Rezension: Marcus Meyer - Bruder und Bürger

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Die Freimaurerei als flexibles Abbild und Rechtfertigung des Bürgertums

Rezension von Roland Müller

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Die Freimaurerei als flexibles Abbild und Rechtfertigung des Bürgertums

Marcus Meyer: Bruder und Bürger – Freimaurerei und Bürgerlichkeit in Bremen von der Aufklärung bis zum Wiederaufbau nach 1945.
Bremen: Edition Temmen 2010.


Ein äusserst spannendes Buch. Dabei handelt es sich um eine Dissertation! Der 34jährige Historiker Marcus Meyer hat sie 2009 dem Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg vorgelegt. In der Einleitung skizziert er das theoretische Gerüst – Freimaurerei als „vorgestellte Gemeinschaft“ – und die Grundannahmen der Freimaurerei mit Schwerpunkt auf deren „rituelle Konditionierung“.
Hernach beschreibt er auf 250 in winziger Schrift engbedruckten Seiten - mit fast 1600 Fussnoten - die Geschichte der Logen und ihrer Mitglieder in der Stadt Bremen. Weit mehr als die Hälfte, nämlich rund 150 Seiten, widmet er den 40 Jahren von 1918-1958.


Freimaurer in der städtischen Elite in Bremen nach 1770

Die Stadt Bremen war ein hartes Pflaster für die um 1700 entstandene moderne Freimaurerei. Hier traf eine aufklärerische und liberale Geisteshaltung auf ein Gemeinwesen, das von „Hausvätern“ dominiert und regiert wurde, das heisst von einem Rat und einem Kollegium der Älterleute als Vertretung der Kaufmannschaft. „Das bürgerliche Selbstverständnis war zwar nicht im klassischen Sinne absolutistisch. Dennoch blieb die Stadt bis ins frühe 19. Jahrhundert vollständig in die traditionelle Kulturform der ständischen Welt eingebettet“ (48).

Einem ersten Versuch zur Logengründung 1744 war daher kein Erfolg beschieden. Auch eine weitere Gründung 1768 traf auf ein Klima, „in dem aufklärerische Ideen nur schwer gedeihen konnten. Calvinismus und Pietismus, ‚schwarze Leute mit ihrem Eifer für die reformierte Kirche’, prägten die geistige und politische Kultur Bremens“ (49).

Die Logen waren zu dieser Zeit auch Kontaktbörsen für reisende Kaufleute. Viele Mitglieder bemühten sich aber auch um Gleichheit und Demokratie; manche suchten nach dem „Geheimnis“. Paradoxerweise schloss sich die junge Loge jedoch der sogenannten „Strikten Observanz“ an, dem dominierenden freimaurerischen System von etwa 1770 bis 1780. Dieses bot jedoch „weder Demokratie und Gleichheit noch Einblicke in die Geheimnisse der Alchemie“ (51). Dennoch wuchs die Loge weiter. „Von den 123 Mitgliedern, die der Loge seit der Gründung beigetreten waren, übernahmen 39 politische Ämter im Rat oder gehörten als Beamte der städtischen Verwaltung an“ (57). Doch bald, 1794 stellte die Loge ihre Arbeit ein. „Vermutlich waren die Nachwirkungen der Französischen Revolution dafür verantwortlich“ (58).

19. Jahrhundert: die Freimaurerei wird staatstragend

Als Protest gegen die Strikte Observanz wurde 1770 in Berlin die „Grosse Landesloge“ gestiftet. Sie stellte sich zwar auch in die Tradition der Templer, betonte aber deren christliche Wurzeln (60). Auch sie hatte mit den aufklärerischen Ideen der ursprünglichen, englischen, Freimaurerei wenig gemeinsam. 1788 wurde die Loge „Zum Ölzweig“ – besser: „Zum Oelzweig“ - als Ableger in Bremen gegründet. Sie entwickelte sich nur langsam und hatte erst nach 30 Jahren 122 Mitglieder (63). Einen Aufschwung erführ sie erst nach 1850. Zwei Drittel der Mitglieder waren stets Kaufleute. Ihnen diente die Loge als Kontaktbörse. Die politische Elite der Stadt war dabei kaum vertreten.

Die Französische Revolution und die nachfolgenden Kriege hatten den Ideen der Aufklärung und damit einem grossen Teil der Freimaurerei einen beträchtlichen Verlust an Prestige und Macht beschert. Daher verlegten sich die Freimaurer fortan „auf die vermeintlich unpolitische Pflege bürgerlicher Werte“. Ihr bisweilen oppositioneller Charakter trat „immer weiter zugunsten eines vorwiegend staatstragenden Verständnisses in den Hintergrund“ (67). Auch die kosmopolitischen Ideen verloren weiter an Bedeutung. „Stattdessen wurde nun die ‚Vaterlandsliebe’ zum Gegenstand der freimaurerischen Erziehungsidee“ (68). In diesem Rahmen praktizierten nun die Freimaurer - „rauchend und plaudernd“ – „Humanität, Sittlichkeit und Bürgerlichkeit“ (65). Dazu gehörte insbesondere ein grosses soziales Engagement.

„Auch die Rückbindung dieser Humanität an christliche Werte [in Bremen und im Bereich der Altpreussischen Grosslogen] hatte einen politischen Charakter, auch wenn die Freimaurer selbst gerne das Gegenteil suggerierten und sie als Grundlage einer allgemeingültigen Ethik präsentierten. Denn aus dieser Ethik leiteten sie einen Anspruch auf die ethisch-moralische Führung der gesamten Gesellschaft ab, der alles andere als unpolitisch war“ (69).

Entgegen der Betonung der Gleichheit aller Menschen hatte dieser „sittlich-religiös begründete Führungsanspruch“ zur Folge, dass die ungebildeten, von Willkür und Leidenschaften getriebenen oder unzivilisierten Volksmassen nicht zur Volkssouveränität gehörten. „Nicht alle Angehörigen des Volkes verfügten nach dieser Auffassung über die gleiche Befähigung zur Teilhabe an politischen Entscheidungen“ (70).

Seit 1850: wirtschaftliche Globalisierung - elitäres Deutschtum – hochstilisierte Kaisertreue

Um 1850 begann in Deutschland ein wirtschaftlicher Aufschwung, der alle Lebensgebiete beeinflusste. Man spricht auch von Hochindustrialisierung und Globalisierung von Handel, Verkehr und Bevölkerungsbewegungen. Bremen wurde zu einem der führenden Welthandelsplätze.

„Orientiert an den neuen Bedürfnissen, entstanden Produktions- und Zulieferunternehmen und Dienstleistungsbetriebe: Werften, Reedereien, Reismühlen, Banken, Versicherungen, Maklereien. Neben den klassischen Bremer Kaufmann trat nun vermehrt ‚der multifunktionale Unternehmer und Kapitalist’. Die stete Zunahme von Bevölkerung, Handel, Verkehr, Mobilität, Zuwanderung und damit auch individueller Chancen gehörte zu den prägenden Erfahrungen seit den 1850er Jahren“ (78).

Gleichzeitig entstanden ein diversifiziertes Bildungsbürgertum und eine „Art bürgerlicher Vereinigungswut“ (75). Die sogenannte „Reichsgründung“ und die Kaiserproklamation von 1871 verstärkte all dies, nämlich einerseits die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, anderseits die religiöse wie nationale Ausrichtung der Freimaurerei. Das führte beispielsweise in Bremen zu einem „kulturhegemonialen Anspruch“ des nicht-orthodoxen Protestantismus (87) wie auch zu einer hochstilisierten Kaisertreue (88-91). Naheliegenderweise war damit der noch von Fichte beschworene „Weltbürgersinn“ verschwunden, was sich unter anderem in abschätzigen Bemerkungen der deutschen gegen die französischen Freimaurer – übrigens auch umgekehrt – äusserte.

„Die Idee der Freimaurerei sei zwar für die ganze Welt bestimmt, doch für die deutschen Maurer wirke sie am besten, ‚wenn wir, auf unserem Deutschthum fussend, mit deutschem Sinn und Geiste, mit deutschem Gemüth sie treiben’ [heisst es in einer Ansprache zur Kaiserfeier 1883]“ (95).

Seit 1870 schossen in Deutschland Freimaurerlogen und Hochgradorganisationen wie Pilze aus dem Boden. In Bremen bildeten sich fünf neue Logen. Die Gesamtzahl aller Mitglieder stieg von gut 200 (1870) über gut 300 (1880) auf über 700 (1910). Da die Aufnahme- und Jahresgebühren sowie weitere Beiträge nicht gering waren, gab es darunter nur wenige Vertreter des Kleinbürgertums und Mittelstandes und fast keine höheren Beamten. Zwar waren viele „führende Repräsentanten“ des Bremischen Bürgertums Logenmitglied, aber bei weitem nicht alle.

„Die Logen … waren keineswegs Mittelpunkt eines entscheidenden politischen oder wirtschaftlichen Netzwerkes, wie es ihnen vor allem von rechten Verschwörungstheoretikern immer wieder unterstellt wurde. Bestimmte Kreise der stadtbürgerlichen Eliten blieben ihnen fern, die Reichweite bürgerlicher Vereine wie des Museums, der Erholung oder der Union war weitaus grösser … Allein der Gustav-Adolf-Verein hatte [1880] etwa 1200 Mitglieder, der Gewerbeverein [1978] … insgesamt 1030, der Künstlerverein sogar 1760“ (83).

Humanitäre gegen christliche Freimaurerei oder umgekehrt?

Schon bald nach dem Scheitern des Wilhelmsbader Kongresses (1782) hatte sich die deutsche Freimaurerei in eine „humanitäre“ und in eine „christliche“ Richtung getrennt – obwohl sich beide weiterhin auf dem gemeinsamen Grundverständnis der Freimaurerei trafen. Von Frankfurt ging der Appell des „Eklektischen Bundes“ (58) aus, der religiöse Toleranz und eine Abkehr von den Hochgraden forderte. Doch erst 1823 wurde eine entsprechende Grossloge gegründet (basierend, paradoxerweise, zeitweise auf dem christlichen Prinzip). Auch die Hamburger Logen lösten sich von den Rittersystemen, und Friedrich Ludwig Schröder stellte um 1800 die Rituale in ihrer ursprünglichen Form wieder her. Ähnliche Bewegungen in die „links-liberale“ (113, 122) Richtung fanden im Umkreis von Bayreuth (Grossloge zur Sonne, 1810) statt.
Bremen folgte viele Jahrzehnte später. Erst 1874 gründeten einige Reformer eine Konkurrenzloge zu der bisher 80 Jahre einzigen, stets christlich ausgerichteten, Bremer Loge. Während die neue Loge sich unter anderem mit der entstehenden Arbeiterbewegung befasste, beklagte die christliche den Zeitgeist:

„Die Jagd auf materiellen Wohlstand nimmt die Menschheit gefangen. Vor keinem Hemmnis, welches Erde, Wasser oder Feuer bereiten, schreckt der erfindungsreiche Geist des Menschen zurück … Das ist Fortschritt! – Aber auf der andern Seite: Selten hat es eine Zeit gegeben, die so schlaff war im Ertragen des Unsinns, der Bosheit und der Lügen! Gleichgültigkeit auf allen sittlichen Gebieten ist das Gepräge der Zeit. Und das nennt man dann Toleranz“ [Ansprache des Redners, 1883] (121).

Während die einen Logen „für eine grössere religiöse, soziale und politische Offenheit eintraten“, zogen sich die andern „auf ihre Interpretation des vermeintlich universellen Kerns der Freimaurerei und die damit verbundene Pflege einer christlich begründeten Humanität zurück“ (121). Die Spannungen kulminierten um 1900. „Hintergrund war eine zeitgleich im ganzen Reich zu beobachtende Debatte um die Bedeutung und die Gültigkeit christlicher Bekenntnisse angesichts eines ‚expandierenden Weltanschauungsmarktes’“ (122-123).
Ein weiteres Spannungsfeld öffnete sich zwischen der Zulassung von Juden in einige Logen und einem mehr oder weniger artikulierten Antisemitismus anderer Logen. Dazwischen war folgende Auffassung weit verbreitet:

„Viele christlich-konservative Freimaurer sahen im Beitritt von Juden zu den humanitären Logen lediglich den Beweis, dass auch diese zu christlichem Handeln in der Lage seien, wenn sie ihr ‚Jude-Sein’ aufgaben. Ohne diesen Schritt sei die innige Freundschaft – und damit der Kern der freimaurerischen Geselligkeit – zu einem Christen allerdings fast unmöglich“ (132).

Auch viele liberale Freimaurer waren der Ansicht, man müsse in der Loge die Juden zum „wahren Menschentum“ erziehen.

1914-1930: Krise als Chance

Der Erste Weltkrieg brachte die beiden Strömungen der Freimaurerei etwas näher zusammen.

„Den Logen erschien es, …als müsse der Vereinigung des deutschen Volkes gegen die gemeinsamen Feinde auch die Überwindung der internen freimaurerischen Gegensätze folgen. Gleichzeitig wurde im Verlauf des Krieges immer deutlicher, dass die Vorstellung einer weltumspannenden Idee der Freimaurerei für viele Logenmitglieder nicht mehr akzeptabel war“ (136).

Die Deutschen fühlten sich den andern Völkern überlegen. In den Logen kam nun noch die tragende Basis der Freimaurerei, nämlich die „universelle Erziehungsidee“ (145) dazu: Man müsse die andern der Humanität entgegenführen. „Das entsprach letztlich einem bürgerlichen Konsens, der den Krieg als Erneuerung und Aufbruch betrachtete“ (137-138). Umso härter war die Niederlage im Herbst 1918.
Noch schlimmer waren der Sturz des Kaisertums und die damit verbundene Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in vielen deutschen Städten. In Bremen wurde die Räterepublik bereits am 4. Februar 1919 blutig beendet. Es folgte „Chaos und Orientierungslosigkeit“ (153). Das Bürgertum sah sich entmachtet durch Kommunisten und Sozialisten, d. h. „vaterlandslose Gesellen“. Denselben fehle „die sittlich-moralische Eignung, Entscheidungen im Interesse des ‚Volkes’ treffen zu können“, sie seien „von Eitelkeit, Ehrgeiz und Herrschsucht Verblendete“ (153).

In der Folge war das neugeschaffene „parlamentarische Prinzip“ dem Bürgertum, und speziell auch den Freimaurern, ein Dorn im Auge, desgleichen auch das „Diktat des Versailler Vertrags“. Der Einmarsch von französischen Truppen ins Ruhrgebiet empörte viele. Man sprach, in Anspielung auf die „Wilden und Halbwilden“ aus den Kolonien, welche die Truppen ergänzen, von „Schwarzer Schmach“ (157). Erstaunlich war schliesslich die Ablehnung des Völkerbundes besonders durch die Freimaurer, waren es doch Freimaurer, welche ihn aushandelten. „Viele Freimaurer sahen darin lediglich ein zusätzliches Mittel zur weiteren ‚Versklavung Deutschlands’“ (157).

Lange Zeit hat die Geschichtswissenschaft die Weimarer Republik (1919-1933) als „Krisenknäuel“ (147; 165) bezeichnet. Dennoch herrschte damals eine optimistische Grundhaltung (148; 211). Man glaubte an die Veränderbarkeit der Verhältnisse, an Deutschlands Wiederaufstieg und seine grosse Zukunft .Zwar beklagten Kulturpessimisten – beispielsweise das protestantische Bürgertum Bremens und viele Logen – die „mechanistische Weltanschauung“ (161) und die „Verflachung und Entseelung der Gegenwartskultur (164) durch den Expressionismus und das Kino. Zur bisherigen Feindschaft mit Frankreich und England gesellte sich der Antiamerikanismus.

Die wirtschaftliche Krise und Inflation führten zu mannigfachen individuellen Notlagen, und die Aufnahmegebühr in eine Bremer Loge betrug Ende 1923 1,5 Millionen Mark – sofortige Bezahlung vorausgesetzt (166). Dennoch erhielten die Logen Zulauf wie nie. Die Mitgliederzahl der Bremer Logen stieg bis 1930 von gut 900 auf weit über 1200 Mitglieder (auch 189, 203-204). Es herrschte eine positive Stimmung.

„Idealismus und Sittlichkeit seien keineswegs für immer verloren, sondern lediglich verschüttet, und dementsprechend existiere bereits in Millionen Köpfen die Erkenntnis, dass es gelingen müsse, ‚ein neues Reich der Gerechtigkeit, Wahrheit und Güte aufzurichten’“ (170).
„Durch die freimaurerische Arbeit entstünde ein notwendiges ‚geistigen Rittertum’, … aus dem ’neue Führer’ zu erwarten wären, nach denen die Masse hungere; ‚maurerische Erleuchtung ist es, nach der sich die Seele der Völker sehnt’“ (171).

Was bedeutete dies in der Realität?

Rückzug auf bürgerliche, „deutsche“ Werte, Pflege des „vaterländischen Gedankens“, Ausgrenzung „undeutscher“ Werte, die nicht dem deutschen Volkscharakter entsprechen. Dazu gehörte auch die Ablehnung des gegenwärtigen politischen Systems, der demokratischen Ordnung (175-176; 194-199; 211). Wichtiger als die Sehnsucht nach dem vergangenen Glanz des Kaiserreichs wurde die Pflege des „Germanentums“, eines „germanischen Christentums“ (177). Dabei zeigte sich „die humanitäre Freimaurerei … kaum weniger nationalistisch als die christliche“ (191).
Kosmopolitismus und Pazifismus wurden als Ergebnis eines angeblich „jüdischen Einflusses“ innerhalb der Logen betrachtet (180; 185-190; 206). So kam es dazu, dass zwar Juden, die bereits Logenmitglieder waren, weiterhin in der Loge bleiben durften, bei der „Kugelung“ eines aufnahmesuchenden Juden eine schwarze Kugel ohne Begründung eingeworfen werden konnte (186).


1930-1932: Radikalisierung der Freimaurerei wie der NSDAP

Schon in den 1920er Jahren hatten die Judenfrage und die Frage der internationalen Beziehungen zu einer immer stärkeren Spaltung der deutschen Freimaurerei geführt. Den altpreussischen Logen dienten die humanitären „als eine Art Blitzableiter“ für Angriffe von aussen (192). Wechsel von einzelnen Logen zu andern Grosslogen wurden häufiger.

Bereits Anfang 1928 galten einzelne christliche Logen als „geradezu völkisch“ (206); sie Grosse Landesloge war 1931 „klar völkisch-radikal“ (193; vgl. 179, 247, 259-266). Im Frühling 1932 nahmen drei humanitäre Grosslogen aus taktischen Gründen Beziehungen zur Englischen Grossloge auf. Die Altpreussen „brachen deshalb jeglichen Kontakt zu ihnen mit sofortiger Wirkung ab und verboten nun offenbar auch lokale Kontakte zwischen ihren und den Mitgliedern der humanitären Logen“ (192).

Wer, wie etwa Gustav Stresemann (157-160) und Leo Müffelmann (183-185) oder die beiden Bremer Emil Felden (181-183) und Georg Wilhelm Meyer (199-200) „für die Gültigkeit freimaurerischer Grundwerte wie Toleranz und Verständigung“ einstand, wurde als „Vaterlandsverräter“ verachtet (121).

Erstaunlicherweise lösten die Pamphlete von Friedrich Wichtl (1919), Alfred Rosenberg (1921) und Erich Ludendorff (1927) über die „jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung“ keinen grossen Druck auf die deutsche Freimaurerei aus und blieben nur in „völkischen Randgruppen“ populär (189, 200-207; 212). Erst ab 1930 nahm der Kampf der NSDAP gegen die Freimaurerei konkrete Formen an:

„Es gab Gerüchte, die Partei stelle bereits Listen zusammen, die nach einer eventuellen Regierungsübernahme eine rasche Inhaftierung von Logenmitgliedern ermöglichen sollten. Auch kam es zu ersten gewaltsamen Übergriffen von SA-Mitgliedern auf Freimaurer“ (207; vgl. 214-215).

Desungeachtet versuchten die Freimaurer, sich der NSDAP anzunähern. Sie hofften, diese Partei „könne jene neue Kraft werden, mit deren Hilfe sich die Demokratie der Weimarer Republik überwinden liess“ (207). Man sah sich selbstbewusst „mindestens auf Augenhöhe mit den Nationalsozialisten am ‚Wiederaufbau’ der Nation arbeiten zu wollen“ (208-209). Zudem glaubte man nicht an eine NS-Herrschaft ohne massgebliche bürgerliche Beteiligung (auch 296).
Rasch hielt man Adolf Hitler für die sehnsüchtig erwartete Führerfigur. Im Sommer 1932 beschrieb ihn August Horneffer (178; 208) als „Führer eines in Seenot befindlichen Schiffes“. Die Vermutung liegt nahe, dass bei den Reichstagswahlen 1930 und 1932 auch viele bremische Freimaurer für die NSDAP stimmten (208; 214).

Doch die NSDAP dachte nicht daran, ihre Abneigung gegen die humanitären wie christlichen Logen zu revidieren.

„Die Parteileitung bestritt dabei nicht einmal, dass in den Reihen der Logen ‚viele Tausende unbedingt national gesinnter deutscher Männer’ stünden. Aber es sei auch nicht zu leugnen, ‚dass die großen Zersetzungserscheinungen des deutschen Volkstums, die Weltherrschaft des Judentums und die Pest des Marxismus durch die Weltfreimaurerei ins Leben gerufen, gefördert und genährt worden sind’ [235].
Selbst die altpreussische Freimaurerei habe sich davon nicht ausreichend distanziert und zum Beispiel das auf ‚Talmud und Kabbala aufgebaute Zeremoniell’ beibehalten. Wenn die N. S. D. A. P. diesem Zeremoniell auch nicht gerade nationalen Sinn tötende Bedeutung beimisst, muss sie es doch ablehnen, dass deutsche Männer die Augenblicke seelischer Erhebung durch rein jüdisch-kabbalistischen Formelkram übermittelt bekommen’ [13.6.1932]“ (210-211).

Tatsächlich hatte bereits Anfang 1932 eine Bremer Loge für die „Reinigung“ des Rituals von „hebräischen Elementen“ gestimmt (179).

Was kann man für ein Fazit ziehen?

  1. Die Logen bewahrten mit ihrer Absage an Demokratie und Weltbürgertum jenen „deutschen Idealismus“, der „die unverzichtbare kulturelle Grundlage des Wiederaufstiegs sein sollte“.
  2. Die Logen waren Sammlung und „Ausdruck der bürgerlichen Bestrebungen ihrer Zeit“.
  3. Die Logen hielten sich für stark genug, „eine führende Rolle bei der Überwindung der Krise der Gegenwart zu spielen“.
  4. Es gab Übereinstimmungen zwischen den Logen und der NSDAP, „die keineswegs nur das Ergebnis freiwilliger oder erzwungener Anpassung waren“ (auch 242).
  5. Die Logen der Freimaurer müssen daher jenem Teil des deutschen Vereinswesens gerechnet werden, der dem Nationalsozialismus den Weg zum Bürgertum öffnete“ (212; vgl. 285).

1933-1939: Glückwunschschreiben – Mitgliederkarteien – Misshandlungen – „Forschung“

Schon im Februar sandten die „regulären“, das heisst altpreussischen Grosslogen der nationalsozialistischen Regierung Glückwunschschreiben und bekräftigten „ihre Bereitschaft zum gemeinsamen Wiederaufbau des Reiches“ (279).

In Bremen hatte sich die NSDAP nur zu einer politischen Kraft zweiter Grösse entwickeln können. Noch am 5. März 1933 erhielten die Opponenten der nationalsozialistischen Reichsregierung 53% der Stimmen. Am nächsten Tag übernahm deshalb die NSDAP die Macht per Staatsstreich (255). Am 24. März nahm die konservative (96, 126, 193-194) Bremer Loge „Zur Hansa“ den Antrag eines Mitglieds an, es möge in der Loge alles eingestellt werden, „was ihr als Freimaurerloge wesentlich ist“. Damit verbunden war die Bitte, „alle Sachen, die noch an die Freimaurerei erinnern, aus den Logenräumen zu entfernen“ (258). Ganz offiziell schickte diese Loge, wie auch die Loge „Herder“ (185-188), Ende Monat an den nunmehr von der NSDAP geführten Bremer Senat ein Glückwunschschreiben:

„Man habe die politische Entwicklung ‚mit warmer Anteilnahme verfolgt’ und die ‚Einsetzung einer nationalen Regierung in Reich und Vaterstadt mit Freuden’ begrüsst. Es herrsche die Überzeugung, dass ‚unter der neuen Regierung für unsere liebe Hansestadt nun bessere und glücklichere Zeiten anstehen’“ (260).

Am 19. April 1933 wandelte sich die „Hansa“ in den „Deutsch-Christlichen Bund zur Hansa“ um (258), zwei Tage später wurde aus der „Herder“ der „Christliche Orden deutscher Dom, Ortsgruppe Bremen“ (261).

Unentwegt hegten die deutschen Freimaurer die Hoffnung, die neu an die Macht gekommene NSDAP bedürfe ihrer Unterstützung zum „Aufbau des neuen deutschen Reiches“ (214; ähnl. 234; 255). Dass diese Partei die Freimaurer in jeder Form ablehnte, kümmerte sie anfangs nicht besonders.

Sie waren „in fataler Fehleinschätzung der Lage der Ansicht, die antifreimaurerische Agitation sei lediglich ein propagandistisches Mittel zur Befriedigung der fanatisierten Parteibasis, entspreche aber nicht der Einstellung der Parteiführung“ (214; ähnl. 258). Jedoch: „Die Zerschlagung der Freimaurerei war längst ausgemachte Sache und das nicht nur aus Sicht der Parteibasis“ (215).

SA und SS konzentrierten sich zunächst auf die Verfolgung von Sozialdemokraten und Kommunisten (auch 242). Ab Mai 1933 häuften sich die Übergriffe auf das bürgerliche Lager, und schon im Sommer stürmten und verwüsteten sie in Preussen Logenhäuser und beschlagnahmten Einrichtungsgegenstände und Mitgliederkarteien. Führende Freimaurer wurden „in Schutzhaft genommen und teilweise misshandelt“ (220); der Pazifist Leo Müffelmann wurde im September 1933 verhaftet, bis Ende Jahr in ein KZ gesteckt und misshandelt; ein halbes Jahr später starb er an den Folgen seiner Haft (225).

SA und Gestapo wurden allerdings bald zurückgepfiffen (217). In Bayern war es der SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS unter Reinhard Heydrich) in engster Zusammenarbeit mit der Politischen Polizei (unter Heinrich Himmler), welche im Frühsommer 1933 zuerst gegen die beiden pazifistischen Grosslogen, im September auch gegen die reguläre Grossloge in Bayreuth vorging (220-221).

Die Bremer Logen blieben bis Mitte Februar 1934 verschont. Im selben Jahr erfolgten etwa 50 Beschlagnahmungen von Logenhäusern samt Inventar in ganz Deutschland (222). Das erlaubte dem SD den Aufbau eines ungeheuren Archivs von Akten, Mitgliederlisten, Bücher und Kultgegenständen. Adolf Eichmann, der Ende 1934 zum Freimaurerreferat des SD stiess, schilderte seine ersten Eindrücke:

„… ich ging an einem Sarg vorbei, da lag irgendein Gerippe drin .. erst später wusste ich, dass man mich durchs Freimaurermuseum geführt hatte … dann wurden wir in einen riesigen Saal des Palais verbracht, wo Karteitröge, gewaltige Karteitröge waren … wir mussten die Kartei mit vier oder sechs Leuten einordnen … es war eine Freimaurerkartei … Diese Arbeit beschäftigte mich ungefähr vier fünf Monate.“ (223).

Das Logenmuseum stand zunächst unter der Leitung des SS-Honorarprofessors Gregor Schwarz-Bostunitsch. Konkurrenten in der Überwachung der Logen waren das Berliner Gestapa (Geheimes Staatspolizeiamt) unter Hermann Göring und das Amt für Information der DAF (Deutschen Arbeitsfront). Letzteres deckte vor allem den Bereich der Seeschifffahrt ab (227; 247-248) und kam rasch unter die Kontrolle des SD.

Der SD gab sich nicht mit „nachrichtendienstlichen Erkenntnissen“ zufrieden. Er wollte auch den „Wertekanon des Nationalsozialismus“ durch Abgrenzung von andern Wertvorstellungen definieren, also von „Juden, Freimaurer[n], Sozialdemokraten und Bolschewisten“ (229). Im Laufe der Jahre wurde dafür eine „weltanschauliche Gegnerforschung“ aufgebaut. Eine führende Rolle versahen dabei Werner Best und Franz Alfred Six.

„Aus Sicht der ‚Experten’ war die gesamte Weltfreimaurerei von Juden kontrolliert, wovon nur die wenigsten Mitglieder wüssten. Dieser ‚jüdische Einfluss’ würde sich erst offenbaren, wenn man in die höheren Grade gelangte, weshalb die freimaurerischen Hochgradsystem die grösste Bedrohung darstellten. Der SD verzichtete ungeachtet der bestehenden Unterschiede und bisweilen unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den einzelnen Lehrarten der Freimaurerei auf eine weitere Differenzierung und konstruierte eine freimaurerisch beherrschte Gegenerkoalition, bestehend aus dem jüdischen B’nai B’rith-Orden an der Spitze, sämtlichen weiteren freimaurerischen oder freimaurerähnlichen Organisationen – Odd Fellows, Druiden – und, an Absurdität kaum zu überbieten, dem Vatikan“ (230).

Aufgrund dieser „Forschung“ konnte man sich sogar habilitieren (232, 289). Manche Ergebnisse flossen auch in Schulungsunterlagen für die Führerschulung von SD und SA ein, z. B.:

„Das Ergebnis der Zurückverfolgung und geschichtlichen Überprüfung der freimaurerischen Mythen und Symboliken ergab die Feststellung, dass die Wiege der Urfreimaurerei in den Schlammfluten der verbastardisierten Urbevölkerung Vorderasiens und Afrikas ruhte. Also in dem Völkerchaos, dessen Epoche mit der Verdrängung der arischen Urbevölkerung nach Norden von afrikanisch-asiatischen Mischvölkern eingeleitet wird … Die Urfreimaurerei ist der Schoss, in dem erst all die Voraussetzungen geboren werden, aus denen … das entspringt, was wir heute, weltanschaulich gesehen, Judaismus, Kommunismus, Katholizismus usw. nennen“ (232).

1933-1935: Tarnung oder Selbstgleichschaltung?

Die beiden liberalen Grosslogen hatten sich bereits im Frühling 1933 aufgelöst. Die Darmstädter Grossloge „Zur Eintracht“ hatte sich zwar schon vor dem Januar 1933 von der liberalen Freimaurerei abgewandt, löste sich aber dennoch im April 1933 auf und wandelte sich gleichzeitig in einen vereinsrechtlichen „Bruderbund zur Eintracht“ um. Die Bayreuther Grossloge „Zur Sonne“ ging einen ähnlichen Weg und wandelte sich unter dem Namen „Gesellschaft zur Förderung deutscher Kultur“ in einen einfachen Verein um (258).

Die andern Grosslogen und dazugehörenden Logen dachten dagegen nicht an Selbstauflösung.

„Die meisten ihrer Mitglieder waren noch im April 1934 der Überzeugung, der ablehnenden Haltung der NSDAP gegenüber den Logen liege lediglich ein Missverständnis zugrunde, das ausgeräumt werden könne. Sie selbst sahen sich keinesfalls in einem zwingenden Gegensatz zum Regime Hitlers, sondern hatten dessen ‚Regierung der nationalen Einheit’ als Bestätigung ihres Kurses seit 1918 empfunden“ (258).
Viele Freimaurer waren „der festen Überzeugung, dass es in der NSDAP genügend fähige Köpfe gab, die sich von der ‚nationalen Zuverlässigkeit’ der Logen überzeugen lassen würden“ (257).

Aber so geheuer war es den Freimaurern nicht. Schon im April 1933 taufte sich die Grosse Landesloge in einen „Deutsch-Christlichen Orden“ um und behauptete, das sei keine Umwandlung, sondern eine „Rückkehr zu ihrer angeblich ursprünglichen Gestalt als Ritterorden“ (261). Viele ihrer Mitglieder waren bereit, „Sich genauso an das neue Regime zu binden, wie sie sich an das Kaiserreiche gebunden hatten“ (263).
Auch andere Grosslogen und Logen wandelten sich in „Orden“ um und brachen, „wenigstens nach aussen“ (261) mit allen freimaurerischen Traditionen. Dazu gehörte auch die frühzeitige und „vorauseilende“ Einführung eines „Arierparagraphen“ – genau zwei Jahre vor dem „Arienachweis“ der Nürnberger Rassengesetze (246). In Bremen mussten der Kaufmann Wilhelm Weinberg und der Rechtsanwalt Alexander Lifschütz ihre Logen („Herder“ resp.„Hansa“) verlassen (265; vgl. 190; 283).

Der Bremer Reedereivorstand Hans Meineke (seit 1948 Senator; 280) gab im Dezember 1933 ein „flammendes Bekenntnis“ zu den politischen und rassistischen Ideen von Oswald Spengler ab und meinte selbstherrlich:

„Wir, jedenfalls aber die Jüngeren unter uns, wollen nicht verkümmern als Menschen zweiter Klasse. Wir fordern unser Recht, als deutsche Menschen zu leben und unser geringes Teil dazu beizutragen zu[r] deutschen Erneuerung, damit wir vor unseren Kindern dereinst nicht erröten müssen vor Scham, wenn sie uns fragen, was wir denn getan haben, am Tempelbau des neuen Reichs!“ (263).

Die Strategie schlug fehl. Zwei Bremer Logen stellten ihre Arbeiten im Februar 1934 ein. Der „Deutsch-Christliche Orden“ empfahl im Mai 1935 die Auflösung aller Tochterlogen. Bis im September waren auch alle andern Grosslogen aufgelöst. Die Liquidationsverfahren zogen sich teilweise noch bis Mitte Mai 1937 hin (266).

Bis im Sommer 1939 wurden die Aktivitäten von Freimaurern in geselligen Vereinen und Firmen vom SD akribisch überwacht; allerdings ohne bedeutende Konsequenzen (228; 266-272, 275, 290).

„Nachher verlagerte sich „der Schwerpunkt der Maßnahmen gegen die Freimaurerei … auf die Logen in den besetzten Gebieten, wobei hier teilweise wesentlich härter vorgegangen wurde als zuvor im Reich. Auch hier waren die Zerschlagung der Organisationen, der Raub von Vermögenswerten und Archivbeständen sowie der Ausschluss der Freimaurer aus beruflichen Schlüsselpositionen das vorrangige Ziel“ (272).

1933-1945: Einerseits Freimaurer in SA und NSDAP – anderseits berufliche Einschränkungen

Im Juli 1933 wurde die revanchistische und demokratiefeindliche Organisation „Stahlhelm“ aufgelöst und die jüngeren Mitglieder in die SA eingegliedert (216-117) So fanden sich plötzlich viele Freimaurer in der SA, zum Beispiel drei Viertel des Beamtenrats der Bremer Loge „Zum Ölzweig“.

Aber auch freiwillig bemühten sich viele Freimaurer anfänglich um Aufnahme in die NSDAP oder in eine ihrer Unterorganisationen (234-241). Allein in Bremen bewarben sich im Frühling 1933 mindesten 53 Logenmitglieder, vor allem jüngere. Die Bewilligung der Aufnahmegesuche war von der „willkürlichen Bewertung einzelner Parteifunktionäre“ abhängig (237; 249, 253-254).

Die Gründe für das Aufnahmegesuch „reichten von berechtigten Befürchtungen, ohne Parteibuch berufliche Nachteile erleiden zu müssen, bis hin zu einer erheblichen Anpassungsbereitschaft an die neuen Verhältnisse, bei der oft Opportunismus mit echter Begeisterung Hand in Hand ging“ (238).

Lehrer und Beamte hatten es besonders eilig mit dem Parteibeitritt, aber auch Kaufleute, Juristen, leitende Angestellte und Ärzte. Manche erwarteten Anerkennung als Teil der „Volksgemeinschaft“ (16, 241, 255, 263, 289).

Der einflussreiche Bremer Dompastor Otto Hartwich schrieb am 14. Februar 1934 an Reichspräsident von Hindenburg:

„Ich würde jauchzen, wenn ich, der Hochgrad-Freimaurer, mich der nationalsozialistischen Partei anschliessen könnte; ich muss es aber auch aus Selbstachtung ablehnen, für meine vaterländische und nationale Gesinnung noch ,Bürgen’ zu nennen“ (241; auch 297).


Einigen Freimaurern gelang sogar eine Karriere im Dritten Reich, etwa Hjalmar Schacht (Reichswirtschaftsminister), Wilhelm Kube (Generalkommissar für Weiss-Ruthenien), Dr. Alfred Meyer (Stellvertreter Alfred Rosenbergs) und Arthur Greiser (Senatspräsident in Danzig).
Da Adolf Hitler „des öfteren bei seinem Aufenthalt in Bremen bei ihm zu Gast war“, entstand dem Bremer thailändischen Honorarkonsul und Wirtschaftssenator Otto Bernhard kein Nachteil aus seiner langjährigen Mitgliedschaft bei den Freimaurern (249-251).

Anderseits erlitten zahlreiche Freimaurer berufliche Beeinträchtigungen. Domprediger Adolf Schäfer und Pastor Emil Felden wurden schon 1933 abgesetzt (270). Der Domprediger Hermann Rahm wurde zwar als Logenmitglied aus der NSDAP ausgeschlossen, galt aber als „politisch zuverlässig“ (270). Exemplarisch ist der Fall des Bremer Bürgermeisters Richard Markert: Er war acht Jahre Mitglied einer Loge in Dessau gewesen und wurde Im Herbst 1934 abgesetzt; ein Jahr später verlor er auch das Amt des Treuhänders der Arbeit (251-254). Der Bremer Staatsanwalt Bünting wurde suspendiert (243); sein Kollege Christian Wrede wurde vermutlich auf Druck der Kreisleitung zum Umzug nach Leipzig gezwungen, arbeitete aber bald am Berliner Volksgerichtshof und durfte dort bleiben.

Ähnliches geschah and der Spitze des Bremer Elektrizitäts- und Gaswerks. Franz Schütte wurde 1934 entlassen, sein Kollege Werner Matthias (244, 254) wurde zwar nicht in die NSDAP gelassen, wurde aber 1941 zum Vorstandsvorsitzenden der gesamten Stadtwerke berufen. Der Direktor der Oberrealschule, Hermann Maas (157), war 1932-1934 Logenmeister des Ölzweigs“ und hatte es bis zum 10. Grad gebracht, durfte aber auf seinem Posten bleiben. Erst 1937 wurde er „bei regulären Bezügen pensioniert“ (245).

Obwohl das rechtskräftige Verbot der Freimaurerei erst am 17. August 1938 erlassen wurde, hatten sich alle Grosslogen spätestens im Sommer 1935 selbst aufgelöst.

Die Behandlung von Freimaurern wurde keineswegs einheitlich gehandhabt.

„Noch Mitte 1937 konnten deshalb im SD-Oberabschnitt Nord-West offenbar Schulräte atmen, die einer Loge angehört hatten, während der Jahresbericht des SD-Hauptamtes festhielt, dass ‚viele ehemalige Logenmitglieder in leitenden Stellen als Rektoren oder Studiendirektoren zurückgestuft wurden’“ (245).
Und erst im Dezember 1941 erliess der „Reichminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung … eine Anordnung, nach der die ‚Leiter sämtlicher Schulen einschliesslich der Hauptlehrer und Rektoren an den Volks- und Bürgerschulen unter die Vorschriften der Logenerlasse fallen’“ (246).

Angesichts der Personalknappheit im Krieg wurde dieser Anordnung aber nicht Nachachtung verschafft. Bald wurden sogar in den Ruhestand versetzte Beamte reaktiviert, im Frühling 1943 sogar der mittlerweile 68jährige Hermann Maas (1946 wurde er der erste Nachkriegslogenmeister des „Ölzweig“; 287).

Damit zeigt sich, „dass von einer ‚entscheidenden Einschränkung der sozialen Sicherheit’, wie Neuberger [„Winkelmass und Hakenkreuz“, 2001] sie festzustellen glaubt, pauschal keine Rede sein kann ...
…Es ist zwar insgesamt nahezu ausgeschlossen, die Zahl jener Freimaurer zu bestimmen, die tatsächlich erhebliche berufliche Einschränkungen erfahren haben, jedoch gibt es Hinweise: Manfred Steffens [„Freimaurer in Deutschland“, 1964] ermittelte in einer Stichprobenanalyse unter 4800 Freimaurern aller Berufsgruppen 377 Personen, die Amt oder Beruf verloren hatten“ (248-249).

Ab 1945: Alte und neue Logenmitglieder mit NS-Vergangenheit – massive Geschichtsklitterung

Unmittelbar nach Kriegsende begannen die Freimaurer Deutschlands mit dem Neuaufbau von Logen und Grosslogen. Vorerst brach der tiefe Graben zwischen der humanitären und christlichen Richtung wieder auf. Obwohl man sich bemühte, keine ehemalige Mitglieder der NSDAP aufzunehmen, „kehrten viele Freimaurer mit NS-Vergangenheit recht schnell in ihre Logen zurück“ (282). Manchmal wurde auch die damalige Zugehörigkeit verleugnet.


Walther Hörstmann, der 1933 die Freimaurerei verlassen hatte, um Mitglied der NSDAP zu werden, stellte sich 1961 zur Wahl als Grosskommandeur des Schottischen Ritus (287). Unter den nach 1945 neu aufgenommenen Freimaurern waren zahlreiche ehemalige Mitglieder der NSDAP und der SS. „1973 wurde der ehemalige SS-Angehörige Georg C. Frommholz sogar Grossmeister der Grossen Landesloge“ (282).


Was schliesslich die „Vergangenheitsbewältigung“ betrifft, muss man von „massiver Geschichtsklitterung“ (286, 297) sprechen. Die 1949 neu gegründete „Vereinigte Grossloge von Deutschland“ verkündete, dass sich in ihren Kreisen „keiner befindet, der an diesen Verbrechen teil hatte, keiner, der sich der tödlichen Gewalt des dritten Reiches innerlich und äusserlich verbunden fühlte“ (286). Die Grosse Landesloge behauptete 1955 ähnliches:

„Sie entschuldigte sich zwar bei der ‚Bruderschaft der Welt’ für ihr Verhalten im Nationalsozialismus, meinte damit aber nicht ihren geistigen Beitrag zur Etablierung völkischen und faschistischen Gedankenguts oder zur Machtübernahme der NSDAP. Sie bat um Verzeihung für die Fehleinschätzung, man könne durch eine vorgetäuschte Annäherung an den Nationalsozialismus der Auflösung entgehen“ (286).

Fazit:

„Das nationale Engagement vieler Freimaurer, das zum Untergang der Weimarer Republik massiv beigetragen hatte, wurde noch bis in die 1960er Jahre als ‚Dienst am Vaterland’ gerühmt“ (287) – wie schon 1871, 1918 und 1933 (288).

Nachzutragen ist, dass die „United Grand Lodge of England“ die Vereinigte Grossloge im Dezember 1956 anerkannte, worauf sich die bisher abseits stehende Grosse Landesloge um Anschluss bemühte. Am 17. Mai 1958 (oft auch: 27. April) billigten beide die „Magna Charta der deutschen Freimaurer“.

Dem 2012 erschienenen dicken Sammelband „Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus“ hat Marcus Meyer auf 20 Seiten einen Beitrag „zum Spannungsverhältnis von Freimaurerei, völkischer Bewegung und Nationalsozialismus“ beigesteuert.

Wissenschaftliche Deutung

Wie deutet man alle diese Vorkommnisse auf dem neuesten Stand von Theorie und Forschung im schwerverständlichen wissenschaftlichen Jargon?

Die These lautete,

„dass die Freimaurerei einerseits über ein hohes Mass an organisatorischer Stabilität verfügte, die ihre Existenz seit der Aufklärung und trotz sich permanent verändernder Rahmenbedingungen sicherte.
Gleichzeitig war sie allerdings in der Lage, sich inhaltlich an synchrone wie diachrone Entwicklungen anzupassen.
Ihre wichtigste Fähigkeit war es aber, heterogenen und vom jeweiligen zeitlichen Kontext geprägten bürgerlichen Wertvorstellungen eine vermeintlich stabile und unverfügbare Legitimation zu verleihen und zu Bestandteilen einer unverhandelbaren, dem Kontext entzogenen Ordnung aufzuwerten“ (9).

Was zeigte sich?

„Die in den rituellen ‚Zeichnungen’ skizzierten Werte und Normen, nach denen eine Gesellschaft geformt werden sollte, spiegelten wider, was die in den Logen versammelten Bürger in sich synchron wie diachron wandelnden Kontexten für einen erstrebenswerten Entwurf der bürgerlichen Gesellschaft hielten.
Die jeweiligen Vorstellungen wurden durch die Aufnahme in die freimaurerische Erziehungsidee Teil einer als universell verstandenen, vermeintlich göttlichen Lehre über die Herstellung idealer menschlicher Gemeinschaft. Damit war die Freimaurerei in der Lage, beinahe beliebige ethisch-moralische Vorstellungen in die Idee einer ‚universellen Bürgerlichkeit’ zu integrieren ...
… Die Logen kompensierten so wie kaum eine zweite Vereinigung fundamentale Defizite der bürgerlichen Gesellschaft die fehlende historische Legitimation und die fehlende übergeordnete Idee, die jenseits aller Individualität ein Gefühl der Gemeinsamkeit schuf“ (291).

Was ist das Besondere an der Freimaurerei?

Sie ist ein getreues, ungemein flexibles Abbild des Bürgertums. Ein Forscher spricht von „Spiegel“ (11-13, 19, 290). Sie ist aber noch viel mehr:

„Die Fähigkeit, die Elemente dieser bürgerlichen Kultur durch die spezifische Legitimation der freimaurerischen Erziehungsidee zu vermeintlichen ‚Ewigkeitswerten’ umzudeuten und so weitern dialektischen Aushandlungsprozessen zu entziehen, weist weit über den Spiegel hinaus“ (291; vgl. 12).
„Der universelle Kern bestand in der Vorstellung, Trägerin und Bewahrerin uralten Schöpfungswissens zu sein, das die Herstellung einer als ideal verstandenen Gesellschaft ermögliche. Die Inhalte dieser idealen Ordnung waren allerdings sehr allgemein definiert, sodass sie sich sowohl synchron wie diachron flexibel deuten liessen.
Es war ihre wichtigste Fähigkeit, kontextabhängige Wertvorstellungen als Teil einer universellen Ordnung und damit als allgemein verbindliche Orientierung erscheinen zu lassen, damit aber einen Beitrag zur Konstruktion und Legitimierung bürgerlicher Identität zu leisten“ (19-20).

Beurteilung der Dissertation

Trotz des Jargons: Ein Riesenwerk. Ein kluger Autor. Differenzierte Darstellung. Eine hervorragende Arbeit. Sie zeichnet ein betrübliches Bild einer kulturell bedeutenden Institution.

Man könnte an der Freimaurerei verzweifeln.
Freimaurer sind keine „besseren“ Menschen.

Der Historiker Marcus Meyer konnte sich auf reichhaltiges Archivmaterial stützen. Er hat es umsichtig und äusserst sorgfältig ausgewertet. Er lässt auch die Quellen sprechen. Die Sekundärliteratur hat er weitgespannt berücksichtigt, auch neueste Untersuchungen, wie etwa diejenige von Jochen Schuster (2007) und Kristiane Hasselmann (2009) oder Aufsätze von Hans-Hermann Höhmann (2000-2007).


Bei dem enormen Umfang der Arbeit sind dem Autor auch einige Fehler unterlaufen. Da er kein Freimaurer ist, behauptet er z. B., dass die Grossloge von London und Westminster „der Legende nach am 23. Juni 1723“ entstanden sei und dass die Konstitutionen eine interne Hierarchie definiert hätten, „an deren Spitze der ‚Beamtenrat’ unter Führung des ‚Meisters vom Stuhl’ stand“ (26). Die Zeitrechnung Anno Lucis - also beginnend 4000 v. Chr. - sei in den Hochgraden durchaus gebräuchlich gewesen (29). Anderswo ist von „rituellen ‚Zechungen’“ die Rede (44, 291) und einmal heisst es, der „Vorbereitende Bruder“ sei „zuständig für die Vorbereitung der rituellen Arbeiten“ (238).

Die Loge „Zum silbernen Schlüssel“ stellte nicht 1764 (13), sondern 1794 (58) ihre Arbeiten ein. Ein bisschen weit in der Zukunft liegen die Jahre 19963 und 19947 (104, Anm. 159) und 19997 (267, Anm. 317).

Leider ist das Namensregister (352-256) unvollständig, und viele Stellenangaben sind eine oder gar zwei Seite daneben. Auf Seite 132 wird Gottfried Findel erwähnt, eine Seite später Johann Gabriel Findel; im Namensregister heisst er Gottfried Josef Gabriel Findel. Obwohl viel zitiert, fehlt Höhmann darin; im umfangreichen Literaturverzeichnis (328-351) fehlt ihm zudem der Bindestrich im Vornamen Von Hund (354; 51, 56, 73) hiess Karl Gotthelf und war auch Freiherr von Altengrotkau.
Die zahlreichen Kürzestbiographien (306-323) sind sehr wertvoll, doch fehlen – unverständlich - manchmal das Todesjahr und ab und zu sogar das Geburtsjahr. Wenn Christian Abraham Heineken 1818 gestorben ist, dann kann er kaum 1882 eine Ansprache gehalten haben (95).

Bei der Anzeige von „Bruder und Bürger“ auf www.amazon.de hat ein Bremer Freimaurer unter dem Titel „Mehr abstruse Meinung als wirkliche Erkenntnis“ einen ebenso ausführlichen wie bösen Kommentar abgegeben. Als Schweizer, der sich als einigermassen neutral und nüchtern einschätzt, halte ich diese Kritik für absolut beleidigend und sachlich in keinerlei Weise gerechtfertigt.


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