Traktat: Hans-Jürgen Wegmann – Von Ritualen, Symbolen und Mythen

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Hans-Jürgen Wegmann – Von Ritualen, Symbolen und Mythen

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Hans-Jürgen-Wegmann

ist Diplomkaufmann (Freie Universität Berlin) und Magister der evangelischen Theologie (Ludwig-Maximilians-Universität München). Seit 2007 ist er Mitglied der Loge ‚Rose im Alpenland’ in Garmisch-Partenkirchen (AFuAM).

Quelle: Newsletter vom 29. Februar 2016 der ‚Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland’ (AFuAM). Wir danken dem Autor für die Genehmigung, den Text hier im Freimaurer-Wiki wiedergeben zu dürfen.


Rituale, Symbole und Mythen

Für viele Menschen sind Rituale nur noch verstaubte Handlungen, die für sie belanglos und unglaubwürdig geworden sind. Das trifft auf uns Freimaurer keinesfalls zu, denn unsere Zunft lebt vom und mit dem Ritual. Es ist gewissermaßen die conditio sine qua non, also eine Bedingung, ohne die die Freimaurerei ihrer Grundlagen beraubt wäre.

Rituale können Kräfte wecken, vor allem aber Identität stiften. Sie schaffen deshalb Mut und Motivation für eine je eigene Lebensgestaltung sozialer Gruppen im Sinne humanistischer Ideale wie es bei uns Freimaurern der Fall ist. Dazu bedarf es jedoch eines kritischen Bewusstseins, das Faktenwissen ebenso voraussetzt wie die Fähigkeit, die eigenen Lebensformen zu hinterfragen. Im Ritual werden die Rhythmen von Raum und Zeit nachvollzogen und im menschlichen Erleben und Handeln abgebildet und zwar auf individueller wie sozialer Ebene.

Was ist ein Ritual im ureigensten Sinne?

Nun, es ist zuerst Inszenierung gegen den Zufall, dann aber auch Einordnung bis hin zum Zwang. Es ist aber auch Erschaffung von Sicherheit und Gewissheit, die dann im Vollzug des Rituals gewohnheitsmäßig wird. Indem nämlich das Ritual vollzogen wird, zerfällt das sonst gewohnte Leben nicht mehr in unzusammenhängende Momente, sondern es strukturiert das Leben durch ständige Wiederholung zu einer gesetzten Gesetzmäßigkeit. Unsere personale Identität, nämlich unser Bewusstsein, Freimaurer zu sein, muss durch das Ritual daher immer wieder stabilisiert werden.

Rituale heben sich vom Alltagsleben ab und unterbrechen den Zeitfluss und das Raumgefühl durch Verschiebung des raumzeitlichen Erlebens in eine Ausnahmesituation. Indem Rituale die Gewohnheit im Leben unterbrechen, durchbrechen sie den Alltag jedes Individuums, mithin auch unseren Alltag und setzen damit eine je eigene Zeit. Dadurch wird ein Verfremdungseffekt erzielt, es wird durch das Ritual räumlich und zeitlich ein anderer Erlebnisraum geschaffen. D.h. Sinn und neue Sinnebenen werden nicht abstrakt, sondern konkret und körperlich erlebbar und zwar in Gemeinschaft. Dieser andere Erlebnisraum stiftet Gemeinschaft durch eine Identifizierung, die wiederum neue Identität ermöglicht. Rituale wirken also sozial identitätsstiftend insofern, als sie diejenigen ausgrenzen, die nicht zur Ritualgemeinschaft gehören. Sie sind also in ihrer Wirkung ambivalent, d.h. sie stiften einerseits Gemeinschaft, andererseits grenzen sie diese Gemeinschaft von anderen ab.

Interessant ist auch die Frage, ob Rituale nur als wiederholte und dauerhafte Inszenierung von Identitätsstiftung zu verstehen sind, oder müssen manche Rituale als versteckte oder offene Zwangshandlungen interpretiert werden. Die Antwort auf diese Frage ist ebenfalls ambivalent. Zunächst erzeugen Rituale psychologisch einen Freiraum, da der Zwang zu Entscheidungen zeitweise aufgehoben wird, z.B. während der Tempelarbeit. Das Ritual gibt die Abläufe vor und der Bruder wird entlastet, wenn er sich rituellen Abläufen unterwirft. Und hier wird die ambivalente Situation deutlich, indem sich jeder Bruder durch die Unterwerfung unter das Ritual frei von Entscheidungen weiß. Das Bewusstsein kann sich dann im Rahmen des rituellen Geschehens auf sich selbst zurückziehen, ohne dass es fortlaufend Alternativen abwägen und entscheiden müsste. Diese Feststellung gilt insbesondere für die Brüder in der Kolonne.

Der andere Aspekt dieser ambivalenten Situation ist der Preis für die eben genannte Freiheit. Der Preis ist die Unterwerfung unter die Autorität des Rituals, d.h. Abweichungen oder unzulässige Unterbrechungen des Rituals werden missbilligt und stören letztlich den rituellen Ablauf.

Was leisten die Symbole?

Während der Tempelarbeit aufgeschlagen: die drei „Großen Lichter“, also das sogenannte ‚Buch des geheiligten Gesetzes’ und darauf in der hier sichtbaren vorgegebenen Anordnung ein Zirkel und ein Winkelmaß. Das Buch kann die Bibel sein; das ist in Europa und Amerika die Regel. Es kann aber ebenso der Koran oder die Thora oder ein anderes „geheiligtes Buch“ sein.
Foto: Großloge von Österreich.

Die Freimaurerei lebt auch von und mit Symbolen. Symbolisierung ist die Leistung des menschlichen Denkens schlechthin, denn sie ist das, was Kultur ermöglicht. Im Symbol schafft sich der Mensch einen Abstand zu seiner Gemütsverfassung, weil eine Abstraktion vom Sinneseindruck möglich ist. Um die Orientierung wie auch die Verallgemeinerung von Ereignissen rituell zu repräsentieren, bedarf es der Symbole. Dadurch wird das gewohnte Ereignis oder der alltägliche Gegenstand in einen umfassenden Rahmen gestellt.

Symbole und deren Verknüpfung zu Systemsymbolen bauen also Strukturen und Ordnungssysteme auf. Sie bilden daher einen erkenntnismäßigen und emotionalen Rahmen, indem die kontingenten, d.h. zufälligen Erlebnisse eingeordnet werden können. Daraus ergibt sich dann das, was wir Sinn oder Sinnstiftung nennen. Denken wir in diesem Zusammenhang an die drei wesentlichen Symbolgegenstände unserer Zunft, nämlich die drei Großen Lichter – als da sind: das Buch des geheiligten Gesetzes, das Winkelmaß und der Zirkel. Welchen Sinn verkörpern sie in der Freimaurerei? Sie bilden die unverrückbaren Grundlagen der Freimaurerei. Ohne die drei großen Lichter auf dem Altar, der selbst schon symbolische Bedeutung vermittelt, ist eine Loge nicht zur Arbeit eingerichtet.

Durch Symbolisierung wird der aktuelle und potentielle Erlebnisraum in einen Rahmen gestellt, der Sinn ermöglicht, nämlich eine Ordnung, die sinnvolles Leben vorgibt. Solche Ordnungssysteme sind dem Einzelnen durch Tradition vorgegeben. Aber, sie sind nicht einfach nur da, sondern sie sind das Resultat kultureller Inszenierungen.

Und wozu dient der Mythos?

Die narrative, d.h. die erzählerische Form solcher kulturellen Inszenierungen ist der Mythos, auf den die Freimaurerei ebenfalls nicht verzichten kann. Unter dem Begriff Mythos verstehen wir ganz allgemein Vorstellungen und Konzepte in Kulturen, die erzählerisch und begrifflich empirische, d.h. erfahrene Beobachtungen und imaginäre Deutungen so verknüpfen, dass Zusammenhänge des Lebens auf einen Sinn interpretiert werden. Einen Sinn, der dem einzelnen Menschen eine erkenntnismäßige und emotional nachvollziehbare Handlungsorientierung verleiht. Damit vergegenwärtigt der Mythos narrativ die im Ritual repräsentierte Ordnung. Es sei hier nur beispielhaft an den mythisch verklärten Salomontempel hingewiesen, mit dem wir Freimaurer bestimmte Vorstellungen verknüpfen.

Ich fasse zusammen

Rituale, Symbole und Mythen sind die für Freimaurer bestimmende Elemente. Sie inszenieren für uns einen Sinnzusammenhang, um auf das Ganze zu verweisen. Sie zelebrieren das Erlebnis von Sinn, eines Sinnes, der sich in dem freimaurerischen Ideal von Humanität offenbart.

Siehe auch