Freimaurerforschung in Österreich: Unterschied zwischen den Versionen
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− | '''Wer widmet sich in Österreich systematisch der Freimaurerforschung? Die Szene ist klein und heterogen. Sie reicht vom akademischen Vollprofi über den Spätberufenen bis zu Autoren, die jedenfalls für einzelne Werke mit wissenschaftlichen Methoden recherchierten. Von [[Rudi Rabe]] aus Wien (2012).''' | + | '''Wer widmet sich in Österreich systematisch der Freimaurerforschung? Die Szene ist klein und heterogen. Sie reicht vom akademischen Vollprofi über den Spätberufenen bis zu Autoren, die jedenfalls für einzelne Werke mit wissenschaftlichen Methoden recherchierten. Von [[Rudi Rabe]] aus Wien (2012 und später).''' |
===Der DOYEN: Helmut REINALTER=== | ===Der DOYEN: Helmut REINALTER=== | ||
− | Universitätsprofessor in Innsbruck (Geschichte der Neuzeit); seit 2009 emeritiert. Auf Helmut Reinalter wird im Freimaurer-Wiki in vielen Seiten Bezug genommen | + | Universitätsprofessor in Innsbruck (Geschichte der Neuzeit); seit 2009 emeritiert. Auf Helmut Reinalter wird im Freimaurer-Wiki in vielen Seiten Bezug genommen: Siehe etwa die Seite zur Person [[Helmut Reinalter]] oder das [[Traktat: Die (freimaurerischen) Jakobiner von Wien]] |
Helmut Reinalter ist ein ‚Polyhistor‘. So wird der Geschichtsprofessor in einer Festschrift der Österreichischen Freimaurer-Akademie charakterisiert. Ein Polyhistor, ein Universalgelehrter: Ein Teil davon ist der Freimaurerforscher. Als dieser ist er weit über die Freimaurerei hinaus bekannt; übrigens auch als Bruder: „Mitglied der Freimaurerei“ heißt es in seinem öffentlichen Curriculum Vitae bekennend. | Helmut Reinalter ist ein ‚Polyhistor‘. So wird der Geschichtsprofessor in einer Festschrift der Österreichischen Freimaurer-Akademie charakterisiert. Ein Polyhistor, ein Universalgelehrter: Ein Teil davon ist der Freimaurerforscher. Als dieser ist er weit über die Freimaurerei hinaus bekannt; übrigens auch als Bruder: „Mitglied der Freimaurerei“ heißt es in seinem öffentlichen Curriculum Vitae bekennend. | ||
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Professor [[Dieter A. Binder]] wurde durch eine publizistische Großtat bekannt: Er hat das klassische aber längst überholte Freimaurerlexikon von Lennhof-Posner aus den 30iger Jahren bis in unsere Zeit ergänzt. Zur Freimaurerforschung kam er, weil ein Verlag ein einschlägiges Buch von ihm wollte. Daraufhin bestellte ein anderer Verlag die Aktualisierung von Lennhoff-Posner. Und so wurde dieser zum unentbehrlichen Lennhoff-Posner-Binder. | Professor [[Dieter A. Binder]] wurde durch eine publizistische Großtat bekannt: Er hat das klassische aber längst überholte Freimaurerlexikon von Lennhof-Posner aus den 30iger Jahren bis in unsere Zeit ergänzt. Zur Freimaurerforschung kam er, weil ein Verlag ein einschlägiges Buch von ihm wollte. Daraufhin bestellte ein anderer Verlag die Aktualisierung von Lennhoff-Posner. Und so wurde dieser zum unentbehrlichen Lennhoff-Posner-Binder. | ||
− | In den Büchern | + | In den Büchern Dieter A. Binders ist nachzulesen: Er ist kein Freimaurer. „Kann man masonisch forschen, ohne dabei zu sein, Herr Professor?“, frage ich bei unserem Treffen. ''„Muß ein Anarchismusexperte Anarchist sein“'', antwortet er augenzwinkernd. ''„Aber ganz im Ernst: Ich weiß, bei uns gibt es ein großes Bedürfnis nach Lagerzuordnungen, doch in der Wissenschaft ist das kein Problem. Ich werde immer von allen freimaurerischen Institutionen unterstützt, aber man wahrt das Arkanprinzip: Rituale zeigt man mir keine. Das macht nichts, ich finde das alles in öffentlichen Bibliotheken. Beitrittsangebote habe ich übrigens immer abgelehnt: eben wegen der Arkandisziplin. Und ich bin auch nicht sicher, ob ich ritualfähig wäre. Natürlich kenne ich den Wert von Ritualen als Trennungsstrich zum Alltäglichen. Doch weiß ich auch, wie nah das Erhabene und das Lächerliche beieinander liegen können: jedenfalls in öffentlichen Inszenierungen; diese vertrage ich immer weniger.“'' |
Binder schreibt wissenschaftlich korrekt und zugleich wohlwollend über die Freimaurer. Seine nächsten Projekte: Die steirischen Freimaurer im 18. Jahrhundert sowie eine kommentierte Wiedergabe der Rituale jener altpreußischen-deutschen Logen, die von 1933 bis 1935 vergeblich versuchten, sich durch eine ideologische Anpassung an die Nazis zu retten. | Binder schreibt wissenschaftlich korrekt und zugleich wohlwollend über die Freimaurer. Seine nächsten Projekte: Die steirischen Freimaurer im 18. Jahrhundert sowie eine kommentierte Wiedergabe der Rituale jener altpreußischen-deutschen Logen, die von 1933 bis 1935 vergeblich versuchten, sich durch eine ideologische Anpassung an die Nazis zu retten. | ||
'''Masonische Bibliographie:''' | '''Masonische Bibliographie:''' | ||
− | + | [[Rezension: Dieter A. Binder - „Die Freimaurer – Geschichte, Mythos, Symbole“|Die Freimaurer‘]] und ‚Die diskrete Gesellschaft‘; sowie das Lexikon: [[Lennhoff, Posner, Binder]] = [[Internationales Freimaurer-Lexikon]] | |
===Der QUEREINSTEIGER: Günter KODEK=== | ===Der QUEREINSTEIGER: Günter KODEK=== | ||
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Medienmensch, Verleger, Autor und auch noch Unternehmer in einer ganz anderen Branche: Mitinhaber eines chemischen Betriebes. | Medienmensch, Verleger, Autor und auch noch Unternehmer in einer ganz anderen Branche: Mitinhaber eines chemischen Betriebes. | ||
− | Üblicherweise kommt man zur Wissenschaft über die Universität. Bei Günter Kodek lief es anders: Er begann als Schriftsetzer; dort lernte er Genauigkeit. Später: Verleger, Vortragender, Autor. Die Gesamtauflage seiner Bücher erreichte eine halbe Million. | + | Üblicherweise kommt man zur Wissenschaft über die Universität. Bei [[Günter Kodek]] lief es anders: Er begann als Schriftsetzer; dort lernte er Genauigkeit. Später: Verleger, Vortragender, Autor. Die Gesamtauflage seiner Bücher erreichte eine halbe Million. |
Und irgendwann beschäftigte er sich mit der Geschichte der Freimaurerei. Zuerst als Leser, dann immer tiefer bis er davon regelrecht verschlungen wurde. Und so begann er selbst in Ämtern und Archiven zu graben: in Moskau, Budapest, Bratislava und verschiedenen Orten Österreichs. Als wissenschaftlich arbeitender Freimaurerforscher ist Günter Kodek also ein Spätberufener. | Und irgendwann beschäftigte er sich mit der Geschichte der Freimaurerei. Zuerst als Leser, dann immer tiefer bis er davon regelrecht verschlungen wurde. Und so begann er selbst in Ämtern und Archiven zu graben: in Moskau, Budapest, Bratislava und verschiedenen Orten Österreichs. Als wissenschaftlich arbeitender Freimaurerforscher ist Günter Kodek also ein Spätberufener. | ||
[[Datei:Kodek2.jpg|left|thumb|180px]] | [[Datei:Kodek2.jpg|left|thumb|180px]] | ||
− | Sein ‚opus magnum‘: Nach dem Muster der legendären „Chronik Österreich“, die er früher einmal mitverfaßt hatte, baute er mit Schwerpunkt Österreich eine chronologische Freimaurergeschichte auf. Bisher gibt es zwei Bände bis 1938; und parallel dazu zwei Bände mit tausenden historischen Freimaurernamen. Kodek: ''„Allein diese Namen haben mich wegen der uneinheitlichen und oft unleserlichen Schreibweise viel Zeit gekostet. Ohne mein Schriftsetzertraining hätte ich vieles nicht lesen können.“'' Kein Wunder, daß er an den vier Bänden ein Jahrzehnt arbeitete: ''„Vor der Computerzeit wäre einem Einzelkämpfer wie mir das alles nicht möglich gewesen. Das meiste habe ich zwei- bis dreimal geprüft. Dennoch kann ich einzelne Fehler nicht ausschließen.“'' | + | Sein ‚opus magnum‘: Nach dem Muster der legendären „Chronik Österreich“, die er früher einmal mitverfaßt hatte, baute er mit Schwerpunkt Österreich eine chronologische Freimaurergeschichte auf. Bisher gibt es zwei Bände bis 1938; und parallel dazu zwei Bände mit tausenden historischen Freimaurernamen. Kodek: ''„Allein diese Namen haben mich wegen der uneinheitlichen und oft unleserlichen Schreibweise viel Zeit gekostet. Ohne mein Schriftsetzertraining hätte ich vieles nicht lesen können.“'' Kein Wunder, daß er an den vier Bänden mehr als ein Jahrzehnt arbeitete: ''„Vor der Computerzeit wäre einem Einzelkämpfer wie mir das alles nicht möglich gewesen. Das meiste habe ich zwei- bis dreimal geprüft. Dennoch kann ich einzelne Fehler nicht ausschließen.“'' |
Jetzt beschäftigt sich Günter Kodek mit den Jahren nach 1945. Dabei ist ihm das österreichische Großlogenarchiv eine wesentliche Hilfe. Wann können wir mit den letzten zwei Bänden rechnen? ''„Spätestens zu meinem Fünfundsiebziger“'', schmunzelt er. Das wäre am 4. Mai 2014. | Jetzt beschäftigt sich Günter Kodek mit den Jahren nach 1945. Dabei ist ihm das österreichische Großlogenarchiv eine wesentliche Hilfe. Wann können wir mit den letzten zwei Bänden rechnen? ''„Spätestens zu meinem Fünfundsiebziger“'', schmunzelt er. Das wäre am 4. Mai 2014. | ||
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+ | Nachtrag 2014: Günter Kodek arbeitet in jeder Hinsicht präzise. Fast auf den Tag genau an seinem Geburtstag legte er Anfang Mai 2014 den fünften und den sechsten Band vor. | ||
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'''Masonische Bibliographie:''' | '''Masonische Bibliographie:''' | ||
− | ‚Von der Alchemie zur Aufklärung‘ (1717-1867) | + | ‚Von der Alchemie zur Aufklärung‘ (1717-1867); ‚Zwischen verboten und erlaubt‘ (1867-1938); 'Unbeirrt durch den Lärm der Welt' (1945-1985). Zusätzlich die drei Namensbände. Verlag Löcker, Wien. |
===Der JUNGSTAR: Marcus G. PATKA=== | ===Der JUNGSTAR: Marcus G. PATKA=== | ||
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‚Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus‘ [[Rezension: Marcus Patka - Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus]] und ‚Freimaurerei und Sozialreform (1869 bis 1938)‘. | ‚Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus‘ [[Rezension: Marcus Patka - Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus]] und ‚Freimaurerei und Sozialreform (1869 bis 1938)‘. | ||
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Natürlich ist der Übergang zwischen einer anhaltenden wissenschaftlichen Freimaurerforschung und abgegrenzten Forschungsaktionen für einzelne Publikationen fließend. Für letzteres stehen zum Beispiel folgende Autoren, die sich bei der Erarbeitung von Büchern wissenschaftlicher Methoden bedienten: | Natürlich ist der Übergang zwischen einer anhaltenden wissenschaftlichen Freimaurerforschung und abgegrenzten Forschungsaktionen für einzelne Publikationen fließend. Für letzteres stehen zum Beispiel folgende Autoren, die sich bei der Erarbeitung von Büchern wissenschaftlicher Methoden bedienten: | ||
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'''Walter Göhring''' ist ein Spezialfall: Er ist zwar kein Freimaurerforscher im eigentlichen Sinn, doch beschäftigt sich der in Warschau habilitierte Österreicher seit Jahren wissenschaftlich mit dem Friedensnobelpreisträger und Freimaurer [[Alfred Hermann Fried]]. | '''Walter Göhring''' ist ein Spezialfall: Er ist zwar kein Freimaurerforscher im eigentlichen Sinn, doch beschäftigt sich der in Warschau habilitierte Österreicher seit Jahren wissenschaftlich mit dem Friedensnobelpreisträger und Freimaurer [[Alfred Hermann Fried]]. | ||
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+ | Dieser Philosoph, Naturwissenschaftler und Psychotherapiewissenschaftler veröffentlichte 2012 und 2013 in Wien zwei Bücher, mit denen er bisher wenig begangene Forschungspfade beschreitet. | ||
− | In [[Rezension: Peter J. Gowin - Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung|Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung]] (2012) bearbeitet er vor allem zwei Forschungslücken. Erstens: Was leisten die ‚Motive’ der Freimaurerei? ('Motive' = ‚Leitgedanken’ der Freimaurerei | + | In [[Rezension: Peter J. Gowin - Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung|Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung]] (2012) bearbeitet er vor allem zwei Forschungslücken. Erstens: Was leisten die ‚Motive’ der Freimaurerei? ('Motive' = ‚Leitgedanken’ der Freimaurerei). Und zweitens: Wir wirkt das Logenritual auf die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer. Mit beidem habe sich die Wissenschaft bisher wenig befasst. |
Im zweiten Buch [[Rezension: Peter J. Gowin – Unbekannte Motive der Freimaurerei|Unbekannte Motive der Freimaurerei]], einer Art Forsetzung, untersucht Gowin dann 2013 die Parallelen zwischen der im christlich-abendländischen Kulturkreis entstandenen Freimaurerei und anderen Hochkulturen. Am engsten sei die Verwandtschaft mit dem Konfuzianismus. | Im zweiten Buch [[Rezension: Peter J. Gowin – Unbekannte Motive der Freimaurerei|Unbekannte Motive der Freimaurerei]], einer Art Forsetzung, untersucht Gowin dann 2013 die Parallelen zwischen der im christlich-abendländischen Kulturkreis entstandenen Freimaurerei und anderen Hochkulturen. Am engsten sei die Verwandtschaft mit dem Konfuzianismus. | ||
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[[Datei:Schlossrosenau.jpg|left|190px|thumb]] | [[Datei:Schlossrosenau.jpg|left|190px|thumb]] | ||
− | ===Freimaurerforschung | + | ===Freimaurerforschung ZUM ANSCHAUEN=== |
Im '''Österreichischen Freimaurermuseum im Schloss Rosenau''' bei Zwettl im Waldviertel gibt es wechselnde Ausstellungen über masonische Themenkreise: [[Freimaurermuseum Rosenau]] und [http://www.freimaurermuseum.at/allgemeines/ausstellungen-im-freimaurermuseum-rosenau.html/ Ausstellungen im Freimaurermuseum Rosenau] | Im '''Österreichischen Freimaurermuseum im Schloss Rosenau''' bei Zwettl im Waldviertel gibt es wechselnde Ausstellungen über masonische Themenkreise: [[Freimaurermuseum Rosenau]] und [http://www.freimaurermuseum.at/allgemeines/ausstellungen-im-freimaurermuseum-rosenau.html/ Ausstellungen im Freimaurermuseum Rosenau] | ||
Version vom 12. Mai 2014, 12:06 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Professores Masonicae Austriae
Wer widmet sich in Österreich systematisch der Freimaurerforschung? Die Szene ist klein und heterogen. Sie reicht vom akademischen Vollprofi über den Spätberufenen bis zu Autoren, die jedenfalls für einzelne Werke mit wissenschaftlichen Methoden recherchierten. Von Rudi Rabe aus Wien (2012 und später).
Der DOYEN: Helmut REINALTER
Universitätsprofessor in Innsbruck (Geschichte der Neuzeit); seit 2009 emeritiert. Auf Helmut Reinalter wird im Freimaurer-Wiki in vielen Seiten Bezug genommen: Siehe etwa die Seite zur Person Helmut Reinalter oder das Traktat: Die (freimaurerischen) Jakobiner von Wien
Helmut Reinalter ist ein ‚Polyhistor‘. So wird der Geschichtsprofessor in einer Festschrift der Österreichischen Freimaurer-Akademie charakterisiert. Ein Polyhistor, ein Universalgelehrter: Ein Teil davon ist der Freimaurerforscher. Als dieser ist er weit über die Freimaurerei hinaus bekannt; übrigens auch als Bruder: „Mitglied der Freimaurerei“ heißt es in seinem öffentlichen Curriculum Vitae bekennend.
An die hundert Bücher hat Helmut Reinalter geschrieben oder herausgegeben; davon ein gutes Dutzend mit freimaurerischem Bezug. Darüber hinaus erklärt er die Freimaurerei auch in öffentlichen Vorträgen. Wer bei Youtube seinen Namen und ‚Freimaurer‘ eingibt, kann erleben, wie kompetent und engagiert er auftritt: In einem Symposion über Netzwerke, zu dem er bezeichnenderweise eingeladen wurde, erläutert er masonische Grundsätze und tritt Verschwörungstheorien entgegen. Der Netzwerkcharakter der Freimaurerei „wird in der nichtwissenschaftlichen Literatur maßlos übertrieben. Der Einfluß der Freimaurer ist viel geringer als man glaubt; das ist ein Mythos“, klärt er die Tiroler Zuhörer auf.
„Fast könnte einem schwindlig werden beim Lesen Ihres Curriculums angesichts der unglaublich vielen Forschungsaufträge, Gastprofessuren, wissenschaftlichen Tagungen, Veröffentlichungen und Ehrungen rund um den Globus“, eröffne ich unser Gespräch. „Ja, ich staune selbst, wie das alles möglich war“, antwortet er lachend. „Meine Uni gab mir neben den Verpflichtungen viel Freiraum, und so konnte ich schon früh wissenschaftlich arbeiten und publizieren. Bald wurde ich bekannt und in internationale Forschungsprojekte eingebunden; auch Masonische. Und Glück war natürlich auch dabei.“
Zur Freimaurerforschung kam Helmut Reinalter Jahre vor seinem Beitritt 1978: „Schon als Uni-Assistent arbeitete ich mich durch das achtzehnte Jahrhundert. Dabei stieß ich auf die aufklärenden Sozietäten jener Zeit wie die Lesegesellschaften und eben auch die Freimaurer.“
Auch nach seiner Emeritierung macht der Rastlose weiter. Geplant: Die ‚Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert‘. Danach soll die Zwischenkriegszeit folgen. Und weitere Bücher in anderen Verlagen.
Masonische Bibliographie: In jüngerer Zeit das Standardwerk 'Die Freimaurer‘ und 'Die Weltverschwörer'
Der PROFANE: Dieter A. BINDER
Universitätsprofessor in Graz (Neue österreichische Geschichte und Zeitgeschichte) und Budapest (Kulturgeschichte).
Professor Dieter A. Binder wurde durch eine publizistische Großtat bekannt: Er hat das klassische aber längst überholte Freimaurerlexikon von Lennhof-Posner aus den 30iger Jahren bis in unsere Zeit ergänzt. Zur Freimaurerforschung kam er, weil ein Verlag ein einschlägiges Buch von ihm wollte. Daraufhin bestellte ein anderer Verlag die Aktualisierung von Lennhoff-Posner. Und so wurde dieser zum unentbehrlichen Lennhoff-Posner-Binder.
In den Büchern Dieter A. Binders ist nachzulesen: Er ist kein Freimaurer. „Kann man masonisch forschen, ohne dabei zu sein, Herr Professor?“, frage ich bei unserem Treffen. „Muß ein Anarchismusexperte Anarchist sein“, antwortet er augenzwinkernd. „Aber ganz im Ernst: Ich weiß, bei uns gibt es ein großes Bedürfnis nach Lagerzuordnungen, doch in der Wissenschaft ist das kein Problem. Ich werde immer von allen freimaurerischen Institutionen unterstützt, aber man wahrt das Arkanprinzip: Rituale zeigt man mir keine. Das macht nichts, ich finde das alles in öffentlichen Bibliotheken. Beitrittsangebote habe ich übrigens immer abgelehnt: eben wegen der Arkandisziplin. Und ich bin auch nicht sicher, ob ich ritualfähig wäre. Natürlich kenne ich den Wert von Ritualen als Trennungsstrich zum Alltäglichen. Doch weiß ich auch, wie nah das Erhabene und das Lächerliche beieinander liegen können: jedenfalls in öffentlichen Inszenierungen; diese vertrage ich immer weniger.“
Binder schreibt wissenschaftlich korrekt und zugleich wohlwollend über die Freimaurer. Seine nächsten Projekte: Die steirischen Freimaurer im 18. Jahrhundert sowie eine kommentierte Wiedergabe der Rituale jener altpreußischen-deutschen Logen, die von 1933 bis 1935 vergeblich versuchten, sich durch eine ideologische Anpassung an die Nazis zu retten.
Masonische Bibliographie: Die Freimaurer‘ und ‚Die diskrete Gesellschaft‘; sowie das Lexikon: Lennhoff, Posner, Binder = Internationales Freimaurer-Lexikon
Der QUEREINSTEIGER: Günter KODEK
Medienmensch, Verleger, Autor und auch noch Unternehmer in einer ganz anderen Branche: Mitinhaber eines chemischen Betriebes.
Üblicherweise kommt man zur Wissenschaft über die Universität. Bei Günter Kodek lief es anders: Er begann als Schriftsetzer; dort lernte er Genauigkeit. Später: Verleger, Vortragender, Autor. Die Gesamtauflage seiner Bücher erreichte eine halbe Million.
Und irgendwann beschäftigte er sich mit der Geschichte der Freimaurerei. Zuerst als Leser, dann immer tiefer bis er davon regelrecht verschlungen wurde. Und so begann er selbst in Ämtern und Archiven zu graben: in Moskau, Budapest, Bratislava und verschiedenen Orten Österreichs. Als wissenschaftlich arbeitender Freimaurerforscher ist Günter Kodek also ein Spätberufener.
Sein ‚opus magnum‘: Nach dem Muster der legendären „Chronik Österreich“, die er früher einmal mitverfaßt hatte, baute er mit Schwerpunkt Österreich eine chronologische Freimaurergeschichte auf. Bisher gibt es zwei Bände bis 1938; und parallel dazu zwei Bände mit tausenden historischen Freimaurernamen. Kodek: „Allein diese Namen haben mich wegen der uneinheitlichen und oft unleserlichen Schreibweise viel Zeit gekostet. Ohne mein Schriftsetzertraining hätte ich vieles nicht lesen können.“ Kein Wunder, daß er an den vier Bänden mehr als ein Jahrzehnt arbeitete: „Vor der Computerzeit wäre einem Einzelkämpfer wie mir das alles nicht möglich gewesen. Das meiste habe ich zwei- bis dreimal geprüft. Dennoch kann ich einzelne Fehler nicht ausschließen.“
Jetzt beschäftigt sich Günter Kodek mit den Jahren nach 1945. Dabei ist ihm das österreichische Großlogenarchiv eine wesentliche Hilfe. Wann können wir mit den letzten zwei Bänden rechnen? „Spätestens zu meinem Fünfundsiebziger“, schmunzelt er. Das wäre am 4. Mai 2014.
Nachtrag 2014: Günter Kodek arbeitet in jeder Hinsicht präzise. Fast auf den Tag genau an seinem Geburtstag legte er Anfang Mai 2014 den fünften und den sechsten Band vor.
Damit ist sein masonisches Lebenswerk komplett:
Rezension: Günter K. Kodek – Die österreichische Freimaurerei von den Anfängen bis 1985
Masonische Bibliographie: ‚Von der Alchemie zur Aufklärung‘ (1717-1867); ‚Zwischen verboten und erlaubt‘ (1867-1938); 'Unbeirrt durch den Lärm der Welt' (1945-1985). Zusätzlich die drei Namensbände. Verlag Löcker, Wien.
Der JUNGSTAR: Marcus G. PATKA
Der Mitvierziger ist der einzige, der die Forschung neben einem ausgefüllten Brotberuf betreibt. Er ist Kurator im Jüdischen Museum in Wien. Mehrere Seiten im Freimaurer-Wiki beziehen sich auf seine Arbeiten.
Nicht unlogisch, daß seine erste Forscherzeit der Emigration gewidmet war. Doch nach eineinhalb Jahrzehnten suchte er neue Ufer, und so landete Marcus Patka bei der österreichischen Freimaurerei der Zwischenkriegszeit. Das war Neuland: „Und wenn es ein wissenschaftliches Buch, das man lesen möchte, noch nicht gibt, muß man es eben selbst schreiben“, zitiert Patka schmunzelnd einen akademischen Kalauer. „Ich bin besessen vom Publizieren. Das wissenschaftliche Schreiben ist mein Talent, dafür opfere ich jede freie Minute; selbst an den Strand nehme ich einschlägiges Material mit.“
Wobei er bald bemerkte, „dass es viel zu wenig Grundlagenforschung gibt, weil diese in den Geisteswissenschaften ganz im Gegensatz zu den Naturwissenschaften gering geschätzt und kaum von jemandem finanziert wird.“ Aber er hatte Glück: „Ohne die detailreiche Basisarbeit von Günter Kodek wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Vor allem habe ich dank Kodek ein umfangreiches freimaurerisches Namensverzeichnis. Jeder Name ist wie ein Faden, an dem ich ziehen und durch weiteres Quellenstudium in den verschiedensten Archiven neue Einblicke gewinnen kann.“
Längst ist auch die universitäre Zeitgeschichte auf Marcus Patka aufmerksam geworden. Nicht nur daß man ihn für Kurse an der Uni gewonnen hat, er steuert auf die Habilitation zu.
Masonische Bibliographie: ‚Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus‘ Rezension: Marcus Patka - Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus und ‚Freimaurerei und Sozialreform (1869 bis 1938)‘.
Vier weitere Publikationen österreichischer Autoren auf wissenschaftlicher Grundlage
Natürlich ist der Übergang zwischen einer anhaltenden wissenschaftlichen Freimaurerforschung und abgegrenzten Forschungsaktionen für einzelne Publikationen fließend. Für letzteres stehen zum Beispiel folgende Autoren, die sich bei der Erarbeitung von Büchern wissenschaftlicher Methoden bedienten:
Robert A. Minder: Rezension: Robert A. Minder: Freimaurer Politiker Lexikon
Peter Stiegnitz: Rezension: Peter Stiegnitz: Gott ohne Kirche
Harald Schrefler (+ 2012): Rezension: Harald Schrefler - Der Papst und die Freimaurer
Walter Göhring ist ein Spezialfall: Er ist zwar kein Freimaurerforscher im eigentlichen Sinn, doch beschäftigt sich der in Warschau habilitierte Österreicher seit Jahren wissenschaftlich mit dem Friedensnobelpreisträger und Freimaurer Alfred Hermann Fried.
NEUE HORIZONTE: Peter J. GOWIN
Dieser Philosoph, Naturwissenschaftler und Psychotherapiewissenschaftler veröffentlichte 2012 und 2013 in Wien zwei Bücher, mit denen er bisher wenig begangene Forschungspfade beschreitet.
In Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung (2012) bearbeitet er vor allem zwei Forschungslücken. Erstens: Was leisten die ‚Motive’ der Freimaurerei? ('Motive' = ‚Leitgedanken’ der Freimaurerei). Und zweitens: Wir wirkt das Logenritual auf die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer. Mit beidem habe sich die Wissenschaft bisher wenig befasst.
Im zweiten Buch Unbekannte Motive der Freimaurerei, einer Art Forsetzung, untersucht Gowin dann 2013 die Parallelen zwischen der im christlich-abendländischen Kulturkreis entstandenen Freimaurerei und anderen Hochkulturen. Am engsten sei die Verwandtschaft mit dem Konfuzianismus.
Freimaurerforschung ZUM ANSCHAUEN
Im Österreichischen Freimaurermuseum im Schloss Rosenau bei Zwettl im Waldviertel gibt es wechselnde Ausstellungen über masonische Themenkreise: Freimaurermuseum Rosenau und Ausstellungen im Freimaurermuseum Rosenau