Zur Verfolgung deutscher Freimaurer in der NS-Zeit: Unterschied zwischen den Versionen

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Wilhelm Leuschner war Gewerkschafter und sozialdemokratischer Politiker. Im April
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gezwungen. Da er als Gewerkschaftler die von Robert Ley, dem Leiter der „Arbeitsfront“
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geforderte Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten verweigerte, wurde er
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im Mai 1933 inhaftiert, wieder entlassen und im Juni 1933 erneut inhaftiert, misshandelt
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und in das Konzentrationslager Börgermoor im Emsland deportiert.
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Entlassung im Juni 1934 aus dem Konzentrationslager begann er mit dem Aufbau eines
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Widerstandsnetzwerks. Er unterhielt Kontakte zum Kreisauer Kreis und ab 1939 auch
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zur Widerstandsgruppe von Carl Friedrich Goerdeler, die 1944 das Attentat auf Hitler
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mit vorbereitete. Er wurde danach vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland
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Freisler zum Tode verurteilt.
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Am 29. September 1944 wurde Wilhelm Leuschner in
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Berlin-Plötzensee erhängt. Er war Mitglied der Freimaurerloge „[[Johannes der Evangelist zur Eintracht]]“ in Darmstadt. Er wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft zur Freimaurerei,
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sondern als Widerstandskämpfer hingerichtet.

Version vom 3. Januar 2015, 11:48 Uhr

Zur Verfolgung deutscher Freimaurer in der NS-Zeit

von Arnold Grunwald. Erstveröffentlichung in TAU II/2014 .Publikationsrechte Quatuor Coronati


Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wenn Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Zugehörigkeit zu einer legalen Vereinigung diskriminiert, verfolgt oder sogar ermordet werden. Diese Missachtung der Menschenwürde durchzieht leider die Geschichte der Menschheit. Auch Freimaurer waren immer wieder Objekt von Verfolgungen, die bis zur Ermordung reichten.

In Spanien wurden durch ein Dekret Ferdinand des VI. im Jahre 1751 Freimaurer ohne vorherige Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt. In Granada wurden 1824 alle Meister der Loge enthauptet, 1825 sieben Mitglieder einer Loge erhängt. (Bokor, S. 300) Bei der berüchtigten „Blutnacht von Florenz“ wurden 1925 Freimaurer blutig geschlagen und 18 Freimaurer getötet. (Schreiber, S. 220) Die Beispiele ließen sich erweitern. An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, ob Freimaurer in der NS-Zeit aufgrund ihrer Logenzugehörigkeit ermordet worden sind.

In freimaurerischer Geschichtsschreibung findet sich für die Zeit der Verfolgung der Freimaurerei in Deutschland durch den Nationalsozialismus sinngemäß folgender Satz: „Viele Freimaurer wurden inhaftiert, ins KZ deportiert und ermordet.“ Fragt man einen Freimaurer, wie viele Freimaurer denn ermordet worden seien, so erhält man zumeist zur Antwort, es seien 62 gewesen. Bezweifelt man diese Zahl, so stößt man nicht selten bei Freimaurern auf Unverständnis. Schließlich sei diese Zahl doch allgemein bekannt. Macht man auch noch eine Unterscheidung der Verfolgung von Freimaurern aufgrund ihrer Logenzugehörigkeit und ihrer Zugehörigkeit zu politischen Organisationen, so stößt man mit solcher Differenzierung auf Ablehnung oder gar Empörung. Es sei schließlich gleichgültig, aus welchem Grunde Logenmitglieder verfolgt und ermordet worden seien. Immer sei der Grund ihre in der Freimaurerei verwurzelte ethische Gesinnung gewesen. Wenn man gar zwischen Freimaurern jüdischer Herkunft, die aus dem Grunde verfolgt wurden, weil sie Juden waren und nichtjüdischen Freimaurern unterscheidet, so setzt man sich dem Vorwurf des Ressentiments gegen Juden aus. Es muss aber sehr wohl etwas anderes, ob jemand aufgrund der Zugehörigkeit zur Freimaurerei oder zu einer ethnischen Gruppe verfolgt wurde. (Vergl.: Grunwald: Juden und Feimaurer) Hans-Hermann Höhmann hat die hier gestellte Frage gestreift und wie folgt beantwortet: Auch gab es persönlichen Widerstand von Freimaurern, und auch Treue zur Menschlichkeit bis in den Tod hat es in der Tat gegeben. Es ist dabei nicht wichtig, ob diese Männer starben, weil sie Freimaurer, Demokraten, Sozialisten oder Pazifisten waren: Namen wie Wilhelm Leuschner, Leo Müffelmann und Carl von Ossietzky stehen für ein anderes Deutschland – und eine andere nicht angepasste Freimaurerei. (Höhmann [1], S. 5) Mit dieser Meinung kann er sich wohl der Zustimmung der Mehrheit der deutschen Freimaurer gewiss sein. Die Frage mit der Betonung auf weil muss dennoch gestellt werden, auch um dem Vorwurf der Geschichtsklitterung begegnen zu können, der von Historikern der Freimaurerei in den letzten Jahren entgegengebracht wird. Ralf Melzer hat die Nachkriegsgeschichtsschreibung der Freimaurer kritisiert und sagt: Durch Ausblendungen und Verkürzungen kam es zu einer Selbststilisierung im Sinne von ‚Freimaurer leisteten Widerstand‘, die ähnlich verzerrend und verfälschend wirkt wie die Tarnungslegende. (Melzer, S. 217)

Helmut Neuberger ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Geschichte der nationalsozialistischen Freimaurerverfolgung nicht zu einer Geschichte blutiger Exzesse ausartete, sondern sich in dem vergleichsweise harmlosen Rahmen von Schikanen, Diskriminierungen und materiellen und kulturellen Einbußen hielt. (Neuberger, S. 406)

Die an vielen Stellen verbreitete Zahl von 62 ermordeten deutschen Freimaurern hat Jürgen Holtorf in seiner Arbeit: „Die verschwiegene Bruderschaft, Freimaurer-Logen: Legende und Wirklichkeit“ 1984 verbreitet. Holtorf berichtet: Von 4.800 in der folgenden Aufstellung enthaltenen Freimaurern – das sind etwa 6% der 80.000 deutschen Freimaurer vor der NS-Herrschaft – sind zwischen 1933 und 1945

  • 1750 eines natürlichen Todes gestorben
  • 62 ermordet
  • 238 aus Deutschland vertrieben
  • 133 verschollen
  • 254 Amt und Beruf verloren
  • 285 im Beruf geschädigt
  • 53 ins Konzentrationslager verschleppt
  • 44 aktiven Widerstand geleistet. (Holtorf, S. 93/94)

Holtorf hat für seine Feststellung keine Quellenangabe aufgeführt. Bei der Eingabe des Suchwortes „the holocaust“ finden sich im Internet folgende Einträge: The United States Holocaust Memorial Museum believes that, „because many of the Freemasons who were arrested were also Jews and/or members of the political opposition, it is not known how many individuals were placed in Nazi concentration camps and/or were targeted only because they were Freemasons.“ However, the Grand Lodge of Scotland estimates the number of Freemasons executed between 80.000 and 200.000. (en.wikipedia.org/wiki/The_Holocaust) It is not possible to now determine how many Freemasons were executed just because they were Freemasons, but a conservative estimate has suggested that the number of German Freemasons who died in concentration camps numbered 80.000. Another estimate has suggested 200.000 as a total but this must be an estimate of the total put to death in all occupied countries not just in Germany for it is known that there were not that number of Freemasons in Germany in 1933 when Hitler came to power. (en.wikipedia.org/Suppression_of_Freemasonry)


Das sind fantastische Zahlen, deren Ursprung der Großloge von Schottland zugeschrieben wird. Einschränkend wird gesagt, dass die angeblich ermordeten Freimaurer gleichzeitig Juden oder Mitglied einer oppositionellen Organisation waren. Im zweiten Eintrag wird vermerkt, dass es in Deutschland gar nicht so viele Freimaurer gab, als Hitler an die Macht kam, und es wird vermutet, dass sich die Zahlen auf alle okkupierten Länder beziehen. Nun glauben alle, die das lesen, dass in Deutschland oder zusätzlich in den okkupierten Staaten 80.000 oder gar 200.000 Freimaurer vom NS-Regime getötet wurden.

Helmut Reinalter berichtet von vereinzelten Morden: Im Zeitraum von 1933 bis 1935 vollzog sich sukzessive die Auflösung der deutschen Großlogen und Einzellogen, die von Plünderungen, Verhöhnungen, Deportationen, Folterungen und sogar vereinzelt von Morden begleitet waren. (Reinalter, S. 12) Reinalter gibt auch ein Beispiel an: Führende Beamte der Großloge wurden verhaftet, wie z. B. der damalige Großmeister [[Richard Schlesinger]], einige von ihnen wurden auch in Konzentrationslager deportiert.

Schlesinger starb unter Polizeiaufsicht noch im Juni 1938. (Reinalter, S. 13) Julius Leber, Wilhelm Leuschner und Carl von Ossietzky werden oft als Beispiele für bekannte Freimaurer genannt, die im KZ ihr Leben ließen. Dass sie Freimaurer waren und von den Nationalsozialisten umgebracht wurden, ist allgemein bekannt. Aber wurden sie ungebracht, weil sie Freimaurer waren? Diese drei Fälle sollen zuerst dargestellt werden.

Julius Leber

Julius Leber war Reichstagsabgeordneter und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Leber gehörte zur Zeit der Weimarer Republik dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. 1921 wurde Leber Chefredakteur des sozialdemokratischen „Lübecker Volksboten“ und war in der Zeit von 1921 bis 1933 Mitglied der Lübecker Bürgerschaft. 1940 suchte er Kontakt zur Wehrmachtsführung und lernte Claus Graf Schenk von Stauffenberg kennen. Er hatte in der Folgezeit Kontakt zu Carl Friedrich Goerdeler und zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke. Leber wurde bereits am 5. Juli 1944, also vor dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944, von der Gestapo verhaftet. Am 20. Oktober fand vor dem Volksgerichtshof ein Schauprozess gegen Leber, Adolf Reichwein, Hermann Maaß und Gustav Dahrendorf statt. Leber wurde zum Tode verurteilt, das Urteil wurde am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee vollstreckt. Julius Leber war Mitglied einer Loge der Großloge „Zur aufgehenden Sonne“ (FzaS). Er wurde nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Freimaurerei, sondern als Widerständler zum Tode verurteilt.

Wilhelm Leuschner

Wilhelm Leuschner war Gewerkschafter und sozialdemokratischer Politiker. Im April 1933 wurde Leuschner zum Rücktritt von seinem Amt als hessischer Innenminister gezwungen. Da er als Gewerkschaftler die von Robert Ley, dem Leiter der „Arbeitsfront“ geforderte Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten verweigerte, wurde er im Mai 1933 inhaftiert, wieder entlassen und im Juni 1933 erneut inhaftiert, misshandelt und in das Konzentrationslager Börgermoor im Emsland deportiert.

Nach seiner Entlassung im Juni 1934 aus dem Konzentrationslager begann er mit dem Aufbau eines Widerstandsnetzwerks. Er unterhielt Kontakte zum Kreisauer Kreis und ab 1939 auch zur Widerstandsgruppe von Carl Friedrich Goerdeler, die 1944 das Attentat auf Hitler mit vorbereitete. Er wurde danach vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt.

Am 29. September 1944 wurde Wilhelm Leuschner in Berlin-Plötzensee erhängt. Er war Mitglied der Freimaurerloge „Johannes der Evangelist zur Eintracht“ in Darmstadt. Er wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft zur Freimaurerei, sondern als Widerstandskämpfer hingerichtet.