Sarajevo
Attentat von Sarajevo
Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)
Bei der Erörterung der Kriegsschuldfrage [Anm. d. Red.: es geht um den ersten Weltkrieg] spielt die Behauptung eine große Rolle, die Ermordung des Erzherzog Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin in Sarajevo sei von serbischen Freimaurern durchgeführt oder doch angestiftet worden.
Diese Beschuldigung tauchte während des Krieges zuerst in einem kroatischen Herz-Jesu-Kalender auf und gewann bestimmte Formen in einer als Beilage des "Archivs für Strafrecht und Strafprozeß" 1918 erschienenen Schrift über den Prozeß gegen die Attentäter von Sarajevo, "nach den amtlichen stenographischen Aufzeichnungen" über die Verhandlung von "Professor Pharos" zusammengestellt, mit einem Vorwort des Berliner Universitätsprofessors Geheimen Justizrates Josef Köhler.
Dieser hielt den Beweis für erbracht, der Großorient von Frankreich habe die Propaganda gegen Österreich-Ungarn gefördert, die der Anstiftung beschuldigte "Narodna Odbrana" sei von Freimaurern geleitet gewesen und die geistigen Urheber des Verbrechens, Tankosic und Kazmirovic, seien in französische Logen aufgenommen worden. Auch der Verschwörer Ciganovic habe dem Bund angehört.
Der österreichische Freimaurergegner Wichtl machte dann diese Behauptungen zu einem Hauptpunkt eines Pamphlets gegen die Freimaurerei. Die englische Schriftstellerin Edith Durham vertrat, gestützt namentlich auf "Dokumente" des berüchtigten, wegen Erpressung verurteilten englischen Politikers Horace Bottomley (veröffentlicht im Revolverblatt "John Bull"), ebenfalls die Freimaurerlegende. Im gleichen Sinne schrieb der englische Publizist H. C. Norman.
In Wirklichkeit war weder die Freimaurerei als solche, noch waren einzelne Freimaurer an dem Attentat oder seiner Vorbereitung irgendwie beteiligt. Keiner der Attentäter hatte zur Zeit des Attentates das zwanzigste Lebensjahr erreicht, keiner von ihnen könnte also Freimaurer sein. Aber auch keiner der Anstifter und Förderer gehörten dem Bunde an. Wie Dr. Oscar Tartaglia festgestellt hat, ist "Professor Pharos" identisch mit dem Jesuitenpater Puntigam in Sarajevo. In seinem Protokoll wurden von dem französischen Forscher Mousset 1930 eine ganze Reihe von Unrichtigkeiten nachgewiesen, die geeignet waren, die Freimaurerei zu treffen. Das Attentat war in Wahrheit auf die serbische Geheimorganisation "Vereinigung oder Tod" (in der Öffentlichkeit als "Schwarze Hand" bekannt) des Obersten Dimitrie vié-Apis zurückzuführen, von deren verantwortlichen Führern nicht ein einziger Freimaurer war.
Das gesamte, diese Lügenbildung betreffende Material ist zusammengestellt in einer im Verlage des Vereins deutscher Freimaurer, Leipzig 1931 erschienenen Broschüre von Dr. jur. et phil. Stephan Kekule von Stradonitz, Der Mord von Sarajevo, eine Aufklärung (48 S.).