Richard Schlesinger: Unterschied zwischen den Versionen
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Noch einmal verstrich ein halbes Jahrhundert bis der Habsburgerstaat Ende 1918 als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs zusammenbrach. Sofort zogen die Grenzlogen – vierzehn waren es inzwischen – nach Wien. Eine Großloge wurde gegründet und zum erstenmal ein österreichischer Großmeister gewählt: Richard Schlesinger. Feierliche Einsetzung am 1. Juni 1919 bei einer Festarbeit mit 600 Teilnehmern. | Noch einmal verstrich ein halbes Jahrhundert bis der Habsburgerstaat Ende 1918 als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs zusammenbrach. Sofort zogen die Grenzlogen – vierzehn waren es inzwischen – nach Wien. Eine Großloge wurde gegründet und zum erstenmal ein österreichischer Großmeister gewählt: Richard Schlesinger. Feierliche Einsetzung am 1. Juni 1919 bei einer Festarbeit mit 600 Teilnehmern. | ||
===Wer war Richard Schlesinger?=== | ===Wer war Richard Schlesinger?=== | ||
+ | [[Datei:Schlesinger_jung.jpg|thumb|Der junge Hof- und Gerichtsadvokat vor 1900]] | ||
Bei seiner Wahl war er 57 Jahre alt, seit 1909 Mitglied der Grenzloge Zukunft, angesehener Hof- und Gerichtsadvokat sowie Mitglied des Obersten Gerichtshofes, Sohn einer Beamtentochter und eines durch die Wirtschaftskrise 1873 verarmten jüdischen Kaufmanns, der bald nach der Krise starb. Richard mußte daher ab dem fünfzehnten Lebensjahr seine Mutter und einen Bruder durch Nachhilfestunden durchbringen. Ein paar Jahre später heiratete er Luise, die Schwester eines Freundes, ein Sohn kam, eine glückliche Familie: Auskommen, Ansehen, Hausmusik, eine bürgerliche Idylle … bis der Erste Weltkrieg alles zerstörte: Seit langem ohne Nachricht von Sohn Hans an der Front nahm sich Luise Mitte 1918 das Leben und Richard fiel in eine tiefes seelisches Loch; auch er war jetzt suizidgefährdet. Doch Hans kam bei Kriegsende zurück, sein Vater erholte sich und ging nach und nach in der königlichen Kunst auf. | Bei seiner Wahl war er 57 Jahre alt, seit 1909 Mitglied der Grenzloge Zukunft, angesehener Hof- und Gerichtsadvokat sowie Mitglied des Obersten Gerichtshofes, Sohn einer Beamtentochter und eines durch die Wirtschaftskrise 1873 verarmten jüdischen Kaufmanns, der bald nach der Krise starb. Richard mußte daher ab dem fünfzehnten Lebensjahr seine Mutter und einen Bruder durch Nachhilfestunden durchbringen. Ein paar Jahre später heiratete er Luise, die Schwester eines Freundes, ein Sohn kam, eine glückliche Familie: Auskommen, Ansehen, Hausmusik, eine bürgerliche Idylle … bis der Erste Weltkrieg alles zerstörte: Seit langem ohne Nachricht von Sohn Hans an der Front nahm sich Luise Mitte 1918 das Leben und Richard fiel in eine tiefes seelisches Loch; auch er war jetzt suizidgefährdet. Doch Hans kam bei Kriegsende zurück, sein Vater erholte sich und ging nach und nach in der königlichen Kunst auf. | ||
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==="Ein unbeschriebenes Blatt"=== | ==="Ein unbeschriebenes Blatt"=== | ||
Als er zum Großmeister gewählt wurde war Schlesinger – so schreibt die ‚Wiener Freimaurerzeitung‘ 1936 zu seinem 75. Geburtstag – ''„noch ein freimaurerisch unbeschriebenes Blatt und über die Grenzen seiner Loge ‚Zukunft‘ hinaus kaum bekannt, doch bei allen, die ihn kannten, bei Kollegen und Klienten hoher Wertschätzung und unbedingten Vertrauens sich erfreuend.“'' Den ''„Allgeliebten“'' nennt ihn die Zeitung, und das nach inzwischen immerhin 17 (!) Jahren Amtsführung: ''„Möge unserem allverehrten Großmeister … ein gütiges Geschick noch eine schöne, sorgenfreie, freudvolle Zukunft bescheren. Uns aber möge es beschieden sein, noch viele, viele Jahre seiner gütigen und weisen Führung … in eine bessere, lichtere Zukunft folgen zu dürfen.“'' | Als er zum Großmeister gewählt wurde war Schlesinger – so schreibt die ‚Wiener Freimaurerzeitung‘ 1936 zu seinem 75. Geburtstag – ''„noch ein freimaurerisch unbeschriebenes Blatt und über die Grenzen seiner Loge ‚Zukunft‘ hinaus kaum bekannt, doch bei allen, die ihn kannten, bei Kollegen und Klienten hoher Wertschätzung und unbedingten Vertrauens sich erfreuend.“'' Den ''„Allgeliebten“'' nennt ihn die Zeitung, und das nach inzwischen immerhin 17 (!) Jahren Amtsführung: ''„Möge unserem allverehrten Großmeister … ein gütiges Geschick noch eine schöne, sorgenfreie, freudvolle Zukunft bescheren. Uns aber möge es beschieden sein, noch viele, viele Jahre seiner gütigen und weisen Führung … in eine bessere, lichtere Zukunft folgen zu dürfen.“'' |
Version vom 14. April 2012, 19:08 Uhr
Inhaltsverzeichnis
- 1 Schlesinger, Richard
- 2 Die österreichische Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit.
- 2.1 Freimaurer in Österreich vor Schlesinger
- 2.2 Wer war Richard Schlesinger?
- 2.3 "Ein unbeschriebenes Blatt"
- 2.4 Antrittsrede: Not und Elend
- 2.5 Schlesinger: „Fortschrittliche Freimaurerei“ ist politisch
- 2.6 Für Pazifismus und Pan Europa
- 2.7 Zerwürfnis mit den deutschen Freimaurern
- 2.8 Die dunklen Kräfte siegten zuerst in Deutschland …
- 2.9 … und dann auch in Österreich
- 2.10 Richard Schlesinger: am Ende ein Opfer der Nazis
- 2.11 Doch Hitler hatte nicht das letzte Wort
- 3 Siehe auch
Schlesinger, Richard
Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)
Dr., Regierungsrat, Rechtsanwalt in Wien, *1861, erster Großmeister der Großloge von Wien, gab dieser ihr auf Förderung des inneren und außeren Friedens gerichtetes pazifistisches Programm.
Die österreichische Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit.
Von Rudi Rabe.
Richard Schlesinger war Großmeister der Großloge von Wien von 1918 bis 1938. Er erlebte und gestaltete deren Aufstieg nach dem Ersten Weltkrieg auf 24 Logen mit 1.900 Mitgliedern. Ebenso erlitt er im März 1938 beim Nazi-Einmarsch ihr abruptes Ende, das der Gebrochene nur drei Monate überlebte.
Freimaurer in Österreich vor Schlesinger
Dieser Rückblick ist notwendig, wenn man die österreichische Freimaurerei der Zwischenkriegszeit, ja sogar auch der Gegenwart verstehen will. Das habsburgische Vielvölkerreich war damals nach Russland der zweitgrößte Staat Europas. Im späten 18. Jahrhundert hatte die Freimaurerei hier eine Hochzeit. Doch Kaiser Franz verbot 1794 unter dem Eindruck der Französischen Revolution für die ganze Habsburgermonarchie alles was nach Freiheit roch, also auch die Logen. Dieses Verbot galt bis zur Teilung in eine Doppelmonarchie 1867: Jetzt wurde die Freimaurerei in Ungarn erlaubt, in der österreichischen Reichshälfte blieb sie untersagt. Die findigen Wiener fanden einen Ausweg: ‚Grenzlogen‘ im 70 Kilometer entfernten Ungarn unter dem Schirm der neu gegründeten ungarischen Großloge. In Wien waren diese Logen als Kultur- und Sozialvereine tätig.
Noch einmal verstrich ein halbes Jahrhundert bis der Habsburgerstaat Ende 1918 als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs zusammenbrach. Sofort zogen die Grenzlogen – vierzehn waren es inzwischen – nach Wien. Eine Großloge wurde gegründet und zum erstenmal ein österreichischer Großmeister gewählt: Richard Schlesinger. Feierliche Einsetzung am 1. Juni 1919 bei einer Festarbeit mit 600 Teilnehmern.
Wer war Richard Schlesinger?
Bei seiner Wahl war er 57 Jahre alt, seit 1909 Mitglied der Grenzloge Zukunft, angesehener Hof- und Gerichtsadvokat sowie Mitglied des Obersten Gerichtshofes, Sohn einer Beamtentochter und eines durch die Wirtschaftskrise 1873 verarmten jüdischen Kaufmanns, der bald nach der Krise starb. Richard mußte daher ab dem fünfzehnten Lebensjahr seine Mutter und einen Bruder durch Nachhilfestunden durchbringen. Ein paar Jahre später heiratete er Luise, die Schwester eines Freundes, ein Sohn kam, eine glückliche Familie: Auskommen, Ansehen, Hausmusik, eine bürgerliche Idylle … bis der Erste Weltkrieg alles zerstörte: Seit langem ohne Nachricht von Sohn Hans an der Front nahm sich Luise Mitte 1918 das Leben und Richard fiel in eine tiefes seelisches Loch; auch er war jetzt suizidgefährdet. Doch Hans kam bei Kriegsende zurück, sein Vater erholte sich und ging nach und nach in der königlichen Kunst auf.
"Ein unbeschriebenes Blatt"
Als er zum Großmeister gewählt wurde war Schlesinger – so schreibt die ‚Wiener Freimaurerzeitung‘ 1936 zu seinem 75. Geburtstag – „noch ein freimaurerisch unbeschriebenes Blatt und über die Grenzen seiner Loge ‚Zukunft‘ hinaus kaum bekannt, doch bei allen, die ihn kannten, bei Kollegen und Klienten hoher Wertschätzung und unbedingten Vertrauens sich erfreuend.“ Den „Allgeliebten“ nennt ihn die Zeitung, und das nach inzwischen immerhin 17 (!) Jahren Amtsführung: „Möge unserem allverehrten Großmeister … ein gütiges Geschick noch eine schöne, sorgenfreie, freudvolle Zukunft bescheren. Uns aber möge es beschieden sein, noch viele, viele Jahre seiner gütigen und weisen Führung … in eine bessere, lichtere Zukunft folgen zu dürfen.“
Es tut richtig weh, das als Nachgeborener zu lesen, wissend welche Barbarei nur zwei Jahre später über die österreichische Freimaurerei und das Land und schließlich über die Welt hereinbrach. In der Hoffnung auf „eine bessere, lichtere Zukunft“ waren Ahnungen des kommenden Unheils wohl schon verpackt.
Antrittsrede: Not und Elend
Zurück ins verarmte Nachkriegswien. Im Vordergrund standen auch für die neu gegründete Großloge die basalen menschlichen Bedürfnisse: Essen, Kleidung, Wohnen. „Die Welt ist wie verwaist, die Tage schleichen wie mit gebrochenen Gelenken weiter.“ Dieser Satz aus Richard Schlesingers Antrittsrede Anfang 1919 gibt wenige Monate nach Kriegsende die Stimmung wieder. Um „hungrige Mäuler zu stopfen, das Siechtum einzudämmen, entkräfteten Menschen Rettung zu bringen“ appellierte er „an die Bauhütten der neutralen Länder, vielleicht auch an einige der bisher feindlichen Staaten um Hilfe.“
Der Großmeister schrieb Bettelbriefe an alle europäischen Großlogen, und er hatte Erfolg, wie er später wieder in einer Rede berichten konnte: „Besonders Holland und die Schweiz (beide waren nicht am Krieg beteiligt gewesen) überboten sich an Liebesbeweisen.“ Die holländischen Freimaurer zum Beispiel indem sie Wiener Kinder in Kost nahmen und sie aufpäppelten. „Es fanden sich auch sieben holländische Brüder, die sich das Wort gaben, sich für ein Jahr des Trinkens und Rauchens zu enthalten und das dadurch ersparte Geld den hungernden Wienern zukommen zu lassen“, erzählte Schlesinger gerührt.
Schlesinger: „Fortschrittliche Freimaurerei“ ist politisch
Die österreichische Freimaurerei der Zwischenkriegszeit war vor allem in den zwanziger Jahren nach außen präsenter und politischer als sie es heute ist. Auch darauf geht Schlesinger in seiner Antrittsrede als „eine der schwierigsten Fragen“ ein indem er den Großmeister der Großloge von Bayreuth August Paret zitiert, der meinte, „heute dürfe die Freimaurerei nicht mehr im Verborgenen bleiben, sie habe das Recht und die Pflicht, ihre Meinung zu den Fragen der Zeit zu äußern.“
„Dieser Gedanke ist sicherlich richtig“, stimmt Schlesinger zu. Denn „es ließe sich unmöglich ein Fortschritt in unseren Arbeiten denken, wollten wir fernerhin die Fragen der Politik, die ja heute im Wesentlichen soziale Politik ist, aus den Bauhütten ausschalten. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß in den Logen Parteipolitik getrieben werden dürfe.“ Allerdings „wird es bei dieser Art unserer Betätigung nicht fehlen, daß sich unsere Gegner noch mehr, als es bisher der Fall war, mit uns und mit unserem Wirken beschäftigen. Allein dies darf selbstverständlich für uns kein Hindernis sein, uns aktiv an den Fragen der Politik zu beteiligen.“ „Im besten Sinn fortschrittliche Maurerei“ nennt das Schlesinger schließlich, und er legt damit den Grundstein für die aktiv-politische Haltung der österreichischen Freimaurerei in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.
Für Pazifismus und Pan Europa
Wie die Hoffnung auf soziale Hilfe, die schließlich eintraf, hatte Richard Schlesinger in seiner Antrittsrede auch die Hoffnung auf faire Friedensverträge für die Verliererstaaten geäußert. Das wurde nicht erfüllt. Die österreichischen und die deutschen Freimaurer zogen daraus jedoch gegensätzliche Schlüsse: Die deutschen schotteten sich gegenüber dem Ausland ab, zu den Freimaurern der Siegerstaaten – vor allem den Franzosen – blieben sie feindlich eingestellt, und sie wurden schließlich immer nationalistischer und in Teilen antisemitisch. Anders die Österreicher: Sie öffneten sich von Anfang an zum Ausland, auch den ehemaligen Feindsstaaten. Und der Pazifismus wurde Richard Schlesinger ein großes Anliegen: „Friede nach innen und nach außen“ war sein Leitmotiv. Immerhin hatten die Österreicher mit dem 1921 verstorbenen Alfred Hermann Fried auch einen Friedensnobelpreisträger in ihren Reihen. Bei der Zehnjahresfeier 1928 charakterisierte der Großmeister das Bewußtsein seiner Großloge so: „Die Ausscheidung eines jeden Nationalhasses, die Unbekümmertheit um religiöses oder politisches Bekenntnis, vielleicht auch das geringe Verständnis für manche anderen Ortes mehr gepflegten freimaurischen Disziplinen, wie etwas für Fragen der Regularität, des Sprengelrechtes und dergleichen, endlich die vollkommene Verständnislosigkeit für Dogmatismus, ist wohl in keiner Bruderkette so ausgebildet wie in der österreichischen.“
Darüber hinaus unterstützten die Wiener Freimaurer die damals sehr frühen europäischen Einigungsideen des österreichischen Schriftstellers und Freimaurers Richard Coudenhove-Kalergie, Gründer der Paneuropa-Union, der ältesten Bewegung dieser Art. Mit einer leidenschaftliche Begrüßungsadresse, abgedruckt auf der Seite 1 der ‚Wiener Freimaurerzeitung‘, empfing Schlesinger 1926 die Teilnehmer des ersten Paneuropa-Kongresses in Wien.
Zerwürfnis mit den deutschen Freimaurern
All das führte zu einem immer tieferen Graben zwischen den deutschen und den österreichischen Freimaurern. Schon nach der Gründung der Wiener Großloge gehörten die deutschen Großlogen zu den letzten, die mit ihr geordnete Beziehungen aufnahmen: erst 1921; manche sehr zögerlich. Und nach einem halben Jahrzehnt begannen die deutschen, ihre Kontakte zu Wien wieder zu reduzieren und nach und nach abzubrechen: die Große Landesloge schon 1926. Zu „internatonal“ und zu „jüdisch“ sei die österreichische Freimaurerei, beklagte 1931 der Deutsche Großlogenbund, immerhin die Sammelbewegung der humanitären (!) Freimaurerminderheit in Deutschland, als er die Beziehungen sistierte und kurze Zeit später abbrach. Formaler Anlaß war die österreichische Unterstützung und Anerkennung der von Leo Müffelmann 1930 gegründeten ‚Symbolischen Großloge von Deutschland‘. Im Gegensatz zu den anderen deutschen Großlogen verfolgte diese wie die Wiener einen international offenen und pazifistischen Kurs.
Richard Schlesinger schmerzte die Abbruchwelle, aber die Österreicher änderten ihre Linie nicht. Mit großem Bedauern aber auch mit „wir sind stolz darauf, andere Wege zu gehen“, reagierte er ebenso betroffen wie selbstbewußt auf den Abbruch durch die Humanitären. Und das ausgerechnet im Jahr 1931, als die Wiener endlich auch von der wählerischen UGL – der United Grand Logde of England – anerkannt wurden.
1.900 Mitglieder und 24 Logen gehörten nun zur Großloge von Wien: der Höhepunkt in dieser wetterwendischen Zwischenkriegszeit, die nur wenige gute Jahre hatte.
Die dunklen Kräfte siegten zuerst in Deutschland …
Die jahrelangen Auseinandersetzungen mit den deutschen Brüdern waren nur die Vorboten für das schreckliche Ende beider: zuerst der deutschen und fünf Jahre später auch der österreichischen Freimaurer. Noch vier Monate vor Hitlers Machtergreifung stellte Schlesinger im September 1932 in einem offenen (!) Brief an die Großloge ‚Zur Sonne‘ in Bayreuth die österreichische Positionen noch einmal klar. Und er warnte die Deutschen eindringlich vor der gängigen Illusion, sie könnten die Nazis durch Nationalismus und Antisemitismus gütig stimmen. Er behielt recht. Nachdem Hitler im Januar 1933 die Staatsgewalt übernommen hatte, war das Ende der deutschen Freimaurerei besiegelt: auf die Anpassung folgten Enteignung und Verbot. Die ersten Logen schlossen 1933, die letzten 1935: trotz weitestgehender Anpassung vor allem der drei Altpreussen.
… und dann auch in Österreich
Den Österreichern gewährte das Schicksal noch eine Galgenfrist. Doch langsam ging es auch hier bergab. Zwar behandelte das kleriko-faschistische Dollfuss-Regime, das in Österreich im Frühjahr 1933 an die Macht gekommen war, die Freimaurer nur "halb feindlich". Es gab kein Verbot: Das wird heute so gedeutet, dass es sich der von Hitler bedrohte österreichische Bundeskanzler Dollfuß mit den Westmächten nicht verscherzen wollte; und er glaubte offenbar, dazu gehöre auch, die ungeliebten Freimaurer nicht zu verbieten. Aber es gab Schikanen: Beamte mußten austreten, und Polizisten konnten jederzeit zu Arbeiten erscheinen, was die schlauen Österreicher im Bedarfsfall, wenn also ein Beamter auftauchte, aus dem Stand heraus mit Fantasieritualen konterten.
Engelbert Dollfuß wurde 1934 bei einem Naziputschversuch ermordet. Der klein gewordene österreichische Staat fühlte sich vom großen Nazinachbarn im Norden und von inneren Gegnern immer mehr bedroht. Und so wurde es für die loyal zu Österreich stehenden Freimaurer unter Dolfuß‘ Nachfolger Kurt Schuschnigg etwas besser. Dennoch dezimierten die teils erzwungen, teils opportunistischen Austritte und der erhebliche Rückgang der Rezeptionen die Mitgliederzahl auf unter tausend, also auf die Hälfte; ein Drittel der Logen mußte geschlossen werden.
Und am 12. März 1938 war es mit dem Einmarsch Hitlers dann endgültig vorbei. Und zwar sofort: Schon am 13. März begann ein Freimaurer-Sonderkommando der SS aus Berlin mit Verhaftungen führender Freimaurer und der Beschlagnahme aller Logenbesitztümer. Die Verhöre zogen sich über Wochen. Manche Freimaurer konnten emigrieren, andere wurden von den Nazis später in den Konzentrationslagern ermordet.
Richard Schlesinger: am Ende ein Opfer der Nazis
Ebenfalls am 13. März erschienen sechs Beamte beim schwer erkrankten und vor kurzem an der Prostata operierten Schlesinger und befahlen ihm, das Vermögen der Großloge zu übergeben. Der kaum mehr aktionsfähige Großmeister delegierte das an seinen Großsekretär Wladimir Misar. Doch es blieb nicht mehr viel zu tun. Der Eigentümer des gemieteten Logenhauses, ein Parteimitglied, hatte Gestapo-Beamten bereits alle Türen geöffnet, wodurch eine formelle Übergabe überflüssig wurde. Am 16. März wurden Schlesinger und sein Sohn verhaftet und in einer überfüllten Zelle eingesperrt: fast nichts zu essen, Hygiene katastrophal, keine medizinische Betreuung. In wenigen Tagen brach Schlesinger völlig zusammen. Durch die Intervention eines einflußreichen Nazi-Juristen und nach Hinterlegung einer hohen Kaution konnte der Fiebernde in ein Krankenhaus überstellt werden, wo er aber abgeschottet blieb: Nicht einmal sein Hausarzt durfte ihn besuchen. Es ging immer weiter bergab, eine Lungenentzündung kam hinzu, seine Bitte, ihn zu Hause sterben zu lassen, wurde nicht erfüllt.
Der 5. Juni war Richard Schlesingers letzter Tag. An der Beisetzung durften nur der Sohn und dessen Frau sowie die beiden Hausangestellten teilnehmen. ‚Der Stürmer‘ – das Hetzblatt der Nazis – verspottete die Freimaurer und Schlesinger, ohne dessen Tod zu erwähnen, mit einem in der Haft aufgenommenen Foto und folgenden Zeilen: „Der letzte Großmeister … war der Judenbastard Dr. Schlesinger. … Die Ziele der Freimaurerei sind die gleichen wie die Ziele des Marxismus: die jüdische Weltherrschaft.“
Doch Hitler hatte nicht das letzte Wort
„Das war das Ende eines Mannes, der unsere königliche Kunst so unendlich geliebt und die Treue zu ihr in seinem Märtyrertod besiegelt hat.“ Mit diesen Worten schloß Oskar Böhm, der Neffe Schlesingers, sieben Jahre später in der neugegründeten Sammelloge ‚Humanitas Renata‘ seine Trauerrede. In einer Trauerarbeit gedachte das übrig gebliebene Häuflein Wiener Freimaurer am 20. Oktober 1945 ihres verdienten Großmeisters. 43 Brüder waren schon Ende Juli, drei Monate nach Kriegsende, wieder zusammen gekommen. Ganz langsam ging es nun wieder aufwärts. Und heute zählt die stabile und rundum anerkannte Großloge von Österreich 3.300 Mitglieder.
Richard Schlesinger ruht gemeinsam mit seiner Frau Luise und seinem Sohn Hans, der nach Amerika emigrieren konnte und sich dort John nannte, am Wiener Zentralfriedhof: Gruppe 13B, Reihe 3, Grab 18.