Kriegsgefangenenloge
Kriegsgefangenenlogen
Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)
Da in den vielen Kriegen des 18. Jahrhunderts in allen Armeen Freimaurer dienten, gab es deren zahlreiche auch unter den Kriegsgefangenen. Es sind viele Beispiele dafür bekannt, daß Freimaurer ihren kriegsgefangenen Brr. zu helfen trachteten, was um so notwendiger erschien, als die Kriegsgefangenschaft jener Zeit meist noch härter war als im Weltkrieg. Die Gefangenen litten unter Hunger und Kälte; da die Gefängnisse stets überfüllt waren, brachte man sie sehr schlecht unter- berüchtigt waren beispielsweise die Hulks von Portsmouth, Plymouth, Chatham, abgetakelte Schiffe, die in den Hafen verankert lagen. Französische Freimaurer waren es zuerst, die in der Gefangenschaft Logen gründeten; sie wurden vielfach von lokalen Logen unterstützt. Die Protokolle englischer Bauhütten verzeichnen nicht selten beträchtliche Spenden für Unterstützungszwecke. Auch die Großloge von England warf für diese Zwecke Beträge aus.
1756, im ersten Jahr des Siebenjährigen Krieges, bildete sich in Basingstoke die erste Kriegsgefangenenloge französischer Offiziere. Sie konstituierte sich ohne Patent. Als die Gefangenenlager 1758 nach Petersfield verlegt wurden, arbeitete die Loge dort weiter. Von 1759 an war sie in Leeds und nahm dort einige Bürger der Stadt auf. Ihre Mitglieder fanden auch regelmäßig Zutritt zu den Arbeiten der heimischen Loge "The Talbot". Erst mit Kriegsende, 1763, wurde die Loge aufgelöst.
Ende 1758 gründeten französische Kriegsgefangene unter Führung des Marquis Filley de Lerneu mit Genehmigung der Mutterloge "Zu den drei Weltkugeln" in Berlin eine Loge unter dem Namen "La Fidélité", die keine Aufnahmen vollziehen durfte und bis zur Auswechslung der Gefangenen bestand. Diese französischen Offiziere waren es auch, die die höheren Grade nach Berlin brachten und bei der Loge "Zu den drei Weltkugeln" unter Leitung des Barons von Printzen ein Kapitel von Jerusalemrittern errichteten, das als das Clermontsche Kapitel sehr bekannt geworden ist.
1762 erteilte die Großloge von York den französischen Kriegsgefangenen der Stadt ein Patent für eine Bauhütte, ebenfalls unter der Bedingung, keine Neuaufnahmen zu vollziehen. Aus dem 18. Jahrhundert sind noch mehrere Logen bekannt, zu deren Gründung kriegsgefangene Freimaurer die Initative ergriffen (Magdeburg, Launceston u. a.).
Während der Napoleonischen Kriege gab es Kriegsgefangenenlogen in Malta, Spanien, Derbyshire, Wales, drei in Hants, sieben in Devonshire usw. In den meisten Orten wurde ihnen von den bestehenden Logen Gastfreundschaft erwiesen; in Melroose und Selkirk z. B. stellte man ihnen die Tempel zur Verfügung. In Abergavenny, wo es damals noch keine englische Loge gab und die kriegsgefangenen Freimaurer unter Konstitution des Großorients de France auch britische Untertanen aufnahmen, gründeten diese nach der Heimkehr der Gefangenen sofort eine eigene Loge. Eigenartig waren manchmal die Namen der Logen: "Die Unglücklichen", "Freunde in Gefangenschaft", "Friedenssehnsucht" usw.
Auch in Gefängnissen, in die man Kriegsgefangene sperrte, gab es Kriegsgefangenenlogen. Crowe berichtet z. B. (in A. Q. C. Bd. XXß) über eine solche im "Orient of Dartmoor".
Die Kriegsgefangenenloge auf Malta "Freunde in Gefangenschaft", deren Mitglieder 1811 von jenen einer englischen Loge zu einem Brudermahl eingeladen worden waren, wollten diese Liebenswürdigkeit erwidern; der Gouverneur mußte aber die Versammlung verbieten, weil mittlerweile Priester die Bauern zu einem Angriff auf die Loge aufgehetzt hatten, unter dem Vorwand, die herrschende Trockenheit und Viehseuchen seien auf die Freimaurer zurückzuführen. Trotzdem das Mahl abgesagt wurde drang die Menge in den Tempel ein.
Lionel Vibert beziffert die Zahl der französischen Kriegsgefangenenlogen, die in England bis zur Beendigung der Napoleonischen Kriege bestanden, auf 32 ("Annales Maçonniques Universelles" 1931, Nr. 4).
Aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ist neuerdings die Existenz einer Loge bekannt geworden, die von Offizieren des von Herzog Karl von Braunschweig an England verkauften Expeditionskorps als Konventionsgefangenen nach der Kapitulation von Saratoga (1777) im Barackenlager von Charlotteville 1780 errichtet wurde woselbst sich auch eine als "Irländische Loge Nr. 63" bezeichnete Bauhütte befand, deren Mitglieder Angehörige des 20. englischen Linienregiments waren (Freimaurermuseum Band VI).
Während des Weltkrieges entstanden auf holländischem Boden die Logen "Gastvrijheid" in Groningen (19l5) und "Willem van Oranje" (1918) im Haag. Erstere setzte sich aus Angehörigen der englischen Marinebrigade zusammen, die nach den Kämpfen bei Antwerpen nach Holland übergegangen und dort interniert worden war; sie arbeitete unter dem Großosten der Niederlande nach englischem Ritual. Nach Beendigung des Krieges erhielt die Loge ein neues Patent von der Großloge von England. Auch die zweite Loge wurde von Kriegsgefangenen gebildet, die nach Holland ausgetauscht worden waren. Auch sie arbeitete nach englischem Ritual und wurde nach Friedensschluß ebenfalls in eine Bauhütte unter englischer Obedienz umgewandelt.