Wertewandel

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Freimaurer im Wertediskurs

Werte sind im Gespräch – auf der einen Seite ist von Wertewandel, wenn nicht gar von Werteverfall, die Rede; auf der anderen Seite wird die Notwendigkeit betont, alte Wertesysteme zu beleben, sie erneut verbindlich zu machen oder gar neue Wertesysteme zu entwickeln.


== DER GESELLSCHAFTLICHE WERTEWANDEL UND DIE FREIMAUREREI ==

(Prof. Dr.) Hans-Hermann Höhmann

Im Vordergrund des Wertediskurses steht die auf viele Beobachtungen gestützte Befürchtung, dass im politisch-gesellschaftlichen wie im privaten Leben der Gegenwart viele Wertehaltungen fehlen, unzureichend vorhanden sind oder einen unverbindlich- rhetorischen Charakter angenommen haben, die das Verhalten der Menschen bisher geregelt haben. In zunehmenden Maße vermisst werden Einstellungen, die unmittelbar öffentlich bedeutsam sind wie soziale Verantwortung, Sorge um die Zukunft der Gemeinschaft, Offenheit für den Mitmenschen, Redlichkeit im Umgang miteinander sowie Maßhalten im Vertreten von ideologischen Standpunkten und materiellen Interessen. Vermisst werden aber auch Einstellungen, die der tagtäglichen Alltagspraxis zuzurechnen sind wie Rücksichtnahme, Respekt und Höflichkeit im Umgang miteinander.

Auch die Freimaurer stehen im Wertediskurs. Denn die Frage nach Werten, Tugenden und moralischen Verhaltensweisen hat im Freimaurerbund eine lange, in die Zeit seiner Gründung im frühen 18. Jahrhundert zurückreichende Tradition. Ja, man kann die Freimaurerei geradezu als Bund definieren, der sich um ethische Orientierungen herum entwickelt hat und in dem der Wertediskurs von Anbeginn an eine zentrale Rolle spielte. Auch die gegenwärtige Wertproblematik ist für die Freimaurer von großer Bedeutung, und es ist eine Herausforderung für sie, den Wertewandel der Gegenwart mit ihrer Ideenwelt zu konfrontieren, nach der heutigen Relevanz ihrer Ideenwelt zu fragen und über die Tragfähigkeit ihres eigenen Beitrags zum Wertediskurs nachzudenken. Worin bestehen die Beziehungen zwischen Wertewandel und Freimaurerei?


Fünf Gesichtspunkte sind von besonderer Bedeutung

  • Erstens: Freimaurer sind aufgrund ihrer Tradition mit der Entwicklung ethischer Werte verbunden und aufgrund dieser Tradition auch an der Umsetzung von Werten in der Lebenspraxis der Gegenwart interessiert. Werteerziehung gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben der Loge.
  • Zweitens: Freimaurer gehen davon aus, dass Werteerziehung scheitern muss, wenn sie nicht im Verhalten der einzelnen Menschen innerhalb der Gesellschaft eingeübt und verankert wird. Deshalb versteht sich die Ethik der Freimaurer in erster Linie als eine Ethik der Einübung.
  • Drittens: Freimaurer sind der Auffassung, dass die Gruppe das leistungsfähigste Medium der Werteerziehung und der Einübung wertebezogener Verhaltensweisen ist. Dies gilt für die Familie, den Kindergarten, die Schule und die Kirchengruppe ebenso wie für die Logen der Freimaurer.
  • Viertens: Freimaurer sind davon überzeugt, dass in der Freimaurerei geeignete Methoden zur Einübung von Werten vorhanden sind, und sie sehen diese in der sozialen, der diskursethischen und der rituellen Praxis der Loge.
  • Fünftens: Freimaurer wissen, dass sie in der Praxis der Einübung und der alltäglichen Umsetzung von Werten immer wieder scheitern können, und sie haben dafür ein anschauliches Symbol, den rauhen, unbehauenen Stein des eigenen Selbst, den sie immer wieder bearbeiten müssen.

Die Werte, die der modernen Gesellschaft als ideelle Grundlage dienen, entstammen den großen Werteerzählungen der Aufklärungszeit, die ja nicht zuletzt freimaurerische Werteerzählungen und vor allem Manifestationen historischer Hoffnungen gewesen sind.

Es war die Hoffnung auf Aufklärung, auf „Unterscheidungsfähigkeit zwischen Hell und Dunkel, Licht und Finsternis“, so die Definition des Weimarer Freimaurers [[Christoph Martin Wieland]]; es war die Erwartung einer durch Offenheit und Freiheit geprägten politisch-sozialen Zukunft, und es war das Erlebnis menschlicher Gleichheit jenseits aller Schranken von Stand, Nation und Bekenntnis.

Es hat das Bewusstsein der Gründer des Freimaurerbundes geprägt. Und es war die Freude über eine neue Entdeckung des Menschen, ebenso waren es immer wieder diese neuentdeckten Menschen selbst, die im Zentrum von Freimaurerei und Loge standen, es war das Bekenntnis zur Humanität als Inbegriff von „Menschheit, Menschlichkeit, Menschenrechten, Menschenpflichten, Menschenwürde und Menschenliebe“, wie der Freimaurer Johann Gottfried Herder sie mit dieser Reihung fast schon hymnisch bestimmt hat. Nicht um den Menschen als Träger nationaler, sozialer und religiöser Rollen ging es dabei. Um das Menschliche, vor allem aber um den Einzelmenschen war es zu tun: Der einzelne Mensch stand – und steht bis heute – im Mittelpunkt der freimaurerischen Initiation, der feierlichen Aufnahme in den Bund, und der Einzelmensch bildete und blieb auch das Zentrum der freimaurerischen Idee.

Die politisch-soziale Systematik zum Vorrang des Einzelmenschen findet sich dann in einem der ersten großen Wertediskurse der Freimaurerei, in Lessings programmatischer Schrift „Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer“ aus dem Jahre 1780. „Die Staaten“ – so heißt es dort – „vereinigen Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelne Mensch seinen Teil von Glückseligkeit desto besser und sicherer genießen könne. Das Totale der einzelnen Glückseligkeiten aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staates. Außer dieser gibt es gar keine. Jede andere Glückseligkeit des Staates, bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden und leiden ist Bemäntelung der Tyrannei. Anders nicht.“

Dieses Recht auf Streben nach Glückseligkeit hatten die amerikanischen Freimaurer um George Washington kurz zuvor in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten geschrieben. Dort heißt es: „Alle Menschen sind von ihrem Schöpfer mit bestimmten unverzichtbaren Rechten ausgestattet, unter ihnen das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück“.

Zu den tradierten freimaurerischen Wertvorstellungen gehört nicht zuletzt die Toleranz. Seit dem 18. Jahrhundert waren es Vertreter des Freimaurerbundes, die sich für einen toleranten Umgang der Menschen miteinander über nationale, religiöse und soziale Grenzen eingesetzt haben. Die Frage nach der Toleranz wird gelegentlich als weniger wichtig ausgegeben, da Toleranz kaum ein Wert an sich sei, eine Art „Übergangshaltung“ (Goethe) auf dem Weg zur Anerkennung darstelle und oft nicht mehr repräsentiere als Bündel formaler Regeln. Dennoch ist Toleranz von entscheidender Bedeutung für eine funktionierende Werteordnung. Denn die zentralen Fragen nach Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden können im Prozess ihrer Realisierung nur anhand von Maßstäben entschieden werden, die im toleranten Miteinander, im Ethos des Diskurses gewonnen werden.

Freimaurerische Werteerziehung heute