Traktat: Karl Hoede "Tarnung und Gewalt": Unterschied zwischen den Versionen

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In einem Schrank des [[Deutsches Freimaurer-Museum Bayreuth|Freimaurerischen Museums]] entdeckte ich 111 Briefe, die zwischen Januar 1946 und März 1948 geschrieben wurden : von Bernhard Beyer, August Pauls, Raoul Koner, Fritz Hauck, Emil Adrianyi-Pontet, Adolf Bünger, Georg Emil Selter, Theodor Vogel...
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Aktuelle Version vom 9. April 2015, 22:44 Uhr

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Traktat: Karl Hoede "Tarnung und Gewalt"


 

KARL HOEDE, DIE FREIMAUREREI, DIE NAZIS
– TARNUNG UND GEWALT –



Die Rolle des Historikers besteht weder darin, die einen zu verurteilen noch die anderen freizusprechen. Im Gegensatz zu einer verbreiteten unrichtigen Vorstellung, sollte Geschichte keine Urteile aussprechen, sondern erklären und verständlich machen.
(Pierre Chevallier, Histoire de la Franc-Maçonnerie française, 1974-1975, III: 302)


Im Januar 2000 habe ich für the philalethes - The Journal of Masonic Research and Letters einen Aufsatz geschrieben, ‘“The Blue Forget-Me Not”, another side of the story’1, der im Oktober 2000 erschienen ist.

Darin sind die Namen einiger prominenter deutscher Freimaurer mit den Daten ihrer Aufnahme in die NSDAP aufgeführt:
Wilhelm Lorenz, Direktor des Deutschen Freimaurermuseums bis ca. 1980 (1. Juli 1936);
Kurt Hendrikson, Mitglied des Deutschen Obersten Rates (DOR) seit 1958, dessen Gross-Kommandeur 1978-84 (1. Januar 1941);
Udo Sonanini, Mitglied des DOR seit 1963, dessen Gross-Kommandeur 1969-72 (1. Januar 1938);
Hermann Dörner, Miglied des DOR seit 1970, dessen Leutnant-Gross-Kommandeur 1975-78 (1. März 1937);
Herbert Kessler, Mitglied des DOR seit 1974, dessen Gross-Kommandeur 1984-93 (1. Mai 1941) und...
Karl Hoede, Gross-Redner der VGL-AFAM 1953-58 (4. August 1942).

Ich habe ihre Namen aufgezählt und ihre Zugehörigkeit zur NSDAP offenbart, weil dadurch manche Aspekte der deutschen freimaurerischen Geschichte, vor und nach dem letzten Weltkrieg, in ein geklärtes, verständlicheres Licht gestellt werden können. Aus dem gleichen Grund habe ich hinzugefügt: « Hoede’s son married Theodor Vogel’s daughter ». Zur gleichen Zeit, wie der Vergiss-mein-nicht Aufsatz, wurde meine Rezension des Melzer Buches, "Konflikt und Anpassung. Freimaurerei in der Weimarer Republik und im “Dritten Reich”", (s. Alpina 4/2000) verfasst, worin versehentlich steht: «Übrigens hatte Hoede [anstatt von Hoedes Sohn] Theodor Vogels Tochter geheiratet. Dies und andere Tatsachen, die von Dokumenten, die sich in meinem Besitz befinden, vollkommen belegt sind... ».

Diese Dokumente sind zweierlei Natur: Einerseits NSDAP Personalakten, die sich jetzt im Bundesarchiv (früher Berlin Documentation Center) befinden und vor kurzem ‘declassified’ (nicht mehr geheim eingestuft) wurden – mit den Ehen innerhalb der Hoede Familie haben sie nichts zu tun –, andererseits mehrere freimaurerische Streitschriften, die 1961 erschienen sind, anlässlich der Wahl des Nachfolgers von Georg Geier, Gross-Kommandeur des Deutschen Obersten Rates, der am 1. September 1960 gestorben war. Theodor Vogel hatte als Kandidat Walther Hörstmann vorgeschlagen, der, wie es sich herausstellte, 1933 unter besonderen Umständen Mitglied der NSDAP geworden war. Andere Mitglieder des Obersten Rates waren für Erich Schalscha, seit 1953 Bundesrichter in Karlsruhe, der, « um Schlimmerem zu entgehen, Januar 1936 mit den ihm zugebilligten zehn Reichsmark in der Tasche nach England emigrieren » musste (Rudolf Bohlmann, Eleusis 5/1981, S. 360).

In einem Leserbrief, der in humanität (Organ der GL AfuAM v. Deutschland) 1/2001 veröffentlicht wurde, hat Karl Hoedes Enkelsohn mein Versehen so stark beanstandet, dass er infolgedessen einen « dringenden Appell an Rezensent und an die Redaktion » richtete : « Man muss nicht über alles schreiben, was einem auf den Schreibtisch flattert ; und man muss auch nicht alles abdrucken, was einer Redaktion an Zumutung angedient wird. Es ist nicht zuletzt ein Anspruch unter uns Freimaurern, dass wir das Leben und das Werk der uns vorangegangenen Brüder in ehrendem Andenken bewahren sollen ».

In eigener Sache

Meine Forschungsarbeit über die deutsche freimaurerische Geschichte geht auf 1966 zurück, als ich mich bei der Bayreuther Quatuor Coronati Loge affiliiert habe. Damals gab ich fast jedes Jahr einen Klavierabend in Bayreuth, der auch zu Gesprächen mit Heinrich Lorenz, später mit Herbert Schneider, Anlass gab. Beide haben mir selten gewordene Bücher, Broschüren und mehrere Jahrgänge von Zeitschriften aus der Periode 1925-1933 anvertraut.

In einem Schrank des Freimaurerischen Museums entdeckte ich 111 Briefe, die zwischen Januar 1946 und März 1948 geschrieben wurden : von Bernhard Beyer, August Pauls, Raoul Koner, Fritz Hauck, Emil Adrianyi-Pontet, Adolf Bünger, Georg Emil Selter, Theodor Vogel...

Diesen bisher unbekannten Akten waren auch die Protokolle der allerersten Sitzungen (seit dem 1. Juni 1947) des Obersten Rates für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beigefügt. Alle habe ich fotokopiert und indexiert. Ich weiss, was darin steht, habe bis jetzt nur wenig darüber veröffentlicht. Damals habe ich auch feststellen können, wie der Schottische Ritus in Deutschland Fuss gefasst hatte.

Deshalb konnte ich mit ruhigem Gewissen den Theodor Verhaegen Lehrstuhl der Freien Universität Brussels für das Jahr 1998 annehmen – die Einladung folgte einer Empfehlung von José Antonio Ferrer Benimeli – und vor mehreren hundert Zuhörern über die Freimaurerei in Deutschland im 20. Jahrhundert einen Vortrag halten (s. Quellen).

Unkenntnis

Unsere deutschen Brüder wissen über ihre eigene Geschichte zwischen beiden Weltkriegen wenig. Kurz nach Erscheinung meiner Rezension bekam ich einen Brief des Sohnes von Walther Hörstman. Er bezog sich auf die erwähnten Dokumente, die beweisen, dass sein Vater « 1933 freiwillig die Freimaurerei gedeckt hatte, um Mitglied der NSDAP werden zu können » und schrieb :

« Da ich nicht im Besitz solcher Dokumente bin, andrerseits aber ein verständliches Interesse daran habe, auch diese – mir bisher unbekannt gebliebene – Seite meines Vaters kennenzulernen, darf ich die bescheidene Bitte äussern, auch mir diese Dokumente zugänglich zu machen, gfs. mir eine Kopie davon zuzusenden ».

Eine der Ursachen für diese Unkenntnis ist die Vereinbarung, « die Vorgänge in der Deutschen Freimaurerei in den Jahren 1920 bis 1935 der Vergessenheit anheim zu geben und darüber zu schweigen », die kurz nach Ende des Krieges getroffen wurde (s. Quellen). Für freimaurerische Historiker wurden diese Jahre ein Tabu-Thema.

Als Friedrich John Böttner ein Panorama der Geschichte der Freimaurerei in Deutschland darstellte, sprang er absichtlich über die Jahre 1918-45 hinweg : der Abschnitt "Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg" und Verbot seines sonst kristallklaren beispielhaften Buches, "Zersplitterung und Einigung" (1962), ist nur zwei knappe Seiten lang, die ausschliesslich aus einem Zitat von GM Theodor Vogels Ansprache vor dem ersten Konvent der Vereinigten Grosslogen (1958) bestehen.


Vogels Kernsatz :

« Die Geschichte dieser fünfzehn Jahre [1933-1948] ist eine Geschichte von Fehl und Schuld, aber auch etlichen Heldentums, opfervollen Mutes und zorniger Machtlosigkeit ; sie musste noch geschrieben werden ».

Wessen Schuld, wessen Heldentum ?


In 1964 ging Manfred Steffens deutlich weiter.

Unsere englischen Brüder haben lang gezögert, darüber zu berichten. Zu einer Zeit als die Rundschreiben der Drei Weltkugeln aus den Jahren 1933-34 noch unbekannt waren, hatte Ellic Howe mehrere davon entdeckt und zitierte sie in ‘The Collapse of Freemasonry in NaziGermany 1933-5’. Dieser Aufsatz, den er am 21 Juni 1973 der Quatuor Coronati Lodge in London vorlas, hätte in vol. 86 von Ars Quatuor Coronatorum gedruckt werden sollen. Aber am Kopf des Advance Proof, d. h. des vorläufigen Vordrucks, steht eine mit der Schreibmaschine hinzugefügte Note : « The UGL of England, for reasons best known to its “Rulers of the Craft” refused publication to this article ». Er erschien immerhin zehn Jahre später in vol. 95 (1983) von AQC.

Inzwischen war Helmut Neubergers Dissertation, Freimaurerei und Nationalsozialismus, beim Bauhütten Verlag 1980 erschienen. Danach die Forschungsarbeiten von Henning Wolter, Thomas Richert (auch unter den Pseudonymen Henri Pauvrert und Thomas Carlssohn), Werner Freudenschuss, Jürgen Luckas und Ralf Melzer.

Karl Hoede

Die Aufgabe der Geschichtsschreibung ist nicht, darzulegen, wer recht bekommen hat, sondern zu zeigen, wie es wirklich gewesen ist.
Karl Hoede, zitiert von Reinhold Mueller in Quatuor-Coronati Heft Nr. 6 (1969): 3

Meiner Meinung nach, sollte sich der Historiker bemühen, die Fakten zu ermitteln, besonders wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, vergessen oder verschwiegen wurden. Die Interpretation, die Erklärungen, kann er manchmal dem Leser überlassen... so lange er vor ihm nichts bewusst verheimlicht.

Karl Hoede starb am 1. Januar 1973. In den Quatuor Coronati Mitteilungen von Januar 1973 steht :

« Seine Aufnahme erfolgte am 31.12.1920 in der Loge Friedrich zur Beständigkeit in Zerbst. 1922 wurde er zum Gesellen befördert, 1926 zum Meister erhoben. Im gleichen Jahr kam er als Assistent der Universitätshautklinik nach Würzburg. Hier schloss er sich 1930 der Loge Zur festen Burg an. Er bekleidete das Amt des Redners... ».

Eine seinem Andenken gewidmete Broschüre wurde kurz danach von der Freimaurerischen Forschungsgesellschaft Quatuor Coronati e. V. Bayreuth herausgegeben. Darin schrieb Kurt Mauch (‘Ein universaler Geist - Karl Hoede zum Gedächtnis’) :

« Die selbstverständliche Pflichterfüllung als Soldat sollte in paradoxer Weise seinen Lebensweg beeinflussen. 1939 erklärten die Nationalsozialisten den Freimaurer für “wehrunwürdig”, und 1945 verfügten amerikanische Besatzungsstellen die Entlassung des “Frontsoldaten”, Ordinarius und Dekans

der Universität Würzburg aus dem Amt. Dass sie einen “wehrunwürdigen” Freimaurer entlassen hatten, ist ihnen nicht bewusst geworden. Erst 1958 machte die bayerische Staatsregierung Unsinn und Unrecht wieder gut und verlieh Karl Hoede den Ehrentitel eines emeritierten ord. Professors. ».

Dank den Angaben Melzers, der sich auf die Personalakte Dr. Karl Hoede (Bundesarchiv, früher Berlin Documentation Center) stützt, können jetzt diese lückenhaften biographischen Angaben vervollständigt werden :

« Die SA, der er nach Eingliederung des “Stahlhelms” als “Sturmbannarzt” und “Scharführer” angehört hatte, musste er 1935 wegen seiner früheren Logenmitgliedschaft verlassen. Bei Kriegsbeginn wurde er aus demselben Grund als “wehrunwürdig” eingestuft. Auch sein Aufnahmeantrag für die NSDAP vom 14. Juli 1939 (offenbar nicht der erste) war deshalb zunächst abgelehnt worden. In dem daraufhin von Hoede eingeleiteten “Gnadenverfahren” sprachen sich unter anderem das Oberste Parteigericht, die Gauleitung und das Gaugericht zugunsten Hoedes aus. Am 4. August 1942 erging die Mitteilung der “Kanzlei des Führers”, wonach Hitler enschieden habe, Hoede mit sofortiger Wirkung ohne Einschränkung in die NSDAP aufzunehmen »
(op. cit. S. 206).

Als ich in dem ersten Druck (1998) der Melzer Dissertation diese Zeilen las, schrieb ich an Rolf Appel :

« Da Du zusammen mit Hoede an den Verhandlungen mit der katholischen Kirche teilgenommen hast, möchte ich gerne etwas von Dir wissen. Es geht für mich darum zu verstehen, wie die deutschen Brüder in Wirklichkeit zu der Frage der Zugehörigkeit zur NSDAP ihrer Brüder reagiert haben. [...] So dass Du meine Einstellung gut verstehst, geht es mir als Historiker nicht um der Versuch zu “urteilen”, sondern zu “verstehen”. Die Fragen, die ich mir selbst stelle, und die ich mir erlaube Dir zu stellen, sind etwa folgende : Wusstest Du, dass Hoede Mitglied der NSDAP war ? Falls nein, glaubst Du, dass andere Brüder es wussten ? Falls ja, wie war Deine innere Einstellung dazu ? Und auch, im allgemeinen, zu all denen, die nach 1945 Freimaurer geworden sind und der NSDAP zugehört hatten ? ».

Ein paar Tage später kam Rolf Appels lange Antwort, in deren Mitte steht :

« Karl Hoede hat mir gesagt, dass er Parteimitglied war. Er meinte, er glaubte, dadurch beruflich schneller voranzukommen. Ein Eiferer war er nicht ».

Die Tarnung?

Beide Bauhütten Karl Hoedes waren Tochterlogen der Grossen National-Mutterloge “Zu den Drei Weltkugeln”, die ihre letzte Vorkriegsarbeit am 10 Juli 1935 hielt (250 Jahre Grosse National-Mutterloge Zu den Drei Weltkugeln, 1990, S. 66). Soll er nicht, als Redner, die Rundschreiben seiner Grossloge (bzw. Ordens) aus dem Jahre 1933 seiner Würzburger Loge vorgelesen haben ?

Hier einige Auszüge (s. Quellen) :

"Wir haben beschlossen, den bisherigen Gesamtnamen unseres Bundes umzubenennen in “Nationaler christlicher Orden: Friedrich der Grosse”. Die einzelnen Johannislogen führen den Namen: Ordensgruppe. [...] Ferner bitten wir um sofortige Einreichung folgender Erklärung: Wir stimmen den bisher getroffenen Massnahmen zur Umformung der Grossloge zu und sind mit allen weiteren Abänderungen, die von der Bundesleitung getroffen werden, einverstanden."
(11. APRIL)
Denn die Beziehungen zu ausländischen Logen sind längst – die zu deutschen Logen, die Juden und Judenstämmlinge aufnehmen, seit einem Jahre endgültig abgebrochen. [...] Unser Orden hat in seinem bald 200jährigen Bestehen die Aufnahme der Juden stets verneint, darauf zielende Anträge wurden stets abgelehnt. [...] Wir glauben daher, dass nun auch kein äusserer Grund mehr bestehen kann, unseren Ordensmitgliedern den Eintritt in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei zu versagen. Wir sind keine Freimaurer! Geben Sie den Weg für 20 000 vaterländisch gesinnte Männer, die am Ausbau des nationalsozialistischen Volksstaates mitzuarbeiten sich berufen fühlen, jetzt frei !
(12. APRIL. Brief an die Parteileitung der NSDAP)
1. Wir sind keine Freimaurer mehr. Das ist jedem Aussenstehenden von jedem Ordensbruder sofort zu sagen.
2. Das Geheimnis braucht nicht mehr gewahrt zu werden.
3. Die Änderungen in den Ritualen der vier ersten Stufen bestehen vorläufig darin, dass gestrichen werden:MiniMini3zw.jpg, MiniMini3zw.jpg, Akazia. Die Wörter MiniMini3zw.jpg, MiniMini3zw.jpg, M.B., Jehovah werden (bis auf Widerruf) ersetzt durch: Licht, Volk, Er lebt im Sohn, Glaube.
4. In der Meisterlegende heisst es statt “Tempel Salomos”: “der deutsche Dom” und statt “Hiram”: “der Baumeister”.* [...]
8. Wir bitten die Vorstände unserer Ordensgruppen, sofort in die Prüfung der Deutschstämmigkeit ihrer Mitglieder im Sinne der Nationalsozialistichen Deutschen Arbeiterpartei einzutreten.

(12. APRIL)
* « Br\ Dorr nannte diese neuen Rituale das “... wohl grösste Ereignis in der Geschichte unserer beiden Orden seit ihrer grossen Reform um 1800...” » (Henri Pauvrert, Paris [d. h. Thomas Richert, Berlin] Eleusis Nr. 6, 1981, S. 446, zitiert nach Ordensblatt [früheres Bundesblatt der Grossen National Mutterloge] Sept. Okt. 1933, S. 76).
Unsere Satzungs- und Namensänderung richtet sich streng nach den Forderungen, die die nationalsozialistiche deutsche Arbeiterpartei-Leitung noch in den letzten Wochen auf Anfragen einiger Ordensbrüder schriftlich gefordert hat.
Wir sind deshalb nicht als “getarnte” Freimaurer anzusehen, sondern in der Tat keine Freimaurer mehr. [...] Die Zustimmungsschreiben der Logen sind überaus zahlreich eingelaufen, so dass wir jetzt schon eine Zweidrittel-Mehrheit für unsere Änderungen haben.

(19. APRIL)


Dagegen kannte Karl Hoede den folgenden Brief vom 27. Juni 1933 (s. Quellen) vielleicht nicht :

Hochverehrter Herr Reichskanzler ! [...] Insbesondere fühlen wir uns in unserem Ehrgefühl gekränkt durch den Vorwurf, dass die Ablegung der Freimaurernamen und die Umwandlung der Altpreussischen Grosslogen in Deutsch-christliche Orden eine Tarnung, also eine in irreführender Absicht vorgenommene Verschleierung, seien. [...] Jeder, der unsere Archive durchforscht, muss sich überzeugen, dass von Tarnung, von Doppelzüngigkeit, von einem Gegensatz zwischen vorgegebenen und wirklichen Zielen nicht die Rede sein kann. [...]
Nationaler Christlicher Orden Friedrich der Grosse,
gez. Bordes, Ordensgrossmeister.
Deutsch-christlicher Orden zur Freundschaft, gez Feistkorn, Ordensgrossmeister.

Generelle Erklärung

Zwanzig Jahre später erschien das Wort Tarnung in dem freimaurerischen Wortschatz wieder :

GENERELLE ERKLÄRUNG. In dem Bestreben, einem wirklichen Frieden zu dienen, gibt die GLL freien Willens die nachfolgende Erklärung ab : I. Wir bedauern die Abweichungen von der freimaurerischen Grundlinie, die in der Zeit der politischen Verfolgung der deutschen Freimaurerei erfolgt sind, und widerrufen die Erklärungen, die 1932 zu dem Abbruch der Beziehungen zu anderen deutschen Grosslogen führten. Wir bitten um Verständnis dafür, dass manches gegen den auch für uns verbindlichen Primat der Freimaurerei geschah, um durch Tarnung dem der deutschen Freimaurerei zugedachten Schicksal zu entgehen. [...] Januar 1955, gez. Fritz Pauk = Ordensmeister
(Aus Verhandlungen der VGL mit der GLL 1954/1955. Zusammengestellt : Frankfurt a. M., den 30. 4. 1955, S. 14)

Reaktionen und Kommentare

Einen Teil dieser Erklärung zitierte Manfred Steffens, aber nicht, wie Böttner, die begleitenden Reaktionen und Kommentare

Lassen Sie es mich mit aller erforderlichen Deutlichkeit aussprechen, dass diese “Generelle Erklärung ” lebhafte Proteste in den Reihen unserer Bruderschaft hervorgerufen hat. [...] In der Verkennung des Zwecks der “Generellen Erklärung” und in der ersten Erregung konnte diese Erklärung als das wirken, was man in den Mönchsorden die Selbstanklage nennt. Nichts wäre falscher als eine solche Unterstellung. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass der Weg, den die GLL. von 1932 ging, mit der Isolierung und mit der Distanzierung, die dann 1933 zu einer Änderung der alten Benennung führte, die eine der Freimaurerei fremde war, ein Irrweg war.
Wir Brüder der GLL. wissen, dass an der Lehre und dem Ausbau der GLL. nichts durch diese Vorgänge geändert worden ist. Wir wissen es, und wir kennen die Beweggründe, aus denen diese Haltung entstand, aber die anderen ziehen auch heute noch falsche Schlüsse.
(Rede Friedrich August Pinkerneils vor der Hauptversammlung der Grossen Landesloge, 20. Mai 1955, Berlin. Aus Die Einigung der deutschen Freimaurerei. Bericht über die Verhandlungen der VGL mit der GLL. Von Br. Fr. A. Pinkerneil, Frankfurt (Main), S. 7).

Das Schweigen

Ich betrachte "After Fifteen Years" als eine Anwendung der Vereinbarung « darüber zu schweigen », die um 1946-47 zwischen deutschen Freimaurern entstanden ist. Die Jahresversammlung der Masonic Service Association hatte am 21. Februar 1949 beschlossen « ein Komitee nach Deutschland zu entsenden mit dem Auftrag, sich über den gegenwärtigen Stand der deutschen Freimaurerei zu orientieren und zur Weiterleitung an alle Grosslogen in den USA diejenigen Tatsachen festzustellen, die zur Klärung der Frage der Anerkennung der deutschen Freimaurerei beitragen könnten. »

Die original englische Fassung dieses Berichts wurde im Oktober 1949 in Washington herausgegeben, dann in deutsch übersetzt und im folgenden Jahr in München gedruckt.

Am Fuss der sonst leeren letzten Seite, sind ein paar Worte in einem besonders kleinem Schriftsatz hinzugefügt :

« Die Veröffentlichung erfolgt mit Genehmigung der Verfasser und des Verlages des MSA. Der Bericht ist frei übersetzt, jedoch sind Änderungen und Berichtigungen nicht vorgenommen worden, um Sinn, Aufbau und Ziel der Darstellung nicht zu stören. Für die demnach noch enthaltenen Unrichtigkeiten, die sich insbesondere auf die Verhältnisse der Berliner Grosslogen beziehen dürften, ist der Herausgeber nicht verantwortlich ».

Welche “Unrichtigkeiten” ? Mit keinem einzigen Wort sind in After Fifteen Years die Rundschreiben, öffentlichen Erklärungen und Druckschriften der drei Berliner Grosslogen erwähnt. “Unterlassungen” wäre ein zutreffenderes Wort gewesen.

Zum Beispiel folgendes Zitat aus "Im Ordensstammhause der Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland Deutsch-Christlichen Ordens", einem Buch, das von der Grossen Landesloge in Berlin 1935 herausgegeben wurde :

Als drittes Ziel im Kampfe für deutsches Christentum und christliches Deutschsein trat die Aufforderung zur Reinhaltung der Rasse. Den Gefahren, die von einer unüberlegten Rassenmischung her die Wurzeln des Volkstums bedrohen, tritt der Johannisfestgruss von 1926 entgegen. Er erschien in einer Zeit, in der man sonst diesen Fragen nicht eben viel Bedeutung zumass.

Der Orden erhob vor nunmehr neun Jahren schon warnend seine Stimme :

“Die Gemeinsamkeit des Schöpfers beseitigt indes nicht die Unterschiede zwischen Rassen, Völkern und Individuen, Unterschiede, die in der Geschichte eine viel zu grosse und entscheindende Rolle gespielt haben, als dass sie unbeachtet bleiben könnten. Die Verkennung und Unterschätzung dieser Unterschiede, die verhängnissvolle, zwar aus reinsten Bewegggründen, aber aus physiologischer und psychologischer Unwissenheit geborene Humanitätsschwärmerei hat zu einer Vermischung und Entartung aller Kulturen, Kunstrichtungen, Rassen und Völker, zu einer Sintflut geführt, die alles in früherer Reinkultur Veredelte und Hochwertige ersticken zu wollen droht. Diesen trüben, schlammigen Fluten sucht der Orden, der von jeher bemüht war, höchste Veredlung durch sorgsamste Auslese und Reinerhaltung seines Bestandes zu erreichen, einen Damm entgegenzusetzen.”
(Aus Zirkelkorrespondenz 1926, S. 245 f.). (Seite 8-9).

Eine weitere, viel gravierende, Unterlassung ist die Folgende : "After Fifteen Years" erwähnt nicht einmal die einzigen deutschen Obedienzen, die sich öffentlich gegen Hitler und den Nationalsozialismus erklärten.

Das Ziel der wahren Freimaurerei ist heute...

1985 erschien in der Mai/Juni Ausgabe von humanität ein gemeinsames Andenken an Leo Müffelmann, das von Henning Wolter, Nathan Fischer und mir geschrieben wurde. In mehreren Schriften habe ich Müffelmanns Leben geschildert und seinen Mut bewundert (s. Quellen).

In den Jahren 1921-1934, war es nicht einfach, ein deutscher Freimaurer zu sein. Er und mit ihm zusammen die Brüder, die den Obersten Rat für Deutschland (10. Februar 1930), die Symbolische Grossloge von Deutschland (26. Juli 1930) und die Zeitschrift Die alten Pflichten gründeten, zeigten, dass es möglich war. Ein Beispiel:

« Die wahre Freimaurerei erkennt aber heute ihre Aufgabe. Das Ziel der wahren Freimaurerei ist heute der Kampf gegen Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Sie steht hier trotz aller Gegensätze Seite an Seite mit der römischen Kirche als Kämpfer für die freie Persönlichkeit, für Humanität und Menschheit gegen die gewaltige Reaktion von Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Der Kampf hat begonnen. Es geht um die gemeinsame Verteidigung der abendländischen Kultur. Da müssen Rivalitäten zwischen Freimaurerei und Katholizismus verblassen gegenüber der grösseren Idee von Freiheit und Menschlichkeit. »
(Aus Die alten Pflichten, Dezember 1931, S. 25).

Die Gewalt

« Man kann sagen, dass das deutsche Volk während des Dritten Reiches, grob gesprochen, in vier Gruppen zerfiel : Tatsächliche und nominelle Nazis, Nicht-Nazis und Anti-Nazis », schreibt Hans Rothfels. Zwar fügt er hinzu « die Scheidelinien werden sich durch die Jahre hin mannigfach verschoben haben, und eine Gruppe ging in die andere über ».

Immerhin, wenn es heute darum geht, « dass wir das Leben und das Werk der uns vorangegangenen Brüder in ehrendem Andenken bewahren », erwähne ich lieber das Leben und das Werk derjenigen, die von Anfang an mit Wort und Tat zu den Anti-Nazis gehörten, als die anderen.

Die Gewalt gehört heute zu unserem alltäglichen Leben. Sie ist überall. Sie hat sich auch innerhalb der Freimaurerei eingeschlichen. Vielleicht gehört sogar der Wortschatz mancher Leserbriefe dazu.

Alain Bernheim

Quellen

  • Die Auszüge der Rundschreiben der GNML ‘Zu den Drei Weltkugeln’ (April 1933) sind aus Helmut Neuberger, Freimaurerei und National Sozialismus, Zwei Bände, Bauhütten Verlag, Hamburg 1980 zitiert, wo sie im 2. Band vollständig wiedergegeben sind (Rundschreiben 11. April, Ss. 294-295 ; Brief an die Parteileitung der NSDAP 12. April, Ss. 305-306 ; Rundschreiben 12. April mit den Abschriften dreier Briefe vom gleichen Tag, Ss. 309-310 ; Rundschreiben 19. April, Ss. 311-312).
  • Der gemeinsame Brief der Ordensgrossmeister Otto Bordes und Oskar Feistkorn an Adolf Hitler vom 27. Juni 1933 ist in In eigener Sache. Eine Klarstellung von Br. Walther Hörstmann. Celle (1961), Ss. 17-19, nach der Zeitschrift Die Leuchte, 1933, Heft 10/11, wiedergegeben.

Erwähnungen der nach dem 2. Weltkrieg zwischen deutschen Freimaurern getroffenen Vereinbarung befinden sich in:

  • Das Verhältnis der Großen Landesloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland zum Deutschen Obersten Rat des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, o. J. [1961]: « Er [der Deutsche Oberste Rat] stellt vielmehr ausschliesslich fest : 1. dass mit der Veröffentlichung der Dokumente 1930/31 die 1946 getroffene Vereinbarung, die Vorgänge in der Deutschen Freimaurerei in den Jahren 1920 bis 1935 der Vergessenheit anheim zu geben und darüber zu schweigen, verletzt worden ist und damit auch für ihn nicht mehr verpflichtend ist. » (S. 12).
  • Erich Awe, Was ist richtig und brüderlich ? o. J. [1961] : « In der Erkenntnis, dass schon der Bericht über Streitigkeiten einen ungünstigen Einfluss auf die Psyche der Menschen ausübt, haben sich auf dem Frankfurter Konvent die Teilnehmer gegenseitig das Versprechen gegeben, alle Streitigkeiten unserer Vorfahren vor 1935 der Vergessenheit zu überantworten ! » (S. 24). « War es richtig, das gegenseitige Versprechen der Teilnehmer am Frankfurter Konvent brechen zu lassen ? » (S. 33).
  • Ernst-Adolf Busold, Musste das sein ? So fragt der "Jüngere Br.", o. J. [1961], S. 3 : « Die Notwendigkeit einer solchen Zurückhaltung hatte man schon nach dem letzten Kriege erkannt und deshalb im Jahre 1947 eine brdl. Vereinbarung getroffen, nach der die unglücklichen freimaurerischen Vorgänge der Jahre 1920 bis 1933 ruhen sollten. Bedauerlicherweise hat im Sommer 1961 der Verfasser G. F. durch seine “Dokumente 1930 / 31” diese taktvolle Übereinkunft verletzt. »
  • Das Zitat Hans Rosenfeld kommt aus Deutsche Opposition gegen Hitler, Neuer, erweiterte Ausgabe, Fischer 1977, S. 37.
  • Zersplitterung und Einigung. 225 Jahre Geschichte der deutschen Freimaurer. An Hand von Dokumenten dargestellt von Friedrich John Böttner. Herausgegeben von der Loge “Absalom zu den drei Nesseln” (Nr.1) in Hamburg aus Anlass ihres 225jährigen Bestehens am 6. Dezember 1962. Gesamtherstellung: Christian Wolff, Graphische Betriebe GmbH., Flensburg.
  • Manfred Steffens. Freimaurer in Deutschland. Bilanz eines Vierteljahrhunderts. Christian Wolff Verlag, Hamburg 1964.

Alain Bernheim.

  • Die ersten vierzehn Brüder des A.A.S.R. in Deutschland: 1921 bis 1926. Eleusis 3/1980: 155-156.
  • Für Leo Müffelmann (Akademietagung des A.A.S.R., Stuttgart). Eleusis 3/1984: 170-174.
  • Auszüge aus den Nachforschungen über die Frühgeschichte des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus in Deutschland. Areopag Excelsior Nachrichten (Zürich) Nr. 50 (1984): 5-25.
  • Leo Müffelmann (1881-1934) - Die schwierige Zeit. humanität 4/1985: 13-15.
  • Nachforschungen über die Geschichte des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus in Deutschland (2. Fassung, 1986). Unveröffentliches MS, Deutsche Freimaurer Bibliothek, Bayreuth.
  • [Pseudonym A. v. B.] La Franc-Maçonnerie allemande en 1995. Humanisme (GODF, Paris) 220-221 (Mars 1995): 112-123.
  • German Freemasonry and its Attitudes toward the Nazi Regime. the philalethes, February 1997: 18-22 (Certificate of Literature 1997 der Philalethes Society).
  • ‘La Franc-Maçonnerie allemande au 20e siècle’. Chaire Théodore Verhaegen 1998, Université Libre de Bruxelles. Ars Macionica (Grande Loge Régulière de Belgique, Bruxelles) Volume (1998): 17-40.
  • “The Blue Forget-Me Not”, another side of the story’. the philalethes, October 2000: 106-109.
  • Encyclopédie de la Franc-Maçonnerie (La Pochotèque, Le Livre de Poche 2000). Stichwörter: ALLEMAGNE und MÜFFELMANN.

Links

Siehe auch