Traktat: Der Bund für´s Leben – Was heißt das für uns?
Vortrag bei einer TA1 in der Loge zum Silbernen Schlüssel am 24.4.2025
Vor ein paar Wochen habe ich in einer freimaurerischen Zeitschrift zwei sehr persönliche Artikel gelesen, die mich viele Tage beschäftigt und zu diesem Traktat geführt haben Wenn wir Freimaurer werden, dass sollen wir einen Bund für´s Leben schließen. Daher ermahnen wir den Suchenden, sich ernsthaft zu prüfen. Diese Verbindlichkeit macht aus Sicht des Bundes viel Sinn, denn es geht um Vertrauen und Verschwiegenheit, um den Schutz des Rituals. Aber auch für die Brüder macht es Sinn, denn so können sie sich auf einen "Safe Space" verlassen, in dem alle gleichermaßen verpflichtet sind, oder besser sich verpflichtet haben. Dadurch wird Vertrauen möglich.
Bei der Aufnahme wissen wir noch vieles nicht, aber wir haben vorher die Brüder ein wenig kennengelernt und die Brüder haben uns kennengelernt. Aber wie sieht das nach ein paar Jahren aus? Wir alle wissen, dass wir uns im Laufe der Jahre verändern. Genau das ist ja auch unsere Aufgabe. Wir sollen uns ja zu einem besseren Menschen entwickeln und vor allem uns selbst kennenlernen. Aus guten Männern bessere machen, darum geht es. Aber das können wir nur, wenn wir uns selbst mehr und mehr erkennen. Darum geht es bei dem Weg über den Teppich mit dem ersten Ziel die unterschiedlichen Aspekte in uns ins Gleichgewicht zu bringen – die Stufe des Pentagramms – und dann über den Weg des Geistes höhere Ziele zu erreichen – die Stufe des Hexagramms.
Das wichtigste auf diesem Weg ist, dass wir uns im täglichen Leben bewähren. Also Gutes tun und unseren Werten und den Werten der Freimaurerei so gut wie möglich gerecht werden.
Erinnern wir uns an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität.
Das gilt für unser Wirken in der profanen Welt aber ganz besonders natürlich auch innerhalb der Loge. Das wir das nicht immer beherrschen zeigen die vielen Konflikte in der Loge und auch die Existenz von Ehrengerichten. Im Grunde eine Einrichtung, die überflüssig sein sollte, denn wer, wenn nicht wir, sollte in der Lage sein, unterschiedliche Meinungen und Positionen brüderlich zu klären, zu Entscheidungen zu kommen und auch andere Meinungen zu tolerieren. Also, wir haben den Werterahmen und wir haben das Ziel und wir haben uns, die wir uns gegenseitig unterstützen können. Aber was machen wir wenn sich ein Bruder auf eine Weise verändert, die wir nicht erwartet haben oder vielleicht sogar auf eine Weise, die uns verunsichert oder die uns nicht gefällt?
Wir haben in der Loge gelernt, dass wir nicht mit jedem Bruder die gleiche Tiefe erleben müssen aber wir haben einen Mindeststandard des Umgangs, des Respekts und der Toleranz. Aber wie wir bereits festgestellt haben, sind wir in der Regel noch nicht perfekt und werden uns diesem Zustand auch nur annähern können.
Nehmen wir an, ein Bruder wählt die AFD oder tritt sogar ein. Wir haben die Regel, dass wir über Politik nicht streiten aber funktioniert das auch bei Themen, die vermeintlich mit unseren Werten im Konflikt stehen? In der dunklen Zeit haben wir größtenteils bei diesem Thema versagt. Auch wenn wir uns oft als Opfer stilisieren, das wir auch waren, aber wir waren eben auch in vielen Fällen Opportunisten. Wo ist die Grenze der Toleranz? Steht es uns zu, den Bruder zu verurteilen oder sollten wir weiter versuchen, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen? Nun, die Erfahrung zeigt, dass es meist mehr Gemeinsames als Trennendes gibt und daher wäre es wohl unsere brüderliche Pflicht, genau das zu tun. Das fordert uns aber gibt auch dem Bruder Chance zur weiteren Entwicklung.
Uns von ihm zu trennen ist nur dann möglich, wenn Straftaten begangen werden oder es zu Positionen oder Handlungen kommt, die menschenverachtend und ausgrenzend sind. Genau hier wird es kompliziert denn dass, was der eine Bruder als genau das bewertet kann für den anderen etwas ganz anderes sein. Nehmen wir das Beispiel der Migrationspolitik. Da kann der eine sich mit gutem Gewissen darüber aufregen, wenn der andere Bruder für Abschiebungen ist aber genauso kann dieser Bruder für sich in Anspruch nehmen, dass nur so eine befriedete Gesellschaft möglich ist. Beide wollen das Gleiche aber die Wege zum Ziel sind unterschiedlich.
Wir hatten diese Themen, in denen sich unterschiedliche Positionen so manifestieren, dass Dialog in der Gesellschaft kaum mehr möglich ist. Sei es bei Corona oder auch im Ukraine Konflikt. Gesellschaftlich durch social Media Algorithmen getriggert, kaum noch zum Dialog fähig, wären es eigentlich wir, die wir uns Toleranz auf die Fahnen geschrieben haben, die als Vorbild wirken und vormachen sollten, wie ein Miteinander, eine „Einheit in der Vielfalt“ funktionieren kann.
Wenn wir uns selber ernst nehmen, dann können hier also nur respektieren, argumentieren und letztendlich versuchen, voneinander zu lernen. Denn als Freimaurer wissen wir, dass es primär nicht darum geht, den Bruder von der eigenen Position zu überzeugen, sondern vom Bruder zu lernen, mit dem wir einen Bund für´s Leben geschlossen haben. Wenn ein Bruder sich auf einmal als homosexuell outet, dann wissen wir aus vielen Beispielen in den Logen, dass wir damit gut umgehen können, als tolerante Menschen. Genau das zu überwinden, das schaffen wir. Der Bund ist hier stärker als die Verunsicherung einzelner.
Noch komplizierter wird es in Situationen, mit der die Freimaurerei früher nie umgehen musste. Was machen wir, wenn ein Bruder durch das beharrliche Arbeiten an sich selbst und der Erkenntnis seines wahren Ichs feststellt, dass er im falschen Körper geboren ist und sich entscheidet, zukünftig als Frau leben zu wollen? Ein Thema, das die Gesellschaft spaltet und nicht nur rechtskonservative Kreise sehr verunsichert. Hier wird es schwierig, denn unser Ritual, unser ganzes System beruht darauf, dass wir uns im Kreise von Männern bewegen. In der Regularität gibt es keine gemischten Logen. Aber was ist mit dem lebenslangen Bund, den wir geschlossen haben? Der Mensch, der sich verändert hat, ist in den Bund der Freimaurer und in unsere Loge aufgenommen worden. Wir haben den Bund für´s Leben mit ihm geschlossen und waren bereit ihn zu unterstützen, auch wenn das Leben ihn durch private, berufliche, gesundheitliche und finanzielle Krisen führt.
Die Änderung des Geschlechts ist wohl eine der ganz großen Krisen, oft mit Folgen in allen diesen Bereichen. Im Grunde eine Situation, in der der Bruder ganz besonders auf die Unterstützung der Loge und der Brüder angewiesen ist. Ich kann das aus persönlicher Erfahrung bestätigen, denn mein Sohn wird wahrscheinlich auch bald meine Tochter sein. Ein Prozess, der fordert, weil man trotz vieler Lebensjahre nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann. Vor einigen Jahren hat unsere Großloge in England sich mit diesen Fragen beschäftigt, die Loge, die für uns die höchste Relevanz bezgl. Der Regularität hat. Dort hat man es gelöst. Das Ergebnis ist eindeutig. Der Bruder bleibt Bruder, auch wenn er nun kein Mann mehr ist. Auf der Website der United Grand Lodge of England findet man einen FAQ Bereich. Dort steht bei vielen Fragen immer die gleiche Antwort. Was soll ich tun, wenn? Macht einfach weiter wie bisher.
Natürlich ist nicht alles ganz so einfach im Alltag aber was hier offensichtlich im Vordergrund steht, ist das klare Bekenntnis zum lebenslangen Bund, zu Toleranz und Brüderlichkeit. Auch wir haben uns in der Nationalen Mutterloge zu den 3 Weltkugeln mit diesem Thema beschäftigen müssen. Wir sind zu einer anderen Lösung gekommen und haben uns entschieden, den Bund für´s Leben zu lösen. Dafür wurden nicht nur die internen Gremien befasst, sondern sogar die weltlichen Gerichte.
Für diese Lösung sprechen viele juristische Argumente, viel nachvollziehbares. Und die Brüder, in deren Verantwortung diese Entscheidung lag, haben es sich nicht leicht gemacht und viel Zeit in die Abwägung investiert. Insofern ist das Ergebnis zu respektieren. Aber aus der Geschichte wissen wir, dass Gesetze, Urteile und Instanzen uns nicht unserer persönlichen Verantwortung entledigen. Das was wir tun, müssen wir vor uns, unseren Werten und vielleicht vor dem großen Baumeister aller Welten verantworten.
Wir müssen uns fragen, ob wir den Brüdern in dieser schweren Zeit ausreichend beigestanden. Haben wir uns als Freimaurer richtig verhalten? Haben wir gezeigt, dass Toleranz, Brüderlichkeit und der lebenslange Bund alles überwinden kann? Können wir stolz auf uns sein? Von außen betrachtet ist es leicht, Kritik zu üben und daher sollten wir das auch nicht tun. Ich mag mir kaum vorstellen, wieviel Zeit und Energie unsere Brüder im Bundesdirektorium dafür aufwenden mussten. Dafür sollten wir dankbar sein.
Wir können uns aber fragen, was wir selbst zum Prozess und der Entscheidung beigetragen haben. Wo haben wir selber Verantwortung übernommen oder wo haben wir diese Verantwortung gerne an die Obödienzen abgegeben? Wie stehen wir dazu auch wenn wir den Bruder vielleicht nicht kennen? Haben wir als Freimaurer Bruder verantwortlich gehandelt? Es ist wichtig, dass wir uns darüber Gedanken machen und das reflektieren.
Nun für mich, muss ich feststellen, dass ich diese Verantwortung nicht übernommen habe, sondern froh war, dass andere diese schwere Entscheidung treffen mussten. Ich habe mich vor dieser schwierigen Frage gedrückt. Ich hatte gehofft, dass es zu einer anderen Entscheidung kommt, aber ich habe dafür nichts getan. Wäre eine andere Entscheidung besser gewesen? Das vermag ich nicht zu beurteilen aber ich weiß, dass ich den Bruder nie angesprochen und gefragt habe, wie es ihm geht. Insofern trage ich für das, was passiert ist und auch für die Gefühle des Bruders, die dadurch ausgelöst wurden, eine Verantwortung.
In dem anfänglich erwähnten Artikel schrieb der Bruder aus unserer Großloge über sein Erleben und noch ein zweiter berichtete sehr persönlich und offen über seinen schweren Weg. Über Ausgrenzung, über Wegschauen und Sprachlosigkeit, über Zweifel und die Liebe zum Bund der Freimaurer. Beim Lesen wurde mir bewusst, wie wichtig es gewesen wäre, dass diese Brüder mehr Beistand von den Brüdern bekommen hätten. Ich habe hier meine Aufgabe tatsächlich nicht gut erfüllt und kann mitnichten stolz auf mich sein.
Und mir ist sehr deutlich geworden, dass wir, aus meiner Sicht, was Brüderlichkeit, Verbindlichkeit, Unterstützung und Treue angeht als Bund der Freimaurer noch viel Luft nach oben haben. Wir dürfen uns nicht drücken und vor allem müssen wir unseren Brüdern beistehen, selbst wenn wir schwere Entscheidungen treffen oder vertreten. Denn das, was wir als Wertesystem haben, was wir geschworen haben zu tun oder nicht zu tun, ist keine Formsache sondern die Essenz der Freimaurerei. Wir können niemals alles richtig machen aber wir sollten uns zumindest immer mal wieder selbst fragen, ob wir das Richtige getan oder gelassen haben. Lasst uns also immer daran denken, dass wir uns gegenseitig unterstützen, nicht urteilen, sondern fragen und das Gemeinsame immer über das Trennende stellen.
Es geschehe also.