Zwei Jahrhunderte Ungarische Maurerei – eine Achterbahn

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Dreimal durch die Wüste ...
Doch seit 1989 geht es langsam aufwärts

Der folgende Text ist eine Zeichnung (= Logenvortrag) aus dem Jahr 2017 des ungarischen Freimaurers B.A. alias ‘Globetrotter 54’. Den Text entnahmen wir dem österreichischen Freimaurermagazin ECKSTEIN (Nr. 78/2018). Dessen Herausgeber ist „Perpetuum Mobile“, einer interobödenziellen Lehr- und Forschungsloge für Männer und Frauen in Wien. Wir danken dem Autor für die Genehmigung, seinen Vortrag hier wiedergeben zu dürfen.

Siehe auch: Ungarn




Erlaubt mir, meine Ausführungen mit einem Kalauer zu beginnen: Alles hat einmal ein Ende, nur die Wurst hat zwei – die ungarische Freimaurerei aber deren vier. Damit ist das wesentliche meines historischen Überblickes schon vorweggenommen, aber gehen wir doch etwas mehr ins Detail, wie es zu dieser wechselhaften Geschichte kam.

1749 bis 1795: Die Anfänge und das erste Ende

Bereits 1749 wurden die ersten beiden Logen in Kronstadt/Siebenbürgen gegründet (ungarisch Brassó - Siebenbürgen gehörte bis zum Vertrag von Trianon 1920 zu Ungarn; rumänisch Brașov), und zwar unter der Ägide der Berliner Loge „Einheit der 3 Weltkugeln”. Die zwei Logen nannten sich: „Zu den 3 Säulen” (symbolisch) und „Zu den 4 Monden” (schottisch). 
 Danach gab es wie überall in Europa Gründungen in allen möglichen Systemen, auch Rosenkreuzer, Illuminaten etc. Grundsätzlich war aber die ungarische Freimaurerei von Berlin und Wien aus dominiert.

Dies war Graf Draskovich und Graf Niczky (beide kroatische Adelige) ein Dorn im Auge – sie wollten ein genuin ungarisches System aufbauen und vereinten zu diesem Zweck 1775 vier Logen, denen sich immer mehr zugesellten. Das System – die „Draskovic-Observanz” – enthielt für wichtig gehaltene Teile aus den meisten damals bekannten Systemen. Jedenfalls war sie eindeutig egalitär-aufklärerisch ausgerichtet, sie legte Wert auf Volksbildung und gesellschaftlichen Fortschritt.

Die Unabhängigkeit zumindest von der österreichischen Freimaurerei, wenn nicht von Österreich überhaupt, wurde angestrebt. Deshalb wurde zum Beispiel anfangs auf lateinisch, später auf ungarisch und kroatisch gearbeitet – „alles, nur nicht deutsch”. Als Ritual wurde aber im wesentlichen weiterhin jenes der Zinnendorf’schen Strikten Observanz verwendet, so wie damals auch in Wien.

Wie in Wien war auch in Ungarn die Freimaurerei (und damit die Draskovich-Observanz) „die eigentliche Trägerin der Reformtätigkeit Josephs II. und Leopolds II., doch da sie mit ihrem bürgerlichen Gleichheitsideal die überkommene Gesellschaftsstruktur in Frage stellte, forderte sie indirekt auch die Herrschaftsstruktur des Absolutismus heraus.”
Auf die Spitze getrieben wurde dieser Aspekt durch die fast durchwegs aus Freimaurern bestehenden zwei Gesellschaften, die der durchaus merkwürdige und schillernde Jesuitenpater Ignác Martinovics 1794 gegründet hatte, davon eine „nur” zur Loslösung Ungarns von der Habsburgermonarchie, die andere, radikaldemokratische, zur nachfolgenden Transformation Ungarns zur bürgerlichen Demokratie. Diese als ungarischer Teil der „Jakobinerverschwörung” bekannte Bewegung fand ihr Ende am 20. Mai 1795 auf der (danach so benannten) „Blutwiese” in Buda, wo Martinovics mit 6 anderen führenden Mitgliedern geköpft wurde. Dies war der Anlass (und zweifellos auch grossteils der Grund) für das Edikt Franz II., mit dem er noch im Sommer 1795 in der gesamten Monarchie alle Geheimgesellschaften und damit auch die Freimaurerei verbot. Wir haben also das „erste Ende” der Freimaurerei in Ungarn erreicht – in diesem Fall noch parallel mit dem der österreichischen Freimaurerei.

1795 bis 1867: Die erste Wanderung durch die Wüste

Natürlich gab es in den folgenden 70 Jahren der Finsternis im Schatten der Illegalität zumindest im privaten weiterhin maurerische Betätigung, kurzfristig während der Revolution 1848 sogar zwei Logen in Ungarn, aber das war alles nur „kleines Licht”. Man bemühte sich, mit Freimaurern in Deutschland und Frankreich in inoffiziellem Kontakt zu bleiben.

1867 bis 1920: Das Goldene Zeitalter

Ein historisches Foto des ehemaligen Großlogenhauses in der Podmaniczky Gasse 45: ganz oben am Spitz mehrere Freimaurerzeichen.
Die Freimaurerzeichen am Giebel in Großaufnahme.
Ferenc Pulszky: Ungarischer Politiker und erster Grossmeister der 1870 gegründeten 'Grossloge von Ungarn' (später: 'Symbolische Grossloge von Ungarn').
Die Karikatur zeichnete 1872 Jankó János.
Mihály Károlyi hält 1918 eine Rede vor dem Parlament. Nach dem Ende des Habsburgerreiches rief er die Republik Ungarn aus. Doch seine Regierung währte nur kurz; Anfang 1919 folgte ihr die ebenfalls kurzlebigen kommunistischen Räterepublik, die das Verbot der ungarischen Logen einleitete.

Kurz nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich Ende 1867, mit dem Ungarn eine unabhängige Gesetzgebung erhält, „testet” das Parlament gleich, ob man wirklich unabhängig ist, und hebt Anfang 1868 in einem neuen Vereinsgesetz alle Dekrete von Joseph II. und Franz II. betr. die Freimaurerei auf.

Das ist der Startschuss zu einem Erfolgslauf sondergleichen: 
Aus dem Nichts entstehen bereits in den ersten zwei Jahren 18 Logen in Ungarn, davon zehn Johannislogen und acht schottische Logen. Dabei tut sich auch ein gewisser Ludwig Lewis hervor, der gleich drei Logen gründet (Budapest, Sopron, Temesvár). Dass er geichzeitig ein skrupelloser Spitzel der k.u.k. Behörden ist, steht auf einem anderen Blatt..

1870 und 1871 werden hintereinander die MJNP, also die Ungarische Johannis-Großloge, und der MNO, der Ungarische Grossorient, gegründet. 1877 haben sie schon 1000 bzw. 750 Mitglieder. Vom ersten Augenblick an arbeitet man an einer Vereinigung der beiden. 1886 ist es so weit: Die MSzNP entsteht, die Magyar Szimbolikus Nagypáholy - die Symbolische Großloge von Ungarn. Anfangs gehören ihr 26 Johannislogen und 13 schottische Logen an. Erster Großmeister ist Ferenc Pulszky, zuvor Großmeister der Johannis-Großloge. Für die nächsten dreißig Jahre ist dies eindeutig die bedeutendste Freimaurer-Organisation in Mittel- und Osteuropa., und durch die Grenzlogen auch die Heimat der österreichischen Maurer.

Das gemeinsame Ritual für den Ersten Grad ab 1886 basiert auf dem Beigel-Ritual der Grenzloge „Zukunft“ aus 1874 mit starkem „französischen” Einfluss, ein durchaus wesentlicher Aspekt für die schottischen Logen. Danach folgen innerhalb kurzer Zeit der 2. und der 3. Grad. Diese Rituale werden in Ungarn im wesentlichen bis heute verwendet, bis auf leichte sprachliche Modernisierungen. 
 Natürlich git es zwischen den Logen in Hinsicht auf ihre gesellschaftliche Ausrichtung teils gravierende Unterschiede und viele Diskussionen, aber grundsätzlich herrscht Einigkeit über die politischen Ziele der ungarischen Freimaurerei:

  • Trennung von Kirche und Staat
  • Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts
  • Ausdehnung der bürgerlichen Freiheitsrechte auf alle Staatsbürger
  • Unentgeltlicher Schulunterricht

  • Reform des Bildungswesens
  • Beseitigung der Arbeitslosigkeit

Die auch innere Liberalität der ungarischen Freimaurerei zu dieser Zeit wird durch eine ablehnende Stellungnahme des Großlogen-Bundesrates (SzT) aus 1899 illustriert auf den Antrag einer Loge, andersartige Großlogen (etwa konfessionelle etc.) nicht anzuerkennen: „Die Ungarische Großloge sucht in der Freimaurerei nicht das, was trennt, sondern das, was vereint. Ausserdem empfindet sie keine Berufung, andere Großlogen (ohne deren vielfältige erfolgreiche freimaurerische Arbeit zu betrachten) wegen einer Meinungsverschiedenheit, und sich auf die Position der Infallibilität setzend, mit einem Anathema (also mit Acht und Bann) zu belegen. Es ist unsere maurerische Pflicht, die tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler von Individuen und Vereinigungen zu verzeihen, angesichts der auch vorhandenen noblen und guten Eigenschaften”.

Ähnlich wie in Wien, schaffen auch in Ungarn in dieser Zeit die Freimaurer eine Unzahl von mehr oder weniger karitativen Einrichtungen (etwa 40 bis 50), etwa die allgemeine Rettung, Armenausspeisung, Blindeninstitut, Schulen für Arme etc. , alle im Zusammenhang mit ihrer grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Vorstellung. Ein Ausdruck des Reichtums und der Macht der Freimaurerei ist auch 1896 die Errichtung des Logenhauses in der Podmanitzky-Straße in Budapest (nomen est omen: unter dem Großmeister namens Neuschlosz!). Das Gebäude sollte später allerdings noch öfter den Besitzer und Verwender wechseln, und bis heute ist es ein grosses Thema bei den ungarischen Freimaurern.

Ab etwa 1890 beginnen sich um den Schriftsteller Elek Benedek und den Politiker und Soziologen Oszkár Jászy einige hundert Radikaldemokraten zu sammeln, hauptsächlich Intellektuelle, Klein- und Mittelbürger, oft Juden. Sie konzentrieren sich in den fünf Logen „Demokratie“, „Minerva“, „Martinovics“, „Eötvös“ sowie „Comenius“ und arbeiten etwa ein Programm für die bürgerlich-demokratische Umgestaltung der noch von Feudalherren dominierten ungarischen Gesellschaft aus – das Konzept reicht bis zur Aufteilung der Monarchie in einen Bund demokratischer Staaten. Man beachte die Parallelen zu den Vorgängen 1780-95 (Draskovich, Jakobiner)! Auch wenn es sich wohl nur um etwa 300 Brüder handelt (also ca. zehn Prozent der 45 Logen und 3000 Brüder um 1900), und viele in den Johannislogen das alles etwas skeptisch beäugen, wird die Richtung von der Großloge mitgetragen. Es ist gar kein Geheimnis, dass auch zehn Prozent der Abgeordneten im ungarischen Parlament Freimaurer sind. Während des Ersten Weltkrieges gehen diese Demokratisierungsbestrebungen schaumgebremst weiter, die Großloge konzentriert sich aber auf Aktivitäten zur Erreichung des Friedens, nicht zuletzt durch Ausnutzung des internationalen Kontaktnetzes.

Der Zustrom zu den Logen geht unverändert weiter. 1914 gibt es In Ungarn 126 Logen mit rund 13.000 Brüdern. Über die maurerische Qualität gibt es aber wenig Aussagen, dies würde eine tiefergehende Studie erfordern.

Zum Ende des Ersten Weltkriegs im Oktober 1918 spielen die Freimaurer eine grosse Rolle in der bürgerlich-demokratischen „Astern-Revolution”. Oszkár Jászi als Vorsitzender der Radikalen Bürgerpartei wird Minister in der Regierung Mihály Károlyi, die sich aber nur wenige Monate hält.

Die darauf folgende kommunistische Räterepublik unter Béla Kún verbietet die Freimaurerei am 22. März 1919 - einen Tag nach Machtergreifung und einen Tag nach der letzten Rezeption der Loge Comenius. Sie versteht die Logen „als Vertreter der Bourgeoisie”. Abgesehen von der Requirierung des Logenhauses für eine Gewerkschaft kommt die Räterepublik aber nicht mehr wirklich dazu, das Verbot umzusetzen, da nach dem ungarisch-rumänischen Krieg die siegreichen Rumänen Ende Juli die Räterepublik beenden und stattdessen das faschistische Regime Horthy einsetzen - ein Königreich ohne König, dafür Horthy als sogenannter „Reichsverweser”.

Die verzögerte Umsetzung des Verbots hat auch damit zu tun, dass in einer beispiellosen Terrorwelle (dem sogenannten „weissen Terror”) zunächst alles sozialistische liquidiert wird. Erst im Mai 1920 erinnert man sich nebst der Requirierung des Logenhauses für den reaktionären Offiziersverband „Move” daran, dass es da ja auch diese ebenfalls „schädlichen“ Freimaurer gibt, die zwar nicht zu liquidieren, aber zu verbieten sind. Und so kommt das dritte Ende der ungarischen Freimaurerei durch ein Dekret von Innenminister Dömötör, in dem als Begründung behauptet wird, „die Freimaurer hätten Politik betrieben, versucht, die Macht im Staat an sich zu reissen, den Krieg heraufbeschworen, während desselben den Defaitismus geschürt, beim Entfachen der Revolution und des Bolschewismus anhaltende Unterminierarbeit verrichtet”.

1920 bis 1945: Die zweite Wanderung durch die Wüste

Nun ist die Freimaurerei nicht nur verboten, durch den Vertrag von Trianon 1920, in dem Ungarn zwei Drittel seines Territoriums verliert (Kroatien, Siebenbürgen, Slowakei, Vojvodina, Ciskarpatien), sind plötzlich die meisten ungarischen Maurer „im Ausland”. Die ehemaligen 14 österreichischen Grenzlogen werden nun zur Basis der sich neu formierenden Großloge von Österreich. Diese gibt die langjährige Hilfe durch die ungarische Freimaurerei nun zurück, indem sie den ungarischen Maurern Rückhalt und Arbeitsmöglichkeiten bietet.

Trotz des Verbots in Ungarn gibt es zwar keine anerkannten Logen, aber viele maurerische Aktivitäten und Vereine, auch neue Brüder werden aufgenommen, zunächst in den Wiener und Pressburger Logen, ab 1934 in der unter der Großloge von Österreich gegründeten ungarischsprachigen Loge „In Labore Virtus”.

Die Absurdität des Freimaurer-Verbots zeigt sich unter anderem Ende der 1920iger Jahre, als eine Delegation des Horthy-Regimes für Verhandlungen in die USA fährt und die (ja offiziell gar nicht existierenden) ungarischen Freimaurer ersucht, sich an der Delegation zu beteiligen, um so die gute internationale Vernetzung der Freimaurer auszunützen. Im nunmehr rumänischen Klausenburg (Cluj) gibt es sogar eine Provinzial-Grossloge für die ungarischen und deutschen Logen in Siebenbürgen. Insofern ist diese Phase zwar eine Wüstenwanderung, aber mit häufigen Oasen, die ungarische Freimaurerei wird also nicht völlig aufgerieben.

Ab 1938 war aber endgültig und wirklich Schluss – die Nazis und ihre Verbündeten sprachen auch in Österreich, der Tschechoslowakei und in Rumänien das Freimaurer-Verbot nicht nur aus, sondern setzten es auch durch.

1945 bis 1950: Erstaunlicher Rebound

Schon am 16. März 1945 gibt es nach dem Abzug der Hitler-Armee eine erste Logen-Arbeit mit 76 Brüdern, die über die Zeitungen zusammengerufen werden. Einen Monat später wird die Freimaurerei gesetzlich erlaubt, und die Großloge MSzNP unter dem ersten Großmeister Supka startet mit 6 Logen. Die Geschwindigkeit ist erstaunlich: Alle paar Tage werden Logen gegründet, geteilt, wieder schlafen gelegt. 1950 sind es dann 22, mit etwa 2000 Brüdern. Das Logen-Haus wird der Großloge rückerstattet und mit finanzieller Hilfe aus dem Ausland renoviert, vor allem von der Loge Ehlers in New York mit vielen ungarischen Brüdern. Trotz der traurigen finanziellen Verhältnisse der meisten Mitglieder gibt es wieder philantropische Tätigkeit, die allerdings vor allem nach innen, auf die eigenen verarmten Brüder und Witwen gerichtet ist. Eine grosse Rolle spielen dabei die Schwestern, die in diversen Vereinigungen laufend „Events” organisieren und damit etwas Geld einnehmen für den Sack der Witwe. 


Bei dieser Gelegenheit ein kurzer Exkurs zum Thema „Frauen in der Freimaurerei in Ungarn”: Schon 1875 hatte die Loge Gleichheit in Ungvár (Uzhgorod), die unter dem MNO/Grossorient arbeitete, Helene Hadik-Barkóczy aufgenommen. Der Grossorient hat das aber mit einem Veto belegt, obwohl sich erstaunlicherweise Großmeister Pulszky von der Johannis-Großloge für diese Aufnahme ausgesprochen hatte. Danach gab es lange keine diesbezüglichen Aktivitäten. Mitte 1948 wird allerdings in Budapest ein Grosskapitel des seit 1850 in den USA bestehenden „Order of the Eastern Star” mit fünf Kapiteln gegründet. Dieser Orden ist „semi-maurerisch” organisiert, mit mindestens einem Bruder Meister pro Kapitel. Die gesamte Prominenz der ungarischen Freimauer ist an dieser Gründung beteiligt, zur Generalsekretärin wird Mária Rónay, die Geliebte des Großmeisters Supka, gewählt. Dieses Grosskapitel ist der wesentliche organisatorische Rahmen für die philantropischen Aktionen der Schwestern nach dem Krieg.

Die Großloge MSzNP wird anfangs von der Grande Loge de France und der dänischen Großloge anerkannt, dann in die A.M.I. (Association Maçonnique Internationale) aufgenommen. Die englische UGLE verweigert allerdings die Anerkennung, weil sie offenbar keine diplomatischen Probleme mit Russland haben will.

Das masonische Leben in Ungarn ist intensiv und hochqualitativ – und zwar philosophisch, philantropisch und wieder auch progressiv. Es gibt laufend sehr hochwertige Baustücke, die freimaurerischen gesellschaftspolitischen Einstellungen werden durch Großloge und die Logen nach aussen getragen, etwa durch Bücher, die gratis an Lehrer und Beamte verschickt werden, sowie allerlei Aktivitäten für und mit der Jugend und der Arbeiterschaft. Als Mitglieder sind allerdings Arbeiter und Bauern kaum sichtbar, wohl aber viel wissenschaftliche, kulturelle und politische Prominenz – etwa auch der Budapester Bürgermeister, selbst stellvertretender Vorsitzender der Bürgerlich-demokratischen Partei und Abgeordneter.

Ab 1948 wird aber immer klarer, dass die Freimaurerei durch die Kommunisten abgelehnt wird, die Situation wird zunehmend schwieriger (trotz der sehr ähnlichen Abkürzungen MSzNP versus MSzMP- Ungar.Sozialistische Arbeiterpartei ...) bis zum endgültigen Verbot am 12. Juni 1950 durch Innenminister János Kádár (wegen „laufender Kontakte mit dem imperialistischen Westen”). „Natürlich” wird auch das Logenhaus wieder einmal requiriert.

Dies ist also das vierte Ende der Freimaurerei in Ungarn. Es kann sich die Frage stellen, ob das gesellschaftspolitische Engagement, mit Ausflügen in die Tagespolitik, genauso wie 1795 und 1919/20 den Keim des späteren Verbots in sich trug. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass in all diesen Fällen das Verbot ohnehin und in jedem Fall ausgesprochen worden wäre.

Der junge Marcell Benedek, später war er der letzte Großmeister in der kurzen Übergangszeit nach dem Zweiten Weltkrieg bevor das kommunistische Regime die Logen wieder verboten hat.

Der Großmeister seit 1948, Marcell Benedek, sagt dazu in seiner von Bitternis getragenen Rede vom 1. Jänner 1950: „Einst wollten wir die Welt beglücken. Wir mussten aber einsehen, dass man das mit weiß behandschuhten Händen nicht kann. Es ginge mit solchen Kämpfen einher, an denen Brüder einzeln für sich teilnehmen können, aber die Freimaurerei als solche und ganze ist dazu nicht fähig. Also beglücken wir die Menschen nicht – sondern lieben wir sie nur!”.

1950 bis 1989:
Die dritte Wanderung durch die Wüste

Die Freimaurerei ist zwar rechtlich nicht existent, aber durchaus – schaumgebremst und privat – aktiv. Die Aufgabe zusammenzuhalten, was möglich ist, werden von Großmeister Marcell Benedek, dann von den Brüdern Takács und Simon erledigt und koordiniert, also:

  • Kontakte zum Ausland
  • Soziale Aufgaben, etwa Witwenbetreuung mit starker Hilfe v.a. durch Bruder Szász Géza aus Wien
  • Bewahrung der Materialien und Traditionen
  • Regelmässige Zusammenkünfte, meist in Wohnungen
  • Suche nach und Aufnahme von neuen Brüdern (dies wird vor allem in den Logen Gleichheit/Wien, Pylon zur Leuchte/Ludwigshafen und Martinovics/Paris gemacht), obwohl in Ungarn darauf 3 Jahre Gefängnis stehen
  • Gründung von fünf ungarischen Logen im Ausland: 1956 Martinovics/Paris, Resurrekcio/Sao Paolo, 1960 Kossuth/Buenos Aires, 1974 Toronto, 1987 Helikon/Wien. Diese haben nebst Sammlung der ungarischen Brüder in der Diaspora auch die Aufgabe, das unveränderte Ritual zu bewahren und die daheimgebliebenen Brüder zu unterstützen
  • Rituelle Tempelarbeiten gibt es ausser bei den erwähnten auch bei der Loge Gleichheit in Wien und Breitenbrunn

1989 bis 2017: Neubeginn ... diesmal ohne Ende?

Im Frühjahr 1989 erscheint in Ungarn ein neues Vereinsgesetz, das eine organisierte Freimaurerei wieder ermöglicht. Zunächst aber werden die Logen Árpad, Deák, Galilei wiedergegründet und die Loge Egyenlőség (= Gleichheit - als Dank für die große Unterstützung durch die Loge Gleichheit zu Wien) neu gegründet, alle unter dem Schutz der Großloge von Österreich.

Parallel wird eine Konstitution ausgearbeitet und im August 1989 eine Gründungsversammlung von 50 Brüdern abgehalten, worauf die Eintragung ins Vereinsregister folgt.

Am Johannistag im Dezember 1989 übergibt im Rahmen einer grossen Zeremonie im Hotel Intercontinental der österreichische Großmeister Franz Hausner den Hammer an den neuen Ersten Ungarischen Großmeister István Galambos. Dies gilt nicht als neue Lichteinbringung, sondern als Wiedererweckung.

Im Unterschied zu 1945 gelingt diesmal recht bald die Anerkennung durch die Engländer, was aber umgehend zur Wiedergründung des MNO (Ungarischen Grossorient) führt, da viele Brüder mit der nun eindeutig „englischen” Linie der MSNP nicht einverstanden sind – also ein ähnlicher Ablauf wie in den 1950iger Jahren in Österreich.

Neben den vier Gründungs-Logen (Universum, Jászi, Humanitas, Leonardo) gehören heute zum MNO noch die französischsprachige Loge Rákóczi Ferenc, die Loge Zsolnay in Pécs sowie die 2006 aus der Grand Loge de France wieder entlassene Martinovics. Zwei andere Logen wurden vor zehn Jahren wieder schlafen gelegt.

Darüber hinaus gibt es seit 1991 die Frauen-Loge „Napraforgó“ (Sonnenblume) unter der Grand Loge Féminine de France, sowie seit 1991 die Loge „Toleranz und Brüderlichkeit” des gemischten Droit Humain.

Alle diese „französischen” Logen haben zusammen etwa 270 Mitglieder, während es die nunmehr fünfzehn Logen der englisch orientierten Johannis-Großloge auf 400 bringen – also nach fast 30 Jahren noch nicht einmal so viele wie 1947 nach nur zwei Jahren der „Wiederbetätigung”!

In Budapest arbeiten die Logen heute in in verhältnismäßig einfachen Räumlichkeiten (Foto 2016).

An Ritualen wird auch innerhalb der Johannis-Großloge neben dem alten ungarischen Ritual auch das klassisch-französische, das Oxford-Ritual des Emulationsritus und das Ritual der Großloge von Österreich von je einer Loge bearbeitet; zwei Logen arbeiten nach dem Alten und Angenommenen Schottischem Ritus.

In den Logen des MNO, der Frauenloge und der gemischten Loge werden französische und schottische Rituale eingesetzt.

Sowohl die Johannis-Großloge, die in Sachen Anerkennung anderer maurerischer Richtungen fast päpstlicher als der Papst - sprich die UGLE- ist, als auch der MNO enthalten sich sehr strikt öffentlicher, als politisch zu verstehender Aussagen und Aktivitäten – wohl eingedenk der in der Geschichte mehrmaligen schlimmen Folgen für die ungarische Freimaurerei. „Nur nicht auffallen” ist das Grundmotto – vielleicht ist dies aber auch einer der Gründe für die sehr schleppende Entwicklung der neuen ungarischen Freimaurerei, die nunmehr nicht progressiv, kaum philantropisch (nur das Blindeninstitut wird noch immer unterstützt), aber auf sehr hohem Niveau philosophisch ist.

Ich möchte meine Zeichnung mit dem ziemlich altertümlichen Wort beenden, das in Ungarn seit 270 Jahren bis heute jeder Wortmeldung in offener Loge folgen muss :

SZÓLOTTAM – ich habe gesprochen.




Verwendete Literatur

  • Sumonyi Papp Zoltán: Újrafelfedett titok. A magyarországi szabadkőművesekről (Wiederentdecktes Geheimnis. Über die ungarischen Freimaurer), Talentum 1998/2008
  • Péterfy Gergely: Hintergrundmaterial zum Roman „Der ausgestopfte Barbar”, Dissertation 2009
  • L. Nagy Zsuzsa: Szabadkőművesség a XX. században (Freimaurerei im 20. Jhdt.), Kossuth 1977
  • Kelet (Osten , Zeitschrift der Symbolischen Großloge Ungarns): 2000/1, 2006/1+2, 2008/1
  • Quatuor Coronati-Berichte, Heft 14, 1994: Ungarns langer Weg durch die Wüste – Beiträge zu einem Symposion 1992 in Budapest
  • Quatuor Coronati Berichte – Wiener Jahrbuch für historische Freimaurerforschung – 36/2016, Löcker-Verlag
  • Lennhoff Eugen/Posner Oskar, Internationales Freimaurerlexikoon, Wien, 1932
  • Diverse Internet-Quellen (Homepages von Großlogen und Logen, Wiki, Freimaurerblogs)


Siehe auch