Schwedische Lehrart

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An Umfang und Genauigkeit bisher unübertroffen enthält das bis zur Gegenwart aktualisierte große lexikalische Standardwerk über die Freimaurerei neben einem lexikografischen Teil, Grundgesetzen, Chronik und Vokabularium der Freimaurerei auch Darstellungen der Leistungen ihrer Mitglieder. Die Vielzahl der Stichworte, Bibliografie und Index ermöglichen einen leichten Zugang zur immer noch geheimnisumwitterten Welt der Feimaurer. Prof. Dieter A. Binder; geboren 1953, lehrt an der Karl-Franzens-Universität Graz und der Andrassy-Universität Budapest Geschichte. Autor zahlreicher Publikationen zur Österreichischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Kulturgeschichte. Bestellung: SCHOPF

Schwedische Lehrart

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

Im Gegensatze zu anderen aus dem 18. Jahrhundert entstandenen Hochgradsystemen zeichnet sich die Schwedische Lehrart durch eine innere Geschlossenheit aus. Wenn auch ursprünglich zahlreiche fremde Bestandteile, hauptsächlich aus Frankreich, ziemlich wahllos verwendet wurden so ist es hier doch gelungen, eine Einheitlichkeit herzustellen, die diese Lehrart wohl von der übrigen Freimaurerei sehr beträchtlich absondert, ihr selbst aber eine folgerichtige Entwicklung in sich und aus sich selbst sichert. Ihre besondere Eigentümlichkeit ist die Verankerung in der Lehre Christi. Die gegen Ende des 18. Jahrhunderts beendete Neubearbeitung des Systems schuf einen zehn-, dann elfstufigen, organischen Bau.

Das System ist eine in freimaurerische Formen gehüllte Erneuerung der mittelalterlichen Mystik. Nach wie vor wird an einem geistigen Rittertum festgehalten d. h auch die Tempelherren in das Ritual (der Kapitelgrade) einbezogen. Über den Johannislogen baut sich eine mittlere Abteilung, die Andreaslogen mit drei Andreasgraden (IV. bis VI. Grad), dann folgt das Kapitel mit den Kapitelgraden.

Grade

  • 1.—3. Johannisgrade (Schutzpatron: Johannes der Täufer), erteilt in der Arbeitenden oder St.-JohannisLoge :
1. Lehrling.
2. Geselle.
3. Meister.
  • 4.—6. Andreasgrade (Schutzpatron: der Apostel Andreas), bearbeitet in der Leuchtenden oder St.-Andreas-Loge:
4. Auserwählte Brüder oder Schottische St. -Andreas-Lehrlinge .
5. Schottische St.-Andreas-Gesellen.
6. Schottische St.-Andreas-Meister.
  • 7.—10. Kapitelgrade (Schutzpatron: der Apostel Johannes der Evangelist), erteilt in der Erleuchteten und Wirkenden oder Stewardloge:
7. Stuartbrüder oder Ritter des Ostens und Prinzen von Jerusalem.
8. Vertraute Salomonis oder Ritter des Westens.
9. Vertraute Brüder St. Johannis.
l0. Vertraute des heiligen Andreas.
11. Ritter-Kommandeure mit dem roten Kreuz.

Zinnendorfsche Lehrart

In der in insgesamt neun Grade gegliederten, sonst ziemlich identischen Zinnendorfschen Lehrart der Großen Landesloge von Deutschland heißen die Gradbezeichnungen:

  • Johannisloge:
1. Johannislehrling.
2. Johannisgeselle.
3. Johannismeister.
  • Andreasloge:
4. Andreaslehrling, -geselle.
5. Andreasmeister
  • Kapitel:
6. Ritter des Ostens, Stuartbruder, Prinz von Jerusalem.
7. Ritter des Westens, auch Vertrauter Salomos.
8. Grad der Vertrauten der Johannisloge.
9. Auserwählter, auch Vertrauter des heiligen Andreas (Andreas-Vertrauter)

Dazu kommen, nicht als Grad, sondern als Auszeichnungsstufe: die Ritter-Komture mit dem roten Kreuz. An der Spitze steht in Schweden der Vicarius Salomonis mit einem Beamtenkörper von 11 Großbeamten, von denen 9 weltlich, 2 geistlich sein müssen. Dieser Körper wird seit 1800 auch Sanhedrin genannt. Diese höchsten Beamten der sogenannten IX. Freimaurerprovinz sind zugleich die Beamten des Großkapitels. Die Große Landesloge von Schweden steht unter einem Landes Großmeister mit zwölf Großbeamten. Um ein Großlogenamt bekleiden zu können, muß man den VIII. Grad erreicht haben.

Ordensmeister

In der Großen Landesloge steht an der Spitze des Ordensbaues als Oberhaupt des ganzen Ordens der auf Lebenszeit gewahlte Ordensmeister mit den elf höchsten Beamten, die den Ordensrat bilden. Dieser übt die Aufsicht über die Kapitel Tätigkeit und ist die höchste Instanz in allen Ritual- und Systemfragen. Die Große Landesloge ist ein Verwaltungskörper, geleitet vom Landes-Großmeister. Dieser leitet und beaufsichtigt die Arbeit der Johannis- und Andreaslogen. Der Landesgroßmeister wird auf drei Jahre gewählt; er beruft in der Hauptsache die übrigen Großbeamten nach eigenem Ermessen. Der Ordensmeister bestätigt den Landes-Großmeister in seinem Amte.

Die Ordenslehre betont den Charakter eines christlichen Ritterordens, geschlossen zur Ehre Gottes, zur eigenen Veredlung und zur Veredlung der Brr., zur Förderung der allgemeinen Liebe und zur Erhöhung der Würde und des Wohles der Mensehheit.

Besonders von orthodox-protestantischer Seite hat man diese christliche Lehrart als eine Art protestantischer Sektenbildung bezeichnet und aus diesem Gründe auch lebhaft bekämpft. Selbst der freimaurerische Autor Gould geht so weit, im Vicarius Salomonis eine Art von protestantischem Papst (a species of Protestant Pope) zu erblicken, voraus sich für ihn zwangsläufig das Interesse der schwedischen Dynastie an der Freimaurerei ihres Landes ergibt, an deren Spitze seit Generationen der König steht.

In der Schrifttum der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland wird die Bearbeitung des von den verschiedenen Anschauungen der Zeitälter unabhängigen ursprünglichen Christentums wohl scharf betont, eine christliche Sektenbildung im eigentlichen Sinn des Wortes liegt jedoch sicherlich nicht in der Absicht des Systems.

Obermeister Christus

Der Orden betrachtet den Glauben an Gott an die Verantwortlichkeit des Menschen und an die Unsterblichkeit der Seele als Postulate der Vernunft, ohne welche seine Lehrweise bei niemand wirksam werden könnte. Die streng christlich-mystische Lehrart mit ihrer die Erziehung der Mitglieder zu innerlich freien Menschen ("Freiheit aus Gebundenheit") anstreben den Ordensregel mündet in einer formschönen und mit der symbolischen Darstellung religiöser Erlebnisse stark durchsetzten Ritualistik in der Person des eigentlichen unsichtbaren Obermeisters Christus, der die gesamte Ritterbruderschaft in ihrer Gotteskindschaft vereinigt.

Das System gründet sich auf die reine Lehre Jesu, wie sie in den Evangelien dargeboten wird, so daß die Bibel, die diese Bucher enthält, nicht bloßes Symbol der Religion, sondern in Wirklichkeit "das größte aller Lichter" ist. Die Brr. werden zu einem mystisch-spekulativen Gedankengang erzogen, der mit der Erkenntnis des göttlichen Wesens anfängt, wie es sich in der sichtbaren Welt offenbart und durch die Erkenntnisse des göttlichen Wesens in der Menschheit sich bis zur Erkenntnis Gottes an und für sich emporrankt. In den höheren Graden werden diese mystischen Interessen zu einem Streben, zur wahren Religion vorzudringen, den Glauben an den Heiland im Herzen wirklich lebendig zu machen, den wahren Sinn der Dreieinigkeit zu verstehen. Die Methode des Systems zeigt manche Einflüsse Swedenborgschen Geistes: "Viele Vorstellungen, die in Swedenborgs himmlischen Arkana, in seiner Auslegung der Apokalypse und in seiner Darstellung des Neuen Jerusalem enthalten sind kehren in den Schwedischen Hochgraden wieder."

(C. N. Starcke, Die Freimaurerei, ihre geschichtliche Entwicklung usw.) Mittelpunkt der Ordensübung ist Christus (s. d.), nicht nur in seiner Lehre, sondern seine Erscheinung selbst. Abweichend von der übrigen symbolischen Maurerei kennt das Schwedische System bei der Lehrlingsaufnahme die — nur symboliseh vollzogene — Zeremonie der Blutmischung (s. d.). Der Inhalt der Johannisgrade ist derart ausgestaltet, daß jeder einzelne auf eine der drei Fragen Anwort gibt:

  • Woher komme ich?
  • Wer bin ich?
  • Was ist meine Bestimmung?

Andreasloge

Die gleiche zeitliche Einteilung liegt dann auch der Andreasloge und dem Kapitel zu Grunde: Während die Johannismaurerei auf den ältesten historischen Ursprung des Ordens hinweist, dessen Zusammenfassung im Bau des Salomonischen Tempels liegt, bezieht sich die Andreasloge auf den Bau des zweiten Tempels unter Nehemia, der auf dem wiedergefundenen Grundstein des ersten Tempels errichtet wurde.

Dieser Grundstein bildet gleichzeitig auch das wichtigste Symbol auf der Arbeitstafel der Andreasloge. Der Andreasmeister erhält dann die Andeutung daß unter diesen vollkommenen Kubus Christus als der eigentliche Schlußstein des Tempels zu verstehen ist. Die Allegorie des unter den Trümmern des ersten, zerstörten Tempels gefundenen Grundsteines, auf welchem sich nach Gottes Ratschluß ein neuer Tempelbau vollziehen sollte, bildet bereits eine Andeutung auf den Inhalt des Kapitels, in welchem in den beiden untersten Graden die Geschichte (Entstehung, Blut und Untergang) sowie die Kunde von dem geheimen Weiterbestehen des einstmals machtigen christlichen Ritterordens der Templer behandelt wird, in dessen geistiges Erbe der Freimaurer-Ritterorden getreten ist.

Kapitel

In diesem Sinne erteilt das Kapitel auch die Antwort auf die dritte Grundfrage des Ordens: Was ist meine Bestimmung? Diese zeigt in den beiden höchsten Graden des Kapitels als Ziel des Ordens: die Vereinigung der Brr. untereinander zu einer geistigen christlichen Ritterschaft unter der Kreuzesfahne (die im Kapitel an Stelle der Arbeitstafel der Johannes- und Andreaslogen tritt und auf der einen Seite das himmlische Jerusalem, d. h. die vollkommene ewige Loge, und auf der anderen Seite ihre Leuchte, das Lamm, zeigt) und die Vereinigung mit Gott (Unio mystica) als Mittelpunkt der ewigen Liebe.

In den Schriften Otto Biebers hat namentlich dieses System, diese "plastische Religionsphilosophie" eine von anderen Systemen nicht erreichte Exegese erfahren, die man kennen muß, ehe man sich, wie dies in Freimaurerkreisen leider üblich ist, ein absprechendes Urteil über diese "christliche" Freimaurerei erlauben darf. Wenn zwischen diesem, für den ehrlichen Beurteiler in seiner Geschlossenheit der Linienführung, der tiefen Innerlichkeit seines Gebrauchtums und dem Appell an die höchsten religiösen und moralischen Triebkräfte sehr eindrucksfähigen System und anderen Lehrarten, besonders in Deutschland, Gegensätze klaffen, so liegt es nicht immer nur an der Lehrart, sondern leider oft an den sie vertretenden Personen. Das System ist ein besonderes und hat eine Ausnahmestellung in der freimaurerischen Systematik. Sicher ist es jener Seitenzweig der Freimaurerei, der sich von dem englischen Stamme am weitesten entfernt hat. Aber dieser Zweig hat in sich logische Entwicklung und seelische Überzeugungskraft.

Die schwedische Lehrart wird bearbeitet in Schweden, Norwegen und Dänemark, außerdem (mit Abweichungen) in der Großen Landesloge von Deutschland (s. auch Eckleffsche Akten, Ordensregel, Ordenslehre, Zinnendorf und die einzelnen Grade).