Interview: Georg Semler über freimaurerische Diskussionskultur

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Georg Semler, Großmeister der Großloge von Österreich, wurde von den angesehenen SALZBURGER NACHRICHTEN am 13. November 2021 zu einem sehr aktuellen Thema interviewt: "Haben wir das Diskutieren verlernt? Die Wut auf Andersdenkende ist so groß wie lange nicht. Das massenhafte gegenseitige Beschimpfen begann mit den sozialen Medien. Jetzt eskalieren die Gegensätze im Streit um Corona." - Und davon ausgehend wurde auch die Frage aufgeworfen: Wie steht’s damit in den Freimaurerlogen, wo ja auch Vorträge gehalten werden und danach debattiert wird? Geht es dort genau so zu, oder gelingt es den Freimaurern, ihr altes Ideal konstruktiver Gesprächsführung weiter hochzuhalten?

Das Freimaurer-Wiki dankt den SALZBURGER NACHRICHTEN/SN für die Erlaubnis, das Interview hier wiedergeben zu dürfen. Rudi Rabe


„Wir trennen nicht, wir verbinden“

Wie Freimaurer diskutieren. Der Großmeister des diskreten Bunds über die Kultur ihrer konstruktiven Gesprächsführung. Von Peter Gnaiger

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Die Freimaurer positionieren sich gern als Hüter der Menschenrechte. Wir sprachen mit ihrem Großmeister Georg Semler, wie sie selbst miteinander umgehen – und erhielten verblüffend einfache Lösungsvorschläge für ein gedeihliches Miteinander.

SN: Herr Semler, wie beurteilen Sie den aktuellen Riss in der Gesellschaft?

Georg Semler:
Der Riss besteht. So wie es bei Glaubensfragen eben oft so ist. Und die Frage, ob man sich impfen lassen soll oder nicht, ist längst zur Glaubensfrage geworden, bei der es keine objektive Nachvollziehbarkeit mehr gibt. Es gibt nur noch ausgeprägte Meinungen. Der Austausch von Argumenten führt beim Gesprächspartner zu keinem Erkenntnisprozess mehr. Es ist leider so: Diskussionen über Glaubensfragen bergen eben die Gefahr der Entzweiung.

SN: Den Bund der Freimaurer gibt es seit 1717. Von Hass unter den Brüdern ist nichts bekannt. Wie gelingt so ein harmonisches Miteinander?

Georg Semler:
Durch den brüderlichen Umgang untereinander. Dieser Umgang ist respektvoll. Das heißt: Auch andere Meinungen werden respektiert. Brüderlichkeit bedeutet auch nicht verhabert zu sein. Man kann ruhig anderer Meinung sein. Da gibt es keine Komplizenschaft. Wir diskutieren mit offenem Visier, weil jeder Bruder davon ausgehen kann, dass ihm der andere wohlwollend gegenübersteht. Auch wenn er anderer Meinung ist.

SN: Es heißt, Freimaurer diskutieren nicht über Religion und Politik. Stimmt das?

Georg Semler:
Ja. Und die Impfdiskussion wurde ja tatsächlich zu einer religiösen Glaubensfrage. Ich werde den anderen, der anderer Meinung ist, mit rationalen Argumenten nicht überzeugen können. Das ist leider festgefahren. Und auch die Politik hat es nicht verstanden, hier zu versöhnen oder zumindest eine mehr oder weniger friedliche Koexistenz zu schaffen. Und die Politik hat den Konflikt noch verschärft. Aber das ist ein Phänomen, das wir heute generell sehen. Heute wird das Trennende von der Politik vor den Vorhang geholt – und weniger das Verbindende. Wir Freimaurer fördern das Verbindende und nicht das Trennende.

SN: Wie hoch ist die Impfquote unter Freimaurern?

Georg Semler:
Die ist sehr hoch. Die wenigen Brüder, die nicht geimpft sind, haben aber den Respekt der anderen. Leider können sie jetzt aber nicht mehr zu den Arbeiten (freimaurerische Treffen, Anm.) kommen. Wir haben aus Schutz vor den älteren Brüdern rechtzeitig auf 2G umgestellt, halten aber intensiven Kontakt untereinander.

SN: Apropos „zur Arbeit kommen“. Was hat es da zum Beginn mit dieser „Kammer der verlorenen Schritte“ auf sich?
Georg Semler:
Das ist ein dunkler Ort vor dem Eintritt in unseren Arbeitsraum. Da verharrt man einige Minuten lang und stellt das Tratschen mit dem Nachbarn ein und schaltet sein Handy ab. Man erdet sich selbst, kommt herunter und lässt das, was vom Tag im Kopf noch herumspukt, ein bisserl hinter sich. So wird man auch neugieriger und bereit auf das, was man gleich hören wird.

SN: Im Alltag wollen ja alle so schnell wie möglich ins Blitzlicht.
Georg Semler:
Manchen gelingt es schon noch, sich Auszeiten zu nehmen. Durch Ausdauersport, Meditation oder Yoga. Viele machen das aber nicht. Da ist diese Hektik mit diesem Social Media. Die ist sowieso unverständlich, weil es da ja nur in seltenen Fällen um das Teilen von Wissen, Erkenntnissen und Informationen geht, sondern ganz stark auf die Selbstpräsentation abzielt. Das ist mir als Motiv schwer nachvollziehbar, dass jemand damit seine Zeit verbringt.

SN: Freimaurer beenden ihre Treffen mit der sogenannten Weißen Tafel. Was passiert da eigentlich?
Georg Semler:
Da wird über den Vortrag diskutiert. Die Regeln sind einfach, zielführend und zweckmäßig. Da können alle Brüder an jenen Bruder Fragen richten, der den Vortrag gehalten hat. Es soll auch jeder Bruder nur eine Frage stellen. Also muss ich gut überlegen, was der Inhalt dieser Frage ist. Und: Da soll auch kein Co-Referat gehalten werden. Es muss ein angemessenes kurzes Statement sein. Und die Fragen oder die Antworten beziehen sich nie auf den Vorredner, sondern immer nur auf denjenigen, der den Vortrag hielt. Da kann jeder in Ruhe für sich vom anderen lernen.

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