Rezension: Gerhard Friedrich über Heinrich Glücksmann

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Heinrich Glücksmann: Brückenbauer in neue Zeiten

Beachtet. Geschätzt. Gefeiert. Vergessen.

Heinrich Glücksmann war um 1900 und danach eine prominente Wiener Kulturpersönlichkeit, ein geschätzter Publizist und der maßgebende Dramaturg am „Deutschen Volkstheater“ (wie das heutige Wiener Volkstheater damals hieß). Und er war ein Bruder der Wiener Loge HUMANITAS. Er war jüdisch, doch zum Glück konnte er nach dem Nazi-Einmarsch nach Argentinien emigrieren. 1943 starb er im Exil mit 80. Und nach dem Krieg wurde er vergessen … bis ihn der österreichische Journalist und Autor Gerhard Friedrich wiederentdeckte und ein Buch über ihn schrieb. Eine Rezension von Rudi Rabe.

Das Buch ist reich illustriert mit Portraits und Dokumenten aus den Jahrzehnten, in denen Heinrich Glücksmann das Wiener Kulturleben entscheidend mitgeprägt hat. Und es wurde vom Verlag - was heutzutage nicht selbstverständlich ist - buchhandwerklich edel gestaltet: von der Qualität des Einbands bis zu der des Papiers.

Wenn man den Namen Heinrich Glücksmann googelt, kommt fast nichts; auch das deutsche Wikipedia ignoriert ihn (Stand 16. Oktober 2022; soll sich bald ändern). Nur im „Kodek“, diesem tollen Lexikon über die österreichische Freimaurerei, sind ein paar Einträge zu finden, aber naturgemäß fast nur auf seine Logenmitgliedschaft bezogen.

Das Buch entreißt Glücksmann dem Vergessen

Umso höher ist die Rechercheleistung des Autors Gerhard Friedrich zu schätzen, die schließlich in ein Buch mündete mit dem Titel: „Heinrich Glücksmann - Brückenbauer in neue Zeiten - Beachtet. Geschätzt. Gefeiert. Vergessen.“ Dadurch wird diese beeindruckende Persönlichkeit wohl dem ewigen Vergessen entrissen.

Vergessen wurde Glücksmann, obwohl er Autoren wie Arthur Schnitzler, Anton Wildgans, Franz Molnár oder Karl Schönherr zu wichtigen Bühnenerfolgen verhalf, und obwohl er ein Freund großer Schauspieler wie Josef Kainz, Josef Lewinsky oder Victor Kurtschera war und ein politischer Wegbegleiter der Friedensnobelpreisgewinner Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried. Und doch: Mit diesem Vergessenwerden war er kein Einzelfall. Er teilte das Schicksal mit vielen jüdischen Opfern des Nazi-Staats. Zumindest für Heinrich Glücksmann versucht das Buch dieses Unrecht wieder gutzumachen.

Ein Porträt und zugleich eine Wiener Kulturgeschichte

Doch zum Buch selbst und was es beim Lesen besonders interessant macht: Es zeichnet Leben und Bedeutung Heinrich Glücksmanns entlang der spannenden Kulturgeschichte des frühen zwanzigsten Jahrhunderts nach. Es ist also nicht nur ein Porträt, sondern auch ein anregendes Historienbuch, in dem viele Personen auftauchen, deren Namen kulturhistorisch Interessierte kennen. Es ist ein Buch, in dem auch die Entwicklung in Österreichs Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von den 1880er Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg spürbar wird. Und es gib Einblicke in Glücksmanns Gedankenwelt, in die Hintergründe von Theaterereignissen wie die großen Skandale um des Kaisers Muse Katharina Schratt oder Artur Schnitzlers „Reigen“. Heinrich Glücksmann war eben eine spannende und streckenweise einflussreiche Persönlichkeit im Kulturleben des damaligen Wien.

Gauß'sche Normalverteilung

Ich weiß nicht recht warum, aber beim Lesen hat sich in meiner Phantasie immer mehr so etwas wie eine „Gauß’sche Normalkurve“ entwickelt - analog zur berühmten Gauß’schen Normalverteilung, die ja viele Leben abbildet: langsamer Einstieg und Anstieg, Konkurrenz, dann beschleunigter Anstieg auf ein Hochplateau (zugegeben ein breiteres als bei Gauß) - und schließlich altersbedingt aber auch aus politischen Gründen wieder ein langsamer Abstieg, in dem gegen Ende die Ehrungen wichtiger wurden als sein jetzt mehr und mehr reduzierter Einfluss auf die allgemeine Entwicklung. Und am Ende die Emigration.

Heinrich Glücksmann der Freimaurer

Im Jahr 1900 übernahm Heinrich Glücksmann die Redaktion der Wiener Freimaurer-Zeitschrift "Der Zirkel".

Immer wieder wird Glücksmanns Wirken in dem Buch auch eingebettet in sein Freimaurer Sein. 1893 wurde er in die Wiener Grenzloge „Eintracht“ aufgenommen, fünf Jahre später wechselte er zur Loge „Humanitas“, der ältesten und damals größten Wiener Grenzloge. Mehr als 200 Logenvorträge hielt er im Laufe der Jahrzehnte, manche auch im Ausland. Und zwei Jahrzehnte lang managte er die Redaktion der Freimaurer-Zeitschrift „Der Zirkel“.

Nach der geglückten Flucht ins argentinischen Exil, in das er nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland glücklicherweise entkommen konnte, trat er in der Neuen Welt noch einmal eine Loge bei.

Freimaurerei wurde Glücksmann zum Lebensprinzip, so ist eine „Szene“ umschrieben. Ja - eine Szene: der Autor gliederte sein Buch nämlich nicht wie üblich in Kapitel und Unterkapitel, sondern in fünf Akte und diese wiederum in fünf bis vierzehn Szenen. Originell für dieses Buch über einen Theatermann.

Alles in allem kann man ohne Übertreibung sagen: Indem Gerhard Friedrich einen wichtigen Kulturmenschen des frühen 20. Jahrhunderts und seine Leistungen dem Vergessen entrissen hat, sind die Recherchen und das Verfassen des Buchs auch selbst eine Kulturtat.

Gerhard Friedrich: Heinrich Glücksmann - Brückenbauer in neue Zeiten 
Beachtet. Geschätzt. Gefeiert. Vergessen

Korrektur Verlag, Mattighofen und Wien 2023

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