Rezension: Horst Kischke: Die Freimaurer. Fiktion, Realität und Perspektiven

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Horst Kischke: Die Freimaurer. Fiktion, Realität und Perspektiven

Rezension von Roland Müller

Horst Kischke: Die Freimaurer. Fiktion, Realität und Perspektiven. Wien: Ueberreuter 1996, 195 Seiten; Taschenbuchausgabe München: Droemer Knaur 1999.

Horst Kischke, Jahrgang 1922, von Beruf Polizeidirektor, wurde bereits mit 30 Jahren Freimaurer. Er schreibt in seinem Rückblick: „Die ehrliche Haltung und das Engagement vieler Brüder in unserem ethischen Anliegen haben mich immer wieder fasziniert. Ich bin aber auch stets engagiert und offen gegen Realitätsferne, gegen schädliche Inkonsequenzen und Verkrustungen der Freimaurerei aufgetreten“ (9).

Das Buch soll „Aussenstehende sachlich informieren“ (12). Drei Viertel richtet sich aber eher an Freimaurer.

Freimaurerei ist kritisch, relativistisch und eklektisch

Kischke sieht die Wurzeln der Freimaurerei ausschliesslich in den Dombauhütten. Sein Beschreibungen sind zwar flüssig formuliert, überzeugen aber, historisch gesehen, nicht. Auf Seite 155 behauptet er sogar, dass es „nicht einmal Beweise dafür gibt, dass zwischen der Freimaurerei und den Steinmetztraditionen der mittelalterlichen Bauhütten Zusammenhänge bestehen“. Besser sind seine Darstellungen des Gehalts, z. B.: „Der Wesenskern des Männerbundes Freimaurerei ist das Bekennen zu den ethischen Grundwerten der Humanität, Toleranz und Freiheit, zu dem sich der Grundsatz der Brüderlichkeit stellt, wahrscheinlich ein Ausfluss der christlichen Nächstenliebe … Die ethische Wertbindung will der Freimaurer über das Gefühl durch Symbolauswertungen untermauern und vertiefen“ (25). Freimaurerei ist keine Glaubenshaltung, sie ist weder politisch noch religiös-dogmatisch festgelegt. „Ihrem Wesen nach ist sie kritisch, relativistisch und eklektisch“ (25). Sie bemüht sich um eine „vernünftige Verbindung zwischen Intellekt und Gefühl mit den Mitteln einer besonderen Symbolik“ (15, 73).

Pauschale und ungenaue Formulierungen

Viele pauschale und damit ungenaue Formulierungen oder ungebräuchliche Formulierungen wie „Basisfreimaurerei“ (60) oder „Ritualfeier“ und „Klubabend“ (71; ähnl. 31) oder „Umwelterhaltung“ (10, 79, 166), „objektive Kompetenz“ (104) und „gravierender Vorteil“ (168). Die Freimaurerei arbeite „überwiegend verdeckt“ (55, 61) oder die „Alten Landmarken“ gingen auf Jakob Anderson zurück (62), Die Chronik der Freimaurerei in den „Alten Pflichten“ ist nicht 56, sondern nur 48 Seiten lang, sie beginnt nicht mit Adam und Eva, sondern bei Adam und seinen Söhnen. Sie ist auch nicht nur „dem Wunsch und der Phantasie eines Geistlichen“ (62) entsprungen, sondern hat eine lange Tradition.

Dass es damals „nicht zweckmässig“ war, sich offen zur Mitgliedschaft in der Freimaurerei zu bekennen (106), ja, „äusserst gefährlich“ war, offen über Werte der Aufklärung zu sprechen (123), ist angesichts der damaligen honorigen, oft gelehrten und adeligen Mitglieder (z. B. 29) und der öffentlichen Umzüge der Freimaurer wenig einleuchtend. Ob die „Strikte Observanz“ „offensichtlich aus dem damaligen Gefallen an Ritterspielen“ (67) entstanden ist, darf bezweifelt werden. Die erste, 1717 in London gegründete Grossloge war gewiss nicht die United Grand Lodge of England (115), denn diese wurde erst 1813 gebildet.

Verwirrend ist die Bezeichnung eines der Grossen Lichter als Winkel (88, 116) und die Behauptung, das Winkelmass vermittle „eine Vorstellung vom Messen“ (110; ähnl. 24). Zum Messen verwendet man eher einen Zollstock. Irritierend ist auch die Behauptung, „die Aussage über das Weiterleben nach dem Tode im Grad III“ sei „in modifizierter Form von der Religion“ übernommen worden (118f).

Populärphilosophie und -soziologie

In der ersten Hälfte wenig überzeugende historische Schilderungen, etwa der Entwicklung von Politik und Gesellschaft in Deutschland (36-45), Österreich (45-50) und der Schweiz (50-56). Nachher immer mehr Populärphilosophie, -psychologie und -soziologie, etwa über die Aufklärung (74-79) und Ethik (79-84) sowie „Mythologie“, „Mystik“ und „Esoterik“ (100-109) , später über „Form und Inhalt“ (126-130), Elite und Exklusivität (130-139) oder „Mensch und Gesellschaft“ (140-147) oder Männerbünde (149-153).

Zwiespältig: schönfärberisch und kritisch

Kischkes Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: manches ist schönfärberisch, manches zu kritisch. Schönfärberisch heisst es etwa über die Beteiligung der Freimaurer an der französischen Revolution: „Wohl waren einzelne Freimaurer auch Jakobiner und Revolutionäre, aber sie waren es dann in eigener Verantwortung und als Einzelpersonen“ (34), oder: „Die Freimaurerei wirkte in Deutschland weder in der Vergangenheit noch in der Neuzeit direkt und offen in die Gesellschaft hinein, bestenfalls indirekt über einzelne Mitglieder“ (54), oder: „Die in Skandale verwickelte Loge P2 war eine Gruppe ausserhalb der Freimaurerei“ (36). Genaueres zur P2 kommt erst 30 Seiten später (69).

Kaum zur Sprache kommt in diesem Buch der ständige Kampf der katholischen Kirche sowie der kommunistischen und islamischen Regimes gegen die Freimaurerei. Von den seit 300 Jahren verbreiteten Verräter- und Verleumdungsschriften ist schon gar nicht die Rede.

Die „Alten Pflichten“ sind überholt

Kritisch ist Kischke gegen die „Alten Pflichten“ eingestellt. Er zitiert von den sechs Hauptstücken nur zwei, weil die anderen „kaum von grundsätzlichem Wert“ seien (64). Das zweite Hauptstück hält er „in seinem ethischen Wert fragwürdig“ (ähnlich 132). „Alles signalisiert Anbiederung an die Obrigkeit und Opportunismus“ (64). Immerhin findet Kischke das Verbot, über Religion und Politik zu sprechen, richtig (65) - das Verbot betrifft übrigens nicht das Sprechen, sondern nur das „Streiten“. Obwohl die „Alten Pflichten“ heute noch als eine Art Grundgesetz der Bruderschaft angesehen werden, hält sie Kischke für „überholt“. „sie sollten durch ‚Neue Pflichten’ ersetzt werden“ (65). Anderswo behauptet Kischke, die „Alten Pflichten“ hätten, „wo sie nicht mehr der Zeit entsprechen“, symbolischen Wert (90).

Rationale und irrationale „Standbeine“

Wenig befriedigend sind die Ausführungen über das „rationale Standbein“ der Freimaurerei, nämlich Aufklärung und Ethik. Als „irrational-vertiefendes Standbein“ werden einige Symbole und Rituale beschrieben. Kischke lehnt das Schwert „in seinem Symbolwert“ ab (90). Auch der Zylinder ist heute als „Zeichen der Freiheit und Gleichheit … völlig überholt (90; ähnlich 128). Fragwürdig sind die Behauptungen, das musivische Pflaster sei „der alte Massgrund der Steinmetzen“ (90) und die zwei Säulen stünden „für die Bipolarität des Lebens“ (90).

Ob bei der Tempelarbeit die Brüder „in der Mitte sitzen“ (93), wenn sich doch dort „drei Säulen mit je einer Kerze“ und erst noch ein Arbeitsteppich befinden, ist schwer vorstellbar. Dass leider oft „der Ungeeignetste“ zum Vorsitzenden (Meister vom Stuhl) gewählt wird (100), ist bedauerlich. Überdies wird er oft „priesterhaft erhöht“ (108). Weil viele Brüder sich „im Oberflächendenken und im Rahmen der Vereinfachung“ bewegen, verändert sich der Mechanismus der Symbolik: „Das Symbol stimuliert nicht mehr zur Reflexion, sondern bildet eine Brücke zur Mythologie und führt damit zum Glauben hin“ (101). „Noch mehr Abkehr von der Wirklichkeit und Abschottung von der Aussenwelt sind die Folge, wenn Symbolik zum Vehikel für Mystik missbraucht wird“ (103).

Modernisierte Freimaurerei

1990 hat die Grossloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland im Gelöbnis des 1. Grades den Geheimnisbegriff und die Verschwiegenheitspflicht abgeschafft (95). Das bedeutet den Bruch mit einer 800 Jahre alten Handwerkstradition. Im 2. und 3. Grad ist aber die Verschwiegenheitspflicht erhalten geblieben (97, 99) – was Kischke bemängelt (123). Auch die Zeichen, Handgriffe und Worte der alten Steinmetzzünfte und Begriffe des Alten Testaments haben heute nur noch symbolische Bedeutung und sind „praktisch in der Freimaurerei völlig bedeutungslos geworden“ (100). Das Wort „Arkanum“ soll aus dem freimaurerischen Wortgebrauch eliminiert werden (125).

Kischke macht keinen Hehl daraus, dass der die Freimaurerei reformieren möchte. Er äussert sich ziemlich ungeschminkt über die Rituale und den Alltag in den Logen, in denen „oft ältere Männer und weltfremde Menschen“ (104) wirken und auf Erleuchtung hoffen. Mehrmals spricht er von Verschrobenheit und Unflexibilität sowie Mangel an Modernität und Offenheit. Kischke plädiert für Reflexion als Weg zur Weisheit (110-112).

Kischke möchte „Auswüchse und Inkonsequenzen“ beseitigen (164-165). Er möchte z. B. die Bibel abschaffen und bei den Tempelarbeiten stattdessen die Menschrechte auflegen (117), ja, er möchte „auf alle religionsbezogenen Elemente in der Freimaurerei“ verzichten (121, 165). Die Beifügungen bei den rituellen Anreden – z. B. ehrwürdiger, sehr ehrwürdiger, ehrwürdigster – sind „anachronistische Überflüssigkeiten“ (129). Auch die Frage der Regularität hält Kischke für einen Anachronismus (118) und wünscht die Gründung einer „Grossloge Europa“ – die aber ihrerseits für Anerkennungsentscheidungen zuständig sein soll (118). Ferner müsste die Freimaurerei Frauen in ihre Logen aufnehmen, denn „die alten Gründe für den Ausschluss sind entfallen, neue Gründe gibt es nicht“ (153; vgl. 165).

„Werte, die in die Zukunft reichen und weisen“

Der Vorwurf, die Freimaurerei pflege eine Kultur des Eigennutzes „ist nicht ohne Berechtigung“ (143). Daher wäre „das mutige eintreten für die Menschlichkeit im gesellschaftlichen Raum … eine gute Startbahn für eine wertelitäre Haltung und daraus resultierender Führerschaft“ (146).

Am Schluss seiner leicht lesbaren Schrift schlägt Kischke vor, dass ein von ihm formulierter „ethischer Grundwertekatalog“ in die Verfassungen der Freimaurer-Grosslogen aufgenommen werde (165-167). Dazu gehören:

  • Friedenserhaltung
  • Verantwortung für die nächste Generation
  • Erhaltung der Umwelt
  • Einhaltung des rechten Masses
  • Brüderlichkeit.

Offensive Öffentlichkeitsarbeit (169) könnte helfen, diese „Werte, die in die Zukunft reichen und weisen“ (166) bekanntzumachen. Beispielsweise könnten zu aktuellen Problemen „Grundsatzpositionen bezogen werden“, oder Freimaurer könnten „an neuzugründenden Ethikkommissionen teilnehmen“ und sich von den Institutionen eines demokratischen und pluralistischen Rechtsstaates zu öffentlichen Feiern einladen lassen (169-170).

Doch für die Zukunft sieht Kischke schwarz: „Ich sehe die Freimaurerei den Weg zu einer esoterischen sektenhaften Subkultur fortsetzen, in der die Mitglieder die ethische Wertbezogenheit der Aufklärung zu einer fast kontemplativen Selbstbeweihräucherung mit Geheimniskult umformen“ (161).

Fazit

Obwohl Kischke seine Schrift gegen Ende eines langen und freimaurerischen Lebens verfasst hat, wirkt sie unausgereift. Gut gemeint, aber am Wesen der Freimaurerei vorbei.

Das 17seitige Nachwort des Publizisten Hellmut Andics hat mit dem Inhalt von Kischkes Buch nichts zu tun, bringt aber viel Interessantes aus der bewegten österreichisch-ungarischen Geschichte.



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