Deutsche und österreichische Freimaurerforscher: Unterschied zwischen den Versionen
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− | + | Rezension: Helmut Reinalter (Hrsg.), Deutsche und österreichische Freimaurerforscher, Interdisziplinäre Forschungen 28. innsbruck university press 2016, 226 Seiten, 29,90 Euro. | |
+ | [[Helmut Reinalter]]s Privatinstitut für Ideengeschichte, das er in Zusammenarbeit mit dem Institut der Geschichtswissenschaften und Europäischen Ethnologie der Universität Innsbruck betreibt, stellt eine Einzigartigkeit in der europäischen Freimaurerforschung dar. | ||
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+ | Über Entstehung und Aktivitäten des Instituts gibt der Herausgeber in seinem einleitenden Kapitel über Freimaurerische Forschungsperspektiven in Europa einen kurzen Überblick. Damit das Jubiläumsjahr 2017 nicht im Eigenlob der zahlreichen Großlogen - vor allem der Londoner Großloge - erstickt, liegt nun auch rechtzeitig erschienen in repräsentativer Auswahl eine Würdigung namhafter Freimaurerforscher vor, die Reinalter mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Instituts redaktionell betreute und herausgegeben hat. Die 15 vorgestellten Masonologen aus Deutschland und Österreich vom 18. bis ins 21. Jahrhundert sind in ihrer Bedeutung unbestritten, wenngleich sie äußerst verschiedene Theorien über Freimaurerei vertreten. | ||
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+ | Im Einzelnen befasste sich Heinz-G. Macherey mit [[Wilhelm Begemann]] (1843-1914); Thomas Forwe und Klaus-Jürgen Grün mit [[Bernhard Beyer]] (1879-1966) sowie [[Joseph Gabriel Findel]] (1828-1925) und [[Alfred Schmidt]] (1933-2012); Andreas Önnerfors mit [[Heinrich Boos]] (1851-1917); Peter Volk mit [[Wilhelm Ludwig Keller]] (1849-1915) und [[Friedrich Kneisner]] (1860-1937); Everhard P. Kwaadgras (Übersetzung von Jan AM Snoek) mit [[Georg Burkhard Kloss]] (1787-1854); Claus Dierksmeier mit [[Karl Christian Friedrich Krause]] (1781-1832); Helmut Reinalter mit [[Eugen Lennhoff]] (1891-1944); Reinhard Markner mit [[Johann Friedrich Ludwig Theodor Merzdorf]] (1812-1877); Karlheinz Gerlach mit [[Christian Karl Friedrich Wilhelm Freiherr von Nettelbladt]] (1779-1843); Claus Oberhauser mit [[Ferdinand Runkel]] (1856-1946?); Thomas Richert mit [[Gustav Adolf Schiffmann]] (1814-1883); Dieter A. Binder mit [[Hans Wagner]] (1921-1990). | ||
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+ | Reinalters Engagement für die Geschichte der Freimaurerei zeigt sich auch in diesem Sammelband als eine für die Freimaurerei unverzichtbare Leistung. Die aufklärerische Arbeit des Herausgebers und der Autoren wird manche Leistung glänzend in ein neues Licht rücken, aber auch Ideologien zum Einsturz bringen und manches Vorbild entthronen. | ||
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+ | So ist es Claus Oberhausen zu danken, dass er klarstellt, wie sehr Ferdinand Runkels Geisteshaltung sich auch aus der Verherrlichung der deutschen Kolonialgeschichte (S. 170) speist und dass sein dreibändiges Werk über die Geschichte der deutschen Freimaurerei – vollkommen konträr zu seiner Selbsteinschätzung, er sei „objektiv“ – der rein subjektiven und einseitigen Auffassung einer nationalistisch und dogmatisch-christlich festgelegten Freimaurerei entspringt. Nicht allein seine ausdrücklich auf Metaphysik gegründete Auffassung von Freimaurerei, vor allem seine „nationalistisch-vaterländische Argumentation“ (S. 171) macht das Buch zu einem Problem für die Freimaurerei. Denn, wie Oberhausen unmissverständlich zusammenfasst, „Runkel meint, dass die deutsche Freimaurerei ‚der deutschen Menschheit‘ zu dienen habe, ‚denn wir sind deutsch, wir sprechen deutsch, wir fühlen deutsch und wir beten deutsch. Deutsch sein heißt volkstümlich sein, darum muß auch dies Werk ein volkstümliches Werk sein.‘ (Ebd.) | ||
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+ | Die Vereinigten Großlogen von Deutschland werden es sich nun genau überlegen müssen, ob durch die Mitgliedschaft der Großen Landesloge von Deutschland aufgrund ihrer Hochachtung vor Ferdinand Runkel und dessen Freimaurergeschichte - die sie beharrlich empfehlen - überhaupt noch die Kriterien der Regularität erfüllt sind, wenn wir über Runkel erfahren, „dass die englische Form der Freimaurerei überlebt sei und es nun der deutschen obliegt, auf die Feinde des Bundes zu reagieren.“ | ||
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+ | Es wird den Leser erfreuen, den am meisten zitierten Freimaurerforscher [[Eugen Lennhoff]] näher kennenzulernen. Reinalter selbst hat sich dem Schweizer Journalisten und Schriftsteller gewidmet, dessen Wirken ihn unter anderem nach Wien führte. Lennhoff trat auch beruflich für antinationalistische Richtungen ein und wurde allein deswegen schon als Chefredakteur der beiden wichtigsten Wiener Tageszeitungen verfolgt. Sein Engagement gegen Totalitarismus, den er vor allem von London aus bekämpfte, zeigt ihn als Freimaurer, der in eine offene Zukunft blickt. Offen ist auch sein Blick auf die Geschichte der Freimaurerei gewesen, die er in seinem 1928 erschienen Buch '''Die Freimaurer''' darstellte. Die Geschichte der Freimaurerei ist für ihn, wie Reinalter hervorhebt, „nicht nur die historische Entwicklung der Logen und Großlogen, sondern gleichermaßen auch eine Geschichte ihrer Gegner und Feinde.“ (S. 114) Seine Darstellung politisch einflussreicher Geheimbünde gibt ihn ebenfalls als einen entschiedenen Verfechter des Humanitätsgedanken zu erkennen. (S. 118 f) In seinem gemeinsam mit [[Oskar Posner]] verfassten Internationalen Freimaurer-Lexikon setzte sich gleichwohl seine Fähigkeit zu sachlicher Objektivität weitgehend durch. „Lennhoff vertrat immer die Auffassung“, beschließt Reinalter seine Darstellung, „dass die freimaurerische Geschichte nicht ausschließlich ein Phänomen der Vergangenheit ist, sondern ein wichtiger Baustein für das bessere Verständnis der Gegenwart.“ (S. 121) | ||
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+ | Leider existieren in der Geschichte der Freimaurerforscher kaum Darstellungen des Gründers der deutschen Forschungsloge Quatuor Coronati [[Bernhard Beyer]], so dass ich Reinalter dankbar bin, dass er einen ausführlichen Beitrag über Beyer vorgesehen hatte, den ich gerne mit Thomas Forwe verfasst habe. Während die Schriften Beyers Maßstäbe setzten in der Bedeutung humanitärer Freimaurerei und seine mutige Kritik sowohl am [[Freimaurerorden]] als auch dessen leichtfertigen Anerkennung durch die Gründer der Vereinigten Großlogen von Deutschland ist er weitaus weniger bekannt als etwa Runkel, Findel, Krause und andere. | ||
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+ | Mit seinen Schriften zum esoterischen Charakter der Rosenkreuzer und seiner detaillierten Geschichte der Großloge Zur Sonne stellt er einen der wichtigsten Pfeiler der Freimaurerforschung in Deutschland dar. Ein beachtlich großer Teil seiner Manuskripte ist noch unveröffentlicht. In ihnen dokumentiert er vor allem anhand der Briefwechsel zwischen der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland und den Vertretern des [[Freimaurerorden]]s bislang ungeahnte Denunziationen und verräterischer Aktivitäten der Großen Landesloge von Deutschland gegenüber den humanitären Freimaurern. | ||
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+ | „Die skrupellose Weise, in der sich die GLL dem Nationalsozialismus als Verbündeten anbot, fasst Beyer mit einem Satz zusammen: ‚Nicht uns müsst ihr angreifen, sondern einzig und allein die humanitäre Freimaurerei, denn die ist tatsächlich pazifistisch internationalistisch:‘“ (S.29) Diesen Charakter, der sich nicht nur als eine Ausnahme zu erkennen gibt, war dann auch der Grund für Beyers radikale Ablehung der christlichen Freimaurerei. „Als Großmeister der Großloge ‚[[Zur Sonne]]‘ fordert Bernhard Beyer unmittelbar nach dem letzten Krieg, allen Kontakt zu den früheren altpreußischen Großlogen abzulehnen, bis sie von sich aus eine Aufarbeitung ihrer Taten begonnen hätten. | ||
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+ | Stattdessen aber folgten 1950 verharmlosende Erklärungen wie etwa: ‚Man sollte endlich einmal die Akten über jene in jeder Hinsicht traurige und verfolgungsreiche Zeit schließen.‘“ (S. 30) | ||
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+ | Mit dem Beitrag von Dieter Binder über [[Hans Wagner]] kommt einer der wenigen österreichischen Forscher in diesem Sammelband zur Geltung. Der 1921 geborene Sohn einer Grazer Arztfamilie wurde nach einem abenteuerlichen Studienweg während des Nationalsozialismus im Frühjahr 1966 als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg berufen. 1964 wurde er in Wien Freimaurer und zeichnete von dort aus vor allem ein kulturgeschichtliches Bild der österreichischen Freimaurerei. „Wagner, auch als Freimaurer von seinen historischen Interessen bestimmt, reaktivierte am 22. Jänner 1965 gemeinsam mit Ernst Schönmann die Forschungsgemeinschaft ‚[[Quatuor Coronati]]‘. Bereits im Jänner 1966 übernahm Wagner die Leitung des Arbeitskreises zur Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert und legte damit jenes Fundament, das die österreichische freimaurerische Forschung klar im 18. Jahrhundert verankern sollte und sie von spekulativer Nabelschau abhielt.“ (S. 213 f) | ||
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+ | Wenn wir 2017 mit den Augen der [[Großloge von London]] auf die Freimaurerei schauen, verkleinert sich die Rolle der Forschung von Jahr zu Jahr. Wer aber anlässlich des Jubiläums der Freimaurer und der zahlreichen aktuellen Publikationen etwas Bleibendes über Freimaurerei erfahren möchte, wird in diesem verdienstvollen Sammelband sicher eine der gehaltvollsten Arbeiten vorfinden. | ||
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+ | unter Leitung des Herausgebers ein Sammelband zusammengestellt, um die wissenschaftliche Bedeutung ausgewählter deutscher und österreichischer Freimaurerforscher aufzuzeigen und zu würdigen. | ||
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+ | Werk und Wirkung gegliedert. Es handelt sich dabei um eine repräsentative Auswahl, Vollständigkeit konnte nicht angestrebt werden. | ||
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+ | Der zeitliche Rahmen der aufgenommenen Freimaurerforscher reicht vom 18. bis in | ||
+ | das 21. Jahrhundert. Die Bedeutung dieser Forscher für die masonische Geschichtsschreibung ist weitgehend unbestritten, auch wenn diese methodisch und theoretisch sehr verschieden gearbeitet und differente Ansichten über die Freimaurerei entwickelt haben. | ||
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+ | Die ausgewählten Autoren, die die Freimaurerforscher bearbeitet haben, sind masonische Experten und haben ihre Essays quellenfundiert angelegt. Zweifelsohne handelt es sich bei diesem Sammelband um ein wissenschaftliches Desiderat und eine wichtige historiografische Grundlage für weitere masonische Forschungen. | ||
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+ | Der Herausgeber dankt dem Freimaurer-Museum Bayreuth und dem Archiv der Großloge von Österreich für Literaturbeschaffung und den Autoren für ihre Beiträge, die nach dem Geburtsjahr der Freimaurerforscher chronologisch geordnet wurden. | ||
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+ | Franziska Österreicher und Jacqueline Lukovnjak haben die Korrektur- und Schreibarbeiten übernommen und Brigitte Abram hat das Gesamtmanuskript druckreif vorbereitet. Die Bibliografie im | ||
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+ | *[[Netzwerk Freimaurerforschung]] | ||
+ | *[[Freimaurerforschung in Österreich]] | ||
+ | *[[Freimaurerforschung International]] | ||
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+ | [[Kategorie:Bücher]] |
Aktuelle Version vom 26. Februar 2017, 20:13 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Rezension
Rezension: Helmut Reinalter (Hrsg.), Deutsche und österreichische Freimaurerforscher, Interdisziplinäre Forschungen 28. innsbruck university press 2016, 226 Seiten, 29,90 Euro.
Helmut Reinalters Privatinstitut für Ideengeschichte, das er in Zusammenarbeit mit dem Institut der Geschichtswissenschaften und Europäischen Ethnologie der Universität Innsbruck betreibt, stellt eine Einzigartigkeit in der europäischen Freimaurerforschung dar.
Über Entstehung und Aktivitäten des Instituts gibt der Herausgeber in seinem einleitenden Kapitel über Freimaurerische Forschungsperspektiven in Europa einen kurzen Überblick. Damit das Jubiläumsjahr 2017 nicht im Eigenlob der zahlreichen Großlogen - vor allem der Londoner Großloge - erstickt, liegt nun auch rechtzeitig erschienen in repräsentativer Auswahl eine Würdigung namhafter Freimaurerforscher vor, die Reinalter mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Instituts redaktionell betreute und herausgegeben hat. Die 15 vorgestellten Masonologen aus Deutschland und Österreich vom 18. bis ins 21. Jahrhundert sind in ihrer Bedeutung unbestritten, wenngleich sie äußerst verschiedene Theorien über Freimaurerei vertreten.
Im Einzelnen befasste sich Heinz-G. Macherey mit Wilhelm Begemann (1843-1914); Thomas Forwe und Klaus-Jürgen Grün mit Bernhard Beyer (1879-1966) sowie Joseph Gabriel Findel (1828-1925) und Alfred Schmidt (1933-2012); Andreas Önnerfors mit Heinrich Boos (1851-1917); Peter Volk mit Wilhelm Ludwig Keller (1849-1915) und Friedrich Kneisner (1860-1937); Everhard P. Kwaadgras (Übersetzung von Jan AM Snoek) mit Georg Burkhard Kloss (1787-1854); Claus Dierksmeier mit Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832); Helmut Reinalter mit Eugen Lennhoff (1891-1944); Reinhard Markner mit Johann Friedrich Ludwig Theodor Merzdorf (1812-1877); Karlheinz Gerlach mit Christian Karl Friedrich Wilhelm Freiherr von Nettelbladt (1779-1843); Claus Oberhauser mit Ferdinand Runkel (1856-1946?); Thomas Richert mit Gustav Adolf Schiffmann (1814-1883); Dieter A. Binder mit Hans Wagner (1921-1990).
Reinalters Engagement für die Geschichte der Freimaurerei zeigt sich auch in diesem Sammelband als eine für die Freimaurerei unverzichtbare Leistung. Die aufklärerische Arbeit des Herausgebers und der Autoren wird manche Leistung glänzend in ein neues Licht rücken, aber auch Ideologien zum Einsturz bringen und manches Vorbild entthronen.
So ist es Claus Oberhausen zu danken, dass er klarstellt, wie sehr Ferdinand Runkels Geisteshaltung sich auch aus der Verherrlichung der deutschen Kolonialgeschichte (S. 170) speist und dass sein dreibändiges Werk über die Geschichte der deutschen Freimaurerei – vollkommen konträr zu seiner Selbsteinschätzung, er sei „objektiv“ – der rein subjektiven und einseitigen Auffassung einer nationalistisch und dogmatisch-christlich festgelegten Freimaurerei entspringt. Nicht allein seine ausdrücklich auf Metaphysik gegründete Auffassung von Freimaurerei, vor allem seine „nationalistisch-vaterländische Argumentation“ (S. 171) macht das Buch zu einem Problem für die Freimaurerei. Denn, wie Oberhausen unmissverständlich zusammenfasst, „Runkel meint, dass die deutsche Freimaurerei ‚der deutschen Menschheit‘ zu dienen habe, ‚denn wir sind deutsch, wir sprechen deutsch, wir fühlen deutsch und wir beten deutsch. Deutsch sein heißt volkstümlich sein, darum muß auch dies Werk ein volkstümliches Werk sein.‘ (Ebd.)
Die Vereinigten Großlogen von Deutschland werden es sich nun genau überlegen müssen, ob durch die Mitgliedschaft der Großen Landesloge von Deutschland aufgrund ihrer Hochachtung vor Ferdinand Runkel und dessen Freimaurergeschichte - die sie beharrlich empfehlen - überhaupt noch die Kriterien der Regularität erfüllt sind, wenn wir über Runkel erfahren, „dass die englische Form der Freimaurerei überlebt sei und es nun der deutschen obliegt, auf die Feinde des Bundes zu reagieren.“
Es wird den Leser erfreuen, den am meisten zitierten Freimaurerforscher Eugen Lennhoff näher kennenzulernen. Reinalter selbst hat sich dem Schweizer Journalisten und Schriftsteller gewidmet, dessen Wirken ihn unter anderem nach Wien führte. Lennhoff trat auch beruflich für antinationalistische Richtungen ein und wurde allein deswegen schon als Chefredakteur der beiden wichtigsten Wiener Tageszeitungen verfolgt. Sein Engagement gegen Totalitarismus, den er vor allem von London aus bekämpfte, zeigt ihn als Freimaurer, der in eine offene Zukunft blickt. Offen ist auch sein Blick auf die Geschichte der Freimaurerei gewesen, die er in seinem 1928 erschienen Buch Die Freimaurer darstellte. Die Geschichte der Freimaurerei ist für ihn, wie Reinalter hervorhebt, „nicht nur die historische Entwicklung der Logen und Großlogen, sondern gleichermaßen auch eine Geschichte ihrer Gegner und Feinde.“ (S. 114) Seine Darstellung politisch einflussreicher Geheimbünde gibt ihn ebenfalls als einen entschiedenen Verfechter des Humanitätsgedanken zu erkennen. (S. 118 f) In seinem gemeinsam mit Oskar Posner verfassten Internationalen Freimaurer-Lexikon setzte sich gleichwohl seine Fähigkeit zu sachlicher Objektivität weitgehend durch. „Lennhoff vertrat immer die Auffassung“, beschließt Reinalter seine Darstellung, „dass die freimaurerische Geschichte nicht ausschließlich ein Phänomen der Vergangenheit ist, sondern ein wichtiger Baustein für das bessere Verständnis der Gegenwart.“ (S. 121)
Leider existieren in der Geschichte der Freimaurerforscher kaum Darstellungen des Gründers der deutschen Forschungsloge Quatuor Coronati Bernhard Beyer, so dass ich Reinalter dankbar bin, dass er einen ausführlichen Beitrag über Beyer vorgesehen hatte, den ich gerne mit Thomas Forwe verfasst habe. Während die Schriften Beyers Maßstäbe setzten in der Bedeutung humanitärer Freimaurerei und seine mutige Kritik sowohl am Freimaurerorden als auch dessen leichtfertigen Anerkennung durch die Gründer der Vereinigten Großlogen von Deutschland ist er weitaus weniger bekannt als etwa Runkel, Findel, Krause und andere.
Mit seinen Schriften zum esoterischen Charakter der Rosenkreuzer und seiner detaillierten Geschichte der Großloge Zur Sonne stellt er einen der wichtigsten Pfeiler der Freimaurerforschung in Deutschland dar. Ein beachtlich großer Teil seiner Manuskripte ist noch unveröffentlicht. In ihnen dokumentiert er vor allem anhand der Briefwechsel zwischen der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland und den Vertretern des Freimaurerordens bislang ungeahnte Denunziationen und verräterischer Aktivitäten der Großen Landesloge von Deutschland gegenüber den humanitären Freimaurern.
„Die skrupellose Weise, in der sich die GLL dem Nationalsozialismus als Verbündeten anbot, fasst Beyer mit einem Satz zusammen: ‚Nicht uns müsst ihr angreifen, sondern einzig und allein die humanitäre Freimaurerei, denn die ist tatsächlich pazifistisch internationalistisch:‘“ (S.29) Diesen Charakter, der sich nicht nur als eine Ausnahme zu erkennen gibt, war dann auch der Grund für Beyers radikale Ablehung der christlichen Freimaurerei. „Als Großmeister der Großloge ‚Zur Sonne‘ fordert Bernhard Beyer unmittelbar nach dem letzten Krieg, allen Kontakt zu den früheren altpreußischen Großlogen abzulehnen, bis sie von sich aus eine Aufarbeitung ihrer Taten begonnen hätten.
Stattdessen aber folgten 1950 verharmlosende Erklärungen wie etwa: ‚Man sollte endlich einmal die Akten über jene in jeder Hinsicht traurige und verfolgungsreiche Zeit schließen.‘“ (S. 30)
Mit dem Beitrag von Dieter Binder über Hans Wagner kommt einer der wenigen österreichischen Forscher in diesem Sammelband zur Geltung. Der 1921 geborene Sohn einer Grazer Arztfamilie wurde nach einem abenteuerlichen Studienweg während des Nationalsozialismus im Frühjahr 1966 als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg berufen. 1964 wurde er in Wien Freimaurer und zeichnete von dort aus vor allem ein kulturgeschichtliches Bild der österreichischen Freimaurerei. „Wagner, auch als Freimaurer von seinen historischen Interessen bestimmt, reaktivierte am 22. Jänner 1965 gemeinsam mit Ernst Schönmann die Forschungsgemeinschaft ‚Quatuor Coronati‘. Bereits im Jänner 1966 übernahm Wagner die Leitung des Arbeitskreises zur Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert und legte damit jenes Fundament, das die österreichische freimaurerische Forschung klar im 18. Jahrhundert verankern sollte und sie von spekulativer Nabelschau abhielt.“ (S. 213 f)
Wenn wir 2017 mit den Augen der Großloge von London auf die Freimaurerei schauen, verkleinert sich die Rolle der Forschung von Jahr zu Jahr. Wer aber anlässlich des Jubiläums der Freimaurer und der zahlreichen aktuellen Publikationen etwas Bleibendes über Freimaurerei erfahren möchte, wird in diesem verdienstvollen Sammelband sicher eine der gehaltvollsten Arbeiten vorfinden.
Deutsche und österreichische Freimaurerforscher
Von Helmut Reinalter
Inhalt
Vorwort
Im Jahre 2017 feiert die Großloge von England ihren 300. Gründungstag (1717-2017). Aus diesem Anlass wurde im Rahmen des Privatinstituts für Ideengeschichte in Innsbruck in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie unter Leitung des Herausgebers ein Sammelband zusammengestellt, um die wissenschaftliche Bedeutung ausgewählter deutscher und österreichischer Freimaurerforscher aufzuzeigen und zu würdigen.
Die einzelnen Essays sind nach dem inhaltlichen Schema Leben, Werk und Wirkung gegliedert. Es handelt sich dabei um eine repräsentative Auswahl, Vollständigkeit konnte nicht angestrebt werden.
Noch lebende bedeutsame Freimaurerforscher wurden nach eingehender Beratung im engsten Mitarbeiterkreis bewusst ausgeklammert, weshalb der vorliegende Band nur verstorbene Persönlichkeiten enthält.
Der zeitliche Rahmen der aufgenommenen Freimaurerforscher reicht vom 18. bis in das 21. Jahrhundert. Die Bedeutung dieser Forscher für die masonische Geschichtsschreibung ist weitgehend unbestritten, auch wenn diese methodisch und theoretisch sehr verschieden gearbeitet und differente Ansichten über die Freimaurerei entwickelt haben.
Die ausgewählten Autoren, die die Freimaurerforscher bearbeitet haben, sind masonische Experten und haben ihre Essays quellenfundiert angelegt. Zweifelsohne handelt es sich bei diesem Sammelband um ein wissenschaftliches Desiderat und eine wichtige historiografische Grundlage für weitere masonische Forschungen.
Der Herausgeber dankt dem Freimaurer-Museum Bayreuth und dem Archiv der Großloge von Österreich für Literaturbeschaffung und den Autoren für ihre Beiträge, die nach dem Geburtsjahr der Freimaurerforscher chronologisch geordnet wurden.
Franziska Österreicher und Jacqueline Lukovnjak haben die Korrektur- und Schreibarbeiten übernommen und Brigitte Abram hat das Gesamtmanuskript druckreif vorbereitet. Die Bibliografie im Anhang trägt Auswahlcharakter, Vollständigkeit konnte nicht angestrebt werden.
Innsbruck, im Juni 2015
Einleitung
- Helmut Reinalter:
- Freimaurerische Forschungsperspektiven in Europa
Beiträge
- Heinrich Boos
- Everhard P. Kwaadgras Übersetzung von Jan A.M. Snoek
- Thomas Forwe / Klaus-Jürgen Grün