Traktat: Hans-Hermann Höhmann – Freimaurerei im digitalen Zeitalter

Aus Freimaurer-Wiki

Header800.jpg

Elektrowinkel2.jpg
Höhmann-21.Jh.jpg

Traktat: Hans-Hermann Höhmann – Freimaurerei im digitalen Zeitalter

Chancen, Gefahren, Herausforderungen


Prof. Dr. Hans-Hermann Höhmann
Redner der Großloge AFuAM von Deutschland

Beitrag zum Großlogentreffen in Osnabrück, 15. Mai 2015

Wir vom Freimaurer-Wiki danken Hans-Hermann Höhmann für das Copyright.

Ausgangslage

Keine Analyse der Gegenwartsfreimaurerei und der Diskurse, die über ihre Entwicklungsperspektiven geführt werden, kann auf eine Beschäftigung mit der Digitalisierung, insbesondere mit dem Internet verzichten. Das Internet hat für die Freimaurerei einen Veränderungsprozess ausgelöst, der zwar von den Brüdern, den Logen und der Großloge immer stärker wahrgenommen, in seiner Reichweite und Wirkung jedoch noch nicht in hinreichendem Maße analytisch-kritisch reflektiert wird.

Ausgangspunkt einer solchen Reflexion muss eine im digitalen Kontext zunächst paradox klingende Feststellung sein:

Freimaurerei findet nicht im Internet statt, sondern im Miteinander der Brüder, im Verhalten in der Loge und in der Bewährung im gesellschaftlichen Alltag.

Freimaurerei ist sehr wesentlich direkte, medial unverstellte Begegnung zwischen Menschen, und persönliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist digitaler Kommunikation bei weitem überlegen.

Insbesondere können digital vermittelte Information und Kommunikation die Inhalte der Freimaurerei – Freundschaft und gemeinsames Nachdenken über die Grundlagen des Bundes und seine Werte sowie die vielfältige soziale, moralische und rituelle Praxis der Logen – nicht ersetzen. Und um diese vor allem, freilich auch um ihre überzeugende Vermittlung nach außen, auch auf digitale Weise, haben wir uns zu kümmern.

Wenn unter dem Leitthema „Freimaurerei im digitalen Zeitalter“ von Chancen, Gefahren und Herausforderungen gesprochen werden soll, so können in Anbetracht der Breite des Themas von mir nur einige zentrale Gesichtspunkte erörtert werden.

Die folgenden sieben liegen mir besonders am Herzen:

1. Öffentliche Präsenz

Durch das Internet kommt es zu einer verstärkten, förmlich explosionsartig gesteigerten Präsens der Freimaurerei in der Öffentlichkeit über die Homepages von Logen und Großlogen, den Großlogen-Newsletter, die persönlichen Seiten und Blogs der Brüder, die sozialen Netzwerke wie Facebook mit seinen zahlreichen Freimaurer-Gruppen und Twitter, die Mitteilungen der freimaurerischen Kultur- und Forschungseinrichtungen und so weiter und so fort. Auch das wachsende Zusammenwirken von Freimaurern und Freimaurerinnen verdient Interesse. Hier zeichnet sich so etwas ab, wie eine Brüder und Schwestern umfassende Gesamt-freimaurerei, und ich neige dazu, darin einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines ins Positive veränderten Freimaurerbildes in der deutschen Öffentlichkeit zu sehen.

Insgesamt eröffnet die umfangreiche und ständig weiter zunehmende digitale Präsens der Freimaurerei jedenfalls mannigfaltige, völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten zwischen der Freimaurerei, den Logen und der Gesellschaft.

Dies ist vor allem für die Logen von großer Bedeutung: Die Homepage der Loge mit ihrer jeweils spezifischen grafischen Gestaltung und den auf den Charakter der Loge und die örtlichen Bedingungen zugeschnittenen Texten bringt die Identität der Loge zum Ausdruck und ist zu einem wesentlichen Mittel geworden, neue Suchende zu gewinnen. Freilich wäre dafür zu sorgen, dass die Logenseiten mit ihren Informationen immer aktuell sind.

2. Gewinnung von Mitgliedern

Durch das Internet – und nicht zuletzt durch die Seiten der Logen – entwickelte sich ein neuer Mechanismus der Mitgliederrekrutierung. Alte Mechanismen der Ansprache von Kandidaten für eine zukünftige Logenmitgliedschaft über Verwandte und Bekannte, oder auch das Ausfindigmachen von Interessenten durch traditionelle „Schleppnetze“ wie Annoncen in der Tagespresse und öffentliche Veranstaltungen haben gegenüber dem „Superschleppnetz Internet“ ganz erheblich an Wirkungskraft eingebüßt. Logenberichte weisen inzwischen auf Internet-Rekrutierungsquoten von bis zu 90% hin. Oft wird dies von den Logen als alternativlos und eindeutig positiv hingestellt. Doch trifft man gelegentlich auch auf Skepsis und auf Stolz darauf, dass – ich zitiere den Meister vom Stuhl einer kürzlich von mir besuchten Loge – „die letzten sieben Aufnahmen ohne Beteiligung des Internets zustande kamen.“

In der Tat: Der „Rekrutierungsweg Internet“ kann zum Wachstum der Logen, auch zu Qualitätssteigerung und Verjüngung der Mitgliederstruktur beitragen, – allerdings nur dann, wenn es gelingt, die zweifellos auch angezogenen „problematischen“, manchmal gar „obskuren“ Interessenten rechtzeitig als solche zu erkennen und als Kandidaten auszuscheiden. Dafür, dass diese erst gar nicht an die Logentür anklopfen, müssen und können klare mediale Eigenaussagen der Freimaurer beitragen, „Informationen aus erster Hand“, die solides Wissen transportieren, vor allem aber auch Wesen und Geist der Freimaurerei erkennen lassen, die ja so gar nichts mit Düsternis, Obskurantismus und Verschwörungsmythen zu tun haben.

Manche Logen haben außer den üblichen Prüfungsverfahren spezielle „Filter“ eingesetzt, beispielsweise erfahrene Brüder, ohne deren positive Bewertung der „Internetkandidaten“ kein weiterer Kontakt aufgenommen wird.

3. Kommunikation unter Brüdern

Die Digitalisierung eröffnet vollständig neue Möglichkeiten für die Kommunikation unter den Brüdern, national und weltweit. Bereits durch den umfangreichen E-Mail-Austausch, ohne den Freimaurerei in Loge und Großloge wohl kaum noch organisierbar wäre, immer mehr aber auch mittels besonderer Netzwerke, social media und interner Bestandteile der Logenseiten erhöht sich die Dichte der Kontakte von Brüdern innerhalb der Logen, vor allem aber über die Logengrenzen hinweg, und die Intensität der über Zustand und Entwicklungsmöglichkeiten der Freimaurerei geführten Diskurse nimmt zu. Ich halte dieses digitale Aufeinanderzugehen für hilfreich und positiv, ja für unverzichtbar. Denn Freimaurerei lebt durch Vernetzung. Nur wenn viele Brüder – und zunehmend ja auch Schwestern – innerhalb des gemeinschaftlichen Ganzen der Freimaurerei zusammenwirken, kann sich das soziale und symbolische Kapital unseres Bundes als Voraussetzung einer stabilen zukünftigen Entwicklung kräftig entfalten.

Allerdings: zuweilen muss – dafür sprechen wirklich die Fakten – auch darüber nachgedacht werden, wie Stil und Ethik der Kommunikation innerhalb der Freimaurerei verbessert werden können. Denn es ist in der Tat nicht immer vom Feinsten, was da wahrzunehmen ist.

In einer freimaurerischen Zeitschrift knüpfte der Verfasser kürzlich an das Fastenmotto der evangelischen Kirche an: „7 Wochen ohne runtermachen“. Der Autor hielt es für selbstverständlich, dass dies doch auch für den Freimaurer eine zentrale Orientierung für den Umgang mit den Mitmenschen zu seien habe. Doch leider „weit gefehlt“. Die Dimension der Auseinandersetzungen im Logenleben stimme ihn nachdenklich. Dabei müsste es doch eigentlich einfach sein, in der Freimaurerei sensibel mit Kritik und Belehrungen umzugehen, sich in der Kommunikation brüderlich, konstruktiv und selbstkritisch zu verhalten und den Mitbruder weniger runter zu machen – generell und dauernd und nicht nur für 7 Wochen. Auch ein sehr engagiertes Mitglied einer Facebook Freimaurergruppe stellt bedauernd fest: „Hier wird nicht selten wenig brüderlich miteinander umgegangen. Hinter einer Tastatur lässt sich jemand leichter kritisieren, als es ihm persönlich ins Gesicht zu sagen. Das Grundprinzip der Brüderlichkeit bleibt auf der Strecke.“

Daher gilt bei aller Zunahme der digitalen Kommunikation etwas an sich ganz Triviales und doch oft Übersehenes: Das persönliche Gespräch ist in der Freimaurerei nicht zu ersetzen. Die meisten seiner Eigenschaften und Leistungen sorgen dafür, dass es in vielerlei Hinsicht jeder anderen Form des Austauschs einfach überlegen bleibt:

  • So bieten persönliche Gespräche permanent Rückkopplungsmöglichkeiten.
  • Unklarheiten können durch Rückfragen umgehend beseitigt werden.
  • Die Intensität des Kontakts ist hoch, da die nonverbale Ebene der Kommunikation – Mimik, Gestik, Haltung, Blickkontakt – einbezogen ist.
  • Auch andere zu überzeugen und für eine Idee zu begeistern, gelingt am besten im persönlichen Gespräch.
  • Das „laut denken mit dem Freunde“ – das wir so gern für die Freimaurerei beanspruchen – lässt sich vor allem in der real präsenten Gruppe erreichen.

Schließlich ist das persönliche Gespräch in schwierigen, konfliktsträchtigen Situationen der beste Weg zur Lösung von Problemen.

4. Blogs

Eine zunehmende Rolle bei der Repräsentanz von Freimaurern im Internet spielen die sog. Blogs, auf Webseiten gestaltete, meist öffentlich einsehbare Internetpublikationen, in denen mindestens eine Person, kurz „Blogger“ genannt, Aufzeichnungen macht, Sachverhalte protokolliert („postet“) oder Gedanken niederschreibt. Blogs dienen der öffentlichen Information über die Freimaurerei, sie dienen aber auch der Kommunikation der Brüder (und Schwestern) untereinander, indem sie zur Stellungsnahme einladen. Sie dienen allerdings auch der Selbstdarstellung, denn mit ihren tagebuchartigen, aus der Ich-Perspektive geschriebenen Einträgen haben die Blogs eine ausgeprägt subjektive Ausrichtung. Der öffentliche Zugang der Blogs bedeutet ein sich Outen des Bloggers als bekennender Freimaurer. Dies führt zu einer aus meiner Sicht durchaus erwünschten – und den Unterstellungen der Verschwörungs“theoretiker“ widersprechenden – Präsenz des Bruders in der Öffentlichkeit. Ich empfinde die Möglichkeit, an den Gedanken der Blog-Autoren teilzuhaben, als durchaus anregend, auch wenn mich bei den Bloggern gelegentlich ein ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung irritiert, dem die Korrektur durch eine Dosis Zurückhaltung und Selbstkontrolle nicht schaden könnte.

Eine Zensur der Blogs steht mir nicht zu. Ich möchte aber zwei davon wegen ihrer in meiner Sicht hoch einzuschätzenden Qualität hervorheben:

  • den Blog „Freimaurergedanken“ von Br. René Schon, wegen seiner Beiträge zur Weiterentwicklung der Freimaurer und (sozusagen als Zugabe) der Wiedergabe vieler von ihm gescannter oft schwer zugänglicher Dokumente, vor allem zum „Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne“ sowie
  • den Blog „FrauMaurer“, der von Freimaurerinnen der Frauengroßloge von Deutschland gestaltet wird. Hier werden zu bestimmten Stichworten (dem digitalen Kontext entsprechend heißt es da natürlich „tags“) Gedanken geäußert, die ebenso prinzipiell wie modern, ebenso zurückhaltend wie deutlich, ebenso klar wie empathisch ausfallen. Freimaurerei als sich schrittweise entfaltende Lebenskultur, als Prozess, an dem man teilhaben möchte, weil er menschlich offen sowie intellektuell redlich gestaltet und kommuniziert wird: das wird den Lesern dieser Blogseite auf sympathische Weise nahe gebracht.

5. Seriöse und unseriöse Informationen

Durch das Internet sind die Informationen über die Freimaurerei ins völlig Unüberschaubare angewachsen, und zwar durch Texte von Institutionen und Personen, von „regulären“ und „irregulären“ Freimaurern, von Nichtfreimaurern und auch von ehemaligen Freimaurern, (womit ein neuer Typus von „Verräter-Publikationen“ entstanden ist.)

Die Internet-Darstellungen zur Freimaurerei beinhalten seriöse Informationen, sie geben Resultate der Freimaurerforschung wieder, und sie machen seltene Quellen zugänglich – etwa durch das Scannen alter Bücher (und ich sage, wahre Schätze sind da zu entdecken). Die Internetdarstellungen transportieren aber auch freimaurerisches Halbwissen sowie alte und neue Fantasie- und Verschwörungswelten, auf die die Freimaurer und ihre Institutionen angemessen zu reagieren haben.

Was seriöse Informationen betrifft, die nützlich sind, wenn sie auch Schwächen aufweisen, so würde ich – zum Beispiel nur und sicher sehr unvollständig – hinweisen auf wikipedia, auf freimaurerwiki, auf die Seite der Hamburger Internetloge, auf muellerscience sowie auf die Seiten des „Netzwerks Freimaurerforschung“ und der Forschungsloge „Quatuor Coronati“.

Zu überlegen wäre, ob es im Internet nicht noch mehr Material zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Humanitären Freimaurerei geben sollte. Was ist denn diese Freimaurerei, wenn wir sie nicht immer nur mit der mittlerweile zur Leerformel mutierten Aussage beschreiben wollen: „Ihre Mitglieder stehen in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung“? Muss da nicht – um die eigene Identität ganz deutlich zu machen – salopp gesagt „mehr Butter bei die Fische“? Ich erlaube mir hier ein deutliches „Ja“ und komme später noch einmal darauf zurück.

6. Die Gegner sind präsent

Das Internet eröffnet natürlich auch den Gegnern der Freimaurerei große Spielräume. Eine Fülle von Texten und Filmen im Youtube-Format – versammelt in der Regel um die alten Stichworte: „antichristlich“, „okkult“ (zuweilen bis hin zum Vorwurf des Satanismus) und „politisch-verschwörerisch“ – propagieren pausenlos die Gefährlichkeit der Freimaurerei.

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die Freimaurerei durch das Internet auf noch nie da gewesene Weise der Macht der bunten und bewegten Bilder ausgesetzt ist. Freimaurerfilme im You-Tube-Format – oft solche antimasonischen Inhalts – geistern durch das Netz und ziehen Betrachter an. Die Titel und Bezeichnungen dieser Filme sprechen für sich selber.

Hier einige Beispiele:

  • “Wer regiert die Welt? – Juden? Zionisten? Illuminaten? Freimaurer?;
  • “Welterobenrungspläne der Aufklärer: Freimaurer und Illuminaten“;
  • „Wer die Welt wirklich regiert: Über Illuminati, Freimaurer, Bilderberger“.

Ist das schon problematisch genug, so wird es nur selten besser, wenn Freimaurer mit eigenen Filmen oder mit einem allzu unbedachten „Sich-Filmen-Lassen“ darauf zu reagieren versuchen. Film ist ein „ritualsüchtiges“ Medium, das mit großer Vorsicht gehandhabt werden muss. Wenn Freimaurer sich in rituellen Kontexten in Logenräumen und maurerisch bekleidet filmen lassen, zur Aufklärung der Öffentlichkeit wie sie meinen, in bester Absicht also, dann müssen sie dennoch immer damit rechnen – dies ist durch viele Beispiele belegt –, dass die Produzenten der Filme die Beiträge der Freimaurer in düstere Kontexte rücken und dass die so entstehenden Mixturen höchst widersprüchlich angekündigt und kommentiert werden.

So heißt es etwa in der Einleitung des von Arte im Rahmen der dreiteiligen Serie „Geheimbünde“ im Januar 2014 gesendeten, vom ZDF bei terraX wiederholten und jetzt über youtube verfügbaren Freimaurerfilms „Die Erben der Templer“:

„Rund vier Millionen Freimaurer gibt es auf der Welt, wohl kein anderer Geheimbund hat mehr Mitglieder. Und doch weiß niemand genau, was in den Tempeln der Freimaurer geschieht. Bei ihrem bizarren Aufnahmeritual müssen die Logenbrüder ein Schweigegelübde ablegen. Wer es bricht, wird bestraft … Aber was fasziniert an dem Geheimbund? Gelangt man im Tempel tatsächlich zu geheimem Wissen? Und warum dürfen die Freimaurer nicht über die Tempelarbeit sprechen – wenn sie doch nur der Humanität dient, wie die Mitglieder behaupten? … Und diese „Geheimniskrämerei“ ist es, die die Verschwörungstheorien nährt.“

Fragt man nach – relativ – gelungenen Filmen zur Freimaurerei, die ebenfalls bei youtube einsehbar sind, so möchte ich drei Produktionen nennen:

  • den vom MDR im Rahmen von lexitv hergestellten Beitrag „Freimaurer“,
  • den für Arte produzierten Film von Michael Meert „Alle Menschen werden Brüder – Die Freimaurer und die Musik“,

sowie

  • die von WDR und SWR in Zusammenarbeit mit ARD-alpha in der Reihe „Planet Wissen“ produzierte Dokumentation „Die Geheimnisse der Freimaurer“, die ihr Niveau im Wesentlichen der Mitwirkung von Br. Klaus-Jürgen Grün verdankt.

Ziehen wir eine Zwischenbilanz:

Insgesamt hat das Internet die Ausgangslage für den Diskurs mit der Öffentlichkeit gründlich verändert. Einerseits kann – zumindest partiell – von einer besser informierten Öffentlichkeit ausgegangen werden, und die Kommunikation zwischen Innen und Außen gewinnt an Dichte und Niveau. Andererseits aber muss mit einem – ja durchaus auch dem Zeitgeist entsprechenden – Aufblühen alter und neuer Verschwörungs- und Fantasy-Welten gerechnet werden.

Was das letztere betrifft, so gilt freilich bis heute auch dies:

Die Freimaurer leiden nicht nur an der sie umgebenden Mythologie, an der faszinierenden Aura des Geheimen, in der Sicht vieler Brüder profitieren sie auch davon. Denn es sind nicht zuletzt die Mythen, die die Freimaurerei im Gespräch halten, die ihr – bis hin zu den Dan-Brown-Fans – viele Neugierige zuführen und die den einen oder anderen Bruder immer wieder in die Versuchung führen, im Spiegelbild obskurer Verzerrungen die Konturen eigener Bedeutung zu erkennen. Und so müssen wir uns angesichts des qua Internet gegenwärtig wieder dichter werdenden Geflechts antimasonischer Mythen stets aufs Neue fragen, inwieweit wir selbst durch unsere Bilderwelten, durch manche Schwammigkeit und Prätension der Selbstdarstellung und durch die Art und Weise unserer öffentlichen Auftritte zum Stoff der Mythenbildung beitragen.

7. Umgang mit dem Ritual

Doch ob mit oder ohne Bilder: Nicht zuletzt bietet das Internet in einem Ausmaß ohne jede historische Präzedenz Informationsmöglichkeiten über die freimaurerischen Rituale. Mit wenig Zeitaufwand für Recherchen lassen sich die Texte vieler Rituale unterschiedlicher Systeme und Grade ausfindig machen und zwecks Speicherung auf der Festplatte des eigenen Computers „abspeichern“.

Die hier vorhandenen Möglichkeiten sind von großer Bedeutung für das gesellschaftliche Bild der Freimaurerei. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung, vor allem in der Wahrnehmung der Gegner der Freimaurerei, ist das „maurerische Geheimnis“ noch immer in erster Linie das Geheimnis der verschwiegenen Rituale, und die mannigfaltigen Formen von Missdeutungen, Kritik, Ablehnung und Verurteilung machen sich immer wieder am Geheimnis der Rituale fest:

  • Für die Kirchen, namentlich die katholische, verhüllen sich in den Ritualen Elemente einer alternativen Religiosität, wenn nicht gar einer anderen Religion, zumindest aber der Ungeist des Relativismus.
  • Für die Vertreter der Verschwörungsmythen bietet der geheime Raum des Rituals den Rahmen für das Aushecken immer neuer Verbrechen und Anschläge gegen die gesellschaftliche Ordnung, gegen Volk und Staat.
  • Für den Volksaberglauben konstituiert das Ritual die besser strikt zu meidende Welt des Makaber-Gruseligen, bei dem zuweilen auch Satanisches im Spiele ist.
  • In der Sicht intellektueller Kritiker kaschieren Ritual und Geheimnis Ansprüche auf Selbsterhöhung und persönliches symbolisches Kapital, wenn sie nicht gar als Ausdruck des Lächerlichen gelten, in vielen Variationen, für die der Philosoph Ernst Bloch einst im Architekturkapitel seines Hauptwerks „Das Prinzip Hoffnung“ das Motto mit den Worten vorgegeben hatte, Freimaurerei sei nichts als eine „wahnhaft gesittete Mummerei“.

Worauf es für die humanitäre Freimaurerei der GL AFuAM angesichts dieser Einstellungen ankommen sollte, ist ein klares Herausarbeiten und öffentliches – auch digitales – Kommunizieren der Funktionen des Rituals. Hierzu ist nicht erforderlich, über Einzelheiten des Rituals zu informieren, und somit besteht kein Risiko, die „Arkandisziplin“ im traditionelles Sinne zu verletzen – zumal dies ja ohnehin immer wieder im Internet geschieht.

Doch wenn Außenstehende sich detailliert über Rituale informieren können und wenn sie mit Freimaurern darüber kommunizieren wollen, dann benötigen die freimaurerischen Gesprächspartner nicht nur mehr Wissen über Inhalt und Funktion von Ritualen in Freimaurerei, Kultur und Gesellschaft. Erforderlich ist auch eine neue Schwerpunktsetzung im öffentlichen Umgang mit dem Ritual:

  • Einmal wäre deutlich zu machen, dass das Ritual zwar ein wesentliches Element der Freimaurerei darstellt, dass die Freimaurerei sich aber keineswegs im Rituellen erschöpft, sondern auch Freundschaft, Geselligkeit, ethische Orientierung und moralisches Handeln als gleichwertige Bestandteile umfasst.
  • Zum anderen hätte an die Stelle einer Begriffswelt, die um „Arkandisziplin“ und „Geheimnis“ angesiedelt ist, eine Begriffswelt zu treten, die um konstituierende Merkmale der Freimaurerei wie Privatheit, Diskretion und Schutz des persönlichen Vertrauens kreist.

Diskretion und Privatheit sind gerade auch bei digitaler Kommunikation unverzichtbar und vom Freimaurer zur eigenen Sicherheit und zur Sicherheit seiner Brüder unbedingt zu bewahren. Vor allem aber kommt es darauf an, die für das Ansehen der Freimaurerei relevanten „Öffentlichkeiten“ der modernen Gesellschaft über das zu informieren, was freimaurerische Rituale ihrem Wesen nach sind, welche Funktionen sie im Freimaurerbund wahrnehmen sollen und durch welche Dimensionen sie beschrieben werden können.

Mir käme es darauf an, in unseren Selbstdarstellungen – seien sie digital oder analog – im Hinblick auf das freimaurerische Ritual deutlich zu machen, dass es sich bei diesem um nichts Magisches wenn nicht gar Obskures handelt, sondern um ein spezifisches Medium der Kommunikation, das Denkanstöße vermittelt, den Freimaurer durch Symbole und symbolische Handlungen formt und der sozialen und diskursethischen Praxis der Loge eine die Gesamtperson des Bruders erfassende spirituelle Dimension hinzufügt.

Insgesamt muss in der digitalen Kommunikation mit der Gesellschaft klar erkennbar sein, was Humanitäre Freimaurerei ist und was sie nicht ist.

Und ich wiederhole einen Gedanken von vorhin:

Wenn wir immer wieder herausstellen, als Alte Freie und Angenommene Maurer in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung zu stehen, so ist dies zwar richtig, aber es kann keineswegs genügen. Es genügt auch nicht die Beschäftigung mit der humanistisch-aufklärerischen Tradition vergangener Epochen.

  • Was Humanismus und Aufklärung heute bedeuten,
  • was ihre Quellen und Bezüge in der Gegenwart sind und
  • auf welche Weise sie der Freimaurerei im hier und jetzt der zur digitalen Gesellschaft werdenden Moderne Profil geben, insbesondere auch der Praxis der Freimaurerei,

das müsste – so scheint mir – viel klarer erarbeitet und kommuniziert werden als bisher.

Stichwort „erarbeitet“: Wenn sich die Großloge AFuAM jetzt anschickt, den Brüdern Erläuterungen und Einführungen, ja „Handbücher“ zur Verfügung zu stellen, so sollten sich diese nicht allein auf die Sektoren „Freimaurerische Ordnung“ und „Ritual“ beziehen. Ich sehe Entwicklungs- und Erläuterungsbedarf vor allem im Hinblick auf die konzeptionellen Inhalte der Freimaurerei. Erst wenn wir wissen, was Humanitäre Freimaurerei inhaltlich für uns bedeuten soll, lässt sich erörtern, in welchen rituellen Formen unsere Konzeptionen sinnvoll Ausdruck finden können. (Und über eines sollten wir uns im Klaren sein: Durch immer neue Preisverleihungen an Außenstehende lässt sich eigenes Profil nicht gewinnen.

Und über eines sollten wir uns im Klaren sein: Durch immer neue Preisverleihungen an Außenstehende lässt sich ein eigenes Profil für die humanitäre Freimaurerei in Deutschland nicht gewinnen. Wenn die Personen, die wir prämieren, nicht zu gehaltvollen Diskursen innerhalb des Bundes führen, die deutlich machen, was unser Beitrag auf dem Arbeitsfeld der Ausgezeichneten ist, dann sollten wir besser verzichten. Insbesondere die jüngste Adhoc-Kreation eines „Gustav-Stresemann-Preises“ für Helmut Schmidt war nicht ohne Anflug von Peinlichkeit. Im Grunde genommen handelte es sich ja eher um die Selbstverleihung eines Helmut-Schmidt-Preises an der GL AFuAM, die zu Recht nur eine geringe Aufmerksamkeit im Bund und in der Öffentlichkeit fand. Was die Kommunikation betrifft, so ist das Internet in all seinen Erscheinungsformen zum unverzichtbaren Medium geworden. Doch weil wir im Internet ja nicht unter uns sind, weil wir vielmehr permanent auf die zerklüfteten Welten der Fehlinformationen, des Halbwissens, der gut gemeinten aber wenig überzeugenden Selbstdarstellungen, der böswilligen Unterstellungen und der Verschwörungspathologien stoßen, sollten wir ebenso klar wie deutlich, ebenso modern wie adäquat vernetzt in unseren medialen Auftritten sein.

Wie wir das am besten machen, muss schnell und gründlich überlegt und umgesetzt werden.

Die Internetpräsenz unserer Logen, der Großloge, der freimaurerischen Einrichtungen und der Brüder muss in ihrer Gesamtheit zu einer sicheren Basis für Wissen und Beurteilung werden, zu einer verlässlichen Wegweisung in die faszinierenden Landschaften der Freimaurerei. Die Bausteine einer solchen Freimaurerei – Geselligkeit und Freundschaft, ethische Orientierung, rituelle Einbettung und Vermittlung von Lebenskultur – sollten auf den von Freimaurern gestalteten Internetseiten unmissverständlich deutlich werden. Helfen dabei würde sicher auch mehr Information über die guten Freimaurer-Beiträge im Netz.

Mut zum Unterscheiden, Arbeit an eigener Verhaltenskultur

Erforderlich ist schließlich, Klarheit darüber zu vermitteln, wodurch sich die Humanitäre Freimaurerei von anderen Spielarten des freimaurerischen Formenkreises unterscheidet, etwa von der religionsnahen christlichen Konzeption und Praxis der Großen Landesloge (FO). Nicht zuletzt die Suchenden müssen rechtzeitig erkennen können, dass es von einander abweichende Formen und Verständnisse von Freimaurerei gibt, die der Redlichkeit halber nicht verwischt werden und erst nach der Aufnahme sichtbar werden dürfen. Die Vorstellung, es gäbe „nur eine Freimaurerei“ in Deutschland ist nichts weiter als ein Mythos, der den Blick auf die Realität verstellt und sich negativ auswirkt auf die Klarheit der humanitären Konzeption der Großloge AFuAM und ihrer Praxis. Nicht zuletzt im Hinblick auf das große Jubiläum der Freimaurerei im Jahre 2017 dürfen die Unterschiede innerhalb der deutsche Freimaurerei nicht außer Betracht gelassen werden, zumal jüngst – so berichtet die Zirkelkorrespondenz in ihrer Juni-Ausgabe 2015 – die „Vision“ eines „Zusammenschlusses der altpreußischen Großlogen als Garant für Freimaurerei auf christlicher Grundlage“ vom FO-Ordensmeister ausdrücklich beschworen wurde.

Schließlich noch einmal in aller Deutlichkeit: Unverzichtbar bei allem was mit der digitalen Kommunikation geschieht, ist die Hebung des brüderlichen Umgangsniveaus, ist die wirklich ernst genommene und nicht nur deklaratorische Arbeit an der eigenen maurerischen Verhaltenskultur.

Stil und Inhalt sind in der Freimaurerei nicht zu trennen.

Auch durch die Art und Weise, über die Freimaurerei zu kommunizieren, aber auch über die Herausforderungen der „profanen Welt“ und die Pflichten des Freimaurers, sich ihnen gegenüber zu bewähren, wecken wir bei interessierten und geeigneten Außenstehenden den Wunsch, Freimaurer zu werden.

Freimaurerei – überzeugend praktiziert – hat einen hellen, lichten Klang.
Aber denken wir daran, meine Brüder: Es ist der Ton, der die Musik macht.

Siehe auch

Links