Als-ob-Philosophie

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Als-ob-Philosophie

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

von Vaihinger eingeleitete Richtung des positivistischen Idealismus (s. d.), die Tatsachen und Ideale gleicherweise gelten läßt. Als-ob-Philosophie ist im Grunde Fiktionalismus. Fiktionen (s. d.) sind bewußt falsche aber zweckmäßige Einbildungen, die wohl kein wirkliches Erkennen zur Folge haben, aber die Berechnung der Wirklichkeit ermöglichen.

Unsere Vorstellungswelt ist voller Fiktionen: Kategorien, Allgemeinbegriffe, mathematische und physische Begriffe (Kraft, Materie, Linie, Punkt, das Unendlich-Kleine), der kategorische Imperativ, religiöse Ideen, der Freiheitsbegriff usw. Die Kausalität ist eine analogische Fiktion. Auch Naturgesetze sind fiktiv, bloße Ausdrücke für die Gleichförmigkeit von Tatsachen.

Ideale sind praktische Fiktionen: In sich widerspruchsvolle und mit der Wirklichkeit im Widerspruch stehende Begriffsbildungen, "die aber einen ungeheuren weltüberwindenden Wert haben". In der Wirklichkeit gibt es nur eine unabänderliche Zeitfolge von gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden Empfindungen. Alles weitere ist eine willkürliche Konstruktion. Die Fiktionen, fiktiven Urteile, werden in Sätzen ausgedrückt, in denen "als ob" als Partikel dient, und die ein "vorliegendes Etwas mit den Konsequenzen aus einem unwirklichen und unmöglichen Fall gleichsetzt", für praktische Zwecke einen Vergleich mit etwas Imaginärem vornimmt.

Die Als-ob-Philosophie unterscheidet zwischen Hypothese, Fiktion und Dogma. Erstere kann verifiziert werden und wird dadurch zu einem Dogma, d. h. zu einer als objektiv angenommenen Vorstellung. Fiktionen können hingegen niemals verifiziert, sondern nur durch praktische Leistungen gerechtfertigt werden. Kant bezeichnete bereits Gott, Freiheit, Unsterblichkeit usw. als "Als-ob"-Begriffe, ohne jedoch den Standpunkt des Fiktionalismus ganz durchgeführt zu haben.

Die Als-ob-Philosophie übte eine tiefgehende Wirkung auf das neuzeitliche Denken aus und steht den Auffassungen der Freimaurerei in mancher Hinsicht nahe. Sie zeigt uns die Gleichwertigkeit aller Gebiete des Seelenlebens, in dem sie mit dem unbegründeten naiven Positivismus (s. d.) aufräumt und die Fiktivität des Denkens und Wissens auf allen Gebieten nachweist. Sie liefert uns dadurch die Grundlage, Glauben und Wissen gleicherweise zu achten. Diese Lehre charakterisiert auch das Verhalten der Freimaurerei hinsichtlich der religiösen und politischen Wahrheiten, die gleichwertig, da alle nur "Als-ob"-Wahrheiten sind, praktisch wertvoll, ohne daß wir in der Lage waren, über ihre Stichhaltigkeit und Beweisbarkeit weitere Feststellungen zu machen.

Die freimaurerische Auffassung legt in der Religion auf das sittliche Moment das Hauptgewicht, beachtet nicht die Unterschiede hinsichtlich der metaphysischen Fragen und besagt dadurch im Grunde, daß ihrer Ansicht nach die religiösen Ideen und Begriffe Fiktionen sind, deren Zweck es ist, den Menschen zum sittlichen Handeln zu veranlassen. "Religiös sind wir, wenn wir so handeln, als ob die Sittlichkeitsgebote Gottes Gebote waren". (Heinichen, "Die Grundgedanken der Freimaurerei im Lichte der Philosophie".) Im Sinne der Als-ob-Philosophie wäre vielleicht auch eine für die ganze Freimaurerei gilltige Formulierung des Gottesbegriffes möglich (s. Religion). Auch der Glaube an den Fortschritt (s. d.), an die Verwirklichung des Humanitätsideales (s. d.) und das Postulat der sittlichen Freiheit sind im Grunde Fiktionen. Die Freimaurerei verhält sich, "als ob" sie wahr waren.

Sie setzt sie aus praktischen Gründen voraus, ohne über ihre Wahrheit im absoluten Sinne etwas behaupten zu wollen. Sie verlangt von ihren Anhängern auch in diesem Sinne kein Glaubensbekenntnis, lehnt Dogmen, die niemals verifizierbar sind, ab. Im Lichte der Als-ob-Philosophie ist die Freimaurerei eine Bewegung, die sich damit begnügt, ihre Grundprinzipien als Fiktionen zu betrachten, ohne sie willkürlich in Dogmen verwandeln zu wollen, wie dies die Religionen und politischen Bewegungen tun.