auffassungen Kants nahe. Der Zentralbegriff ihrer ethischen Anschauung ist das Pflichtbewusstsein, das Sittengesetz. Sie steht zur extremen Form des Egoismus und Individualismus im Gegensatz, ist im Grunde sozialindividualistisch eingestellt, indem sie in der Methode (der Erziehung der Persönlichkeit) individualistisch, in ihrer Zielsetzung hingegen sozial eingestellt ist. Sie erhebt jedoch ihre ethischen Postulate nicht zum Dogma. Sittengesetz, sittliche Freiheit sind in ihrer Auffassung daher im Grunde Fiktionen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: die Freimaurerei will ihren Mitgliedern keine geschlossene, einheitliche Weltanschauung aufzwingen, da eine solche immer mehr oder minder dogmatisch sein müßte. Sie überlässt es jedem Br., im Rahmen der Forderungen des Sittengesetzes, der sittlichen Freiheit, des Forschritts und des Humanitätsgedankens seine eigenen Anschauungen zu betätigen.

Siehe auch:

Links

Die Grundauffassungen der Freimaurerei, nach Lennhoff/Posner [1]