Traktat: England – Die Freimaurerei und die Öffentlichkeit im zwanzigsten Jahrhundert

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1900 – 2000: Vom Liebling der Medien zum Feindbild

Das unabhängige Freimaurermagazin ‚The Square’ berichtete im Dezember 2013, wie sich im zwanzigsten Jahrhundert das Bild veränderte, das sich die englische Öffentlichkeit von der Freimaurerei machte. Fazit: Das Image der Freimaurerei verschob sich in dieser Zeit von einer hochrespektierten Eliteorganisation im Zentrum des öffentlichen Lebens an den Rand der Gesellschaft, hin zu etwas, das von vielen Menschen mit Argwohn betrachtet wird. Der Bericht basierte auf einer Untersuchung des englischen Historikers, Journalisten und Freimaurerpublizisten Paul Calderwood. Mit Genehmigung des Autors und von ‚The Square’ hat Rudi Rabe den Artikel für das Wiki ins Deutsche übertragen.


Für die englische Freimaurerei war das zwanzigste Jahrhundert eine bedeutsame Zeit. Die Zahl der Logenhäuser stieg auf das Doppelte, die der Logen auf das Dreifache, und die Zahl der von den großen masonischen Wohlfahrtseinrichtungen unterstützten Menschen war 1999 sechsmal so hoch wie 1900. Das zwanzigste Jahrhundert war aber nicht nur eine Phase enormen Wachstums sondern auch eine Zeit, in dem sich das öffentliche Ansehen der Freimaurerei radikal verändert hat. Und der diesbezügliche Kontrast zwischen 1900 und 1998 könnte kaum schockierender sein.

Nach 1900 Unterstützung vom Königshaus abwärts

Als König Edward VII. 1901 den Thron bestieg übernahm er auch den Titel eines Protektors der englischen Freimaurer. Er verkündete den Brüdern, dass „ich Eure Interessen schützen und mich über die fortgesetzte Blüte der Freimaurerei freuen werde.“ Fünfzig Jahre später sagte Georg VI. bei seiner Thronbesteigung nicht weniger enthusiastisch, er werde beten, dass die Freimaurerei „weiterhin wie in der Vergangenheit ihr segensreiches Wirken fortsetzen könne.“ Diese Ereignisse spiegeln das hohe Ansehen der Logen jener Zeit.

Bemerkenswert sind auch die langen Listen mit wichtigen Persönlichkeiten, die nach Logenarbeiten, an denen sie teilgenommen hatten, in Lokalzeitungen abgedruckt wurden, darunter führende Polizeioffiziere, Richter, Stadträte und Politiker aller Parteien. Ja noch mehr: Damit diese Männer an regionalen Großlogentreffen teilnehmen konnten wurden sogar Fahrpläne der Eisenbahn geändert.

Die öffentliche Wahrnehmung der Freimaurerei war im frühen zwanzigsten Jahrhundert ganz anders als in den 1990iger Jahren mit ihren Unterstellungen und Verdächtigungen. Prominente Persönlichkeiten waren damals Logenmitglieder: nicht nur die Monarchen sondern auch Minister, Erzbischöfe und andere ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft. Sie bekannten sich öffentlich zur Freimaurerei als Ausdruck ihrer Bürgertugend.

Feindschaft und Gegner in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts

Wenn man in den achtziger Jahren die Kritik radikaler Gewerkschafter an den Freimaurern hörte, konnte man kaum glauben, dass im ersten Teil des Jahrhunderts Gewerkschaftskongresse in den großen Logenhäusern abgehalten wurden. Und wenn man die Verunglimpfungen mancher Politiker las, konnte man ebenfalls kaum glauben, dass ein Premierminister der Labour Party am Weihnachtstag den Gottesdienst in einem Logenhaus besuchte. Und wenn man schließlich die Behauptungen einiger Kirchenoberen las, war das Welten entfernt von früheren Zeiten als sich neu gegründete Kirchengemeinden in Logenhäusern versammelten bis sie ihre eigenen Bauten fertiggestellt hatten.

Die Ursache war vor allem ein Imagewandel

Im Wesen der Freimaurerei gab es ja kaum Änderungen. Die Ziele und die Anliegen waren am Ende des Jahrhunderts dieselben wie am Beginn. Was sich jedoch sehr stark verschob, das war die Wahrnehmung von außen. Dies zeigt sich sehr gut an der Zahl der Artikel über freimaurerische Themen, die in den nationalen Tageszeitungen gedruckt wurden.

Das war noch in den guten Zeiten: Lord Ampthill bei der Grundsteinlegung für ein Krankenhaus im Jahr 1929. Lord Ampthill war Großmeister der UGLE, und er bekleidete viele Jahre andere hohe Ämter in der Großloge. Er legte nicht nur Grundsteine für Krankenhäuser sondern auch einen für das hohe öffentliche Ansehen der englischen Freimaurerei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts indem er die Öffentlichkeitsarbeit deutlich verstärkte.
Operativer Chef der UGLE-Öffentlichkeitsarbeit in den Zeiten Lord Ampthills war Alfred Robbins, ein anerkannter Journalist, überzeugt von den Vorteilen einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit und gut vernetzt mit den wichtigen Zeitungen des Landes.
Paul Calderwood hat die Ergebnisse seiner Untersuchung in diesem Buch dokumentiert.

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Das Jahrhundert begann mit einer sehr dichten Berichterstattung. 1905 nahm das zwar ab, doch stieg die mediale Frequenz nach 1916 wieder stark an bis sie in den späten dreißiger Jahren deutlich fiel. Von da an verharrte sie bis in die achtziger Jahre auf einem rekordverdächtig niedrigen Niveau. Das beeinflusste auch die Tonalität der Berichte. Eine der entscheidenden Ursachen dieser Entwicklung war die Art und Weise, wie die führenden Freimaurer mit der Presse kommunizierten.

Das Medienprofil der Freimaurer bis 1950

Während dieser Zeit verfolgten die nationalen Zeitungen die Entwicklung der Freimaurerei mit großem Interesse; sie unterstützen ihre Anliegen. Die Artikel beschrieben vor allem die vielfältigen Beziehungen zur königlichen Familie und zur Kirche, die sozialen Leistungen, die wachsende Mitgliederzahl, die neuen Logenhäuser und das weltweite Ansehen der Vereinigten Großloge von England. Britische Freimaurer standen öffentlich und sehr bestimmt zu ihrem religiösen Glauben. Sie wurden als überzeugte Unterstützer von Kirche und Krone wahrgenommen.

Das Medienprofil nach 1950

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts begann dieses Bild immer schwächer zu werden, und das obwohl die Freimaurerei in ihrer gelebten Wirklichkeit weiterhin zu ihren Werten und Zielen stand. Die Bewegung verschwand jedoch langsam aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die führenden Freimaurer ließen Kritik an der Bruderschaft unbeantwortet. Parallel zu diesem Rückzug aus der Öffentlichkeit wurde die Kritik lauter.

Warum kam es zu diesem Auf und Ab?

Das hohe Ansehen am Beginn des Jahrhunderts war sehr stark die Folge des öffentlichen Bekenntnis des Prince of Wales, also des Thronfolgers, und zweier seiner Brüder zwischen 1874 und 1901. Nach der Thronbesteigung war der König jedoch für alle da, und so musste er die öffentliche Teilnahme am Logenleben einstellen, wodurch den Zeitungen eine wichtige Quelle von Neuigkeiten abhanden kam. Diese Entwicklung ermöglichte es konservativen Kreisen in der Großloge, die Öffentlichkeitsarbeit zurückzufahren; das verschärfte die Abnahme der Medienfrequenz. Aber 1915 bekamen die Anhänger von mehr Offenheit wieder die Oberhand. Sie erreichten eine nie dagewesene Welle an Publizität, die zwanzig Jahre anhielt.

In den späten dreißiger Jahren wurde das wieder durch eine viel größere Zurückhaltung abgelöst. Diese dauerte bis in die achtziger Jahre als wieder mehr Öffentlichkeitsarbeit gemacht wurde. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Verbesserung des Images zwischen 1916 und 1936 in einem direkten Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsarbeit der führenden Mitglieder der Vereinigten Großloge stand.

Die Großloge beobachtete genau, wie sich die Berichterstattung entwickelte: die Details, die Genauigkeit, die Frequenz und vor allen der Umfang. In diesen 20 Jahren vervierfachte sich die Zahl der masonischen Artikel in den nationalen Zeitungen. 1905 waren die Leser daran gewöhnen, alle 14 Tage einen Freimaurer Artikel in Ihrer Zeitung zu sehen. Das erhöht die sich in den zwanziger und dreißiger Jahren auf sechs Artikel pro Woche.

Verschiedene Ursachen fließen ineinander

Die Erklärung für die Änderung der Strategie in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ist ebenso komplex wie schwierig. Es scheint jedoch, dass es in den dreißiger Jahren vor allem mit den Vorstellungen des neuen Teams und deren Nachfolger an der Spitze der Großloge zusammenhing, kombiniert mit den Folgen der Thronverzichtskrise des Königs (Edward VIII. musste abdanken, weil er die zweimal geschiedene und nichtadelige Amerikanerin Wallis Simpson heiraten wollte) und mit Ängsten wegen der Erfolge des Faschismus.

Die neue Führung war der Öffentlichkeitsarbeit viel weniger zugewandt. Aus ihrer Sicht bewies die Abdankungskrise, dass es vernünftig wäre, weniger in die Öffentlichkeit zu gehen. Die Begeisterung, die Edward VIII. noch als Kronprinz für die Freimaurerei gezeigt hatte, spielte bei der Erhöhung des Ansehens in den zwanziger und dreißiger Jahren eine große Rolle. Umgekehrt löste sein Reputationsverlust in den Jahren nach der Abdankung 1936 bei vielen Freimaurern Ängste aus und das Bewusstsein, dass Publizität ein zweischneidiges Schwert sein kann. Eine Beziehung, die einmal einen großen Wert für die Freimaurerei hatte, wurde plötzlich zu einer Belastung, besonders nach seinem Besuch in Hitlers Berlin, und als seine Sympathien für den Nationalsozialismus bekannt wurden.

Angst vor dem freimaurerfeindlichen Faschismus

Was die Nazis betrifft, erfuhren die Zeitungsleser in den dreißiger Jahren sehr direkt, wie die faschistischen Regimes die Freimaurerei verfolgten. Und 1936 mussten die Freimaurer sehr alarmiert gewesen sein als ein Hakenkreuz an die Mauern der Freemasons Hall in London geschmiert wurde, begleitet von der Forderung nach Freilassung des eingesperrten Führers der britischen Faschismuspartei (Imperial Faschist League). Diese Partei war in der Zwischenkriegszeit die Speerspitze des Antimasonismus. Sie veröffentlichte eine Serie von aggressiven Büchern, in denen die Freimaurerei als Teil einer jüdischen Verschwörung attackiert wurde.

Als die Hitler-Wehrmacht 1941 die britischen Kanalinseln besetzte, plünderte sie die Logenhäuser und brachte die Beute nach Berlin und Paris. Dort wurde sie ein wichtiger Teil bei Ausstellungen, mit denen die Freimaurerei dämonisiert werden sollte. 1945 wurden dann auch noch geheime Gestapo-Pläne entdeckt, aus denen hervorging, dass die Deutschen nach einer erfolgreichen Invasion Englands auf der ganzen Insel Freimaurer verhaftet hätten.

Danach Angst vor dem freimaurerfeindlichen Kommunismus

Während die Ängste vor dem Faschismus zwischen 1935 und 1945 bei der Reduktion der Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiges Motiv waren, konnte das nach dem Krieg keine Rolle mehr spielen; der Faschismus war besiegt und abgewertet. Warum setzte die Großloge die Politik des ‚Kein Kommentar’ dennoch fort? Ein Teil der Erklärung ist das Temperament der Männer an der Spitze.

Darüberhinaus ist es aber wichtig, sich daran zu erinnern, dass jetzt der Kommunismus den Faschismus als die größte Bedrohung der Freimaurerei ersetzte. In den Nachkriegsjahren wurde ein sowjetischer Angriff auf Großbritannien als ganz reale Möglichkeit gesehen. Die Vermeidung von Öffentlichkeitsarbeit war in dieser Zeit also der Angst vor dem Kommunismus geschuldet.

Allerdings war der Abbau des Medienprofils der englischen Freimaurerei nach 1935 nicht ausschließlich der Politik der Vereinigten Großloge und ihrer Angst vor Faschismus und Kommunismus zuzuschreiben. Mehrere andere Faktoren, auf welche die Organisation keinen Einfluss hatte, verschärften diesen Trend, so unter anderem das Nachlassen des Interesses der Medien.

Die Verweigerung von Öffentlichkeitsarbeit stärkte die Gegner

Diese Verweigerung führte dazu, dass das Feld den Freimaurergegnern überlassen wurde. Dies wurde von wichtigen Veränderungen in den Medien und den Kirchen unterstützt; ebenso von der Ausdünnung der Patronanz aus dem Königshaus. Und so kam es, dass sich die Großloge 1980 nach mehr als vierzig Jahren ohne Öffentlichkeitsarbeit und großer Zurückhaltung, wenn es darum gegangen wäre, falsche Anschuldigungen zu kontern, eingekreist sah von Verdächtigungen und Unterstellungen, die auf einen Informationsmangel in der Öffentlichkeit zurückzuführen waren.

Als 1980 in Italien die P2-Krise ausbrach, war die Großloge unfähig, damit umzugehen, und das in einer viel aggressiveren Medienumwelt als früher. Und es fehlte ihr vom Königshaus abwärts das hochrangige Wohlwollen, von dem sie früher geschützt wurde.

In den achtziger Jahren änderte die UGLE ihre Politik zu mehr Offenheit. Es wurde erkannt, wie wichtig Kommunikation ist. Und wir können nur hoffen, dass sich im Laufe der Zeit wieder eine höhere Wertschätzung unserer Bruderschaft einstellen wird.


Siehe auch

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