"Edle Seelen" 1744

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„Daß nur Edle Seelen, wahre Freymaurer werden können“

Recherche Roland Müller

In:
a) Der sich selbst vertheidigende Freymäurer, Franckfurt und Leipzig 1744, 232-255.
b) Der neu-aufgesteckte Brennende Leuchter des Freymäurer-Ordens.
Leipzig, bey Michael Blochberger, 1746, 408-424.


a)
Rede, so in Hamburg zu Anfang des 1744. Jahrs in der constituirten Loge gehalten worden,
worinn bewiesen wird,
dass nichts, als edle Seelen, Freymäurer seyn können.

b)
Daß nur Edle Seelen, wahre Freymaurer werden können;
In einer Versammlung zu Hamburg gehalten. 1744


[im Folgenden nach Version b nachgeschrieben – die gegenüber a um einige einzelne Sätze gekürzt und in den Übergangsbereichen häufig umformuliert wurde ].


Verehrungs-würdige Brüder!

Die weise und gütige Vorsicht hat den heutigen Tag darzu bestimmt, daß wir an denselben zum erstenmahle unsere liebreiche und Preißwürdige Versammlung anstellen solten.

Der vollkommneste Baumeister hat die Weisheit zu einer Grund-Säule unsers wichtigen Baues gesetzet. Die Schönheit hat er erwählet, unser prächtiges Gebäude unschätzbar zu machen. Der Stärcke hat er befohlen, dasselbe gegen das widrige Schicksal zu schützen.
Es mußte uns also das Gut zu Theile werden, welches wir jetzo geniessen. Ich verehre dahero den unendlichen Stiffter unsers erhabnen Wesens mit den empfindlichsten Regungen der Seele, daß er diesen wesentlichen Theil unserer Glückseligkeit aufgeführet, und uns zu Werckzeugen der vollkommnesten Arbeit gesetzet hat.

Diese Beschaffenheit meines Gemüths kan ich nicht bergen. Sie muntert mich auf, öffentliche Zeugnisse meines ausnehmenden Vergnügens darzulegen. Wie soll ich dieses auf eine anständige Art ins Werck setzen? Wo finde ich einen Weg, auf welchen ich zur Beobachtung meiner Pflicht gelange, und zugleich meinen reitzenden Trieb erfülle? gewiß, geneigteste Brüder, ich sehe keinen bessern, als wenn ich mir die angenehme Erlaubniß erbitte, mit Ihnen mich einige Augenblicke von solchen Sachen unterreden zu dürffen, die unsern edlen und hohen Zweck betreffen. - -

Die Betrachtung des Jahrwechsels zeügte bey mir verschiedene Vorstellungen. Sie führte mich zu verschiedenen Vorwürffen. Sie brachte mich zuletzt auf eine ernsthaffte Bemerckung der vernünfftigen Einwohner des Erdbodens. Ich beobachtete ihre Vollkommenheiten und Fehler. Ich überlegte ihre Handlungen, und fand bey allen diesen Stücken eine besondere Mannigfaltigkeit und einen mercklichen Unterscheid. Endlich blieb ich mit meinen Gedancken bey ihren Verrichtungen stehen, die sie gesellschafftlich treiben. Die Geschichte der ältesten Zeiten zeigten mir, daß sich mehrere Menschen zugleich nach etwas bestrebet: Daß sie Gesellschafften aufgerichtet, diß oder jenes auszuführen: Daß ihr Zweck dabey auf verschiedene Dinge gerichtet gewesen.
Ich erblickte von solchen Unternehmungen eine gantze Reihe, die bis auf unsere Zeiten ging. Ich fand aber bey allen, daß sie nicht gar lange gedauret. - -


Nur unsere preißwürdige Gesellschafft schiene mir den Vorzug der Beständigkeit von allen andern zu haben. Diese Betrachtung reitzte mein Nachdencken.
Bewunderung und Hochachtung unterstützten dasselbe, bis sich endlich die herrlichen Vorzüge unsers Ordens in ihrer rechten Grösse mir darstellten. Ich forschte weiter, und fand unzehlige Vorrechte, die derselben allein eigen sind. Unter solchen zeügete besonders die beständige Dauer, von ihrer Vollkommenheit. Die ersten Jahre der Welt, gaben mir schon ein ansehnliches Verzeichniß von erhabnen und weisen Vorgängern, die mit vereinigten Kräfften, die Stuffen zu den Gipfel unserer Kunst hinaufgestiegen.
Die folgenden waren hierinnen noch fruchtbarer. Und die jetzigen Tage beweisen dieses mit unzähligen und geheiligten Exempeln. Dreymahl beglückte Zunfft! Unschätzbarer Orden! Dein Wohl ruhet auf unbeweglichen Säulen! Du wanckest nicht! Deine Vestigkeit widerstehet allen Schicksalen! Du blühest ewig!

Worauf gründet sich aber dieses Vorrecht der edlen Freymaurerey, hochgeschätzte Brüder! Der hohe Zweck, die grossen Absichten, die ruhmwürdigen Bemühungen, schienen mir solches anfänglich allein zu entdecken. Doch als ich dergleichen auch bey andern Gesellschafften wahr nahm, welche dem ohngeachtet keine Beständigkeit gehabt, so wandte ich mich dißfals zu der übrigen Beschaffenheit des Ordens. Ich betrachtete besonders die Glieder desselben. Hier erblickte ich noch einen Hauptgrund dieses Vorzugs. Die Ubereinstimmung der Theile giebt einem Dinge unstreitige Vollkommenheit und Dauer. Hingegen befand ich auch, daß die Ungleichheit der Gemüther, den Untergang der mehresten Gesellschafften gewürcket, daß sie eine Mutter der Uneinigkeit sey. - -

Bey uns aber, Edle Freymaurer, ist ein solcher widriger Zufall unmöglich. Wir dürffen die Zerstörung unsers regelmäßigen Baues nicht besorgen. Unsere beste Arbeit wird durch die genaueste Ubereinstimmung der Triebe unserer Seelen, unauflöslich. Unsere vortheilhafften Geschäffte erhalten durch sie Fortgang und Grösse. Wir sind glückselig ohne Wechsel. In dieser Beschaffenheit unserer Verehrungswürdigen Zunfft lieget eine unwidersprechliche Wahrheit enthalten. Sie ist von dem Werthe, daß sie uns Ehre macht. Und ihre Wichtigkeit fordert von mir, daß ich sie heute zum Vorwurff meiner Rede erwähle.
Es ist aber diese:
Nur allein edle Seelen können wahre Freimaurer seyn.

Diese wichtige Wahrheit, will ich anjetzo im Vortrag nehmen. Nicht zwar, als wolle ich Sie, edle Brüder, darvon erst belehren: Nein. Sondern mein Zweck ist nur, durch diese meine jetzige Beschäfftigung an den Tag zu legen, daß ich zu deren Verrichtungen nicht gäntzlich ungeschickt sey, welchen sie mich vorgesetzt haben. Könte ich ihnen insgesamt hierbey die Empfindungen meiner Seele darlegen, die jetzt aus mir reden werden: Ich hätte gewiß ein geneigtes Urtheil von ihnen zu hoffen. Indessen sollen sie dennoch meine Richter seyn, indem ich mich längst ihrer Güte gäntzlich übergeben habe. Sie werden mir mit Recht auflegen, Höchstgeehrteste Brüder, daß ich Ihnen zuerst meinen Begrieff von einer edlen Seele darstellen solle: Well das Vorurtheil und die Neigungen der Menschen demselben beständig, ungleiche Gräntzen sehen.

Wer bey einem eintzigen Verfahren etwa Zufalls- weise dergleichen Triebe blicken läßt, die edel können genannt werden, der schmeichelt sich so gleich, in der Zahl der edlen Seelen oben anzustehen. Er gedencket nicht, daß alle seine Verrichtungen erst dieser eintzigen gleich seyn müssen, wo er diesen Platz verdienen will. Er nennet seine verwerfflichen Neigungen, grosse Eigenschafften. Die Eigenliebe würcket bey ibm unrichtige Begriffe von dem Edlen und Unedlen. Wer nur auf diese Art edel ist, der bleibt zu unserer Baukunst ungeschickt. Denn es müssen sich alle unsere Handlungen zusammen schicken und gleichen, woferne etwas edles in uns leben soll. Die beständige Neigung zu allen Tugenden zieret eine edle Seele.

Eine ungeheuchelte Sehnsucht nach der Glückseligkeit ist ihr schätzbar, hierbey verfällt sie niemahls auf Laster oder Kleinigkeiten. Sie ist ihren Leydenschafften nicht unterthan; Sie verehret die Vorschrifft, welche sie die Natur und ein vernünfftiges Nachdencken lehret. Sie beleydiget keine von den Pflichten, die sie den vollkommnesten Wesen und ihren vorgesettren Häuptern schuldig ist. Sie hält sich verbunden, das Wohl lhrer Neben-Menschen zu vergrössern. Sie suchet ein Vergnügen in solchen Handlungen der Liebe. Sie treibet sie mit Evfer und Fleiß

Dieses sind die Eigenschafften einer edlen Seele: Und solcher Art sind alle Mitglieder unsers Preißwürdigen-Ordens, welche uns zur Nachahmung vorgestellet sind. Denn wir sehen sie mit einer solchen Wissenschafft beschäfftiget, deren Ausübung ihre Vollkommenheit durch richtige Stuffen erhält. Hierbey zeigen sich Furcht undEhrerbierung, und die Liebe verbindet sich mit der Verwunderung aufs genaueste.
Ein eifriges Bestreben, und die sorgfältigste Aufmercksamkeit messen den Grund unsers richtigen Gebäudes auf das vollkommneste ab, und hierdurch werden die Fehltritte der Arbeiter bey .dessen Aufführung vermieden. Diese Wissenschafft erhält eine ausnehmende Pracht, und Würde durch Weisheit, Alterthum, Erfindung, Schönheit, Vestigkeit, Stärcke. Sie gründet sich auf ein Wohl, daß uns die Gottheit geschencket hat, daß allen Menschen unentbehrlich ist.
Dieses bestimmt ihr Wesen. Dieses geniessen wir mit Ehrfurcht. Dieses befördert unsere Glückseligkeit in unzählichen Fällen. Dieses erhält unsern Muth bey allen widrigen Schicksalen. Diesem haben wir es zu dancken, daß wir unser Glück mit unveränderten Sinnen tragen. Dieses zeiqet uns andere Gegenden, wenn uns diejenigen hassen, wo wir gegenwärtig sind. Dieses hat seinen Einfluß in die Glückseligkeit und Wohlfahrt aller Völcker. - -

So gerecht und edel unsre Königliche Kunst ist: So schätzbar und groß ist auch die Art, wie wir selbige ausüben. Haben wir uns nicht verbunden, meine Brüder, mit vereinigter Seelen zu arbeiten, und nach der Vollkommenheit unseres Zwecks zu streben? Empfinden wir nicht die Süßigkeit unserer Freundschafft durch einen öffters wiedorhohlten Umgang? Besitzen wir nicht die Eigenschafflen vollkommner Freunde? Stimmet nicht Hertz und Mund bey uns überein? Dürffen wir nicht sicher das Innerste unsers Hertzens gegen einander aufschliessen? Erforschen wir nicht mit Behutsamkeit unsere Gemüther, ehe wir zu dieser Freundschafft gelangen? Zerreisset jemahls ein Mißtrauen oder ein Argwohn, unsere Verknüpffung? Suchen wir nicht wechselsweise unsere Glückseligkeit zu befördern, und zu besorgen? Versagen wir uns eine Gefälligkeil, die tugendhaft ist?

Und eben diese edle Ausübung unserer Pflichten und richtigen Arbeit erhebet uns weit über alle übrigen Gesellschafften. Sie zieret uns, sie schützet uns, sie verewiget uns. Sie beweiset: daß nichts als edle Seelen, wahre Freymaurer seyn können. Stellen sie sich, Hochgeehrteste Brüder, nur einen Menschen vor, welcher die Pflichten, die ihm das Gesetze der Natur aufleget, nicht kennen will: Welcher das Schändliche von den Edeln nicht unterscheidet: Welcher seine Glückseligkeit in den Lastern suchet; Sie werden sogleich überzeugt sevn, daß dieselbe einen wahren Freymaurer schnurstracks entgegen stehe.
Ich wüste nichts, welches einen Lasterhafften ermuntern könnte, unsere Beschäfftigungen, die auf die wahre Glückseligkeit gerichtet sind, zu übernehmen. Seine Leydenschafften befehlen ihn das Gegentheil. Eine Arbeit, die zu Sättigung seiner Begierde nichts beyträgt, ist ihm verdrießlich und zuwider. Und welche Bewegungs-Gründe sollen ihm verbinden, noch überdem eine unzertrennliche tugenhaffte Freundschafft mit uns zu halten? - -

Ich will nicht eben solche Leute zum Beyspiel darstellen, bey welchen die guten und bösen Neigungen wechselsweise die Herrschafft haben. Die Gemüths-Bewegungen sind nur da allein beständig einerley, wo die gesunde Vernunfft den Scepter führet. Wie wenig Menschen sind aber immer dieser weisen Befehlshaberin unterthan? Die Menschheit hält ihre Vorschrifften zuweilen vor gar zu strenge. Und öffters bricht ihre Übereilung den Regiments-Stab, den sie nachhero mit Ehrerbietung küsset.
Ich rede jetzt von solchen, die den Lastern gäntzlich ergeben sind; Die ihnen jederzeit als ihren Leitsternen folgen. Dorten erblicke ich ein Geschöpffe, welches dessen gütiger Urheber zwar mit einer vernünfftigen Seele gezieret hat, die man aber nicht wahrnimmt. Die eiteln Neigungen haben dieselbe gäntzlich unterdrückt. Diese pflegen und weiden den Cörper aufs sorgfältigste. Sie kleiden und betten ihnen, wie es die Zärtlichkeit befiehlet. Sie stillen die Lüsternheit der Kehle mit den kostbarsten Speisen und Gelräncken. Sie erneuern und vermehren die Lüste alle Augenblicke, damit er fast nie gesättlget werde. Wie kan ein solcher Mensch die Pflichten unserer Zunfft erfüllen? Was soll ihn darzu antreiben? Wie soll er die Fähigkeit und Kräffte darzu haben können? Er weiß ja nicht, worinn die Glückseligkeit, die wahre Glückseligkeit bestehet? Was solte ihn also bewegen, solche Beschäfftigungen zu übernehmen, die seinen Trieben hinderllch sind? - -

Seine eitle Seele wird die Bemühung fliehen, die Richtigkeit, die Ordnung, die Kunst, die Gegend, die Zahl auszuforschen, die uns Wohlergehn und Ruhm in allen Theilen der Welt darreichet. Weßwegen solle er sein Gedächtniß, sein Nachdencken auf solche Wissenschafften wenden, die den Verstand aufklähren, die zu der Erkänntniß und zu dem Genüsse vernünfftlger Wahrheiten, und edler Güter leitet? Und welche Freundschafft würden wir endlich von ihm zu hoffen haben, da er keine andere Freunde kennet, als die, mit welchen er Leckerbissen, Spiel, Schertz, eitle Liebe u. lustige Stunden theilen kan?
Wie wenig ist also ein wollüstiger Mensch zu einen wahren Freymaurer geschickt? So gehet es auch mit dem, dessen Grundgesetz ihm befiehet, viel zu haben. Er sammlet, er scharret, er lauscht, er sinnet, er rennt, er schwitzt, er schwatzt, er lüget, er hungert, er durstet, er wachet, er seuffzet, er zählet, er wünschet, er sorget. Diß sind seine Bemühungen, diß sind seine Kunst-Griffe, seinen Goldklumpen zu vergrössern. Vond iesen Beschäfftigungen kürtzt er keinen Augenblick ab. Diese Triebe schicken ihn in den Bauch der Erde: Sie übergeben ihn der wilden See. - -

Ist dieser niederträchtige Mensch also fähig, unsere Zunfft zu verstärcken? Wie könte er so viel Zelt gewinnen, unsere allgemeine Sprache zu erlernen? - - Er würde unsere Geschäffte fliehen, und sie Kleinigkeiten nennen, weil er die wahre Glückseligkeit nicht kennet, und well sie seinen Kasten nicht füllen. Und wie würde es mit seiner Freundschafft aussehen? Er würde dieselbe auf den Besitz vieler Güter, und auf die Mittel gründen, die ihn darzu. verhelffen könnten. Denn er hat nur einen Freund: Das todte Ertz: Andere Freunde, suchet und kennet er nicht. Kein Geitzhals kan also ein wahrer Freymaurer seyn.
Eben sowenig darff ein Ehrbegieriger Mensch unsern Orden betreten. Denn solcher aufgeschwollner stoltzer Geist, verehret die seltensten Vorzüge bald in seiner Seele, bald an seinen Leibe, bald in seinen äuserlichen Umstanden. Er hält sich allein aller Arten der Glückseligkeit würdig. Er stürtzet andere, um groß zu werden. Die Mißgunst macht ihn unerträglich. Personen, welchen die Vorsicht einen ausnehmenden Vorzug vor ihm ertheilet hat, hält er sich kaum gleich. Die, welche von seinen Stand und Profession sind, siehet er als seine Knechte an. Und geringere Leute, als er ist, zählet er zu den nichtswürdigsten Geschöpfen. Er wird sich also nicht gefallen lassen, in unserer verborgenen Kunst ein Lehrling zu werden, andere nachzuahmen; Die Gründe unsrer Wissenschafften mit Hochachtung zu vernehmen, seine Unfähigkeit zu bekennen, und solche Dinge zu treiben, die seiner stoltzen Eigenliebe widersprechen.

Geliebten Brüder, wenn wir ihm hierbey die Regeln einer vollkommen Freundschafft abbilden, und solche zu seinen Pflichten sehen wollen, er würde gewiß ein aufgeblasenes Hertz, durch Verachtung verrathen. Er würde unsern süssen Bruder Nahmen, vor was niederträchtiges halten. Es würde ihn so gar schmertzen, wenn ihn kein Vorzug in unsern Versammlungen von den übrigen Gliedern unterschiede. Er würde es sich zur Schande rechnen, wenn erallen wahren Freymaurern auch ausserdem Liebe, Höflichkeit, Vertrauen, Dienste und die übrigen Freundschaffts-Pflichten schuldig wäre.
Wie mag also ein Hochmüthiger den wahren Freymaurern beygezehlt werden können. O unedle Seelen! verachtungs-würdige Menschen! Euch fehlet ein Hertz, das würdig ist, unser Wesen zu kennen! Euch fehlen alle Triebe, die einen wahren Freymaurer glückselig machen können!

Eine gleiche Bewandtniß hat es auch mit allen übrigen Lasterhafften, meine Brüder, welches einen jeden als eine natürliche Folge in die Augen fallen wird: Wir wissen auch überdem, daß die Verschwiegenheit eine unserer Haupt-Eigenschafft sey. Wir wissen, daß unsere geheime Kunst nicht allgemein seyn dürffe, weil dieses ihre Zusammenfügung auflösen, und die Grundsäulen unsers Baues umreissen würde. - -

Was solte diese Beut der Laster, welche die Befehle und die Gerechtigkeit der unendlichen Gottheit nicht verehret, was soll diesen verblendeten Schwarm verbinden verschwiegen zu seyn? Würde nicht mancher Bösewicht unsere Kunst, um einen Kuß, um wenig Geld, um eitle Ehre verrathen und entdecken? Ihr also nur allein, ihr edlen Seelen, ihr besitzet solche Eigenschaff ten, welche euch zu wahren Brüdern machen können! - -

Auf solche Weise werden endlich noch unsere Feinde beschämet werden müssen. Der Neid und die Einfalt hat bisher gegen uns eine Schaar solcher boshafftigen aufgeführt, die uns an allen Orten und Zeiten mit Schmähschrifften, mit Stichelreden, mit groben Ausdrücken, mit höhnischen Geberden, mit schändlichen Beschuldigungen, ja mit unzähligen unedlen Waffen angegriffen und verfolget haben. Die Ursachen ihrer Feindschafft haben sie in ihren Lasterhafften Trieben und in gewissen Vorurtheilen gefunden.
Niemahls hat die Liebe zur Wahrheit und zur Tugend dieses von ihnen gefordert. Niermahls hat unsere Zunfft durch Beleydigungen ihren Haß auf sich geladen. Dennoch hat ihr heimtückisches Gemüthe uns auf tausendfältige Art gekräncket. Sie haben sich mit Eyffer angelegen sevn lassen, uns als die straffbarsten Menschen abzubilden. Sie haben uns als Feinde der Ruhe, der Tugend, der Religion, gehäßig zu machen gesucht.
Bald haben sie uns zu solchen Staats-Männern gemacht, die den Untergang und das Verderben des Vaterlandes zum Vorwurffe haben. Bald haben sie die Zahl solcher frevelhafften Sünder mit uns vermehret, welche die Gerechtigkeit vormahls mil Feuer und Schwefel aufgerieben. Bald haben sie unsere Königliche Wissenschafft mit den Nahmen von Tändeleyen, Possen, Kleinigkeiten, und dergleichen Benennungen belegt. Dieses alles haben sie der Welt als unwidersprechliche Wahrheiten aufgedrungen.
Zuweilen haben sie gar den kühnen Entschluß gefasst, einen Beweiß darvon zu führen. Hierbey haben sie unsere Verschwiegenheit zum Grunde geleget, und so geurtheilt, daß dasjenige was straffbares seyn müste, welches man im verborgenen ausübet. Dunckle Seelen! neidische Gemüther! Es ist unnöthig, eure thörichte Meynungen zu widerlegen. Die Weisheit siehst die Blöße derselben gar zu leichte. - -

Ihr Thörichten! Ich muß euch mitleydend ansehen; und ohne Verstellung, Licht in euren Verstande und einen verbesserten Willen anwünschen. Wie ist es möglich, daß ihr von Dingen Urtheile fället, die euch gäntzlich verborgen sind? Wie ungerecht ist nicht euer Verfahren? Wie könt ihr so blindlings eine so edle und erhabene Wissenschafft verwerffen? Wie könt ihr glauben, daß so vie!e ausgesuchte und weise Männer mit Lust und Eyffer solche Frevelthaten ausüben solten, die ihnen die wahre Glückseligkeit auf ewig rauben?
Schliessen wir nicht die Verächter des höchsten Wesens von unsern Orden aus? Bleiben die wahren Brüder nicht nach ihren Eintritt, eiffrige Anhänger der Christl. Religion? Haben wir uns jemahls der Gewalt derer widersetzet, oder ihre Macht getadelt und verkleinert, welche Ebenbilder des unendlichen Beherrschers sind, dem alle Geschöpffe gehorsamen müssen? - -

Und du unendlicher Stiffter unsers Wercks, der du unserer Seele eingepräget hast, an diesen Bau mit Sorgfalt und Eyffer zu arbeiten, der du demselben unterstützest und vollkommen machestl du selbst wirst deßfalls gelästert, daß du den Menschen Wege gezeiget hast, die sie zur Glückseligkeit führen. - -

Die rachgierigen und benebelten Heyden, verfuhren eben so mit den ersten Anhängern des wahren Glaubens. Sie sprengten von den Christen aus, daß man ihre heilige Versammlungen mit Räubern, Verräthern, Mördern, Sodomitern und allerley Schandflecken angefüllet sähe, und daß sie dahero berechtigt wären, sie von Grundaus zu verstöhren, und zu vertilgen.
Wir haben also einen wichtigen Bewegungs-Grund, mit Gelassenheit das Wüten der Unbilligkeit und der Unvernunfft zu erdulten. - -

Ausser diesen rasenden Feinden unsers Ordens, geneigten Brüder, haben sich auch solche Gegner gefunden, die uns mit Bescheidenheit allerlev Einwürffe gemacht haben. - -
Doch denenselben haben schon andere edle Brüder geantwortet, und mich also dieser Mühe überhoben. - -

Nur einige Zweiffel sind mir noch übrig, darvon ich unsere Widersacher etwas besser belehren muß. Sie sagen zum Exempel, warum wir unsere Wissenschafften nicht allen Mensche« mittheilten, wenn sie so edel sind, und ihre wahre Glückseligkeit beförderten? Und ob wir nicht darzu recht ernstlich verpflichtet wären?
Ich antworte, wenn diese Leute unser erhabenes Wesen kenneten, so würden sie nicht also gedencken. Denn wofern sie es eben so klar und deutlich wüsten als wir, daß diese Wissenschafften und Geheimnisse nicht zugleich von jederman können genützt werden, und daß unzehlig Menschen zu unserer Arbeit ungeschickt sind: So würden sie vielmehr unsere Verschwiegenheit billigen und hochschätzen. Es erfordert es auch unser eigen Wohl, daß wir unsere Wissenschafften und Vorzüge nicht allgemein machen dürffen. Wir haben also den unveränderlichen Schluß gefasst, verschwiegen zu seyn. Dieses ist uns zum Gesetze geworden. - -

Wir gesellen uns auch nicht denen bey, welchen ihre Weisheit eine Last ist; welche platzen würden , wenn sie dieselbe nicht öffentlich darböten, Und weiche sich öffters mit einen Körnggen so hervorzuthun suchen, als wenn sie gantze Scheuren gesammlet hätten. Uberdem sind auch noch andere wichtige Ursachen, welche es unmöglich machen, uns allen dergestalt mitzutheilen , daß sie unsere Geheimnisse selber begreiffen und einsehen könten. - -

Der andere Einwurff, den man uns gar leicht vorhalten möchte, bestehet darinn, daß selbst unter den Freymaurern solche Personen bemercket werden, die eben nicht allemahl in ihren Handlungen ein edles Gernüthe an den Tag legen, und die ihren tadelhafften Neigungen zu Zeiten gehorchen. Ich gestehe es gerne zu, daß die Freimaurer noch nicht von allen Schwachheiten gereiniget sind. Die Unvollkommenheit der menschlichen Tugenden, zeiget sich sowohl bey ihnen als den übrigen Menschen. Die Regungen der Seele stimmen bey ihnen gleichfalls nicht beständig zu einen Zweck überein. Ihnen fehlet öffters die Einhelligkeit der Begierden. Dennoch aber werden sie niemahls ein Wohlgefallen an ihren unedlen Unternehmungen bey sich blicken lassen. Sie werden ihre Übereilungen und Neigungen selbst tadeln.
Es bleibet demnach ein solcher Maurer dennoch ein wahrer Bruder, gleichwie ein Fromme« wegen eines Fehltrits nicht gleich den Gottlosen beyzuzehlen ist, wenn er sein Verbrechen erkennet und mißbilliget. Sind sie aber solcher Art nicht, so erkennen wir sie nicht als wahre Mitglieder unsers Ordens, und wir bekennen, daß uns ihr Verhalten gehäßig sey, daß wir sie gäntzlich von den würdigen Brüdern absondern. - -

Es bleibet also den edlen Seelen allein das Vorrecht eigen, daß sie wahre Freymaurer seyn können. Weil nun dem also ist, so möchte es den Anschein haben, als ob wir dem liebenswürdigen Geschlechte die edle Seelen absprechen wolten, weil es eine bekandte Sache unter uns ist, daß dem Frauenzimmer aller Eintritt in unsern Orden versaget werde.

Dieses ist noch ein wichtiger Punct, den ich mit Stillschweigen nicht gar übergehen darff, weil aus unsern vorgetragenen Satz gantz natürlich zu fo!gen scheinet, daß wir sie nicht vor edel hielten. Aber, geneigteste Gönnerinen, es ist wahr, wenn wir so gedächten, so wären sie berechtiget, uns mit Verachtung und Feindschafft zu bestrafen, und uns von denen auszuschliessen, welche ihre Gewogenheit glücklich macht.
Doch solche finstere Geister dürffen sie in unserer Zunfft nicht vermuthen. Wir wissen gar zu wohl, daß die heitere und edle Seele vieler schönen Kinder, sehr offt den dunckeln Geist der Männer beschäme. Wir wünschten dahero, daß die Umstände unsers Ordens es erlauben möchten, unsere Versammlungen mit der Anmuth, der Schönheit, dem Reitze und der Munterkeit des unschätzbaren Geschlechts zu zieren. Wir wünschen uns dieses Vergnügen mit Sehnsucht, mit Empfindung, mit Eyfer. Allein wir dürffen es nicht hoffen. - -
Indessen, edle Freundinnen, finden sie bey uns Hertzen, die nichts als Hochachtung und edle Triebe für Sie kennen; Die kein Schicksal verändert, solange wir des Nahmens wahrer Freymaurer würdig sind. - -

Diese Gedancken von unsern Feinden, Gegnern und Gönnerinnen, führen mich endlich auf unsere Freunde und Gönner, die zwar in unsern preißwürdigen Orden noch nicht sind aufgenommen worden, die aber doch durch billige Urtheile, durch ihre Vorsprache, durch eine edle Zuneigung , und durch ihren Schutz und Beystand darthun, daß sie vernünfftig dencken, und daß sie zu den edlen Seelen gehören. - -

Weise Häupter! Edlen Freunde! ihr werdet niemahls einen wahren Freymaurer antreffen, der eure Geneigtheit nicht verehren, und der sich nicht Gelegenheit wünschen wird, euch seine Danckbegierde darlegen zu können. Ihr werdet aber auch niemahlen einen ächten Bruder unsrer Zunfft sehen, der eurer Gunst unwürdig wäre, und der dieselbe mißbrauchen und verschertzen wird. Dieses streitet mit unsern Pflichten. Dieses erlauben die Eigenschafften edler Seelen nicht. Dieses verhindert unser erhabenes Wesen. - -


Und diese edle Wahrheit, geliebtesten Brüder, diese Eigenschafften wahrer Freymaurer, diese Stützen unserer ewigen Dauer, diese Betrachtung der Vollkommenheit unsers Ordens, würcket in mir die zärtlichsten Bewegungen meiner Seele. Sie verstärcket meine Ehrerbietung, Sie mehret meine Hochachtung vor die wahren Glieder unsrer Zunfft. - -

Die grosse Seele, die euch Verehrungs-würdig macht, das edle Gemüthe, das euch Über unzehlig nichtswürdige Seelen erhebet, dieser Geist macht euch zu wahren Freymaurern. Er setzet euch zu unsern Schutze. Er schencket uns in euch Ruhe, Vertheydigung, Sicherheit, Wohlergehen, Glück, Ehre und grosse Wissenschafft. Ich müßte kein wahrer Bruder seyn, wenn ich bey diesen Vorstellungen meine Glückseligkeit nicht erkennen wolte. Zu welcher Zeit könte ich aber bessere Gelegenheit haben, dieses zu bezeügen, als eben an dem heurigen Tage?
Ich finde mich in einer ansehnl. und Verehrungs-würdigen Gesellschafft edler Freymaurer, und geniesse das Glück, Sie meine Mitarbeiter, meine wahren Freunde, meine Brüder zu nennen.

Erhabene, edle, weise Geister! liebenswürdige Brüder! Wie soll ich ihnen die süssen Empfindungen meines Hertzens vortragen? Wie soll ich den Trieb, den Reitz, die Regungen, die sich in meiner Seele äusern, abbilden? Wie soll ich ihre Wissenschafft und ihre Güte verehren? Was soll ich sonderlich der letztern entgegenstellen? Sie wissen, miene Brüder, ich besitze nichts als eine Seele, die mir die Vorsicht geschencket hat: Ein Hertz, das Aufrichtigkeit, Treue, Ehrfurcht und Freundschafft kennet.
Ich wünsche mir dahero die Früchte unserer Arbeit nicht zu geniessen; Ich wünsche mir keinen Anthell an unsern erhabenen Wesen zu haben; Ja ich wünsche mir lhre Feindschafft, und die unglücklichsten Zeiten, wo mich nicht die zärtlichste Liebe und die vollkommneste Hochachtung längst zu einen ungefälschten Verehrer aller edlen Brüder gemacht hat. Nehmen Sie dieses, Verehrungs-würdige Brüder, zu einem Unterpfande, bis vielleicht der allervollkommneste Baumeister mir in Zukunfft Wege zeiget, andere Proben meiner ächten brüderlichen Liebe darzulegen. - -

Keine Zeiten, keine Fälle, keine Veränderungen werden fähig seyn, die reinen Neigungen zu tauschen oder zu verkehren.


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