Schottische Maurerei
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Schottische Maurerei
Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)
(frz. Ecossisme) trat, ohne jede Beziehung zur Großloge von Schottland, um 1740 in Frankreich in Erscheinung. Über ihre Entstehung bestehen trotz zahlreicher tiefgründiger Forschungen nur Hypothesen. Man verstand im genannten Zeitraum unter Schottischer Maurerei jene Maurerei, die mehr als die drei symbolischen Grade der englischen Lehrart hatte, nachdem der älteste bekanntgewordene Grad dieser Gattung (Schottengrad), eine Abart des Meistergrades, "Schottischer Meister" hieß. Schiffmann leitete diesen, seit 1742 bekannten, zunächst reformatorisch gemeint gewesenen, Auslese anstrebenden "Maïtreécossais" von "Acassais", also von acassia (Akazie) ab, in bewußt scharfem Gegensatz zu der lange Zeit verbreiteten Auffassung, die Wurzeln seien in einem von den exilierten Stuarts ins Leben gerufenen Hochgradsystem zu suchen, das bestimmt gewesen sei, die nach Frankreich gekommenen Anhänger des entthronten Königshauses in Logen zu sammeln und sie so dynastischen, bezw. (nach Bode und Bonneville) den diese fördernden jesuitischen Interessen dienstbar zu machen.
Diese letztere, auch von Begemann und Gould und anderen aufs energischste abgelehnte und bekämpfte Theorie wird neuerdings wieder von dem französischen Forscher Albert Lantoine (La Franc-Maconnerie Ecossaise en France, 1930) gestützt, der den Nachweis unternimmt, daß eine Reihe notorischer Stuartisten (Jakobiten) führend am Anfang der französischen Freimaurerei standen, daß diese auf französischem Boden als Logengründer auftraten, ehe noch die englische Lehrart über den Kanal gelangt war, und daß namentlich auch in St. Germain bei Paris, wo der Prätendent residierte, im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts bereits eine Loge bestand.
Lantoine hält die historische Richtigkeit der These für sehr wahrscheinlich, daß sich nach der Hinrichtung Karls I. (1649) dessen Anhänger, um Cromwell zu täuschen und unter falscher Flagge in Verborgenheit wirken zu können, in die Freimaurerei geflüchtet hätten.
Der in dem von solchen überdies rosenkreuzerischen "schottischen" Maurern geschaffene III. Grad mit seiner pseudobiblischen Hiram-Legende symbolisch ausgedrückte Wille, das "Wort" wiederherzustellen, habe sich in Wahrheit ursprünglich auf den Sohn des durch Hiram versinnbildlichten, hingerichteten Königs bezogen. Die "Witwe", als deren Söhne sie sich bezeichneten, sei die Königin-Witwe Henriette von Frankreich gewesen. Nach dieser Theorie hatten sich dann die Exilierten, vor allem der Hofstaat Jakobs II., in Frankreich der Freimaurerei zu politischen Zwecken bedient.
Bereits 1688 hätten sie im Verein mit katholischen Schotten und Iren der dem König gefolgten Truppen in St. Germain eine Regimentsloge gestiftet, wobei man freimaurerisches Gebrauchtum mit Zeremonien des Schottischen Distel- (Andreas-) Ordens vermählt habe. Ein Beweis für die Vermischung wird namentlich in späteren Graden, bezw. Titeln, wie "Schotte des heiligen Andreas", "Großer Auserwählter des heiligen Gewölbes Jacobs VI." usw., erblickt.
Eine weitere, mit Zähigkeit immer wieder kolportierte These wird auch von Lantoine abgelehnt, nämlich, daß alle die Sehnsüchte und Wünsche der Jakobiten sich in dem berühmten "Discours" des Chevalier Ramsay manifestiert hätten und dieser so als bewußter Anreger, wenn nicht als Schöpfer der kurz hernach massenhaft aufgetretenen schottischen Hochgrade zu betrachten sei. Lantoine billigt Ramsay mit Recht nur zu, daß dieser dadurch, daß er in seiner Rede die Freimaurerei im Zusammenhang mit Schottland auf die Kreuzfahrer zurückführte, jene Grade gleichsam legitimiert hat, in denen Hiram nicht mehr allegorischer Schleier für Karl I. Stuart ist, sondern für Jacques de Molay, den wider alles Recht auf dem Scheiterhaufen zum Tode gebrachten letzten Großmeister der Templer ("Witwe" =Templerorden).
Ritterzeremonien
Für Lantoine steht es fest, das diese Grade, die mit ihren Ritterzeremonien, ihren farbigen Legenden und behaupteten (ebenso glorreichen wie uralten) Traditionen, mit ihrem katholisierenden Pomp im Ritual, in Symbolik und Titeln die protestantisch nüchtern erscheinende reine englische Lehrart bald gewaltig überstrahlten, von den Freimaurern der schottischen — übrigens hauptsächlich aus Iren bestehenden — Regimenter importiert wurden. In den Bereich der Fabel verweist auch er jedoch die im ganzen 18. Jahrhundert und noch lange nachher eine so große Rolle spielende angebliche Gründung eines "Chapïtre primatial et métropolitain de Rose-Croix sous le titre distinctif d'Ecossais Jacobite", des sogenannten ersten Rosenkreuzerkapitels in Arras, durch den Prätendenten Karl Eduard Stuart, den "unbekannten Oberen" der Strikten Observanz (s. d.).
Diese hat die Legendenbildung wohl am stärksten befruchtet, auch dann noch, als Karl Eduard selbst sie 1780 in einem Brief an den Herzog von Södermanland (s. d.) abgetan hatte, in dem er bekannte, bezüglich der Maurerei "in vollkommener Finsternis zu wandeln". Auch die behauptete Existenz einer "Mutterloge der Schottischen Maurerei" in Kilwinning oder Heredom oder "Kilwinning Heredom" erwies sich als Fabel. Heredom als geographischer Begriff existiert nicht; es handelt sich bei diesem Ausdruck um eine Deformierung eines 1743 gebrauchten Ritualwortes "Herodim".
Mag bei der Einführung der Schottischen Maurerei wer immer Pate gestanden haben - diese nahm in verschiedenstem Gewand, begünstigt durch alle möglichen Zeitströmungen, ungeahnten Aufschwung.
Okkultismus
Namentlich der latente Okkultismus, der neben dem Aufklärungsstreben einhergehende Sinn des 18. Jahrhunderts für hermetische Lehren, der Glaube, letzte Dinge entschleiert zu erhalten, unterstützte die rasche Ausbreitung der neuen Grade, das Ersinnen von die Phantasie immer reicher beflügelnden alchimistischen und kabbalistischen Ausdeutungen der Symbole. Am Anfang stand, wie oben gesagt, der Wunsch nach Reform durch Auslese; daraus wurde dann etwas ganz anderes, bedingt allein schon durch bald sich breit machendes aristokratisches Herrschaftsstreben auch innerhalb der Maurerei und menschlich verzeihliche Eitelkeit.
Es wimmelte in Frankreich bald von gelegentlich tatsächlich von Jakobiten gestifteten — Systemen, Riten, Orden, Kapiteln und Mutterlogen, die zumeist behaupteten, den letzten Aufschluß über die Freimaurerei erteilen zu können. Um nur einige zu nennen: "Erhabene Mutterloge des Großen französischen Globus", Kapitel von Clermont", "Die getreuen Schotten von Toulouse", "Schottische Mutterloge von Marseille", "Hof der Souveränen Großkommandeure des Tempels", "Noachiten", "Contrat Social", "Philosophischer Schottischer Ritus", "Rat der Kaiser vom Osten und Westen" (s.d.), "Philaleten", "Auserwählte Coëns" (s. d.), "Prinzen des Königlichen Geheimnisses". Jede dieser sehr vielen Lehrarten pflegte in ihren Werkstätten zahlreiche Grade, so daß das Bild der Maurerei dieser Zeit sich arg verwirrte. Um so mehr, als alle diese Spielarten nicht nur in Frankreich, sondern auch im übrigen Europa begeisterte Anhänger fanden, die ihrerseits wieder das übernommene nach eigenem Geschmack umformten, sich neutönerisch zu betätigen strebten und kaum Angeeignetes in anderer Form (z. B. Strikte Observanz) wieder nach Frankreich zurück verpflanzten. (In Deutschland z. B. gab es schon zu Anfang der vierziger Jahre in Hamburg und Berlin die ersten Schottenlogen.)
Gemeinsame Doktrin
Das Chaos machte dann die Arbeit der Reformatoren zur dringenden Notwendigkeit. Versuche, eine Verschmelzung oder zu mindest doch eine gemeinsame Doktrin festzulegen, die Freimaurerei wieder als etwas Einheitliches erscheinen zu lassen, wurden vielfach unternommen, waren aber lange Zeit zum Scheitern verurteilt. Namentlich von den Philaleten wurden zu diesem Zwecke in Paris Kongresse veranstaltet, die aber die notwendige Reinigung der Atmosphäre nicht zu bringen vermochten. Erst nach der französischen Revolution, in deren Verlauf alle diese Gebilde wenigstens in ihrem Mutterlande zerstoben, kam die Klärung. Die Schottische Maurerei gelangte, von einigen sich nach wie vor behauptenden Gruppen abgesehen, zu einer Einheit. Sie erhielt für ihre Hochgrade gleich der englischen Maurerei ihre einheitliche Verfassung. Das geschah durch den Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (s. d.).
Schottische Maurerei bei C. Lenning
(Maconnerie écossaise, Scotch Masonry, Schotsche Frijmetselarij, Mac escosez)
Mit dieser doppelsinnigen Benennung bezeichnet man eine Reihe von sogenannten höhern Graden, welche sich an den Meistergrad anschliessen, entweder in sich selbst einen Abschluss haben oder nur Zwischenglieder zwischen den Johannisgraden und der höchsten Ordensabteilung bilden. Doppelsinnig und zweideutig ist diese Benennung, weil man unter Schottische Logen, Schottische Maurerei an Schottland und das dortige Logenwesen denken kann und soll. Aber die Grosse Loge von Schottland hat mehrfach erklärt, dass sie mit diesen sogenannten schottischen Graden und dieser Schottischen Maurerei nichts zu tun habe, und ebenso hat die alte Loge von Kilwinning, welche zur Grossen Loge von Schottland gewisserweise dieselbe Stelle wie York zur Grossen Loge von England einnimmt, erklärt, dass sie nie höhere Grade bearbeitet habe, noch gar Patente dafür ausgegeben habe.