Traktat: Johannisfeste im Laufe der Zeiten

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Die Johannisfeste im Laufe der Zeiten

Die alljährlichen Feste zu Ehren des Patrons und Namensgebers der Johannislogen stellen einen wichtigen Höhepunkt im Laufe eines Maurerjahres dar. Identifikation und Bekenntnis zu einem der wichtigsten religiösen Aspekte der regulären Freimaurerei finden an diesem Tage einen ernsthaften Ausdruck.

Es ist das Bundesfest der Freimaurerei, an dem jeder Freimaurer zum Zwecke der Bekundung seiner Zugehörigkeit zu einem die Erde umspannenden Bund teilnehmen soll. In Deutschland ist es in seinem Rosensymbol zugleich das Fest der Liebe und des gleich der zur Mittsommerszeit voll erwachten Natur freudig bejahten Lebens. Die drei Johannisrosen, mit denen der Freimaurer seine Arbeitsstätte und sich selbst schmückt, versinnbildlichen in ihrer abgestuften Farbenzusammenstellung die Lebensdevise des Freimaurers: Licht, Liebe, Leben. (Quelle: LPB)

In der "Dunklen Zeit" jedoch, die für die Johannisloge Ditmarsia vom April 1933 bis zum Mai 1949 dauern musste, wartete Johannis der Täufer vergeblich auf die Würdigung durch die Brüder in Marne und Brunsbüttel. Ein schwerer Schatten hatte sich über die deutsche Freimaurerei gelegt - und darauf möchte ich heute gern Euer Augenmerk lenken.

Wir sitzen hier heute in einem wunderschönen Tempel in herzlicher und ungetrübter Brüderlichkeit. Unsere Familien sind in Sicherheit, niemand bedroht uns und den Meisten von uns geht es auch wirtschaftlich recht gut. Wenn wir vergleichend in die genannte dunkle Zeit zurückschauen, in fast beschämendem Luxus.

Die Johannisloge Ditmarsia hat zudem noch einen sehr schönen historischen Kreis geschlossen: Hatte sie doch einst ihren rauhen Grundstein in Marne gesetzt - und seit einigen Jahren führt ein Bruder aus ebendieser Ditmarsia-Gründungsstadt mit Bravour den Hammer dieser guten und vitalen Loge.

Die deutsche Freimaurerei öffnet sich derzeit und zeigt sich der deutschen Öffentlichkeit spätestens seit der 275-Jahr Feier im Hamburger Michel unter dem Motto:

"Auch wenn Sie´s nicht vermuten - wir sind die Guten ! "

Es ziehen allerdings in dieser Stunde in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat -und somit geht uns das Alle etwas an- wieder sehr bedrohliche Wolken auf. In der Türkei bricht gerade eine weitere "Dunkle Zeit" heran. Und weil offensichtlich Freidenker mit kosmopolitischem Habitus den Despoten und Unterdrückern des eigenen Volkes in aller Welt als Allererstes ein Dorn im böswillig dreinschauenden Auge sind, dient auch in der Türkei die Freimaurerei als Indikator für eine beängstigende Entwicklung.


Ein mit mir befreundeter Bruder- er ist Deutscher mit türkischer Ehefrau und Familie - der eine gemeinsame Erklärung von 252 Universitätsdozenten mit unterschrieben hat, in der die maßlose Brutalität der Sicherheitskräfte verurteilt und das Recht auf freie Meinungsäußerung ( also ein zutiefst freimaurerisches Anliegen ) angemahnt wird, wurde mitsamt einer gemeinsamen türkischen Erklärung aller (!) Professoren der Rechtswissenschaften heute vom Netz bzw. der Uni-Homepage genommen. Dafür hat dieser, unser Bruder, die Order erhalten, 5 Büroräume des Archäologieinstituts (Archive, Labors etc.) ohne weitere Angabe von Gründen auszuräumen und die Schlüssel der Uni-Leitung zu übergeben - nach dem Motto: zunächst Deine Büros, dann Dein Arbeitvertrag...

Kommt uns das nicht sehr bekannt vor, meine lieben Brüder ?

Stockt uns nicht der Atem, wenn wir an eine der am häufigsten zitierten Plattitüden unseres hochgepriesenen Bruders mit dem gerüttelten und nicht gerührten Versmaß, den Bruder Johann Wolfgang von Goethe denken, der da sagte:

" Nichts Bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei
wenn unten, weit in der der Türkei
die Völker aufeinanderschlagen. "

Ganz sicher wünschen sich auch dort die Brüder, genau wie wir heute, in ihren Tempeln einträchtig und friedlich beieinander sitzen zu dürfen. Stattdessen bewegen sie Sorgen. Sorgen um ihre eigene Existenz, um ihre Familien. Die ersten Gewaltaufrufe gegen Systemgegner wurden veröffentlicht - und genau so hat es auch bei uns einmal begonnen. Freimaurern wurden Ängste implantiert, die bis heute - ein dreiviertel Jahrhundert später - noch spürbar sind.


Und genau wie bei uns wird man auch in der Türkei die erprobten Mittel der Demagogie gegen die Freimaurer einsetzen. Sie werden für internationale Verstrickungen verantwortlich gemacht, für Manipulationen im politischen wie auch im wirtschaftlichen Bereich, denn das betrifft am Ende auch den allerletzten Bürger am schmerzhaftesten - und am Ende wird das ganze Land sie hassen, sie werden als Staatsfeinde stigmatisiert und für die einzigen Schuldigen halten. In diese böse Suppe rührt man dann möglicherweise der Gründlichkeit halber noch die Juden, die Kurden und was einem sonst noch so in den Sinn kommt.


In Deutschland haben die Freimaurer damals versucht, der absehbaren Entwicklung zunächst zaghaft und nur in einzelnen Ausnahmefällen mannhaft die Stirn zu bieten - um dann das maurerische Kleid in ein angepasstes Ornat zu wechseln. Man muss wohl Verständnis für diese ultima ratio haben - und wenn man dieses Verständnis nicht hat, sollte man in den kommenden Tagen die Entwicklung in der Türkei umso aufmerksamer beobachten. Vielleicht dient dann dieses Exempel dazu, die eigene deutsche Freimaurer-Geschichte besser zu verstehen.


In unserer eigenen dunklen Zeit gab es noch keine Video-Überwachung und keine eingeschleusten Scripte in den brüderlichen Mail-Verkehr. Man legte noch das Ohr an die Wand des Nachbarn und suchte sich die redseligsten Brüder aus den Logen, die bereit waren, eigene Brüder zu diskreditieren. Aber das Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Logenhäuser mit den unscheinbar gekleideten Männer mit den tief ins Gesicht gezogenen Hüten, die gibt es gestern wie heute. So wie gestern in Marne und Brunsbüttel, so heute in Istanbul und Ankara.

Leider wurde das Logen-Bijou mit dem Hakenkreuz aus den Vitrinen des Freimaurer-Museums in St. Michaelisdonn entfernt. Ich hätte es für wichtig gehalten, um unserer Artikelserie über die "Dunkle Zeit" im Freimaurer-Wiki ein treffendes Symbol voranzustellen - und ich hoffe, dass es solche Bijoux der Anbiederung und der Anpassung in der Türkei niemals geben wird.


Man muss wohl kein Hellseher sein, um vorauszusagen, was in grausamer Folge nun geschehen wird - und so kam es noch am gleichen Tage, nachdem ich diesen Text verfasste, zu folgenden Pressemitteilungen aus der Türkei:

  • Das Gesundheitsministerium hat gegen die helfenden Ärzte und die den Einsatz koordinierende Istanbuler Ärztekammer eine Untersuchung eingeleitet, da es illegal (ohne Erlaubnis des Gesundheitsministeriums) erfolgt sei. Erste Ärzte werden verhaftet und verhört.
  • Auf einer Website wird die türkische Freimaurerei des Aufrufs zum Volksaufstand und zum Lynchmord bezichtigt.
  • Und es kommt, wie es anscheinend kommen muss: Am Donnerstag dieser Woche bezichtigt Erdogan jüdische Investoren und Finanziers wirtschaftlicher Intrigen und Manipulationen zum Schaden des türkischen Volkes.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass derzeit türkische Logen in Deutschland einen starken Zulauf verzeichnen. In Krisenzeiten nehmen Freimaurerlogen manchmal den Charakter von Exil-Logen an. Allein gestern nahm die guten Bauhütte Anadolu, im Or.:. Düsseldorf der American Canadian Grand Lodge sechs Suchende auf.

Man sagt, man müsse seine eigene Geschichte kennen und verstehen, um zu verhindern, dass sie sich wiederhole. Anscheinend muss man wohl auch die Geschichte anderer Völker unbedingt verstehen, denn sonst ist es unausweichlich, dass bösartige Rezepturen adaptieren werden. Ich sage es ungern, aber die aktuellen Ereignisse lassen vermuten, dass diese Aspekte der deutschen Geschichte gerade deshalb in Anspruch genommen werden, weil sie auf ihre Weise überaus erfolgreich waren.


Man muss keine Feindbilder neu erfinden, wenn die alten noch nutzbar und funktionsfähig sind. Juden und Freimaurer taugen solange als Prügelknaben, solange wir, meine lieben Brüder, das Geschichtsbild nur zaghaft und widersprüchlich revidieren.

Mit unserem Freimaurer-Wiki haben wir vor drei Jahren damit begonnen, ein objektives und verifizierbares Abbild aktueller Freimaurerei darzustellen, ohne die Geschichte zu verändern oder beschönigend darzustellen. Meiner Meinung nach ist das der redlichste, mithin auch der einzige Weg, glaubwürdig zu bleiben. Besser sollte man vielleicht sagen: Um glaubwürdig zu werden.

Lassen sie mich bitte abschließend unseren Bruder Hans-Hermann Höhmann zitieren, der sagte:

"Freimaurer erinnern sich gern: an ihre Herkunft, an ihr aufklärerisches Erbe, an ihre historische Bedeutung, an ihre hervorragenden Männer. Doch manchmal scheint die Erinnerung mühevoll und selektiv: Zu schmerzhaft ist das Zurückdenken an manche Phasen freimaurerischer Vergangenheit, und als zu lästig wird die Reflexion über die bisher geleistete Erinnerungsarbeit empfunden. Dann droht die Gefahr, dass Verdrängung an die Stelle von Erinnerung tritt und historische Erfindung an die Stelle von Fakten. Es gibt für die Freimaurerei eben nicht nur Geschichte, es gibt auch ein spezifisches Verhältnis zur Geschichte, eine Kultur der Erinnerung, verstanden als die Art und Weise, wie historisches Wissen erworben und verloren wird, d. h. wie der sich erinnernde Freimaurer mit Wissen um die Vergangenheit umgeht.

Ebenso muss zwischen Anpassung von Logen und Großlogen auf der einen und der unveränderten freimaurerischen sowie menschlichen Integrität vieler ihrer Mitglieder auf der anderen Seite unterschieden werden. Auch gab es persönlichen Widerstand von Freimaurern, und auch Treue zur Menschlichkeit bis in den Tod hat es in der Tat gegeben. Es ist dabei nicht wichtig, ob diese Männer starben, weil sie Freimaurer, Demokraten, Sozialisten oder Pazifisten waren: Namen wie Wilhelm Leuschner, Leo Müffelmann und Carl von Ossietzky stehen für ein anderes Deutschland – und eine andere, nicht angepasste Freimaurerei. "

Es mag Ihnen in diesem Augenblick etwas befremdlich erscheinen, meine lieben Brüder, wenn ich beim Johannisfest der guten Loge "Ditmarsia" im Jahre 2013 ausgerechnet Ihr Augenmerk auf die Zeiten OHNE die wichtigen Johannisfeste lenke

- aber ich bin der Meinung, dass uns besser bewusst wird, wie gut und wie wichtig ein solcher Feiertag für die heutige Bruderschaft ist, wenn man sich daran erinnert, dass es Zeiten gab, in denen sich die Brüder nach einer solchen friedlichen Feierstunde wie unserer heutigen Johannisarbeit gesehnt haben müssen.

Für sie - für die Ditmarsia-Brüder des Jahres 1933 - war nur schwer vorstellbar, dass es diese gute Loge überhaupt einmal wieder geben würde.


Ich bitte Sie, meine lieben Brüder, sich einen Moment lang vorzustellen, dass sich diese damaligen Ditmarsia-Brüder die sich zu ihrem letzten Johannisfest im Marner Logenhaus zusammenfanden heute gemeinsam mit uns in unserer Bruderkette befinden würden.


Zum Schluss noch einmal Bruder Hans-Hermann Höhmann:

"Schadet eine offene Reflexion auch belastender Vergangenheiten dem Ansehen der Freimaurerei und ihrer zukünftigen Entwicklung?

Wohl kaum. Im Gegenteil: Wenn Freimaurerei heute „reflexive Aufklärung“ sein will, so muss sie um ihrer Glaubwürdigkeit willen sich selbst und ihre Vergangenheit in diesen Aufklärungsprozess einbeziehen.

Freimaurerei hat viel zu viel Substanz, als dass sie historische Wahrheiten nicht vertragen könnte. Und wenn Freimaurerei vor allem als Ausdruck von Lebenskultur verstanden wird, so muss Erinnerungskultur einen festen Platz in ihr haben. Das schulden sich die Freimaurer selbst. Aber auch die von ihnen angestrebte respektierte Rolle in der Öffentlichkeit hängt von der Fähigkeit ab, im Umgang mit der eigenen Vergangenheit redlich und wahrhaftig zu sein. "

Es geschehe also.

Festvortrag von Br. Jens Rusch

für die Bruderschaft seiner Mutterloge "Ditmarsia"

am 15. Juni 2013