Traktat: Der Mithraskult und seine freimaurerischen Parallelen
Der Mithraskult und seine freimaurerischen Parallelen
Von Br. Dr. Emil Selter, Frankfurt
Eleusis 24.Jahrgang Nr.1 - Januar/Februar 1969
Der nachfolgende Vortrag wurde vor Brr. aller Grade gehalten; dadurch erklärt sich die meist vage Formulierung bei der Erwähnung ritueller Besonderheiten der höheren Grade. Auf die Gedanken, die sich spezifisch auf den Meistergrad und die Hiramlegende beziehen, wird in einem späteren Vortrag im Einzelnen eingegangen werden.
Die älteste Nachricht, die wir über Mithras besitzen, sind Tontäfelchen, auf denen Mithras als Schirmherr eines Vertrages - geschlossen im 14. Jahrhundert vor der Zeitenwende - zwischen den Hethitern und ihrem Nachbarstamm, den Mitanni, bezeichnet wird. Diese Täfelchen wurden 1907 in Boghazköy gefunden, an der Stelle, auf der einst Hattussa, die Hauptstadt des Reiches Hatti - eben des Hethiterreiches, um in der alttestamentarischen Schreibweise zu bleiben – ge-standen hatte. Es ist dies wohl die einzige schriftliche Mitteilung über Mithras, die von seinen Anhängern geschrieben worden ist; alle weiteren Nachrichten sind von Außenstehenden, meist Gegnern - in erster Linie Christen - uns übermittelt, oder wir müssen sie aus bildlichen oder figür-lichen Darstellungen und spärlichen Tempelinschriften erschließen. Der jüngste solcher Berichte stammt etwa aus der Mitte des 5. nachchristlichen Jahrhunderts. Selbst wenn wir die Zeit nicht einrechnen, die die Kunde von Mithras auf ihrem Weg von ihrem Ursprungsland Indien über Persien bis in die Mitte Kleinasiens brauchte, ist also Mithras ebenso lange kultisch verehrt worden, als das Christentum als Kirche heute besteht.
So alt Mithras auch ist, seine Verehrung in einem Mysterienbund stammt wahrscheinlich erst aus dem 3. oder 2. vorchristlichen Jahrhundert. Den Raum der asiatischen Welt hat er wahrscheinlich erst in den Jahren 60 bis 80 nach Christi Geburt verlassen, um europäischen und afrikanischen Boden zu betreten. Eine Nachricht von politischer Bedeutung sei noch besonders erwähnt: in ei-nem Streit zwischen verschiedenen Anwärtern auf die Kaiserwürde des Römischen Reiches eilte Diokletian, der erste oströmische Kaiser, nach Carnuntum, dem heutigen Deutsch-Altenburg, und schlichtete dort im Jahre 308 n. Chr. die Differenzen in dem Sinne, daß Galerius Maximinianus Augustus, Herrscher des Ostreiches, Valerius Licinianus Licinius Augustus Herrscher des West-reiches wurde und der dritte Prätendent Maximinianus Herculius auf seine Kandidatur verzichte-te. Zum Dank stifteten die Streitenden und der Vermittler gemeinsam in dem wiederhergestellten Mithrasheiligtum einen großen Altar, oder genauer gesagt: sie ließen an einem vorhandenen Al-tar die Widmungsinschrift beseitigen und eine neue einmeißeln. Auf Diokletian und Carnuntum muß an anderer, wichtiger Stelle zurückgekommen werden.
Diokletian war also Anhänger des Mithras. Wahrscheinlich ist 66 n. Chr. Nero der erste Mithras-verehrer auf dem römischen Kaiserthron geworden. In jenem Jahre 308 hatte die Macht Mithras ihren Höhepunkt erreicht. 312 siegte Konstantin der Große unter der am kreuzförmigen Schaft befestigten Fahne mit dem Christusmonogramm (griechisch XP = Chi Rho = Chrestos = doppel-sinnig: der Gesalbte oder der Verkündete), das ihm in einer optischen Halluzination den Sieg ver-sprochen hatte, in der Schlacht an der Milvischen Brücke über den Tiber und nahm daraufhin den christlichen Glauben an. Sein Enkel Julian kehrte zum Mithrasdienst zurück und wurde deshalb mit dem Beinamen „Apostata“, d. i. der Abtrünnige, belegt. Er konnte sich nicht durchsetzen, obwohl er erkannt hatte, daß der Mithraismus mehr mit dem Geiste der griechischen Philosophie getränkt werden müsse. Ehe ihm die Durchführung dieser Absicht gelang, starb er 363, noch jung, an einem Pfeilschuß in der Schlacht. 382 verbot ein Edikt Valentinians alle Staatszuschüsse zum Unterhalt römischer Kulte; schon 379 hatte der Stadtpräfekt Gracchus in einer Mithrasgrotte die „gräßlichen Abbilder umgestürzt, zerbrochen und zerschlagen.“
Am 27. Februar 391 wurde durch ein Edikt des Kaisers Theodosius, der in völliger geistiger Abhängigkeit von dem Mailänder Bischof Ambrosius stand, jeder heidnische Gottesdienst und sogar der Besuch eines heidnischen Tempels in Rom verboten. Ein neues Edikt vom 8. November 392 stellte jede gottesdienstliche Übung heidnischen Charakters selbst in privatem Kreise unter strenge Strafe. Das Christentum wurde durch kaiserliches Edikt Staatsreligion des Römischen Reiches.
Etwa zur gleichen Zeit nach Europa gebracht wie der Mithraskult, hatte die junge christliche Religion den soviel älteren Dienst nach jahrhundertelangem Kampf besiegt, aber nicht ohne wesentliche Gedanken zu übernehmen und sie in ihre Lehre einzufügen: Vorstellungen von Himmel und Hölle, der Auferstehung des Fleisches, von dem Mittler zwischen Gott und den Menschen, dem jenseitigen Seelenführer und endlich von der Wirksamkeit der Sakramente sind im Mithraskult schon vorgebildet und von der christlichen Kirche übernommen worden. Vom Jahre 450 n. Chr. an schweigen die zeitgenössischen Berichterstatter völlig über Mithras und seinen Kult.
Der Laie ist gern geneigt, den Mithraismus für eine kleine nebensächliche Sekte zu halten. Das kommt zweifellos daher, daß - wie ich schon andeutete - direkte Überlieferungen in schriftlicher Form völlig fehlen. Es gibt für dieses Fehlen zwei Erklärungsmöglichkeiten: entweder es war verboten, daß Anhänger des Mithras über Kult, Lehre und Ritus schriftliche Aufzeichnungen anfertig-ten, oder die siegreiche christliche Kirche hat alle solche Unterlagen zerstört, wie sie die Heiligtü-mer des Mithras zerstörte. Darüber werden wir später noch hören. Wenn wir aber sehen, daß es der Kirche nicht gelungen ist, trotz aller Anstrengungen in dieser Richtung, alle anderen heidnischen Schriften, die Bücher des Mani, die Schriften der griechischen Philosophen - soweit sie ab-gelehnt wurden - und die verworfenen christlichen Schriften, wie die apokryphen Evangelien und andere, restlos zu vernichten, dann gewinnt die erstere Begründung, daß nichts aufgezeichnet wurde, erheblich mehr Gewicht. Bei diesem Mangel an allen Unterlagen ist es wohl schon so, wie einer der besten Kenner der Materie, der Belgier Franz Cumont (gest. 1947) es formuliert hat: als stünde uns zur Erforschung des Christentums kein anderes Material zur Verfügung als jenes, das uns das Alte Testament und die mittelalterlichen Kathedralen liefern.
Wenn wir uns also eine Vorstellung machen wollen von der geographischen Verbreitung des Mithraskultes, dann müssen wir uns vor Augen führen, wo überall Mithrastempel gefunden worden sind. Zunächst nur eine Ab-steckung des Gebietes: östliche Grenze: Dura-Europos am Euphrat; westliche Grenze: Merida in Spanien; südliche Grenze: Nordafrika; nördliche Grenze: der Trajanswall zwischen England und Schottland. Aber innerhalb dieser Grenzen war das ganze Gebiet des römischen Weltreiches mit Ausnahme der südlichen Balkanhalbinsel, also des eigentlichen Griechenlandes, überzogen mit Mithrasheiligtümern. Das größte bisher aufgefundene Mithräum liegt im heutigen Hatég im transsylvanischen Rumänien, dem alten Sarmizegetusa oder Colonia Ulpia Traiana Dacica, einer Stadt, die im Beginn des dritten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung den stolzen Titel einer Metropolis, einer Mutterstadt, führte.
Das dortige Heiligtum ist 1881-83 ausgegraben worden und mißt 26 Meter in der Länge und 12 Meter in der Breite. Wenn man bedenkt, daß die Mithrasgemein-den bewußt klein gehalten und bei größerer Mitgliederzahl geteilt wurden, sind diese uns heute klein erscheinenden Ausmaße sehr beachtlich. In Serdica, dem heutigen Sofia, wurde ein Mithräum entdeckt. Erst 1954 hat man mitten in der City von London ein relativ gut erhaltenes Mithräum ausgegraben. Wie dicht die Mithräen oft beieinander lagen, zeigt ein Beispiel: in der noch nicht völlig ausgegrabenen antiken Hafenstadt Roms, in Ostia, hat man bisher 16 Mithrastempel gefun-den bei einer für die damalige Zeit geschätzten Einwohnerzahl von 50000 Seelen.
Aber bleiben wir bei unserer engeren Heimat: In Nida, dem heutigen Frankfurter Stadtteil Heddernheim, sind mehrere Mithräen gefunden worden; auf der Saalburg stehen die Nachbildungen dreier dort gefundener Mithrasreliefs, die drei Tempeln zugehören; drei wurden noch in jüngster Zeit in Rückingen, einem Dorf zwischen Hanau und Langenselbold gefunden; in Stockstadt am Main, in Die-burg, in Aschaffenburg, in Neuenheim bei Heidelberg, in Königshofen, in Schwarzerden im Saar-land, in Trier und an vielen anderen Orten, ist die Verehrung des Mithras nachgewiesen. Wohin die römischen Legionen kamen, dorthin kam auch der stiertötende Mithras.
Aus welchem Personenkreis setzten sich nun seine Anhänger zusammen? Auf den Votivge-schenken, soweit sie die Zeit überdauern konnten, also aus Stein oder Metall hergestellt waren, finden wir Sklaven, einfache Soldaten, Handwerker, militärische Dienstgrade der verschiedenen Stufen bis hinauf zum Legionsführer, Angehörige des Trosses der Armee, wie Zahlmeister, Listenführer u. a., gutgestellte Zivilpersonen, mehrere römische Kaiser und - bisweilen sogar in hö-heren kultischen Ämtern - Personen, die in anderen römischen Götterkulten Priesterfunktionen ausübten.
Der Reichtum mancher Tempelausstattungen läßt erkennen, daß den Gemeinden oder ihren Mitgliedern nicht unbeträchtliche Mittel zur Verfügung standen.
Wer war nun dieser Mithras, der solch große Anhängerschaft fand? In dem ältesten Dokument über ihn, eben jenen Tontäfelchen aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert aus Hattussa, lernen wir ihn als Schützer eines Vertrages kennen; noch 308 n. Chr. finden wir ihn in gleicher Eigen-schaft wieder. Ursprünglich war Mithras wohl überhaupt nicht als Gott verehrt worden, sondern als Mittler zwischen den Menschen und dem Gott des Guten: Ormuzd oder Ahura Mazda; auch hierin verrät sich seine persische Herkunft. Auch war er ursprünglich nur ein Sonnenheros, dem erst im Laufe der Zeit göttliche Qualitäten zugesprochen wurden, ja, er wurde zuletzt der Sonne gleichgesetzt. Hierin zeigt sich die Herkunft des Mithraskultes aus einem alten arischen Kulturbereich.
Später formten den Kult vorderasiatische, insbesondere babylonische religiöse Einflüsse: der Mithraismus wurde zum „umfassendsten Versuch des Altertums, die Vorgänge am Himmel in einem großartigen religiösen Symbolismus zusammenzufassen und in diesem die ewigen Geschehnisse der Natur dem Menschen in einer Weise nahezubringen, daß er schließlich von dessen Wahrheit gläubig erfüllt sein musste“ (Lennhoff-Posner).
Deus Sol Invictus
Ein anderer vorderasiatischer Kult verband sich mit dem Mithraskult: die Lehre von dem Deus Sol Invictus, dem unbesiegten Sonnengott von Emesa, der es bis zu einem Tempel auf dem Forum Romanum und einen seiner Priester auf den römischen Kaiserthron bringen sollte: Elegabal (der 212 n. Chr. von der Volkswut vom Throne vertrieben, zusammen mit seiner Mutter ermordet, enthauptet und in den Tiber geworfen wurde). Diese Verbindung war naheliegend: Mithras trug vorher schon den Charakter eines Sonnengottes und den persischen Beinamen „nabarze“, was gleichbedeutend ist mit invictus = unbesiegt.
Römischem Brauch der Adoption von Göttern folgend, wurden offenbar in den Mithräen auch an-dere Götter als Mithras und Sol verehrt; jedenfalls finden sich Statuen oder steinerne Darstellungen vieler Götter in den Mithräen. Okeanos als Gott des Wassers, Caelus als Gott des Himmels, der ägyptische Serapis, der griechische Asklepios, der zoroastrische Gott der Zeit, Zerwan, und viele andere mehr. Im Rahmen unseres Themas interessieren uns nur die beiden letztgenannten; auf sie wird noch zurückzukommen sein. Auch über weitere, dem Mithras zugeschriebene Eigen-schaften und Leistungen wird später zu sprechen sein.
Ich komme nun zu der Schilderung der Einrichtung der Mithrastempel, der Aufnahme und der Be-förderungen in den Mithrasmysterien. Mancher Bruder wird vielleicht schon während dieser Schil-derung an maurerische Einrichtungen und Handlungen erinnert werden. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich den Gesichtswinkel, unter dem ich diese Ähnlichkeiten betrachte, in zwei Sätzen vorweg darstellen:
1. Der menschliche Geist ist nur der Schaffung einer gewissen, begrenzten Zahl religiöser Vorstellungen und kultischer Formen fähig.
2. Gleiche Gedanken und gleiche Formen müssen daher in allen Religionssystemen und allen Kulten sich wiederholen.
Die Kulthandlungen der Mithrasmysterien gingen in besonders hergerichteten Räumen vor sich; wo es möglich war, wurden natürliche Höhlen dazu gewählt; wenn nicht, wurde künstlich ein Ge-wölbe hergestellt. Tunlichst lag der Tempel unterirdisch und wurde von oben betreten; wenn das nicht möglich war, führten wenigstens von dem Vorraum einige Stufen hinunter in den Tempel. Dieser hatte die Form eines Rechtecks mit Liegebänken an den beiden Längsseiten, entspre-chend der griechischen und römischen Sitte, auf der Seite mit aufgestütztem Ellenbogen zu lie-gen statt zu sitzen. Die Decke war gewölbt, die Wände meist fensterlos. Da die Decke das Him-melsgewölbe darstellen sollte, war sie meist blau getüncht und mit goldenen Sternen übersät. Der Eintritt erfolgte von einer der Schmalseiten aus; in der Nähe des Eingangs stand am Anfang der Liegebänke je eine Säule, bisweilen auch eine Säulenreihe entlang den ganzen Liegebänken. Wo Säulen nicht vorhanden sind, werden sie durch eine Reihe von Nischen an den Längsseiten angedeutet. An den beiden dem Eingang nächsten Säulen standen zwei Figuren, die wir an an-derer Stelle noch klarer sehen werden: Cautes und Cautopates, jeder mit einer Fackel in der Hand; wo die Figuren fehlten, waren die Fackeln an den Säulen in metallischen Ringen befestigt. An der Schmalseite, dem Eingang gegenüber, war eine Apsis angebaut; in dieser ein steinernes Relief, häufig um einen Zapfen drehbar, sodaß Vorder- und Rückseite je nach Wahl dem Kult-raum zugewendet werden konnten. Vor dem Relief war - 5 oder 7 Stufen erhöht - der Platz des Leiters der Gemeinde, Vater genannt; vor den Stufen stand ein Feueraltar und manchmal dane-ben noch ein Opferaltar. Vielfach hatten die Mithräen Nebenräume, die nach der Ansicht der Fachgelehrten der Einweihung in die einzelnen Grade des Mithrasmysteriums dienten. Einige dieser Nebenräume waren bei ihrer Entdeckung völlig leer; in einem fand man eine grabgroße Vertiefung im Boden (1949 in Carrawburgh in England entdeckt); eine ähnliche Grube fand man im Mittelraum des Tempels in dem „Mitreo delle tre navate“ in Ostia; auch unter dem Mithräum unter Sta. Prisca in Rom fand sich in einem Seitenraum eine allerdings breitere Grube. Ein Sach-kenner meint, man habe bei Aufnahme oder Beförderung den Kandidaten in die Grube gelegt, diese abgedeckt mit Steinplatten, erhitzt und so eine Feuerprobe durchgeführt. Der gleiche Autor vermutet, daß der leere Raum einer Erdprobe gedient habe, die an dem Kandidaten durchgeführt wurde, während er im Hauptraum einer Wasserprobe unterzogen wurde. Eine andere Auffassung ist die, daß der Kandidat in die Grube gelegt wurde, die dann mit einem Rost abgedeckt wurde, auf dem ein Tier, meistens ein Stier, geopfert wurde, so daß das Blut des Opfers auf den Kandi-daten lief und er so gewissermaßen einer Bluttaufe unterworfen wurde. Wenn auch von zeitge-nössischen gegnerischen Schriftstellern dem Mithraskult Menschenopfer vorgeworfen wurden, so haben sich in den Gruben und auch in der Nähe der Mithräen nur Knochenreste von Tieren, also wohl Opfern, gefunden.
Das Relief in der Apsis diente den verschiedensten Darstellungen aus dem Kult des Mithra. Aber fast auf allen nimmt den Hauptplatz die Darstellung der Stiertötung ein. Auf keinem im Rhein-Main-Donau-Gebiet gefundenen Relief fehlt dieses Taurobolium. Die auf germanischem Boden gefundenen Reliefs sind von einer solchen Gleichartigkeit, daß man ihnen eine allen gemeinsa-me Werkstätte zusprechen zu können glaubt. Ich persönlich habe aber im Nationalmuseum in Palermo ein Relief sizilianischen Ursprungs gesehen, das - wenn auch erheblich kleiner - doch völlig der Darstellung der in Heddernheim und auf der Saalburg gefundenen Reliefs entsprach. Ich will diese Reliefs in ihren gemeinsamen Grundzügen schildern. Den Hauptraum nimmt, wie gesagt, die Tötung des Stieres ein. Das Tier ist in den Hinterbeinen eingeknickt. Mithras, kennt-lich an seinem knielangen persischen Rock, seinem kurzen Schultermäntelchen (wie es heute noch oft in Südeuropa bei katholischen Geistlichen gesehen wird) und der typischen phrygischen Mütze, kniet mit dem linken Knie auf dem Rücken des Stiers, mit der Linken hält er sich an einem Horn des Tieres und stößt mit der Rechten einen breiten Dolch oder ein kurzes Schwert dem Stier ins Herz. Ein Rabe fliegt von links herbei, als wolle er Mithras eine Nachricht überbringen; ein Hund bellt von vorne den zusammenbrechenden Stier an. Unter dem Leib des Stieres steht eine Amphora - ein Wassergefäß -, eine Schlange hebt den Kopf zu ihm empor, und ein Löwe faucht die Schlange an. Ein Skorpion hat sich in die Hoden des Tieres eingeklammert. Der Schweif des Stieres ist hoch aufgerichtet und endet in drei Blättern oder drei Kornähren.
Links - vom Betrachter her gesehen - von dieser ganzen Szene steht Cautopates mit gesenkter, rechts Cautes mit erhobener Fackel; beide sind gleich Mithras gekleidet und tragen, wie er, die phrygische Mütze, und beide haben den einen Unterschenkel vor dem anderen gekreuzt. Auf ei-nem Relief findet sich hinter Cautes und Cautopates je eine Figur, die ihnen völlig gleich geklei-det ist: links ist zweifellos Mithras mit dem Stier auf den Schultern dargestellt; die zur Rechten dargestellte Figur legt die rechte Hand auf die linke Schulter; sie wird von den Fachgelehrten als unerklärbar bezeichnet. Das ganze ist eingerahmt von einem Halbkreis mit der Darstellung der 12 Tierkreiszeichen, vielfach sind darüber links Luna, die Mondgöttin, und rechts Sol, der Sonnen-gott, dargestellt. Oft finden sich in einer weiteren Umrahmung die sieben Planeten sinnbildlich dargestellt. Im Prinzip fehlt diese Darstellung auf keinem aufgefundenen Mithrasrelief. Neben die-ser Hauptdarstellung finden wir - oft auf der Rückseite drehbarer Reliefs - einzeln oder nebenein-ander dargestellt die Geburt Mithras aus dem Felsen, das Wasserwunder, Mithras auf der Jagd, Mithras, den Stier einfangend und forttragend, Mithras beim gemeinsamen Mahl mit Sol, die Him-melfahrt des Mithras gemeinsam mit Sol oder alleine, Okeanus, Kronos-Saturn, Globus und Ad-ler, Atlas, die Weltkugel tragend, und Zerwan, den Gott der unendlichen Zeit. Was hat das alles zu bedeuten?
Der Stier ist nach altiranischer Überlieferung das Symbol des Bösen, auf Befehl des Ahura Maz-da (Ormudz), den der Rabe (griechisch: korax) als Götterbote (griechisch: kerÿx - also ein Wort-spiel) überbringt, tötet der Mittler Mithras den Stier, und aus dessen Blut entsteht die Vegetation insbesondere das Brotkorn (wir haben hier also die mythologische Überlieferung der Entstehung des Pflanzenwuchses aus Opferblut: Attis, Adonis, Osiris). Zusammengeschaut haben wir hier das zentrale Problem aller alten Mysterienbünde: Tod, neues Leben, Auferstehung, wie es uns noch heute die Natur im jährlichen Zyklus von Blühen, Verblühen und Wiedererblühen vor Augen führt. Mithras wird durch seine Tat, die neues Leben schafft, zum Erretter der Menschheit (grie-chisch Sotér = Heiland).
Das Wassergefäß ist Allegorie des Wassers, die Schlange die der Erde und der Löwe Sinnbild des Feuers. Der Skorpion als letzter Rest des Bösen sucht den Samen des Stiers zu zerstören. So regelmäßig sich Cautes und Cautopates auf den Reliefs vorfinden, so ungeklärt ist bisher ihre Bedeutung. Vermaseren, der z. Zt. wohl angesehenste Mithras-Forscher, meint, daß die beiden gleich Mithras gekleideten Personen mit Mithras zusammen die Trinität der Gottheit darstellen sollen. Er stützt sich bei dieser Auffassung auf die hin und wieder gefundene Darstellung von drei mit der phrygischen Mütze bedeckten Köpfen auf einer dreifachen Astgabel und eine Stelle in den Schriften des Pseudo-Dionysos Areopagita, wo dieser von einem Triplasios, also einem drei-gestaltigen Mithras spricht. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Cautes, mit erho-bener Fackel rechts unter der Darstellung Sols stehend, der Repräsentant des Sonnenstandes am Morgen, Cautopates, mit gesenkter Fackel links unter der Darstellung der Luna stehend, der des untergehenden Gestirns, der Abendsonne, und Mithras in der Mitte die Verkörperung des höchsten Sonnenstandes sei. Er fügt hinzu, daß infolgedessen Mithras zur Mittagszeit besondere Verehrung genossen haben soll.
Ich vermag mich dieser Erklärung nicht anzuschließen. Die dreiköpfige Götterdarstellung ist viel älter als die christliche Trinitätslehre und bedeutet nur, wie viele Beispiele beweisen (Janus, der dreiköpfige thrakische Reitergott, der Triglav der Balten und der Slowenen, der gallische Drei-kopf), die Fähigkeit des Gottes, nach allen Seiten zu sehen, also seine Allwissenheit. Die Erklä-rung durch Morgen, Mittag und Abend erfordert, die Darstellung von rechts nach links zu lesen; seine weiteste Verbreitung aber hatte der Mithraskult in Ländern, in denen von links nach rechts geschrieben wurde, nur das Hethiterreich, aus dem die erste Erwähnung des Mithras stammt, wich davon ab mit seiner „Ochsenpflugschrift“.
Ich glaube eine Erklärung gefunden zu haben, die den Charakter Mithras nicht verändert; links Cautopates mit gesenkter Fackel und ernster Miene steht für Tod, rechts Gautes mit erhobener Fackel und heiterer Miene steht für Leben; wenn in der Mitte zwischen beiden Mithras als Erretter = Heiland steht, kann es sich also nur um ein neues, besseres Leben handeln; das Ganze stellt also einen Wiedergeburtsmythos dar. Auch Planeten- und Tierkreisbilder versinnbildlichen den Weg der Sonne durch die Welt vom Morgen zum Abend und die tägliche Wiederkehr, also die unbesiegbare Sonne, Sol invictus.
Von den Nebendarstellungen sind nur zwei für unser Thema wesentlich: Die Geburt des Mithras wird dargestellt als Felsblock, aus dem der Gott - kenntlich an der phrygischen Mütze - mit dem Oberkörper schon entbunden ist, er hält Dolch und Fackel oder Dolch und Erdkugel in den beiden Händen; Hirten stehen andächtig zuschauend dabei oder heben hilfreich Mithras aus dem gebä-renden Stein heraus. Als Geburtstag des Mithras wird der 25. Dezember gefeiert, der Tag der Wiederkehr des neuen Lichts. Das gemeinsame Mahl zwischen Mithras und Sol wird nach eini-gen Darstellungen von der Gemeinde nachvollzogen, das erklärt das häufige Vorkommen von Küchen in den Anbauten an den Mithräen. Doch war es auch üblich, Brot, Wein und Wasser zu teilen. Häufig schleppt Mithras den gefangenen Stier, über Nacken und beide Schultern gelegt, davon. Die weitgehende Übereinstimmung dieser Legenden mit christlicher Überlieferung (Hirten auf dem Felde, 25. Dezember, gemeinsames Mahl, Christus, das Lamm tragend) ist außeror-dentlich beeindruckend und aufschlußreich.
Auch das Wasserwunder, bei dem Mithras durch einen Pfeilschuß auf einen Felsblock diesem Wasser entlockt, hat seine biblische Entsprechung in 2. Mose 17. Bleibt noch Zerwan, der Gott der unendlichen Zeit, zu schildern und zu erklären. Da mithraistische schriftliche Überlieferungen hierüber fehlen, sind wir auf die Erklärung angewiesen, die in manichäischen, also etwas jünge-ren Schriften gegeben wird. Dargestellt wird Zerwan als löwenköpfiger Mann, völlig nackt oder nur mit einem Lendenschurz bekleidet, mit vier Flügeln, von einer Schlange in 7 Windungen um-schlungen. In der Linken hält er ein Szepter, in der Rechten einen Schlüssel in Form eines rech-ten Winkels.
Zerwan ist iranischen Ursprungs wie Mithras, er ist dort zweigeschlechtlich und gebar sowohl Or-mudz, den Gott des Guten und des Lichts, wie auch Ahriman, den Gott des Bösen und der Fins-ternis. Er ist also eine Art Ur-Gott. Zerwan ist nach zerwanitischer Auffassung ein viergestaltiger (griechisch: viergesichtiger) Gott. Seine vier Gestalten sind Gott, Licht, Kraft und Weisheit. Der Zerwanismus und der Mithraismus werden in einschlägigen Schriften als zusammenhängend be-zeichnet.
Über die Kultzeremonien des Mithras können uns mangels allen schriftlichen Materials nur Abbil-dungen geringen Anhalt geben. Solche Wandmalereien haben sich in einigen Mithräen gefunden: in Dura-Europos, in Ostia in dem Mitreo delle pareti depinti, in Capua und in doppelter Ausferti-gung in dem Mithrastempel unter Sta. Prisca in Rom. Als nämlich die Christen den Tempel des verhaßten Kultes in Besitz nahmen und darüber eine eigene Kirche errichteten, versuchten sie die Wandbilder durch Beilhiebe zu zerstören, was aber nur teilweise gelang; als daher der Tem-pel in der Neuzeit wieder entdeckt wurde, zeigte sich, daß unter der beschädigten Bemalung eine ältere vorhanden war, die reichen Aufschluß gab. Danach und nach schriftlichen Äußerungen von gegnerischen Zeitgenossen können wir folgendes sagen:
Aufnahme fanden nur Männer; offenbar ist der Mithraskult der einzige Mysterienbund des Alter-tums, der Frauen ausschloß. Die Mysterien von Eleusis, die der Isis, der Kybele und des Diony-sos waren beiden Geschlechtern, der der Bona Dea sogar nur Frauen zugänglich. Offenbar ging der Aufnahme ein gewisser vorbereitender Unterricht voraus. Der Aufzunehmende, und vielleicht auch der zu Befördernde, war völlig nackt und hatte die Augen verbunden, ein Mitglied, vielleicht ein Priester schob mit beiden Händen den Kandidaten vor sich her. Auf einem anderen Bild kniet der Myste, noch mit verbundenen Augen, vor dem Priester; wieder ein Bild zeigt den Mysten auf einem Knie kniend, während der Mystagoge von hinten beide Hände auf den Kopf des Kandida-ten legt; noch ein Bild zeigt einen auf beiden Knien knienden Kandidaten, dem sein Führer mit dem Fuße auf eine Wade tritt und ihn mit beiden Händen auf den Schultern niederdrückt. Ein Text aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. berichtet, daß die Kandidaten über wassergefüllte Gräben gestoßen wurden. Suidas, der im 9. Jahrhundert ein Lexikon zusammenstellte, sagt: Niemand soll sich in die Mithrasmysterien einweihen lassen können, bevor er nicht eine ganze Serie von Prüfungen durchlaufen hat. Der Schwede Edsman glaubte Unterlagen für eine Feuertaufe zu ha-ben. Auf die grabähnlichen Gruben sei hier noch einmal hingewiesen. Eine Äußerung des Lam-pridius über den Kaiser Commodus („Er besudelte die Mithrasmysterien mit Mord, denn es war dort üblich, etwas zu sagen oder vorzuspiegeln, um leere Angst und Schrecken einzujagen.“) läßt die Vermutung aufkommen, daß es etwas wie einen künstlich erzeugten Todesschlaf gab, dem Auferstehung und Neugeburt folgten.
Eine Inschrift in einem Mithräum unter der päpstlichen Kanzlei in Rom spricht von den „syndexi“, die fröhlich ihre Gelübde feiern, woraus zu entnehmen ist, daß der abgelegte Eid durch einen Handschlag besiegelt wurde. Die Einweihung erfolgte in sieben Stufen. Ihre Namen sind uns durch den Kirchenvater Hieronymus überliefert und vielfach bestätigt. Sie lauten: Corax oder Ra-be, Verlobter oder Nymphus, Miles oder Soldat, Leo oder Löwe, Perses oder Perser, Heliodro-mus oder Sonnenläufer und Pater oder Vater. Aus den Wandmalereien kennen wir die den ein-zelnen Graden zugeordneten Attribute und Symbole.
Dem „Raben“ ist der Stab des Merkur und ein Rabe zugeordnet, womit seine Eigenschaft als Götterbote und des Grades als Luftgrad unterstrichen wird.
Dem „Nymphus“ zugeordnet ist ein Schleier, der das Haupt verhüllt. In diesem Grad spielt die junctio dextrarum, der Handschlag, eine besondere Rolle, weitere Symbole sind Fackel, Lampe und Krone. Eine Inschrift, die sich auf diesen Grad bezieht, spricht von dem „Neuen Licht“. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß das Zurückschlagen des Schleiers eine Parallele zur Lösung der Augenbinde ist. Das berühmte Gemälde der „Aldobrandinischen Hochzeit“ läßt ahnen, daß die Aufnahme in diesen Grad mit besonderen Reinigungszeremonien verbunden war, der Nym-phus also das Element Wasser versinnbildlicht. Die Embleme des „Miles“ sind Soldatensack, Lanze und Helm. Bekannt ist aus der Handlung dieses Grades, daß der Kandidat bekränzt wur-de, den Kranz aber vom Kopf nahm, mit der Bemerkung: „Nur Mithras ist meine Krone.“ (Corona = Kranz und Krone). Wenn man richtig vermutet, daß die vier ersten Grade den vier Elementen zugeordnet sind, dann muß der „Soldat“ eine ganz besondere Beziehung zur Erde haben. Nähe-res ist nicht bekannt, auch das Vorkommen einer Erdtaufe wird nur vermutet. Dem „Löwen“ zuge-ordnet sind Feuerschaufel, Klapper der Isis und Blitz des Jupiter. Er ist nach Tertullian „trockenen und feurigen Gemütes.“ Porphyeios berichtet über die Einweihung zum Löwen, daß die Hände des Kandidaten mit Honig gewaschen wurden: „Weil Feuer das läuternde Element ist, muß der Myste eine Waschung vornehmen, die dem Feuer nicht feindlich ist wie das Wasser.“ Ein Aus-druck in Duro-Europos läßt vermuten, daß auch eine Feuertaufe vorgenommen wurde. Man ist natürlich versucht, hier an den Ausspruch Johannes des Täufers zu erinnern, der in Matthäus 3, Vers 11, berichtet wird: „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommen wird, der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“
Dem „Perser“ zugeordnet sind Mond und Stern sowie Sichel; einmal trägt er ein Bündel Ähren, ein andermal ist Mithras selbst als Schnitter dargestellt.
Attribute des „Sonnenläufers“ sind Fackel, Nimbus mit Strahlenkranz und Globus.
Dem höchsten Grad des Mithrasmysteriums, dem „Vater“, eignen phrygische Mütze, Ring und Stab (wohl Szepter). In Rom begegnen wir einem höchsten Vater „Pater Patrum“, ein Titel, der mit den Buchstaben PP neben PM für Pontifex maximus (höchster Priester) und SS für (Servus servorum (Knecht der Knechte) in die vollständige Titulatur des Papstes übergegangen ist.
An die sieben Grade des Mithraskultes erinnern plastische und Mosaikdarstellungen von sieben Toren (Ostia), sieben Altären (Mannheim) und sieben Dolchen. Auch eine siebenstufige Leiter diente als Kultgerät.
Bevor ich nun mit den Darstellungen der freimaurerischen Parallelen beginne, erinnere ich noch einmal an meine S. 29 vorgetragene Auffassung.
Halten wir also zunächst als kardinale Übereinstimmung fest, daß in den Freimaurerbund, wie in die Mithrasmysterien, nur Männer aufgenommen werden können und Frauen ausgeschlossen sind.
Stellen wir weiter fest, daß unsere Logen eine gewisse Zahl von Mitgliedern nicht überschreiten sollen, und dann eine Teilung für angebracht erachtet wird.
Erinnern wir uns dann, daß unsere Tempel ein längliches Viereck bilden, wie die Mithräen, wie diese (gedanklich) in der Ost-West-Richtung angelegt sind, wie diese in der Regel ohne natürli-ches Licht sind. Mancher wird sich vielleicht Gedanken gemacht haben, warum die Freimaurerei als Lichtkult in Räumen arbeitet, denen das Sonnenlicht fehlt. Er befindet sich in der besten Ge-sellschaft. Schon Tertullian fragt im 2. Jahrhundert n. Chr. voll Staunen, weshalb man einen Lichtgott in einem Heiligtum verehre, das „vere castra tenebrarum = eine wahre Feste der Fins-ternis“ sei. Und im 4. Jahrhundert n. Chr. schreibt Firmicus Maternus in seinem Buche über die heidnischen Irrlehren: „Einen Sonnengott nennen sie Mithras, aber seine Mysterien feiern sie in verborgenen Grotten, so daß sie, untergetaucht in die dunkle Unwirtlichkeit der Finsternis, die Lieblichkeit des strahlenden Lichts entbehren.“ Wir hörten, daß die Mithräen in Höhlen oder un-terirdisch angelegt waren, oder daß man zumindestens diesen Eindruck andeutete, indem man von einem Vorraum in den eigentlichen Kultraum hinabstieg. Aber in den englisch sprechenden Logen heißt der äußere Türhüter - ein in Deutschland unbekanntes Logenamt - Tyler = Ziegel-decker. Das läßt annehmen, daß die Brr durch das abgedeckte Dach in den Tempel hinabstie-gen, das hinter ihnen wieder zugedeckt wurde.
Die Maurertempel sollen möglichst gewölbte Decken haben, die - wie im Mithraskult - das Him-melsgewölbe darstellen und daher in Blau gehalten und mit goldenen Sternen bedeckt sind. Der Eingang zum Maurertempel liegt richtig an einer Schmalseite; ihm gegenüber ist der Platz des Meisters. Hinter dem Meister befindet sich ein großes Symbolbild, vor ihm steht der Altar. An den Längswänden sitzen die Brüder. Alles ist also angeordnet wie in den Mithrasmysterien. Am An-fang der seitlichen Plätze für die Brüder steht rechts und links eine Säule, in der Loge haben hier die Aufseher ihre Plätze, im Mithrastempel Cautes und Cautopates. Wenn ich Cautes richtig mit „der Vorsichtige“ übersetze, dann wird die Analogie noch größer. Es sei gleich hier eingefügt, daß die gekreuzten Unterschenkel, die Cautes und Cautopates so gut wie immer zeigen, in einem Ro-senkreuzergrad des Schottischen Ritus als großes Not- und Hilfszeichen angegeben werden.
Welche von den beiden oben genannten Deutungen man den beiden Figuren auch geben mag, beide haben in der Maurerei ihre Entsprechungen. Nimmt man die Deutung Vermaserens, so fin-den wir in fast allen maurerischen Johannis-Ritualen die Frage nach dem Zeitpunkt der Eröffnung der Arbeiten und die Antwort darauf mit Hochmittag und entsprechend für die Schließung der Ar-beiten: Hochmitternacht. In manchen Hochgradritualen wird für die Eröffnung die Morgenröte und für den Schluß die Abendsonne, in anderen wieder die Strahlen der Sonne von Osten für Beginn und die Strahlen der Sonne von Westen für das Ende der Arbeit angegeben. Immer aber fällt der Höhepunkt der Arbeit mit dem höchsten Sonnenstand, mit dem vollen Licht zusammen. Folgt man meinem Deutungsversuch, der Gautes und Cautopates als die Versinnbildlichung von Tod und Auferstehung annimmt, so kann dazu nur darauf verwiesen werden, daß die Freimaurerei für ihre Glieder in einer dunklen Kammer beginnt und zu dem „neon phos“ des Nymphusgrades des Mithraskultes, „zu neuem Licht“ führt und in manchen Graden dieses Stirb und Werde mit ande-ren Symbolen fortgeführt wird. Die mit der rechten Hand auf der linken Schulter dargestellte Figur hinter Cautes erinnert stark an den Beginn unseres Lehrlingszeichens. Eine letzte, allerdings nur vage und mißdeutete Erinnerung an das durch die Blätter oder die Kornähre am Schweif des Stieres symbolisierte Aufsprießen des Pflanzenwuchses aus dem Blute des Opfers - was fast al-len Mysterienbünden eigen ist -, finden wir in dem Akazienzweig auf dem Grabe des erschlage-nen Meisters. Die Kornähre wiederum wird in wechselnden Graden als Paßwort benutzt.
Die Darstellung der Geburt des Mithras aus dem Felsen ist von besonderer Bedeutung. Ich habe mich jahrelang mit der Frage herumgeschlagen, warum in der Freimaurerei die Kunst, den Stein zu behauen und aus solchen Steinen einen Tempel zu bauen, zusammengefügt ist mit einem Lichtkult. Nach langem Grübeln und Nachlesen bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß alle vom Berge kommenden, also berg- oder steingeborenen Götter, Lichtgötter sind. Das wird so weit fortgeführt, daß Jahwe, der dem Moses zuvor im brennenden Busch erschienen ist, ihm die Zehn Gebote auf dem Berge verkündet und Moses sie, in steinerne Tafeln eingemeißelt, den Is-raeliten auf die Ebene herabbringt. Die Darstellung der Mithrasgeburt ist eine zwar primitive, aber eindrucksvolle Wiedergabe dieses Gedankens und erklärt uns die Zusammengehörigkeit von Stein- und Lichtkult auf einsehbare Weise.
Der 25. Dezember als Geburtstag des Mithras entspricht natürlich dem Weihnachtsfest als dem Geburtstag Jesu, der von sich selbst gesagt haben soll: Ich bin das Licht der Welt. Er findet seine Entsprechung in unserem Winterjohannisfest, dem Fest des wiederkehrenden Lichts.
Das gemeinsame Mahl kommt in zweifacher Form in einem Rosenkreuzergrad des Schottischen Ritus vor: mit Brot und Wein am Ende der Arbeit und als rituelles Mahl mit dem Passahlamm am Gründonnerstag. In abgeschliffener Form hat sich diese urmenschliche Sitte in unseren Bruder-mahlen nach festlichen Arbeiten erhalten. Besonders beziehungsreich hat sich mir Zerwan aufge-drängt. Der Lendenschurz in seiner Darstellung braucht noch nichts Besonderes zu bedeuten. Der Schlüssel in Form eines rechten Winkels erinnert uns schon an mehr. Der Schlüssel ist Grad-abzeichen des Meisters im Schwedischen und des Geheimen Meisters im Schottischen System: In beiden Systemen wird er noch in anderen Graden getragen und zwar im Schwedischen im 4., 6. und 7. Grad und im Schottischen im 7. Grad. In alten Katechismen beschäftigt sich eine Reihe von Fragen mit dem Schlüssel als Symbol: er verschließt in einer beinernen Kapsel mit elfenbei-nernem Schloß das maurerische Geheimnis. Der Gedanke, daß ein und derselbe Gott sowohl das Gute wie das Böse erschafft, wird im 29. Grad des Schottenritus ausgesprochen. Die drei Ei-genschaften Zerwans: Licht, Kraft und Weisheit lassen sich unschwer erkennen als die drei mau-rerischen Säulen und Lichter: Weisheit, Stärke, Schönheit.
Die Darstellung des nackten Kandidaten mit der Augenbinde, der von einem Führer an beiden Schultern geleitet wird, findet sich genau in unserer Aufnahmezeremonie wieder. Lediglich die Entkleidung wird bei uns in Deutschland nur noch durch das Ablegen des Rockes angedeutet. Wer einmal eine Aufnahme in einer amerikanischen Loge mitgemacht hat, sieht die Entkleidung viel weiter gehen: der Kandidat wird vollständig entkleidet und dann in einen besonderen Anzug gesteckt: eine Hose bedeckt das linke Bein nur bis zur Mitte des Oberschenkels, das rechte nur bis zur Mitte des Unterschenkels; ein Kittel läßt beide Vorderarme, den Hals und die ganze linke Brust frei; beide Füße sind bloß. Der Prichard'schen sogenannten Verräterschrift „Masonry dis-sected“ = „Die zergliederte Freimaurerei“ ist eine Abbildung beigegeben, die auf einem Lageplan des Tempels rechts und links vor dem Eingang je ein großes Wassergefäß zeigt: entweder wurde der Kandidat vor der Aufnahme gebadet, war also nackt, oder er wurde vor oder während der Aufnahme einer Wasserprobe unterzogen. Der knieende und von seinem Führer niedergedrückte Kandidat läßt uns an die Bewegung denken, die der Führende bei unserer Aufnahme macht, wenn der Suchende vom Br Redner dreimal aufgefordert wird, sich vor dem Platz des Meisters zu verbeugen.
Die Besiegelung des abgelegten Eides durch einen Handschlag enthält praktisch jedes deutsche Aufnahmeritual.
Die verschiedenen grabähnlichen Gruben erinnern den Kenner stark an das Grab des erschlage-nen Meisters, dessen Tod in den amerikanischen Ritualen der Perfektionslogen des Schottischen Ritus beweint und gerächt wird. Unter den sieben Graden sind die ersten vier den vier Elementen zugeeignet. In unserem Aufnahmeritual finden wir sie in den drei Reisen durch die Elemente Feu-er, Wasser und Erde wieder. Ich erinnere aber auch daran, daß weiter oben Wasser-, Erd- und Feuerproben als im Mithraskult sehr wahrscheinlich dargestellt wurden.
Von den Attributen der einzelnen Grade finden wir eine ganze Reihe im freimaurerischen Ritual wieder: Der Schleier im Grad des Nymphus läßt im Zusammenhang mit der Inschrift „Heil Dir, neues Licht!“ den Schluß zu, daß dem Kandidaten plötzlich der Schleier abgenommen und ihm das Licht gegeben wurde. Ähnliches ist für die Augenbinde als sicher anzunehmen. Die anderen Attribute des Nymphusgrades finden wir alle wieder: die Fackel im vierten Grad des Schottischen Ritus, die Lampe im vierten und die Krone im fünften und in höheren Graden des Schwedischen Systems. Den Kranz aus den Attributen des Miles-Grades finden wir bei der Weihe zum Gehei-men Meister im Schottenritus. Auf ihn muß noch einmal zurückgekommen werden.
Der Strahlenkranz des Sonnenläufers tritt uns bereits bei dem strahlenden Dreieck des Lehrlings-grades, das im 33. Grad des Schottischen Ritus wiederkehrt, entgegen. Den Ring, Attribut des höchsten, des Vatergrades, erhalten die Mitglieder der höchsten Abteilung des Schwedischen Systems und die des höchsten Grades des Schottischen Ritus, des 33. Grades.
Die sieben Tore sind eine Erinnerung an eine Beobachtung, die die Langlebigkeit einer Redens-art trotz des Verlustes der Kenntnis ihrer Bedeutung bezeugt. Es wird berichtet, daß der Kandidat - ob bei seiner Aufnahme oder erst bei der Beförderung in den letzten Grad, ist offen - in Anleh-nung an die wahrscheinlich ältere Demeter-Mythe sieben Tore durchschreiten und bei jedem ein Kleidungs- oder Schmuckstück ablegen und auf dem Rückweg wieder aufnehmen mußte. Beim letzten wieder aufgenommenen Stück soll er dann gefragt worden sein: Hast Du Deine sieben Sachen beisammen? So fragen wir heute noch einen Vergeßlichen oder einen Schlampfritzen, ohne zu wissen, woher der Ausdruck kommt.
Es bleibt noch eine Sache zu klären und darzustellen. Die Schutzheiligen der Steinmetzgilden waren von altersher die vier gekrönten Märtyrer, die Quatuor Coronati. Daher haben die freimau-rerischen Forschungslogen diesen Namen als den ihrigen übernommen.
Der christlichen Legende nach wurden auf Befehl des Kaisers Diokletian in Pannonien vier Stein-metzen in der Donau ertränkt, weil sie sich geweigert hatten, ein Standbild des Äskulap anzuferti-gen. Br Demeter von der deutschen Quatuor-Coronati-Loge hat eine eingehende Untersuchung über dieses Thema veröffentlicht. Er meint einmal, es könne sich um eine alte heidnische Legen-de handeln, die von der Kirche usurpiert und für ihre Zwecke zurechtgedeutet wurde. Aber um die Bezeichnung Gekrönte = Coronati zu deuten, braucht er eine Hilfskonstruktion: er betrachtet das Wort als aus Corniculati = mit Hörnern versehene verbalhornt. Corniculati hießen die Gruppen-führer, etwa Unteroffiziere, in den römischen Legionen, weil sie mit kleinen Hörnern versehene Helme trugen. Andererseits denkt Br Demeter sehr wohl an den Mithraskult: er meint aber, der Ausdruck „Coronati“ könne die mit einer Tonsur versehenen Priester einer vorchristlichen Reli-gionsgemeinschaft bezeichnen. In dem, was wir bisher über den Mithraskult, seine Tempel, seine Gebräuche und seine Geschichte gehört haben, haben wir alle Elemente der Legende der Qua-tuor Coronati beisammen: Pannonien und die Donau sind genannt; der Kaiser Diokletian war 308 in Carnuntum, der Hauptstadt Pannoniens, anwesend, ein wichtiger Bestandteil der Legende, denn es ist kaum anzunehmen, daß der kaiserliche Befehl zur Ertränkung der Gehorsamsverwei-gerer von weit her geschickt wurde; Statuen des Äskulap gehören zur Ausstattung vieler Mithrä-en, und es steht fest, daß Diokletian eines der drei Mithräen in Carnuntum wieder herrichten ließ. Die kirchliche Legende, daß die vier Steinmetzen wegen ihrer christlichen Überzeugungsstärke und ihrer Aufrichtigkeit im Glauben getötet wurden, wäre also ohne weiteres annehmbar, wenn die Bezeichnung „Coronati“ nicht wäre, die auch Br Demeter zu Umwegen gezwungen hat. Nun haben wir aber gehört, daß die in den Miles-Grad Aufgenommenen einen Kranz aufs Haupt ge-setzt bekamen. Wie ich schon sagte, ist der lateinische Ausdruck für Kranz und Krone der glei-che: Corona. Die neubeförderten „Milites“ sind also lateinisch ausgedrückt „Coronati“. Nun beant-wortet aber - nach einem alten Bericht - der soben mit dem Kranz Geschmückte diese Handlung damit, daß er den Kranz abnimmt, ihn sich über den rechten Arm stülpt und ausruft: „Nur Mithras ist meine Krone!“ In enger Auslegung dieses verpflichtenden Rufes kann man aber leicht zu der Folgerung kommen, jedes Götterbild außer dem des Mithras und seiner Entsprechung Sol in ei-nem Mithräum abzulehnen. Es gibt noch eine Stütze für meine Hypothese: in der katholischen Heiligenlegende wird berichtet, daß die den Märtyrertod erleidenden Steinmetzen es verstanden, „leones fuentes aquam = wasserspeiende Löwen“ zu machen. Und nun das Tüpfelchen auf das I: im Mithräum zu Carnuntum fand man einen durchbohrten Löwenkopf, offenbar Bestandteil eines Springbrunnens.
Es liegt mir fern, behaupten zu wollen, daß die Freimaurerei aus dem Mithraskult abgeleitet sei. Ich sagte schon im Beginn des Hauptteils meines Vortrages, daß meines Erachtens der mensch-liche Geist nur der Schaffung einer beschränkten Zahl kultischer Handlungen und des Erdenkens einer beschränkten Zahl religiöser Vorstellungen und Ideen fähig sei. Es müßten also Ideen und Handlungen in allen Kultgemeinschaften wiederkehren. Daß sich so viele im Mithraskult und in der Freimaurerei finden, ist allerdings zum mindesten beachtlich.
Wie lange sich ganz banale Dinge halten, dafür ein banales Beispiel: Wenn in den Beschreibun-gen des Mithraskultes von Brot gesprochen wird, dann immer von „eingekerbten“ Broten. Noch heute und nicht nur in Deutschland sind alle mit der Hand geformten Weißbrote entweder einmal längs oder mehrfach quer eingekerbt; fast alle Weißbrötchen sind eingekerbt; das vornehmste von allen, die Kaisersemmel, ist rund und mit vier oder fünf Kerben versehen, so daß sie das Bild eines Sonnenrades zeigt. Ich habe meine Gedanken vorgetragen. Jeder bedenke jetzt das Seine.
Moral
Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es
Erich Kätsner
Der Meister der scharf geschliffenen Satire und der gedanklich wie sprachlich präzisen Formulierung, der Autor hinreißender Kinderromane, der Künder der Humanität in unmenschlicher Zeit, ausgezeichnet mit dem Georg-Büchner-Preis 1957 und mit dem Literaturpreis deutscher Freimaurer 1968, feiert am 23. Februar 1969 seinen siebzigsten Geburtstag. Mit unseren aufrichtigen Wünschen grüßen wir Freimaurer des AASR den Dichter, den Zeitkriti-ker und den unbeirrbaren Streiter für Toleranz und Menschlichkeit.