Rezension: Ursula Terner: Freimaurerische Bildwelten

Aus Freimaurer-Wiki
Version vom 2. April 2019, 11:12 Uhr von Urbantactics (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Rezensionen.jpg

Ursula Terner: Freimaurerische Bildwelten

Rezension von Roland Müller


Ursula Terner: Freimaurerische Bildwelten. Die Ikonographie der freimaurerischen Symbolik anhand von englischen, schottischen und französischen Freimaurerdiplomen. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2001 (Dissertation im Fachbereich 15 der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 2000).

siehe auch kürzer: Ursula Schaumburg-Terner: Freimaurerische Bildwelten – Zur Ikonographie der freimaurerischen Symbolik. In Helmut Reinalter (Hrsg.): Freimaurerische Kunst – Kunst der Freimaurer. Beiträge einer Tagung vom 24. bis 25. Mai 2002 in Bayreuth. Innsbruck: Studien-Verlag 2005.

Ein hervorragender Lehrgang in freimaurerischer Symbolik

Erstaunlich, dass dieser eineinhalb Kilogramm schwere grossformatige Band nicht bekannter geworden ist, enthält er doch in konzentrierter Form fast alles über „Geschichte und Wesen der Freimaurerei“ und die Symbole.

Ausgezeichnete Information – 150 schwarzweisse Abbildungen

„Die Freimaurer nutzten sämtliche Gattungen der Kunst, um ihre Symbolwelt bildlich niederzulegen“ (9), weiss die Autorin; sie beschränkt sich aber sinnvollerweise auf eine einzige Gattung: die Mitgliederdiplome von 1759 bis 1883, und zwar 53 englische, 20 schottische und 84 französische. Dabei handelt es sich um eine kleine, aber repräsentative Auswahl. Weitere Hunderte, ja Tausende solcher Diplome finden sich in den Archiven der „United Grand Lodge of England“ und der Pariser „Bibliothèque Nationale“. Die Zahl der in Deutschland aufbewahrten Logendiplome war für eine fundierte Untersuchung zu gering.

Das 270seitige Buch umfasst rund 150 schwarz-weisse Abbildungen und zwei riesige kleingedruckte Anmerkungsapparate von rund 900 und 350 Einträgen.

In kurzen Kapiteln berichtet die Kunsthistorikerin über die Geschichte und Organisation der Freimaurerei, über die Legenden (Hiram, Templer, Stuarts, Isis und Osiris), die Rituale der Johannisgrade sowie die Hochgradsysteme Royal Arch, Rite Français und Alter und Angenommener Schottischer Ritus.

Bei den künstlerischen Betätigungen der Freimaurer streift die Autorin ganz kurz Architektur und Malerei, Kunstgewerbe und Druckgrafik. Nachher geht es nur noch um die Diplome, also oft mit ausgeklügelten Bildmotiven verzierte Ausweispapiere für Freimaurer, die im Land umherreisten oder das Land verliessen (39). Die französischen Diplome sind formenreicher als die englischen und schottischen (41). Die Graveure waren meistens Freimaurer. Zwei französische Diplome „ragen durch ihre Qualität und ihre hochrangigen Künstler heraus“ (43); sie wurden von Pierre Philippe Choffard nach Entwürfen von François Boucher (1765; siehe auch 126) und Charles Monnet (1772) angefertigt.

Was nun in dieser kunstgeschichtlichen Dissertation folgt, ist nichts anderes als ein ausgewachsener, detaillierter und präziser Lehrgang in freimaurerischer Symbolik. Er ist mindestens so wertvoll für Laien wie für Freimaurer selber.

Einzelne Bildinhalte der Diplome

Personifikationen

Auf dreiviertel der englische Diplome finden sich „die Personifikationen der Fides und Spes auf zwei der drei hohen, die Darstellung flankierenden Säulen. Die Caritas sitzt bzw. steht zwischen ihnen auf dem Boden“ (45). Fides steht meist auf der ionischen Säule (Stärke), Spes auf der korinthischen (Schönheit). Analog zu diesen „theologischen“ Tugenden gibt es auch drei „freimaurerische“: die Weisheit wird oft durch Minerva personifiziert, Stärke durch Herkules und Schönheit durch Venus, letztere jedoch oft als zentrale Lichterscheinung dargestellt. Zudem kann Minerva manchmal auch als Schönheit oder Stärke gedeutet werden (47). Es gibt viele weitere Personifikationen. Auf 19 Diplomen ist die Verschwiegenheit, die „Hüterin des maurerischen Geheimnisses“ dargestellt. Andere Personifikationen sind Justitia, Prudentia (Klugheit) und Temperantia, seltener „die Freimaurerei“ und die Geometrie, Concordia (Eintracht), Reichtum und Unsterblichkeit (meist mit einem Akazienzweig in der Hand). „Eng mit den Hochgraden und besonders mit den sogenannten Rittergraden sind die Darstellungen von Ritterfiguren und Heldentugenden auf den freimaurerischen Diplomen verknüpft“, und „seit 1789 bilden die französischen Diplome Personifikationen und Symbole ab, die Werte und Ideale der Französischen Revolution illustrieren“ (53).

Symbole des Handwerks

Selbstverständlich gibt es viele Darstellungen maurerischer „Werkzeuge“, die moralische Werte und Tugenden versinnbildlichen. Exemplarisch bespricht die Autorin „Winkel“ und Zirkel, Setzwaage und Senkblei, Hammer und Meissel, Kelle und vierundzwanzigzölligen Massstab, die Steine und das Reissbrett. Letzteres fehlt auf den schottischen Diplomen. Der kubische Stein mit einer aufgesetzten Pyramide wird auf 21 französischen, aber nur einem englischen Diplom abgebildet. Der Vollständigkeit halber beschreibt die Autorin auch die Messleine sowie Mörtel, Spaten und Backstein, die nicht auf den Diplomen vorkommen.

Geometrische Formen

Von den geometrischen Figuren kommt das längliche Viereck (die Form der Loge) nicht vor, wohl aber das Dreieck und das Hexagramm sowie das Pentagramm und den flammenden Stern, letzterer aber seltsamerweise nur auf französischen Diplomen (61). Dazu kommt der Pythagoräische Lehrsatz.

Architekturen und Architekturelemente

Das Auffälligste an den meisten Diplomen sind die Säulen, meist zwei, drei oder fünf; auf vier britischen Diplomen kommen vier vor. Die gebrochene Säule, welche – nach Schauberg, 1861 - den zerstörten Salomonischen Tempel symbolisiert, kommt auf fünf Blättern vor (66). Auf zahlreichen Diplomen sind Treppen mit drei oder sieben Stufen dargestellt, ferner Bogen, Mauern und das musivische Pflaster (erst ab 1785). Der Salomonische Tempel selbst wird gemäss den damaligen Vorstellungen als St. Paul’s Cathedral von London oder als antikisiernder Tempel mit Dreiecksgiebel, als Rundtempel, Pantheon oder gar Grabmal dargestellt. Türen oder Portale finden sich häufig auf den Diplomen; sie symbolisieren den Eingang zum Salomonischen Tempel. Auf das „fremde, , mystische Ägypten“ (74) verweisen Pyramiden und Obelisken.

Licht- und Sonnensymbolik

Mit vielen Zitaten aus frühen maurerischen Katechismen schildert die Autorin die Lichtsymbolik im Ritual. Die Bezeichnungen „grosse“ und „kleine“ Lichter wurden einige Zeit recht unterschiedlich gebraucht: Sonne, Mond und Meistermaurer waren zuerst „grosse“, erst ab 1762 „kleine“ Lichter. Auf französischen Diplomen fehlen sie.

Die Grundlage der maurerischen Lichtsymbolik ist christlich: „Wie Christus die Dunkelheit überwand, so geschieht dies in der Loge bei der Lichterteilung“ (78). Auf vielen Diplomen beherrscht das Licht am oberen Bildrand die Komposition, entweder als Strahlen, welche die Wolken durchbrechen, als strahlendes Auge oder als Sonne und Mond. Bei französischen Blättern enthält meist ein strahlendes Dreieck das Jahwezeichen. Diplome von Logen, die nach Hochgraden arbeiten, bilden ein strahlendes Kreuz mit einer Rose ab (81). „Auf einigen Diplomen ist in der Himmelszone ein Kopf mit einem Strahlenkranz zu erkennen“ (81); meist handelt es sich um den Sonnenkönig Ludwig XIV.

Bezüge zum Christentum

Auf das Christentum verweisen auch die Ausrichtung der Loge in der Ost-West-Richtung und die Eröffnung im Namen Gottes und des heiligen Johannes des Täufers. Interessanterweise fehlt auf den Diplomen eine Abbildung von Gottvater als „architectus mundi“; aber viele Engel und Putti schweben herum. Vielfältig sind die Darstellungen von Altären. Auf dem Buch der Apokalypse des Johannes liegt bei vier französischen Diplomen stets das Lamm Gottes, welches das Siegel öffnet. Selten wird ein Kreuz oder die Jakobsleiter abgebildet, etwas häufiger Pelikan, Phönix und Taube.

Bezüge zum Judentum

Aus dem Judentum stammen Darstellungen der Bundeslade, die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten, die goldenen Cherubim sowie Rauchfass und Räucheraltar. Selten dargestellt werden Schaubrote und der Siebenarmige Leuchter. „Der hebräische Name Gottes findet sich auf 31 französischen Diplomen und auf drei englischen“ (90).

Figürliche Darstellungen und narrative Szenen

Auf vielen Diplomen sind der König Salomon, einzelne Freimaurer oder Heilige (beispielsweise der schottische Nationalheilige St. Andrew) abgebildet. Manchmal werden die Figuren in „moralisierende, religiöse Szenen oder Szenen aus dem freimaurerischen Ritual“ eingebunden (94). Da gibt es die Begrüssung und Bewirtung der drei Männer durch Abraham, die Heilung eines Gelähmten durch Petrus oder König Kyrus, der vor einem Löwen flieht, sowie aus dem Ritual Initiation und Schwur oder ein Ritter, der auf einer Brücke steht.

Stadtansichten, Landschafts- und Ruinendarstellungen

„Besonders zahlreich sind bei den britischen Diplomen Stadtansichten, bei denen es sich meist um Veduten des Logenorts handelt“ (98). Das spricht für das Selbstbewusstsein der Logen bevor die englische Grossloge das Monopol für die Diplome übernahm. Landschaften sind auf schottischen Diplomen selten, dafür zeigen diese viele Ruinen, einmal sogar den Steinkreis von Stonehenge.

Symbole, zum Teil aus freimaurerischen Legenden

Viele Symbole liefern die Freimaurerischen Legenden, beispielsweise ein Brücke mit der Inschrift L. P. D. („Liberté de passer“) und ein Turm, ein Hund, Löwen und Adler, Knotenschnur und Bruderkette, Kornähren und Wasserfall, Schleier und Vorhänge. Weitere Symbole sind der Bienenkorb, Erd- und Himmelsglobus, gekreuzte Schlüssel und Schurze.

Während auf englischen Diplomen das Schwert nur an untergeordneten Stellen und auf schottischen kaum vorkommen, tauchen sie auf französischen – „wohl mit der Verherrlichung des Rittertums on der französischen Hochgradfreimaurerei“ (105) - häufig auf. Auf je einem englischen und schottischen Diplom zeigen Uhren 12 Uhr an, die Zeit, das Hiram ermordet wurde.

Symbole des Todes und der Wiedererweckung

„In der Hiramslegende des Meistergrades lassen sich Parallelen zum Leben Christi erkennen. Wie dieser wurde der Baumeister ermordet und erfuhr eine Auferstehung“ (106). Die Akazie ist ein Hinweis auf die Unsterblichkeit, ein Hoffnungssymbol. Häufig kommen auf Diplomen auch Grabmäler, Sarkophage und Särge vor. Auch Totenschädel, Sense oder Sichel, die den Faden des Lebens durchschneidet, und das Stundenglas fehlen nicht.

Unzählige weitere Symbole

In ihrem Hang nach Vollständigkeit stellt die Autorin unzählige weitere Symbole zusammen, darunter aus der Alchemie der Stab mit den Doppelschlangen (Kerykeion, Caduceus), das ägyptische Lebenssymbol, den Ankh sowie die Sphinx, den Uräus (die sich aufbäumende, giftspeiende Kobra) und den Serapis (auf einem französischen Diplom) und schliesslich die Faszes aus der französischen Revolutionsgrafik.

Selten sind Hände und die Schwurhand, der Hahn – „als Symbol der Wachsamkeit und des Lichtes (109) -, eine Kanne, durch die sich ein Schwert bohrt, Palmen oder Palmenzweige und Elefanten. Häufiger finden sich Rose, Schlange und Uroboros. Auf einem Diplom der schottischen Grossloge von 1813 finden sich sogar zwei Einhörner (188).

Auf den zwei jüngsten französischen Diplomen (1877 und 1883) sind Symbole des technischen Fortschritts wie Zahnräder, Dampfmaschinen und Retorten abgebildet.

In einer kurzen Zusammenfassung weist die Autorin darauf hin, dass mit der Einführung des Grosslogendiploms in England (1819) und mit den geänderten Statuten des „Grand Orient de France“ (1877) die christlichen Symbole verschwinden, die besondern bei den englischen Diplomen verreitet waren (vgl. auch 144). Die französischen Diplome sind vielfältiger als die andern. Sie enthalten neue und andere Symbole, insbesondere aus den Hochgraden (115).

Mögliche Vorbilder für die Darstellungen auf den Diplomen

Diese erstaunliche Reichhaltigkeit fordert die Kunsthistorikerin zu Nachforschungen heraus, woher diese Motive herrühren könnten. Unter dem trockenen Titel „Einflüsse auf die Gestaltung der freimaurerischen Diplome“ geht sie auf 28 Seiten dieser Frage nach.

Es gibt vier Gruppen von Vorbildern.

  1. Barocke Emblemata, also Bücher, die Bilder enthalten, über die ein kurzes Motto – meist eine moralischen Unterweisung (116) - gestellt ist; untendran kann ein Epigramm, eine kurze Lebensregel stehen (1531-1702).
  2. Handwerksdiplome aus der Zeit nach 1740. Da finden sich Landschaften, die zwei flankierenden Säulen, eine Minerva in Rüstung, ja sogar das musivische Pflaster, aber nicht als Wiedergabe eines Symbols, sondern zur Erzeugung der Perspektive (123). Eine Vorbildfunktion der maurerischen Diplome scheint der Autorin unwahrscheinlich.
  3. Buchillustrationen, insbesondere architektonische Formen, Putti, die Personifikation der Caritas und klassizistische Elemente, wie die strenge Rahmung ab etwa 1765.
  4. Musterbücher und einzelne Vorlagen, wie die Göttin Minerva und das Eherne Meer.

Besonders eng waren die Beziehungen zwischen den französischen Diplomen und der Revolutionsgrafik seit 1789. Hier ist wohl ein umgekehrter Einfluss wirksam gewesen: Revolutionsbegeisterte Freimaurer haben maurerische Symbole in die politische Grafik gebracht (131, 136, 145), beispielsweise den Zirkel und die Winkelwaage oder Personifikationen der neuen Ideale wie Freiheit, Eintracht und Gleichheit.

Ohne konkrete Vorlagen beizubringen, erörtert die Autorin schliesslich eingehend den Einfluss der Ägyptenbegeisterung seit etwa 1750. „In den ägyptischen Hieroglyphen sahen die Freimaurer ein Geheimnis, dessen Auflösung dem Eingeweihten vorbehalten war“ (139). Die damals aufkommende legendäre Herleitung der Freimaurerei aus dem „mystischen“ Ägypten zeigt sich auf maurerischen Diplomen aus Frankreich durch die Darstellung von Pyramiden, Obelisken und Sphingen sowie Tempeln.

Minutiöse Beschreibung der über 150 Diplome

Auf knapp 100 Seiten liefert die Autorin anschliessend eine minutiöse Beschreibung der über 150 Diplome. Das tut sie so detailliert und präzise, dass dafür eine kleinere Schrift verwendet werden musste. Das muss eine Riesenarbeit gewesen sein.

Diese Dissertation ist eine hervorragende Arbeit! Wenn man für die Autorin, Ursula Terner, ein Diplom ausstellen müsste, würde man ein „summa cum laude“ zwischen die Personifikationen von Minerva und Herkules stellen.

Msgruenklein.gif

Ausgearbeitet von Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2015 / All rights reserved - ESOTERIK von Dr. phil. Roland Müller

Siehe auch