UGLE 2021: Die englische Grand Lodge nimmt Fahrt auf

Aus Freimaurer-Wiki

Seit 1990 sinkt die Zahl der Brüder in den englisch Logen stetig. Umgekehrt stieg die Zahl wenig schmeichelhafter Berichte in manchen englischen Medien. Als Folge ist der United Grand Lodge of England (UGLE) schon seit Jahren klar, so kann’s nicht weitergehen. Etwas musste geschehen. Und es geschah etwas: die Großloge ist im Begriff, sich neu zu erfinden. Der folgende Artikel von Rudi Rabe reflektiert den Stand vom Frühjahr 2021.

Freemasons Hall London, Sitz der englischen Großloge. Die UGLE in Zahlen (2020): etwa 7.000 Logen und 173.000 Brüder in 48 Provinzen mit nachgeordneten Provinzial-Großlogen (ohne die 20.000 Overseas-Mitglieder). Charity-Leistungen 2020: 42 Millionen Pfund sowie 18 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden für tausende von Helfer-Organisationen, vor allem auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Über die verschiedensten Medien wurden 53 Millionen Menschen erreicht.
Der erstmalige „Annual Report“ schaffte es auch in die klassischen Medien. Hier wird CEO David Staples im Fernsehprogramm SkyNews interviewt: „Jahrzehntelang haben wir nicht viel von uns erzählt, doch das hat uns nicht gut getan.“ - Zum 5-Minuten-Interview auf YouTube siehe unten die Links.
Nicht alle denken in dieselbe Richtung: Zeitgleich mit dem „Annual Report“ veröffentlichte der vielschreibende Freimaurer-Autor Robert Lomas ein Buch, in dem er der UGLE empfiehlt, sich auf ihren USP (Unique Selling Proposition) zu konzentrieren. Auf den Punkt gebracht: Weniger Dining und Charity und mehr Arbeit der Brüder an sich selbst. Diese Kurve aus dem Lomas-Buch demonstriert den Mitgliederverlust der UGLE seit Anfang der neunziger Jahre (offenbar wurden die in England üblich gewordenen Mehrfachmitgliedschaften herausgerechnet). - Mehr über das Lomas-Buch siehe interner Wiki-Link unten.

Schon seit dem 300-Jahre-Jubiläum 2017 ist zu beobachten, dass die Grand Lodge stärker an die Öffentlichkeit geht: in die konventionellen Medien und über Social Media. Doch auch intern wurde und wird auch künftig vieles reformiert. Gemanaged wird diese Modernisierung von Dr. David Staples, dem jungen Großsekretär. Und um seine weitreichenden Befugnisse zu unterstreichen wurde er neben der traditionellen Funktion des Großsekretärs auch zum CEO der UGLE ernannt, eine Position, die in der altehrwürdigen Grand Lodge neu eingerichtet wurde. Ihm zur Seite steht ein Stab von elf führenden Mitarbeitern.

Jetzt im Frühjahr 2021 gibt’s eine Premiere: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte lässt sich die UGLE ungeschützt über die Schulter schauen. In einem 50-seitigen „Annual Report 2020“ fasst sie ihre neue Strategie zusammen. Der Report ist gegenwärtig (2021) auf der UGLE-Website online für jedermann zugänglich, also für Brüder und für Nicht-Mitglieder - dies ganz bewusst, weil ab sofort völlige Transparenz nach innen und nach außen angesagt ist. Pro Grand Master Peter Lowndes: Mit mehr Transparenz und mit mehr Professionalität bei der Führung soll den Mitgliedern und der Außenwelt gezeigt werden, was wir leisten können.

Unsere Werte bleiben, heißt es mehrmals im „Annual Report“, der eine Mischung aus Lagebericht und Programm ist: INTEGRITY (building good people), RESPECT (building unity), FRIENDSHIP (building together), CHARITY (building compassion). Doch sonst ist alles möglich, schreibt der Chef der Working Group „The Future - 2022 and beyond“. Hauptanliegen sind eine zeitgemäße Mitgliederwerbung (viel digital), die Verbesserung der Kommunikation nach innen (auch viel mehr digital) und nach außen, sowie der Abbau verkrusteter Strukturen auf den unteren Ebenen (Organisation, Eigentumsverhältnisse).




links"

In ihrem öffentlich erscheinenden Magazin FREEMASONRY TODAY (FMT) vom Sommer 2021 bringt die United Grand Lodge of England ein Porträt ihres CEO David Staples. Mit ihrer freundlichen Erlaubnis folgt nun eine leicht gekürzte Übertragung des Artikels ins Deutsche.

Eine ganz entscheidende Lebenswegkreuzung passierte Dr. David Staples als er sich die Regalien für seine erste Arbeit als Freimaurer anzog. Er war in seinem ersten Jahr an der Oxford University von einem Bekannten in die Apollo-Loge vermittelt worden.

Damals hatte er keine klare Vorstellung davon, worum es bei der Freimaurerei eigentlich geht, und er begann sich zu fragen, ob er das wirklich wollte. „Ich erinnere mich, dass ich mir beim Umziehen dachte, was soll ich da eigentlich“, erinnert er sich fast 30 Jahre später. „Ich war schon fast entschlossen, einfach wieder nach Hause zu gehen, aber ich blieb dann doch. Es ist schon erstaunlich, wie sich diese kleine Entscheidung dann auf mein weiteres Leben auswirkte. Das wusste ich damals natürlich nicht.“

Vom NHS zur UGLE

Dr. Staples, er ist inzwischen 46, vertiefte sich bald in die Freimaurerei. Und parallel dazu baute er eine Karriere im National Health Service (NHS) auf: von Oxford über Bath nach Nottingham und dann Peterborough und ein Jahr in Australien. In der medizinischen Welt wurde er Direktor, während er es in der Freimaurerei zum stellvertretenden Großzeremonienmeister brachte.

Dann bekam er bei einem Abendessen in London einen Klaps auf die Schulter. „Jemand sagte zu mir: ‚Wie wär‘s mit dem Großsekretär?‘ Meine Antwort war: ‚Nun, ich kenne ihn nicht besonders gut, aber er scheint ein netter Kerl zu sein.’"

Schnell wurde klar, dass diese Frage etwas anderes bedeutete. Dr. Staples wurde eingeladen, sich für diese Stelle zu bewerben. Und so wurde er im Jahr 2017 nach einem strengen neunmonatigen Auswahlprozess mit vielen Interviews sowohl zum Großsekretär der UGLE ernannt als auch zu ihrem ersten Geschäftsführer/CEO. Letzteres war eine neue Position, die mit dem Ziel eingeführt wurde, die UGLE zu modernisieren, ohne aber ihrer geschichtlichen Tradition verlustig zu gehen.

Die Verbindung von Tradition und Moderne

Das scheint mit Dr. Staples gut zu funktionieren, hat er doch die Fähigkeit, Tradition mit Moderne zu verbinden, wie man in seiner privaten Umgebung gut erkennen kann. Der Flur seines viktorianischen Hauses bietet neben Jagdszenen zeitgenössische Kunst, und im Garten befinden sich Sonnenkollektoren. Auch mag er Musik sehr. In einem Zimmer seines Hauses befinden sich ein „baby-grand-piano“, ein „Victorian pump organ“ und eine sehr kuriose Trompete, die er zum Scherz für seine Frau gekauft hat. Gelegentlich betätigt er sich auch als Logenorganist. Ein Vorteil seines Jobs ist es, dass er, wenn alle anderen schon nach Hause gegangen sind, im Großen Tempel der Freemasons Hall noch ein wenig auf der Orgel spielen kann.

Als er den Job bei der UGLE annahm, setzte sich Dr. Staples zwei Ziele. Eines war die Modernisierung der inneren Abläufe, das wird in Kürze mit der Implementierung von „Hermes“ abgeschlossen sein, einer neuen Methode für das Führen und Abwickeln von Projekten im Bereich der Informatik, der Entwicklung von Dienstleistungen und anderen Produkten sowie der Anpassung von Geschäftsorganisationen. Das andere Ziel bestand darin, die Freimaurerei in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren. Das weit verbreitete negative Bild der Freimaurerei frustrierte ihn.

Eine große Medienkampagne zur Hebung des Ansehens

Als die Zeitung „The Guardian“ einen Artikel druckte, der die Existenz von zwei Geheimlogen im Londoner Parlament behauptete, in denen angeblich Abgeordnete und Journalisten Mitglieder waren, startete er die Operation „Genug ist Genug“. Dr. Staples: „In Wahrheit gehörten zu diesen beiden Logen weder aktive Abgeordnete noch Journalisten, und sie trafen sich nicht in Westminster, sondern in Camden. Das gab uns die Möglichkeit, gegen den Artikel eine formelle Beschwerde einzureichen. Außerdem haben wir in Zeitungen ganzseitige Anzeigen geschaltet, und ich habe an einem einzigen Tag 26 Interviews gegeben. Auf diese Weise erkannten unsere Mitglieder, dass wir uns für sie einsetzen, wenn auf ihnen und uns herumgetrampelt wird und Falschmeldungen verbreitet werden. Auch ging es uns darum, den Medien klarzumachen, das wir keine Falschmeldungen mehr hinnehmen werden.“

Im weiteren Verlauf dieser Kampagne bot die UGLE der Öffentlichkeit mehr Einblick in ihr Innenleben an und wies dabei auch auf ihre umfangreichen karitativen Leistungen hin. Diese hatten sich während der Corona-Pandemie 2019/2020 intensiviert, als Freimaurer hunderttausende von Pfund sammelten und dafür überall gelobt wurden.

Die Freimaurerei leistete viel für die Gesellschaft, und sie tut es weiter. „Wir befinden uns jetzt in einer Übergangszeit, in der wir sehr viel gute Presse bekommen, aber der erste Satz ist immer noch ein Vorbehalt“, sagt Dr. Staples. „In ein zwei Jahren wird sich das ändern, denke ich, und die Vergangenheit wird der Vergangenheit angehören.“

Das Vertrauen steigt wieder

Jüngste Umfragen zeigen beeindruckende Ergebnisse. In den letzten zwei Jahren hat die Freimaurerei im öffentlichen Ansehen deutlich zugelegt, vor allem auch bei den unter 50-Jährigen. Dr. Staples ist der Meinung, dass diese Werte weiter steigen können. Leidenschaftlich plädiert er dafür, der Freimaurerei in der modernen Welt den ihr zustehenden Platz zu erkämpfen: „Dies ist eine Organisation, die in der heutigen Gesellschaft einen Zweck verfolgt, den keine andere Organisation wirklich erfüllt“, sagt er. „Die althergebrachte Spiritualität ist im Niedergang, doch wir lehren wichtige Erkenntnisse, die auch in die heutige Zeit passen. Seit Jahrhunderten vermitteln wir ökumenische, multiethnische, multireligiöse und multikulturelle Gedanken. Die Freimaurerei war die erste Vereinigung, die sich selbst nach dem Prinzip ‚one man one vote’ organisierte. Wir waren eine der ersten Organisationen, die der Bevölkerung eine kostenlose Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellte. Grundprinzipien der europäischen Aufklärung verbreiteten sich durch die Freimaurerei von Land zu Land, von Großloge zu Großloge. Dies waren früher revolutionäre Neuerungen, die inzwischen vollständig in der Demokratie verankert sind.“

Für Dr. Staples ganz persönlich hatte sich der Nutzen der Freimaurerei schon gezeigt, als er Oxford verließ und eingeladen wurde, sich der Middlesex Lodge No. 143 in London anzuschließen; heute ist das seine Heimatloge. Hier traf er auf Brüder unterschiedlichen Alters und mit ganz verschiedenen Berufen, deren Wissen und Lebenserfahrungen er aufnehmen konnte. Im Laufe der Zeit wurden so aus neuen Gesichtern alte Freunde, die ein beruhigendes Gefühl der Vertrautheit vermittelten. Ein Logentreffen wurde für ihn damals zu einem Ort, an dem er den Operationssaal oder die neueste Umstrukturierung des NHS vergessen konnte. Seine Liebe zur Freimaurerei ist tief und verbindet sich mit seinem Charakter. Er spricht eloquent und prägnant über die philosophischen Kernbotschaften der Freimaurerei und das durch die drei Rituale vermittelte Wissen.

Freimaurerei vom Rand in den Mainstream!

Als jemand, der leidenschaftlich daran glaubt, seinen Teil dazu beizutragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, hat Dr. Staples dann die Chance ergriffen, die UGLE zu führen. Als Großsekretär konnte er in größerem Maßstab positive Veränderungen bewirken. „Damals als Arzt war ich nicht davon überzeugt, viel bewegen zu können, aber für eine auf Werten gegründete Organisation zu arbeiten und diese in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren – das macht schon einen Unterschied“, sagt er. „Schauen Sie sich nur unsere COVID-19-Initiativen an. Das sind große Projekte, die das Leben von Zehntausenden verändern. Zwar leistete die Freimaurerei das schon sehr lange, aber bisher immer unter dem Radar der Öffentlichkeit.“

Dr. Staples Zeit ist damit ausgefüllt, die Strategie der UGLE für die nächsten fünf Jahre ab 2022 mitzuentwickeln. Diese wird weiter auf den seit 2017 erzielten Fortschritten aufbauen nach dem Prinzip: Freimaurerei vom Rand in den Mainstream! „Ich arbeite jede Stunde, die Gott mir gibt, und es macht mir Freude“, sagt er. „Es fühlt sich bedeutsam an, und es entspricht der Botschaft der Freimaurerei, nämlich etwas aus den richtigen Gründen zu tun.“

Dr. David Staples: "Freemasonry from the margins into the mainstream!"


Siehe auch

Links