Die große Teilung: Der Grand Orient de France
Inhaltsverzeichnis
Die große Teilung: Der Grand Orient de France
Übersetzung: Sven Zimmermann
Die große Teilung: Der Grand Orient de France und die dogmatische Freimaurerei ANSPRACHE AN DIE TAGUNG DER KALIFORNISCHEN FREIMAURER IN 2002
Von Alain Bauer, Großmeister des Grand Orient de France, Sacramento, Kalifornien, 27. Juli 2002
Es ist eine große Ehre, bei dieser Tagung der Kalifornischen Freimaurer in 2002 Ihr Gast zu sein. Zu allererst möchte ich höchstwürdigen Ray Whitaker, dem Großmeister der Kalifornischen Freimaurer, für seine brüderliche Einladung danken. In vergangenen Kommunikationen bat mich die Führung der Kalifornischen Großloge, ein Rede zu halten zum Thema „Die große Teilung: Der Grand Orient de France und die dogmatische Freimaurerei“ zu halten. Lassen Sie mich an dieser Stelle erwähnen, dass dies eine sehr große Überraschung für mich war. Letzten Endes gehen wir nicht davon aus, dass eine solche Art der Freimaurerei existiert. James Anderson war von Anfang an sehr deutlich, was dieses Thema angeht. In den Logen des Grand Orient de France respektieren und empfangen wir jene, die Glauben und jene, die es nicht tun. Egal ob Atheist oder Extremist, nichts im Grand Orient gibt uns das Recht, zu bestimmen, wer einen Fortschritt erreicht, und es gibt auch keine spezielle Strömung, die uns zu unseren individuellen Errungenschaften oder persönlichem Wachstum in der Maurerei führt. Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass die kritischen Stellen dieser Rede entstanden sind in Zusammenarbeit mit meinem engen Freund und Bruder Alain Keghel, dem Großkommandeur des Orients des Alten und Angenommenen Schottische Ritus in Frankreich.
Es ist nun die Zeit gekommen, sich brüderlich in eine tiefgründige und nachhaltige Analyse der freimaurerischen Landschaft zu begeben, und zwar nicht, wie wir sie uns vorstellen, sondern so, wie sie tatsächlich ist. Alle Brüder, die guten Willens sind, sehen jetzt einer offeneren, toleranteren und mehr und mehr freimaurerischen Einstellung für unsere Bruderschaft entgegen. Zu diesem Zweck bemüht sich eine steigende Anzahl von Freimaurern aus aller Welt, eine Brücke des Lichts zu bauen, die nicht an Ländergrenzen oder an den Grenzen der einzelnen freimaurerischen Organisationsformen endet. Es ist Zeit, die Augen, Gedanken und Herzen zu öffnen für die Vermächtnisse unserer vielfältigen und reichhaltigen Traditionen. Es ist tatsächlich ein großartiges Privileg, dass wir die Möglichkeit haben, die Türen des Verstehens noch weiter öffnen zu können. Lassen Sie uns in unserer Zeit gemeinsam versuchen, die Spannungen aufgrund unserer Unterschiede zu überwinden, welche viel zu oft die Realität in der profanen Welt prägen und genauso unsere freimaurerische Welt trüben.
Die Freimaurerei hat die Widrigkeiten der Zeiten, Kulturen, Zivilisationen und Gesellschaften überlebt. Sie überlebte jedoch nicht durch die Jahrhunderte, weil sie der gesellschaftlichen Bewegung passiv gefolgt ist, sondern vielmehr, weil sie bei wichtigen Veränderungen der Gesellschaft an vorderster Front gewesen ist. In diesen Momenten ihrer Führerschaft war die Freimaurerei immer am stärksten.
Die amerikanischen Maurer
Ein anschauliches Beispiel: Allein die Tatsache, in den Vereinigten Staaten zu sein, erinnert mich sofort an die wichtige Rolle, welche die amerikanischen Maurer, und auch einige ihrer französischen Brüder, spielten, um eine moderne demokratische Gesellschaft zu errichten.
Unser aller tiefste Dankbarkeit gilt George Washington, Benjamin Franklin (von welchem ich mit großem Stolz berichte, dass er der Hochwürdige Meister einer Pariser Loge des Grand Orient de France war), dem Maquis de Lafayette und den unzähligen Anderen, die so energisch für die Freiheit gearbeitet haben, dass unsere Zeit heute hier nicht ausreichen würde, um sie alle einzeln zu nennen. Tatsache ist, es hat viele wichtige und fruchtbare Momente des innigen Kontaktes zwischen französischen und amerikanischen Freimaurern gegeben, die sogar noch weit vor die Zeit der Amerikanischen Revolution zurückreichen. Dennoch wissen wir aus der Geschichte und aus persönlichen Erfahrungen, dass es unterschiedliche Traditionen zwischen Amerika und Frankreich gibt. Da die französischen Freimaurer ziemlich gut realisieren, wie schwierig es für unsere Brüder auf dieser Seite des Atlantiks zu verstehen sein dürfte, wie es in Frankreich zu dieser Vielfalt von freimaurerischen Organisationen und Strömungen kommen konnte, wäre es sicher von Wert, das Thema „Frankreich“ bis zu einem gewissen Grad zu auszuleuchten.
Historische Fakten
Mit Ihrer Zustimmung lassen Sie uns einige geschichtliche Fakten betrachten, aber auch einige Fragen, die man in dem sich entwickelnden Dialog als zu voreilig betrachten könnte, oder sogar gefährlich. Um daraus in vollem Umfang einen gegenseitigen Nutzen ziehen zu können, liegt es auf der Hand, dass wir uns gegenseitig viel besser kennenlernen sollten, als wir es bisher getan haben. Um es direkt auf den Punkt zu bringen, werde ich Ihnen zuerst ein paar Worte über den Grand Orient de France sagen: die Hingabe an den GBaW hat niemals nachgelassen, und es wurden niemals Frauen initiiert. Er ist die älteste traditionelle freimaurerische Vereinigung in Frankreich. Diese Tatsache wurde erst vor wenigen Wochen durch die Großloge von England an die Minnesota Großloge hier in Amerika bestätigt. Und wie ich bereits kurz erwähnte, ist die Tatsache, dass es eine starke Verbindung zwischen dem Grand Orient de France und der Entstehung der Freimaurerei in den frühen Jahren der Vereinigten Staaten gab, sehr gut dokumentiert.
Der Grand Orient de France
Der Grand Orient de France ist ein Bund von Logen, welche verschiedene Arbeitsweisen haben. Jede Loge hat das Recht, ihr Ritual selbst zu wählen, je nachdem, ob sie zum Französischen Ritus (ein Vermächtnis des alten Englischen Ritus), dem Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, Verbesserten Schottischen Ritus, zu Royal Arch, Mark Masonry, Memphis-Misraim und Emulation Working. Unseren Logen, die sich ihre Arbeitsweisen selbst aussuchen können, steht es auch frei, zum GBaW zu arbeiten.
Der Grand Orient, mit seinen mehr als 44.000 Brüdern, ist die größte Französische freimaurerische Organisation in einem Land, welches insgesamt ca. 130.000 in Logen arbeitende Brüder zählt. Diese Zahl mag lächerlich erscheinen im Vergleich mit 2 Millionen Freimaurern in Amerika, aber Sie müssen bedenken, dass die Französische Nation insgesamt auch nur 60 Millionen Menschen zählt (im Gegensatz zu 288 Millionen Amerikanern).
Selbstverständlich erreicht diese Zahl weniger als die Hälfte der Anzahl der Freimaurer im Vereinigten Königreich. Aber genau wie in den USA (natürlich vergessen wir hier nicht die dunklen Zeiten der Morgan – Affäre in Ihrem Land) ist Großbritannien das einzige Land in Europa, in welchem die Freimaurer niemals verfolgt wurden, und wo der Freimaurerorden die Möglichkeit hatte, sich zu entwickeln ohne die hindernden Einflüsse der Kirchen und der Politik. Nebenbei erwähnt ändert sich diese Situation momentan im Vereinigten Königreich mit einem katholischen Premierminister, der die Rolle der Freimaurerei in der Gesellschaft stark in Frage stellt.
Die Geschichte erklärt, warum es in Kontinentaleuropa heutzutage nicht mehr als 250.000 Freimaurer gibt. Ungefähr die Hälfte von ihnen sind Franzosen. Um diese Ausführung zu vervollständigen muss hinzugefügt werden, dass Frankreich seit Beginn des 20. Jhdt. sehr von der Entwicklung der weiblichen bzw. der gemischt-geschlechtlichen Freimaurerei profitiert hat. Es kann festgestellt werden, dass die erste aufgezeichnete Freimaurerloge in Frankreich in 1688 gegründet wurde. Der erste Freimaurerorden in 1728 hieß „Grand Loge“ bevor er zwischen 1771 und 1773 seinen Namen in „Grand Orient de France“ änderte. Im selben Jahr gründeten abtrünnige Brüder die „Grand Loge de France“, welche dann im Jahr 1779 wieder dem „Grand Orient de France“ beitrat. Letztendlich wurde in 1894 die „Grande Loge de France“ gegründet, unsere befreundete Schwester – Obödienz. Die „Grand Loge de France“ existiert heutzutage immer noch, und sie entstammt mit ihren mehr als 20.000 Mitgliedern den gleichen freimaurerischen Wurzeln. Betrachtet man es in Prozenten, kann die Französische Freimaurerei in folgende Zahlen heruntergebrochen werden: 69% Männer, 20% gehören zur gemischt-geschlechtlichen Freimaurerei und 11% sind in reinen Frauenlogen. Man könnte auch zusammenfassen, dass 75% der Französischen Freimaurer Männer sind, aber in den letzten 30 Jahren hat sich die relative Anzahl der Frauen mehr als verdoppelt, von 10% auf fast 25%.
Wie viele von Ihnen wissen werden, gab es 1877 einen großen Aufruhr, als die jährliche Vollversammlung des Grand Orient de France sich nach einer heftigen Debatte dazu entschloss, die obligatorische Verpflichtung gegenüber dem GBaW in Logenritualen aufzuheben. Es ist hier interessant zu erwähnen, dass die Intention für diese dramatische Veränderung von einem protestantischen Geistlichen und Bruder namens Frederic Desmons ausging. Man muss heute in Betracht ziehen, dass das alles stattfand im Kontext der Französischen post-revolutionären Gesellschaft, welche sich erfolgreich für die Trennung zwischen Staat und Katholischer Kirche eingesetzt hatte. Ich kann Ihnen versichern, dass die Französischen Logen die Freiheit bedeuteten für die Nicht-Katholiken, die verfolgt wurden in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Widerruf des Edikts von Nantes im Jahr 1685. Die Logen des Grand Orient waren Orte der Zuflucht, des freien Denkens und der Freiheit gegen die große Finsternis in dieser Epoche.
„In eminenti Apostolatus Speculae.“
In den früheren Zeiten im Königreich hatte man seitens der etablierten Religion kein Verlangen, jegliche Art der Ökumene zu akzeptieren. Es gab einfach in der Religion keinerlei Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen. Nach der Französischen Revolution in 1789 versuchte die Katholische Kirche verzweifelt, ihre Macht wieder zu erlangen, welche sie verloren hatte. In diesem Zusammenhang war die erste Konsequenz des 1801 unterzeichneten Konkordats die konsequente Exkommunikation der Französischen Freimaurer. Es war ein direktes Ergebnis der Enzyklika „In eminenti Apostolatus Speculae.“ Der unmittelbare Effekt daraus war die Radikalisierung der Beziehungen zwischen der konservativen Katholischen Kirche und dem Grand Orient. Erinnern Sie sich daran, dass die Mehrheit im Grand Orient zu dieser Zeit zwar Deisten waren, jedoch unterstützten sie noch immer die Errungenschaften der Französischen Revolution: die Freiheit der Rede, die Freiheit des Gewissens, die Religionsfreiheit – das waren damals, und sind es immer noch, unser Motto. Auch wollten wir frei werden von der Kolonisierung durch die britische Freimaurerei. Erinnert Sie das an etwas..?
Universelle Sittengesetze
Im Jahr 1877 glaubten die Freimaurer, dass ihre Entscheidung, die sie in einer demokratischen Abstimmung gefällt hatten, eine Rückkehr wäre zum ursprünglichen liberalen Geist der Konstitution von James Anderson. Das war der eigentliche Kern dieser Sache. Das war es, was sie im Sinn hatten. Der Fokus war auf Anderson’s Konstitution, wie sie in 1723 geschrieben worden war, bevor sie dann in 1738 geändert wurde. Fakt ist, vor 1717 waren die Freimaurer offiziell „Katholiken“, wurden dann „Christen“ und später „Noahiten“. Der Grand Orient de France ging dann noch einen kleinen Schritt weiter, und bat sie darum, die „Universellen Sittengesetze“ anzunehmen, wie sie in der 1723er Konstitution benannt waren.
Das bedeutet nun, dass man sich auf Anderson’s Konstitution fokussieren muss, wie sie war, bevor sie in 1813 weitreichenden Veränderungen unterzogen wurde und vor den weiteren Modifikationen im Jahr 1929 mit den sogenannten „acht grundlegenden Verpflichtungen“. Dies sind die späteren Verpflichtungen, die erforderlich sind, um Anerkennung der Vereinigten Großloge von England zu erhalten.
Es ist nicht meine Absicht, zu viel Gewicht auf dieses überaus sensible Thema zu legen, welches zu leicht die freimaurerischen Beziehungen und Diskussionen stört. Unglücklicherweise gibt es heutzutage kaum inhaltliches Wissen zu diesem Thema. Es gibt beispielsweise fast keine Untersuchung der historischen Umstände, die man als notwendigen Hintergrund für eine Diskussion bräuchte.
Die Angelegenheit hat traurigerweise die Beziehungen zwischen den verschiedenen freimaurerischen Strömungen vergiftet. Es wurde eine maurerische Reaktion erzeugt, die viele Freimaurer auf der ganzen Welt noch immer nicht verstehen: es hat sich eine Art freimaurerisches Äquivalent zum Papst entwickelt mit festen Regeln zur Exkommunikation und einer Art „neuer Großinquisitor“. In Frankreich haben sich die meisten Brüder schlichtweg nicht um diesen Bruch innerhalb der freimaurerischen Familie gekümmert. Sie betrachteten diese Entwicklung des Zusammenbruchs der Beziehungen mit Bedauern und Trauer, aber dennoch lebten sie ihr Leben als Freimaurer und gingen ihre eigenen Wege. So war es in der Vergangenheit, und so ist es noch immer. Im Lauf Dinge entschied sich im Jahr 1913 eine Freimaurerische Gruppe, „regulär“ zu arbeiten. Das war die Entstehung der „Grande Loge Nationale Francaise“ (GLNF), die heute mehr als 20.000 Mitglieder zählt.
Sie müssen wissen, dass diese Großloge trotz aller Differenzen außerhalb von Paris sehr oft den Tempel teilt mit anderen Freimaurern. Die geschieht sogar, obwohl die Brüder in Strömungen arbeiten, welche der GLNF nicht annähernd nahestehen. Dennoch bestehen inhaltliche Gemeinsamkeiten. In der jüngsten Vergangenheit haben die Großmeister der GLNF und des GODF gemeinsam daran gearbeitet, neue Bande zu knüpfen, und sie haben eine Übereinkunft unterzeichnet über die Qualität der Initiation, disziplinarische Angelegenheiten und diplomatische Beziehungen.
Wir treffen uns regelmäßig, akzeptieren den Wechsel zwischen den Logen und wir respektieren die gegenseitigen Unterschiede. Das lässt uns auf eine hellere freimaurerische Zukunft hoffen, wenigstens in Frankreich. Man muss sich vor Augen halten, dass sich die Freimaurerei in Frankreich auf unterschiedliche Art und Weise entwickelt hat, genau wie in einigen anderen Kontinentaleuropäischen, Lateinamerikanischen und Afrikanischen Ländern. Das ist etwas, womit wir klarkommen müssen. Es wäre weise, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, anstatt es zu ignorieren. Es besteht keine Notwendigkeit, dass wir uns selbst in einsperren in Schubladen und vereinzelten Denkweisen. Wir müssen uns vielmehr darüber bewusst sein, dass diese unnötigen Teilungen zur Schwäche führen. Es wäre klüger, wenn wir uns eine universelle Ausrichtung zulegen würden. Letztendlich ist unsere Art zu denken ein Teil des Erbes der großen Philosophen und Autoren der Aufklärung: Voltaire, Rousseau, Montesquieu, Diderot und so viele andere. Ein Teil unserer Aufgabe ist es nun, das reiche Erbe unserer humanistischen und aufklärerischen Werte weiterzugeben an zukünftige Generationen. Für die Freiheit, und darüber hinaus für diese unsere Traditionen starben in Amerika und Frankreich Menschen im 18 Jhdt., und deswegen dürfen sie nicht verloren gehen.
Der wesentliche Punkt ist, dass unsere freimaurerische Botschaft immer noch von erheblichem Wert ist. Die großartige ursprüngliche Idee der Freimaurerei, „Menschen zusammenzubringen, die sonst niemals zueinander gefunden hätten“ ist eine moderne und lebendige Message in der heutigen Gesellschaft, die gefährdet ist durch Egoismus, Ethnozentrismus und platten Materialismus. Heutzutage spricht jeder über die Globalisierung, aber wo sind die Freimaurer in der heutigen Welt? Sind wir in unserer aktuellen Situation nicht in Gefahr? Ist es nicht etwa möglich, dass die Welt an uns vorübergeht im neuen Jahrtausend, wenn wir uns nicht wieder für Humanität einsetzen und den Leuten die Botschaft geben, die von uns erwartet wird? Natürlich hatten Sie in Ihrem großartigen Land, in den USA, das Glück, dass eine Reihe von honoren Staatsmännern Mitglieder unserer Bruderschaft waren. Doch gehört das selbst hier nicht auch zur Vergangenheit? Sollten wir nicht stoppen und uns selbst fragen, warum woher dieser Rückgang kommt? Was können wir tun, um zu einer größeren Effektivität zurückzukehren, Relevanz und Sichtbarkeit in unseren jeweiligen Gesellschaften? Gesellige Treffen und Wohltätigkeitsveranstaltungen sind gut, aber das können nicht unsere hauptsächlichen und einzigen Ziele sein. In einer modernen Gesellschaft, in der jeder um irgendetwas gebeten wird, müssen wir attraktiver werden für die Menschen, die der Gesellschaft etwas zu geben haben. Wir sind uns alle darüber einig, dass die Logen sich nicht in die Politik einzumischen haben. Aber bedeutet das, dass wir als Brüder, als Individuen, schweigen müssen als stumme Beobachter in der profanen Welt?
Moralische Werte
Immer unsere ethischen Werte als Freimaurer im Blick, sollten wir sensibler sein für die wichtigen Themen, mit welchen wir in der heutigen Gesellschaft konfrontiert werden: Bildung, Diskriminierung, die Wahrung der Rechte des Einzelnen in einer computerisierten Gesellschaft, Regeln der Ethik in der Biotechnologie, der ordnungsgemäße und sorgfältige Umgang mit genetisch veränderten Organismen und der modernen Medizin, Umweltprobleme, genauso wie ältere Menschen, Jugendgewalt, Herausforderungen wie Drogen- , Tabak- und Alkoholmissbrauch. Die jungen Menschen erwarten das von uns, bevor sie sich unseren Logen anschließen. Sie werden uns nicht beitreten, wenn wir uns den wichtigen Fragen unserer Nationen und der Welt als Ganzes verschließen. Wenn sich die Freimaurer nicht in der Welt, die direkt vor ihnen ist, engagieren, werden sie ohne Zweifel die besten und hellsten Köpfe unserer Jugend verlieren. Brüderliche Beziehungen, wie Sie und ich sie bisher praktiziert haben, sind nicht genug. Die Jugendlichen unserer Gesellschaften haben viele Möglichkeiten zur Sozialisation, wo sie sich mit den sozialen und kulturellen Dingen ihrer Zeit auseinandersetzen können, im Einklang mit ihren Interessen. Doch wie soll die Freimaurerei existieren, wenn nicht die talentierte Jugend mit uns in den Dienst treten will? Ist es darüber hinaus notwendig, die Beziehungen untereinander zwischen den verschiedenen freimaurerischen Traditionen zu zerstören, weil wir nur wage Vorstellungen von festen Werten in unserer Zeit haben?
Sollen wir uns also wie die Kirchen verhalten, die wissentlich Dogmen verteidigen und die weltliche sowie die geistliche Macht repräsentieren. Man könnte sich vorstellen, dass das Ergebnis noch weniger Toleranz wäre. In dieser Angelegenheit geben wir als Freimaurer überhaupt kein gutes Bild ab. Tatsächlich sind die Kirchen sogar viel erfolgreicher, was die Ausübung von grundlegender menschlicher Toleranz angeht, indem sie daran arbeiten, ihre interkonfessionellen Beziehungen zu verbessern.
Lassen Sie uns einmal die Römisch-Katholische Kirche als Beispiel betrachten. Die sprichwörtlichen Hände des Papstes reichen heutzutage um die ganze Welt, sogar in nicht-christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Jeden Tag erreicht die Katholische Kirche andere Glaubensrichtungen, einschließlich Islam, Buddhismus und Hinduismus. Wie kann es sein, dass die Freimaurerei am Beginn dieses Jahrhunderts nicht in der Lage ist, einen ähnlichen Dialog im großen Maßstab zu führen, oder ihn wenigstens zu beginnen? Das würde keinesfalls bedeuten, dass auch nur ein Freimaurer seine Art der Freimaurerei verändern müsste. Es bedeutet nur, dass man respektvoll miteinander über die Freimaurerei spricht, über die Freuden am Leben zu sein und über die ernsthaften Angelegenheiten der heutigen Zeit.
Es könnte bedeuten, dass man sich zusammensetzt und darüber spricht, wie man sie loswird, die selbst auferlegten Regeln der Anerkennung, die ausschließliche Zuständigkeit, Regularitäten und so weiter, denn nichts von dem allen ist im Geringsten mehr relevant.
Das Regelwerk
Es sind genau die Regeln und Bestimmungen, die den universellen Dialog zwischen allen Freimaurern praktisch unmöglich machen. Ist es nicht eine Art Paradoxon, dass die Katholische Kirche die Exkommunikation der Freimaurer, über welche ich bereits berichtet habe, nahezu aufgehoben hat, aber dass sich die Freimaurer der verschiedenen Lehrarten tatsächlich gegenseitig exkommunizieren? Ist es eine vernünftige und normale Situation, dass man sich als Freimaurer leichter mit einem Geistlichen treffen kann, als mit einem Mitbruder einer sogenannten „irregulären“ Großloge? In den Vereinigten Staaten haben die Großlogen im Jahre 1877 die Beziehungen zum Grand Orient de France tatsächlich nicht abgebrochen. Das ist bekannt, allerdings nicht historisch belegt. Die meisten von ihnen führten die Beziehungen nach 1877 noch eine lange Zeit weiter. Während des Ersten Weltkrieges empfingen wir in unseren Logen zum Beispiel eine Vielzahl amerikanischer Freimaurer. Dasselbe geschah auch nach unserer Befreiung durch die Alliierten, meistens durch mutige amerikanische Soldaten, im Zweiten Weltkrieg. Die amerikanischen Großlogen, die in den 1900er Jahren den Besuch des GOdF und der GLdF anerkannten oder genehmigten, waren die folgenden:
Aktion Datum
- Alabama Anerkennung GLdF und GOdF 04.12.1918
- Arkansas Anerkennung GLdF und GOdF 18.11.1919
- Kalifornien Anerkennung GLdF 09.10.1918
- Colorado Besuche bei GLdF und GOdF 01.05.1918
- District Columbia Anerkennung GLdF 19.12.1917
- Florida Besuche bei GLdF 15.01.1918
- Georgia Besuche bei GLdF 01.05.1918
- Indiana Besuche bei GLdF 29.05.1918
- Iowa Anerkennung GLdF und GOdF 12.06.1918
- Kentucky Besuche bei GLdF und GOdF 17.10.1917
- Louisiana Anerkennung GLdF und GOdF 05.02.1918
- Minnesota Anerkennung GLdF 21.-22.01.1919
- Nevada Anerkennung GLdF und GOdF 12.06.1918 u 1919
- New Jersey Anerkennung GLdF und GOdF 17.04.1918
- New York Besuche bei GLdF und GOdF 10.09.1917
- North Dakota Anerkennung GLdF und GOdF 17.06.1919
- Oregon Anerkennung GLdF 14.06.1918
- Rhode Island Anerkennung GLdF und GOdF 20.05.1918
- South Dakota Anerkennung GLdF 11.06.1918
- Texas Anerkennung GLdF 04.12.1917
- Utah Anerkennung GLdF 22.01.1919
- Wisconsin Anerkennung GLdF 09.06.1958
- Wyoming Besuche bei GLdF und GOdF 11.09.1918
„eklatant irregulär“
Ich zitiere den amerikanischen Freimaurer und Wissenschaftler Paul Bessel zu diesem generellen Thema. Er schrieb folgendes: -ZITAT ANFANG- „Es wird vermutlich die meisten amerikanischen Freimaurer überraschen, herauszufinden, dass während der 1900er Jahre die Grand Loge de France von 23 –also knapp der Hälfte der amerikanischen Großlogen- anerkannt wurde bzw. die gegenseitigen Besuche genehmigt wurden. Da vom Grand Orient de France seit den 1870er Jahren gesagt wird, er wäre außerhalb der Grenzen der Freimaurerei und „eklatant irregulär“, ist es umso überraschender, dass 12 –mehr als ein Viertel- der amerikanischen Großlogen gegenseitige Besuche von Mitgliedern des Grand Orient de France während des 20. Jhdt. anerkannten oder genehmigten. Seit der Zeit des Ersten Weltkriegs sind sowohl die Grand Loge de France als auch der Grand Orient de France vollkommen anerkannt von 8 Großlogen. Das könnte das Resultat des Krieges sein, und der Ausdruck des Verlangens, die starken Kriegsalliierten zu unterstützen, wie es aus einem Brief von 4 Offiziellen der Grand Loge de France an die amerikanischen Großlogen vom 20. Juli 1917 hervorgeht. In diesem Brief heißt es, der Zweck des Schreibens wäre folgender: „Wir laden Ihre Großlogen ein, mit uns in offizielle Beziehungen zu treten, und diese Beziehungen durch den Austausch von Vertretern zu zementieren.“ Wie auch immer, egal ob einige Großlogen ihnen diese Anerkennung verweigerten, und andere die Anerkennung erteilten – es geschah jedenfalls nach eingehender Überprüfung des Sachverhaltes.
Louisiana
Passenderweise brachte Louisiana im frühen 20 Jahrhundert verschiedene amerikanische Großlogen dazu, die Grand Loge de France anzuerkennen und den Grand Orient de France wieder anzuerkennen. Bereits 50 Jahre zuvor hatte Louisiana die anderen amerikanischen Großlogen dazu gebracht, ihre Verbindungen zum Grand Orient de France abzubrechen. In Kürze: Die amerikanischen Großlogen begannen, ihre Anerkennung des Grand Orient de France nach 1686 zurückzuziehen, nachdem der Grand Orient eine Gruppe anerkannt hatte, die sich „Oberster Rat des Alten und Angenommen Schottischen Ritus im Staat Louisiana“ nannte, denn diese wurde von der Großloge von Louisiana nicht akzeptiert. Der Großmeister der Großloge von Louisiana nannte das eine „abartige Perversion“ des Grand Orient. Die Großloge betrachtete das als einen Eingriff in ihr Territorium, widerrief ihre Anerkennung des Grand Orient und forderte die anderen amerikanischen Großlogen auf, es ihnen gleich zu tun. Das ist sehr bezeichnend, wenn man sich anschaut, in welcher Zeit das alles stattfand (und ich muss hinzufügen: angesichts der speziellen Beziehungen zwischen Louisiana und Frankreich).
Wie man in den Unterlagen nachlesen kann, wurde das Dekret erlassen, weil einer der Gründe des Grand Orient, den „Obersten Rat von Louisiana“ anzuerkennen, war, dass diese Gruppe jedem Mann die Aufnahme ermöglichte, „unabhängig von Nationalität, Rasse oder Hautfarbe“. Der Bericht zum Grand Orient erwähnte die Bedeutung der „bürgerlichen und politischen Gleichheit … zwischen Weisen und Farbigen, des Widerstands gegen die Sklaverei und die Notwendigkeit ihrer Abschaffung.“ Der Bruch zwischen der französischen und amerikanischen Freimaurerei kam letztendlich im Jahr 1869, als der Grand Orient den Beschluss fasste, dass „weder Hautfarbe, Rasse noch Religion einen Mann für die Aufnahme disqualifizieren sollte.“
Da Louisiana andere Großlogen der Vereinigten Staaten dazu gebracht hatte, ihre Verbindungen zum Grand Orient de France im Jahre 1868 zu kappen, ist es umso bemerkenswerter, dass die Großloge von Louisiana am 05. Februar 1918 voller Enthusiasmus die Grand Loge de France anerkannte und die Anerkennung des Grand Orient de France wieder herstellte.
Der Beschluss zur Wiederaufnahme der brüderlichen Beziehungen zum Grand Orient de France und die Anerkennung der Grand Loge de France wurde gefolgt von Beifallsstürmen, und die Nationalflaggen der USA und von Frankreich wurden gezeigt auf jeder Seite des Großmeisters, und aus der Domorgel brausten die Nationallieder der beiden Länder.“ -ZITAT ENDEDennoch muss klar sein, dass der Grand Orient de France heute nicht die Anerkennung durch die Vereinigte Großloge von England sucht.
Die wahre Geschichte der Freimaurerei
Wir hatten gute Beziehungen mit den amerikanischen Großlogen vor 1877 und danach. Wir können uns alle mit Interesse an den Bruch erinnern, der im Jahr 1776 zwischen dem Grand Orient de France und den Englischen Freimaurerischen Vereinigungen entstand, gerade 10 Jahre, nachdem in 1766 ein Abkommen unter den Brüdern geschlossen worden war. Wissen Sie, einer der wahren Gründe für die „Große Teilung“ zwischen der Freimaurerei in England und Frankreich war unsere Unterstützung für die Amerikanische Revolution, und weil Französische Freimaurer wie Bruder LaFayette sie finanziert haben. Das ist ein entscheidender Teil der Geschichte der Freimaurerei und dessen, was tatsächlich passiert ist.
Wir respektieren Ihre Unabhängigkeit, denn wir waren ein Teil davon. Sie waren zweimal in unserer Geschichte die mächtige Waffe und das Werkzeug für unsere eigene Freiheit. Alliierte für immer, sorgen wir uns wirklich um die englische Bürokratie? Vielleicht ist es Zeit für eine freimaurerische Tea Party.
Als jemand, der den konstruktiven Wandel unterstützt, bemerke ich bereits, wie sich einige Dinge zu verändern beginnen. Selbst in London scheinen Pragmatismus und gesunder Menschenverstand langsam an Boden zu gewinnen. Wir erreichen mittlerweile mehr Freimaurer verschiedener Traditionen als in der Vergangenheit. Schritt für Schritt machen wir Fortschritte. Wir sind geduldig.
Hoffen wir also, dass die Gesellschaft mit uns ebenso geduldig ist. Offensichtlich ist die Freimaurerei noch nicht in der Nachbarschaft von Mr. Rodgers. Selbstverständlich hat niemand von uns die fertige Patentlösung zu bieten. Wir können nur Schritt für Schritt daran arbeiten, eine Lösung zu finden. Der erste Schritt ist, die einfache Tatsache anzuerkennen, dass es verschiedene Strömungen in der Freimaurerei gibt. Das ist die Art und Weise, wie wir arbeiten könnten – frei und mit Respekt für lebendige Traditionen. [...] Ihre Amerikanische Verfassung sagt: „Der Kongress darf kein Gesetz beschließen, das die Religion und die freie Ausübung derselben behindert, das die freie Rede und die Freiheit der Presse nicht einschränkt.“ Lassen Sie uns alle die atemberaubende, eloquente und klare Stimme der Gründungsväter hören. Seitdem haben Sie nie aufgehört, die mächtigste Nation der Welt zu schaffen, und Sie haben sich dabei immer auf diese früheren grundlegenden Werte gestützt. Dies sind auch die gleichen Werte, die wir in meinem eigenem Land haben, in Frankreich. Es gibt momentan etwas mehr als 2,3 Mio. Freimaurer auf der Welt. Die Welt, die wir alle teilen, ist gefährlich, komplex und oftmals wild. Sie braucht die Werte und Prinzipien, die wir als Freimaurer teilen, um die wahre Demokratie und die echte Freiheit zu entwickeln und zu verteidigen.
Lassen Sie mich einen anonymen Autor zitieren: „Hört auf die Worte des Rituals. Das wahre Geheimnis der Freimaurerei liegt darin, dass ihre Ideen revolutionär, radikal und gefährlich sind für jene, die die Menschenwürde verleugnen und Ungerechtigkeit fördern. Als Institution sind wir unpolitisch, und das ist auch richtig so. Aber als Einzelne können wir zur Tat schreiten und die Ideen der Freimaurerei im Alltag anwenden. Hört auf die Worte des Rituals und hört nicht auf, sie jeden Tag zu praktizieren. Nur dann können wir uns als Freimaurer verbessern und dadurch auch die Welt.“ Willkommen im Grand Orient, Joel Springer, Präsident der Philates Society. Warum sollten wir als Freimaurer verschiedener Strömungen nicht zusammen handeln können? Es ist wirklich an der Zeit. Denken sie nicht auch, dass es wieder an der Zeit ist, so wie 1776, für die Unabhängigkeit?
Einige Hinweise hinsichtlich dieser Ansprache
Alain Bauer ist der Großmeister des Grand Orient de France (GOdF). Der GOdF ist eine freimaurerische Vereinigung, die von keiner der der wichtigen amerikanischen Großlogen anerkannt ist.
Das Hauptanliegen des GOdF ist, dass er nicht den Glauben an ein „Höheres Wesen“ voraussetzt, und es wird auch nicht vorausgesetzt, dass eine „Ausgabe des Heiligen Gesetzes“ auf dem Altar liegt. Es wird den einzelnen Logen allerdings erlaubt, diese Ansprüche zu haben. Das liegt in der einzelnen Entscheidung der jeweiligen Loge. Wie es dazu kam, erklärt Bruder Bauer in seiner Rede. Die Tagung der Kalifornischen Freimaurer ist ein jährliches Treffen zum Zweck der freimaurerischen Forschung, welches finanziert wird durch die kalifornische Großloge. […]
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