Karl Kraus und die Freimaurer
Inhaltsverzeichnis
- 1 Karl Kraus und die Freimaurer
- 1.1 Karl Kraus’ „Lieblingsfeind“ unter den Freimaurern war Hermann Bahr
- 1.2 Ein Dankeschön an die Österreichische Akademie der Wissenschaften
- 1.3 Die Fackel Nr. 22 - 1899: Eine erste Spöttelei
- 1.4 Die Fackel Nr. 30 - 1900: Kraus sieht Netzwerke im Kulturbetrieb
- 1.5 Die Fackel Nr. 62 - 1900: Wieder Spott
- 1.6 Die Fackel Nr. 69 - 1901: Eine erste Breitseite gegen Hermann Bahr
- 1.7 Die Fackel Nr. 70 - 1901: Ein wenig Satire mit Lessing
- 1.8 Die Fackel Nr. 70 - 1901: Und wieder wähnt Kraus Freimaurer am Werk
- 1.9 Die Fackel Nr. 89 - 1901: Noch einmal Hermann Bahr und Andere
- 1.10 Die Fackel Nr. 100 - 1902: Politik im Ausland garniert mit Kraus’ Lieblingsthema
- 1.11 Die Fackel Nr. 105 - 1902: Neuerlich über den Wiener Kulturbetrieb, wobei Hermann Bahr nicht fehlen darf
- 1.12 Die Fackel Nr. 30 - 1903: Ziemlich plötzlich wird Kraus milder - so weit es die Freimaurer betrifft
- 1.13 Die Fackel Nr. 381 - 1913: Kein Spott mehr, nur mäßiger Humor
- 1.14 Die Fackel Nr. 657 - 1924: Nach der Implosion des Habsburger-Imperiums stellt sich Karl Kraus plötzlich schützend vor die Freimaurer
- 2 Siehe auch
- 3 Links
Karl Kraus und die Freimaurer
Karl Kraus (1874 - 1936): der große politische Dichter, Kulturpublizist und Satiriker in Wien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1936. Berühmt wurde er mit seiner fast nur von ihm selbst geschriebenen Zeitschrift „Die Fackel“ und mit seinem Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“. Und auch im 21. Jahrhundert ist er im kulturellen Gedächtnis des ganzen deutschen Sprachraums noch fest verankert. Von Rudi Rabe
Karl Kraus war kein Freimaurerfreund. Er hielt die Logen für Netzwerke, deren Mitglieder einander Vorteile zuschanzten: vor allem in der Wiener Kulturszene der damaligen Jahrhundertwende, gelegentlich auch in der Politik, wobei er glaubte, letzteres vor allem im Ausland zu erkennen; logisch, im habsburgischen Wien spielten Freimaurer politisch wenig bis gar keine Rolle.
Karl Kraus’ „Lieblingsfeind“ unter den Freimaurern war Hermann Bahr
Von der Loge „Zukunft“ 1892 abgelehnt trat Hermann Bahr, der bis heute bekannte Literat, 1897 in die Loge „Freundschaft“ ein. Im Internationalen Freimaurer-Lexikon von Lennhoff-Posner-Binder heißt es über ihn: „Österreichischer Schriftsteller, war in seinen jungen Jahren Freimaurer. Als solcher vertrat er in einer Enquete, die sich mit den Möglichkeiten der Errichtung einer Großloge in Osterreich beschäftigte, einen sehr radikalen Standpunkt. Er zog sich später von der Freimaurerei vollkommen zurück und unterhielt seither zu ihr keinerlei Beziehungen.“ Gemeint ist ab 1907.
Abgesehen von seinen Breitseiten gegen Hermann Bahr und gegen andere Kulturpublizisten, die Freimaurer waren, spöttelte Karl Kraus gelegentlich auch ganz allgemein gegen die Logen, deren philosophische und soziale Anliegen er offenbar nicht erkannte oder einfach nicht anerkannte. Wenn man seinen satirische Kraft und seinen Hang zum Furor bedenkt, kamen seine „Angriffswellen“ aber nicht so häufig, wie man annehmen hätte können. Was die Freimaurer betrifft, konzentrierten sie sich auf die allerersten Jahre der „Fackel“ von 1899 bis 1903. Danach apostrophierte er die Logen kaum mehr und nach dem Ersten Weltkrieg nahm er sie sogar einmal in Schutz.
Ein Dankeschön an die
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat verdienstvollerweise die ganze „Fackel“ digitalisiert und sie 2019 online gestellt (open access: Link siehe unten). Über die Suchfunktion ist es dadurch möglich geworden, die Kraus’schen Enunziationen über die Freimaurerei zu finden und nachzulesen.
Mit Hilfe dieses Programms habe ich für diese Freimaurer-Wiki-Seite die meisten „Freimaurer-Passagen“ aus der Fackel aufgelistet. Und dank der Forschungen von Günter Kodek konnte ich ausfindig machen, wer abgesehen von Hermann Bahr die von Kraus attackierten Freimaurer waren und zu welchen Logen sie gehörten. Ihre Namen sind im folgenden Text hervorgehoben.
Die Fackel Nr. 22 - 1899: Eine erste Spöttelei
Nach einer Predigt würde ich es mir gewiss nicht erlauben, über die politische Thätigkeit des Jesuiten ein Urtheil zu fällen. Ich habe gegen diese Leute kein Vorurtheil; im Gegentheil, muss oft darüber lachen, wie die beiden halbgeheimen Gesellschaften, die Freimaurerei, der Orden der philiströsen Halbaufgeklärtheit, und der des heiligen Loyola einander anschwärzen. Glaubt man den liberalen Zeitungen, so kommt alles Uebel in der Welt von den Jesuiten; glaubt man dem P. Abel, so haben die Freimaurer nicht weniger als Königsmord, Kirchenraub und Umsturz jeglicher Ordnung zum Ziel.
Die Fackel Nr. 30 - 1900: Kraus sieht Netzwerke im Kulturbetrieb
Gegen das Ende des XIX. Jahrhunderts war die reiche dramatische Begabung des deutsch-österreichischen Volkes vollständig auf die Redacteure der Wiener Tagesblätter übergegangen. Je intensiver die fortschreitende Arbeitstheilung die journalistische Thätigkeit mechanisierte, je mehr diese Thätigkeit sich schließlich auf das geisttödtende Redigieren hektographierter Correspondenzen beschränkte, je mehr die Herren, in ihren dunst- und raucherfüllten Arbeitsräumen den Tag hindämmernd, den lebendigen Zusammenhang mit dem Volke verloren, desto mächtiger wuchs, welches Wunder, ihre dramatische Gestaltungskraft, und die Wiener Bühnen sahen sich in jener Zeit genöthigt, ihren literarischen Bedarf fast ausschließlich in liberalen Zeitungsredactionen zu decken …
Eine kräftige Stütze fand dies schöne Verhältnis zwischen Bühne und Zeitung in dem wahrhaft collegialen Zusammenhalten der Redactionsdramatiker. Der böse Neid der Concurrenz fand keinen Eingang in ihre reinen Seelen. So weit entfernt waren sie, in dem guten Werke des Standesgenossen eine Gefahr für den eigenen Erwerb zu sehen, dass sie sogar gerne dem schlechten Werke Anerkennung zollten, wenn sie bei dem Autor nur den guten Willen durch seinen Eintritt in die »Concordia« (= Presseclub) oder die Loge »Humanitas« erwiesen sahen. Seinen Ausdruck hat dieses brüderliche Verhältnis in jenem bekannten Paradigma gefunden, das dem Fremden in gleicher Weise die Eigenthümlichkeiten des deutschen Verbums wie der deutschen Kritik näherbringt: Ich lobe Dich - Du lobst mich - Er lobt sich - Wir loben uns - Ihr lobet Euch - Sie loben sich alle zusammen.
Die Fackel Nr. 62 - 1900: Wieder Spott
In dem Blumengewinde liegt ein Kranz, dessen Schleifen die sinnige Widmung tragen: »Die in Wien lebenden Freimaurer ihrem großen Bruder Goethe.« Diese Anrede hat mich stutzig gemacht. Seit ich weiß, dass die Wortführer unserer öffentlichen Meinung, dass Herr Landesberg und der ‚Extrablatt‘-Löwy (Julius Löwy, 1851 - 1905, Journalist, Loge „Treue“, mehrmals Stuhlmeister) Goethen doch in gewisser Beziehung nahestehen, ändert sich wohl die Richtung meines Kampfes. Auch mit Herrn Bahr werde ich künftig vorsichtiger sein müssen. Greife ich ihn, der Goethekenner und Freimaurer ist, an, so geht er hin und sagt es seinem großen Bruder …
Die Fackel Nr. 69 - 1901: Eine erste Breitseite gegen Hermann Bahr
Und nun zu Herrn Bahr (Hermann Bahr - s.o.). Er veröffentlicht einen Kaufvertrag, den er mit dem Volkstheaterleiter abgeschlossen hat. Er hat also das Grundstück in Ober- oder Unter-St. Veit nicht geschenkt bekommen. Ich war also unrichtig informiert. Und wieder ist es mir darum zu thun, meinen besten Glauben in der Sache und meinen guten Glauben in der Information zu beweisen.
Ich bekämpfe Herrn Bahr und sein die letzten Reste einer österreichischen Literatur verheerendes Treiben seit zehn Jahren. Ein persönliches Motiv wird mir höchstens Herr Bahr nachsagen können; nachweisen nicht einmal er. Diesem Kampfe liegt die Gegensätzlichkeit zweier literarischer Organismen, zweier Weltauffassungen zugrunde: Herr Bahr ist, soweit die Thätigkeit im Dienste der Actiengesellschaft Steyrermühl dies zulässt, mehr dionysisch veranlagt, ich anders. Herr Bahr ist für das productive Schaffen überhaupt und für sein eigenes ganz besonders und für schrankenlose dramatische Bethätigung sogar dort, wo die Objectivität des Kritikers darunter leiden könnte. Und ich bin der ewige Störenfried.
Herr Bahr ist mehr positiv veranlagt, ich mehr kritisch, Herr Bahr fördert das Unkraut, ich jäte es aus. Und da er den Ehrgeiz hat, das literarische Unkraut, das er im Laufe der Jahre gefördert, selbst noch zu überwuchern, scheint er mir doppelt gefährlich. So erklären sich Eifer und Heftigkeit meines Kampfes.
Dazu kommt: Herr Bahr ist weitaus begabter als die anderen; wo die anderen sich mit dem Emporschwindeln ihrer eigenen werten Persönlichkeit begnügen, hat er immer die Kraft, sich und ein Dutzend Talentlosigkeiten durchzusetzen. Ferner: er ist ein Renegat ins Ghetto, er leiht dem Treiben der geschäftig wimmelnden Schmöcke seine arische Repräsentanz, und während er mit der Geriebenheit von hundert Buchbinders seine dramatische Erwerbsthätigkeit mit dem kritischen Amte verkuppelt, bleibt er nach außen der selbstlose Förderer aller heimatlichen Talente, der Entdecker sämmtlicher im Reichsrath nicht genügend vertretenen Provinzen, der patriotische Culturbringer, dem sich die schwarzen Bärte und die gelben Flecke seiner Concordiabrüder mählich zu einem profitablen Schwarzgelb verdichtet haben.
Freimaurer machen seine Premièrenerfolge, die Reclame der journalistischen Gevatterschaft und die Bereitwilligkeit der dem Freunde und einflussreichen Kritiker ergebenen Direction besorgen das Uebrige. Er ist der deutlichste Vertreter des Systems, das auf Wiens Bühnen so drückend, alle Lebensgeister dieser Stadt ertödtend wirkt, der bedenkenloseste Missbraucher jener Gewalt, die da Presse heißt und die, als »Concordia« constituiert, der geistigen Entwicklung dieser Stadt hundertmal gefährlicher wurde als das »Concordat«, dessen Herrschaft sie ablöste. Wie die Mitglieder der Maffia und Camorra von den sicilischen Gutsbesitzern Abgaben an Geld, Getreide oder Vieh bei sonstiger Einäscherung des Hofes erpressen, so erzwingen die Mitglieder der »Concordia« von den Wiener Theaterdirectoren die Abgabe von Tantièmen bei sonstiger Zerstörung des Theaters. Verzweifelnd hat der alte Jauner von dem Revolver, den er als wirksame Waffe in jahrzehntelanger Theaterlaufbahn kennen gelernt hatte, selbst Gebrauch gemacht, und Alexandrine v. Schönerer, die durch zehn Jahre in der Wahl schwankte, ihr Theater durch elende Kritiken oder durch elende Operetten ruinieren zu lassen, ist schließlich, völlig gebrandschatzt, vom Schauplatz ihres Martyrthums abgetreten.
Ich habe Herrn Bahr oft und oft vorgehalten, dass er, der einst mit harten, wenn auch stets nur allgemeinen, Anwürfen gegen dies schändliche System zu Felde zog, es jetzt mit aller Kraft zu stützen und mit aller Geschäftsklugheit zu nützen trachtet. Ich thue dies auch heute und wiederhole zum hundertsten Mal, dass er offenkundiger und bewusster als die anderen seine Kritik über ein bestimmtes Wiener Theater in den Dienst seiner Geschäftsbeziehungen zu ebendemselben Theater stellt …
Die Fackel Nr. 70 - 1901: Ein wenig Satire mit Lessing
»So lass’ mich meine Frage denn bloß auf diejenigen Stücke einschränken, die du mir selbst namhaft gemacht hast. Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stücken, dass die Freimaurer wirklich ihr Absehen darauf haben? - Du schweigst? - Du sinnst nach?« Lessing: „Ernst und Falk“, Gespräche für Freimaurer.
Lessing (er war Freimaurer in der Hamburger Loge „Zu den drei Rosen“) hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass man einst diesen Satz aus seinen Freimaurergesprächen, der dort natürlich eine ganz andere Bedeutung hat, in einem Sinne citieren könnte, der die Wirksamkeit der Logenbrüder als eine vorwiegend theatralische erscheinen lässt. Und doch ist die Stelle, aus ihrem Zusammenhang gerissen, durchaus verständlich, sobald ihr Inhalt auf Wiener Verhältnisse angewendet wird. Es gibt nämlich in der That »Stücke«, auf die die Freimaurer »ihr Absehen haben«. Und neuestens haben wir erfahren, dass auch die Pforten des Jubiläumstheaters sich den im Kreise der Brüderschaft großgezogenen Talenten willig öffnen.
Ich finde den Protest gegen solche Bereitwilligkeit begreiflich. Die liberale Presse möchte natürlich von einer »Denunciation« sprechen und ihre Leser glauben machen, die antiliberale Publicistik »hetze« gegen die Aufführung des Ressel’schen Werkes …
Die Fackel Nr. 70 - 1901: Und wieder wähnt Kraus Freimaurer am Werk
Jubiläumstheater aus politischen Gründen. Wäre dem so, so hätten sie Recht: es kommt nicht auf die private Gesinnung, sondern auf das Bühnengeschick des Autors an. Aber ich glaube, dass hier böswillig der Standpunkt verrückt worden ist, von dem aus gegen die Aufführung des Ressel’schen Stückes protestiert wurde.
Es fällt heute ernstlich niemandem mehr ein, die Wiener Freimaurer, wenn sie sich auch in mystischem Mummenschanz gefallen mögen, als eine »Gefahr für Thron und Altar« zu betrachten. Man missbilligt ihre Vereinigung bloß als einen Hort der Corruption, als eine Gelegenheit, unter ethischen Vorwänden die gegenseitige ökonomische Poussierung zu betreiben. Man ist längst nicht mehr so verblendet, österreichischen Freimaurern die Wirkensmöglichkeit und Gefährlichkeit der italienischen Logen zuzuschreiben und die republikanische Gesinnung eines Julius Löwy (s.o.) zu fürchten. Nicht der Hüter der politischen Ruhe, aber der Wahrer der socialen Reinheit wird bei uns auf die Thätigkeit der Logen ein scharfes Auge haben müssen. Und als besonders dringend erweist sich die Pflicht, das Theaterwesen, das unter dem Ansturm der von der Presse gezüchteten Impotenzen genug zu leiden hat, von freimaurerischen Gönnerschaften zu erlösen.
Genügt heute notorischerweise ein Mindestmaß von Talent, um unter freimaurerischer Protection auf einer Wiener Bühne durchzudringen, so ist die Abneigung begreiflich, auf einem gegen den Willen der Cliquenmächte gegründeten und gedeihenden Theater das Werk auch des talentiertesten Logenbruders vorgeführt zu sehen. Wenn bei Lessing Ernst und Falk darüber disputieren, welche denn »die wahren Thaten« der Freimaurer seien, so lässt sich mit Beziehung auf Wiener Verhältnisse antworten: Die wahren Thaten der Freimaurer sprechen für sich - mit den Händen. Wir haben ihnen Premièrenerfolge, wir haben ihnen eine Vermehrung der Claque, der kritischen und der manuellen, zu danken.
Die Fackel Nr. 89 - 1901: Noch einmal Hermann Bahr und Andere
Aber in diesem Jahre hat die Winterausstellung eine Überraschung gebracht: die Freimaurer haben sich mit Herrn Scala versöhnt; Sandor Jaray (geb. 1845, Dekorateur und Bühnenausstatter, Loge „Freundschaft“) und Felix Kohn (1849 - 1906, Stilmöbelfabrikant, Loge „Zukunft“) sind triumphierend in das Kunstgewerbemuseum eingezogen. Herr Sandor Jaray soll sogar dem Kaiser erzählt haben, warum er sich »bewogen gefühlt« habe, »auch etwas im modernen Stil zu machen«. Aber ihm mag heute, da die unglaubliche Geschmacklosigkeit des von ihm ausgestellten pseudomodernen Intérieurs selbst die eigenen Logenbrüder nicht zu vertheidigen wagen, zu Muthe sein, wie jüngst Herrn Bahr, als der »Apostel« im Burgtheater durchfiel. Und er kann, weil Herr Scala es einigen Personen wiederholt hat, sicher sein, dass der Museumsdirector wirklich von den Motiven geleitet war, die man Herrn Schlenther zutrauen musste: seinem alten Gegner den Triumph des Einzugs ins feindliche Lager zu gönnen, ihn zu versöhnen und ihm zugleich die gründlichste Blamage zu bereiten.
Auch die Arbeiten der Firma J. & J. Kohn (Josef Kohn, 1848 - 1903, Pädagoge und Journalist, Loge „Treue“) haben Herrn Scala missfallen und sind doch von ihm nicht abgewiesen worden. Ja, er hat nicht einmal gemukst, als Herr Felix Kohn den Triumphator spielte und durch die Presse verkünden liess, sein Einfluss sei jetzt im Museum allenthalben fühlbar, man sei auf seine Anregungen eingegangen.
Herrn v. Scala’s persönliche Politik ist keine öffentliche Angelegenheit. Wer die Winterausstellung betrachtet, hat sich nicht zu fragen, warum er Herrn Sandor Jaray dort findet, sondern nur zu bedauern, dass er ihn dort findet. Das Ergebnis dreier Jahre der Thätigkeit des Herrn Scala am Museum ist: dass man von der Bekämpfung der falschen Alterthümelei zur Propagierung der unechten Modernität gelangt ist. Da lobt man sich denn doch die rrSecession. Die hat mit der falschen Modernität gleich angefangen.
Die Fackel Nr. 100 - 1902: Politik im Ausland garniert mit Kraus’ Lieblingsthema
Zwei bemerkenswerthe Kundgebungen über die Freimaurerei sind neulich erflossen: eine vom Papst und eine vom Schnüfferl (Nickname für Alexander Landesberg , 1848 - 1916, Journalist und Librettist, Loge „Freundschaft“). Jene kehrt sich gegen die Freimaurerei, diese nimmt, anlässlich der Aufführung eines Werkes von Karl Bleibtreu im Raimundtheater, die angegriffene Institution energisch in Schutz.
Gegenüber der Meinung des Papstes, dass die Logenbrüderschaft es auf die Religion und die Monarchie abgesehen habe, ist der internationale Freisinn wieder einmal mit dem Argument krebsen gegangen, dass Eduard VII. bis zu seiner Thronbesteigung Grossmeister der englischen Freimaurer und dass Wilhelm I. und Kaiser Friedrich Logenbrüder waren. Aber der Prinz von Wales war auch ein Busenfreund des Türken-Hirsch, und dass die Freimaurerei die ihr von ihren Ueberschätzern zugemutheten Absichten nicht besser erreichen könnte, als indem sie Monarchen in ihren Bund aufnimmt, ist einleuchtend. Mindestens geht ihr die Pflicht gegenseitiger Förderung über die Staatstreue, und wenn ihr Einfluss in hohe politische Sphären langte, so hat sie ihn noch allemal zu übelstem Stellenschacher und Protectionismus zu nützen verstanden.
Wer just Wilhelm I. im Conflict zwischen staatlichen Interessen und Bruderpflichten schauen will, der braucht nur Bismarcks »Gedanken und 3eErinnerungen« durchzublättern, wo im neunten Capitel (Band I) von der Berufung des unfähigen Usedom (deutscher Freimaurer) an den Frankfurter Posten die Rede ist. Man hatte mit ihm in Turin die traurigsten Erfahrungen gemacht. »Aber er war ein hoher Freimaurer«, setzt Bismarck lapidar hinzu. Und: »Als ich im Februar 1869 die Abberufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten verlangte, stiess ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen Abschied zu erbitten.«
Und in demselben Capitel wird die Corruptionswirtschaft im Auswärtigen Amte geschildert. Ein österreichischer Unterhändler, namens Levinstein, operierte dort mit Trinkgeldern: »Thätige Agenten und Geldempfänger auf diesem Gebiete waren einige von Manteuffel und Schleinitz übernommene Kanzleidiener, unter ihnen ein für seine subalterne Stellung hervorragender Maurer.«
Wo die Loge nicht Monarchen, sondern höchstens Theatergewaltige als Werkzeuge verwenden kann, wird ihr Einfluss naturgemäss bloss das künstlerische und gesellschaftliche Leben corrumpieren. Auf dieser Gefahrsstufe befindet sie sich in Wien, und für uns wäre etwa noch jene Stelle der päpstlichen Encyclika von actuellem Interesse, wo der Freimaurerei nachgesagt wird, dass sie sich fälschlich »ihrer humanitären Bestrebungen rühmt«.
Es ist für den Grad der Selbstschätzung unserer Logenbrüder bezeichnend, dass sie die Antwort auf die dramatische Attaque Bleibtreu’s durch einen dem Bunde angehörenden Coulissenschnüffler ertheilen liessen. Und Herr Landesberg (s.o. Schnüfferl), ganz aus dem Souffleurhäuschen gebracht, wird ernst und weist pünktlich auf die »humanitären Bestrebungen« hin: »Die Freimaurerei, hab’ ich mir sagen lassen, ist bestrebt, Gutes zu stiften. Sie baut Asyle für verwaiste Kinder, die sie zu anständigen Menschen erzieht; sie baut Reconvalescentenhäuser für Männer und Frauen, die der Staat t6tt6tverkommen liess; sie ist bemüht, durch Volksbibliotheken, Vorträge, Concerte, Flugschriften die Menge zu bilden und sie für Gesittung und Moral empfänglich zu machen; sie bestrebt sich, den Streit der Nationen, der Confessionen und Racen durch die Menschenliebe zu besiegen. Eine solche Institution lässt man doch nicht in einem Theater besudeln, dessen Director das Wesen derselben kennen sollte und der nicht auf die Gunst der Dummen und Verdummenden speculiert.«
Man merkt die officiöse Rüge für Herrn Gettke, die wohl in der nächsten Sitzung ihr Nachspiel haben wird. Und auch ihr kritisches Nachspiel. Herr Landesberg (s.o), hab’ ich mir sagen lassen, ist bestrebt, Gutes zu stiften. In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht … Und auch sonst zeigt er sich eingedenk der Bruderpflichten. Die Theater, die er recensiert, sind ihm Asyle für seine verwaisten Geisteskinder, durch den Text des »Süssen Mädel« bildet er die Menge, und durch die »Badener Localzugstudien« besiegt er den Streit der Confessionen …
Die Fackel Nr. 105 - 1902: Neuerlich über den Wiener Kulturbetrieb,
wobei Hermann Bahr nicht fehlen darf
Natürlich ist die Beschuldigung, dass die Freimaurerei nur die von ihren Tendenzen erfüllte Literatur fördere, eine ganz unzutreffende. Die Wiener Logeninsassen sind objectiv genug, nicht das Werk, sondern den Autor zu protegieren. Bruder Bahr wünscht einen grossen Erfolg; er werde ihm, mag in dem zu erwartenden Theaterstück auch eine Apologie von Thron und Altar enthalten sein.
Bruder Fuchs-Talab (Talab ist der Nickname, 1852 - 1930, Schriftsteller und Journalist, Loge „Freundschaft“) wird an einem »literarischen Abend« des Josefstädter Theaters aufgeführt, und die in jedem Fall enthusiastischen Berichte der Tagesblätter haben durch die Bank Freimaurer zu Verfassern. Der »Kreuzwegstürmer«, das Stück eines socialistischen Arbeiters, wird in der bourgeoisen Tagespresse gelobt, weil Bruder Schuhmeier (Franz Schuhmeier, 1864 - 1913/ermordet, Arbeiterfunktionär für Bildung und Journalist, Loge „Sokrates“) der Entdecker des neuen Talentes ist. Und so ist schliesslich auch der Sensationserfolg Vera’s zu erklären, der Verfasserin jenes läppischen Tagebuchs, in dem eine Dame mit anatomischer Jungfräulichkeit den Katzenjammer ihrer unzüchtigen Träume zu der Forderung missbraucht, der Mann müsse unberührt in die Ehe treten. Das ist in einer Zeit, die die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Befreiung der Frau von conventionellen Schranken ahnt, nicht klug gedacht; aber es ist auch nicht freimaurerisch gedacht. Denn Bruder Waldmann (Ludwig Moritz Waldmann, 1837 - 1907, Direktor des Varietétheaters Ronacher, Logen „Eintracht“ und „Lessing“) würde ein schlechtes Geschäft machen, wenn »der Mann« vor dem Eintritt in die Ehe das Etablissement Ronacher zu meiden hätte.
Trotzdem haben die Wiener Freimaurer, denen es einzig um die Förderung der Person und nicht der Sache zu thun ist, alles Mögliche für Vera und ihr ebenso gedanklich wie sprachlich unsauberes Machwerk gethan. Die Autorin ist eben die Tochter des Bruders Kriss (möglicherweise Moritz Kris, 1863 - 1913, Apotheker, Loge „Humanitas“), und die guten Onkel thaten sich zusammen und bestellten die Reclamefeuilletons in der Wiener liberalen Presse.
Die Fackel Nr. 30 - 1903: Ziemlich plötzlich wird Kraus milder - so weit es die Freimaurer betrifft
Die freimaurerische Idee ist in Oesterreich - dies wurde hier wiederholt erklärt - aus den Niederungen der politischen Kämpfe ins rein Geschäftliche sublimiert worden. Sie mag sich da und dort noch im Leitartikel liberaler Blätter vernehmlich machen: so recht unmittelbar und aller Heimlichkeit entkleidet tritt sie nur aus dem Inseratentheil. Dies mag auch dem unbedingtesten Ideologen die folgende nette Annonce klar machen, die am 15. Februar in der ‚Neuen Freien Presse‘ erschienen ist:
„Neugründung. - Für ein neu zu gründendes Speditions-Unternehmen wird unter günstigen Bedingungen als Acquisiteur Persönlichkeit gesucht, welche zu Mitgliedern der »Humanitas« Beziehungen hat. Offerten unter »Neugründung 257« an das Ank.-Bureau dieses Blattes.“
Nein, es ist nicht wahr, daß die Wiener Freimaurer es auf Thron und Altar abgesehen haben. Im Gegentheil! Wenn Thron und Altar zerstört wären, würden sich die Brüder Jakob und Josef Kohn (s.o.) und Sandor Jaray (s.o.) gewiss um den Auftrag zur Wiederherstellung dieser Möbel bewerben.
Es folgen nun zehn Jahre Kraus’sche „Freimaurer-Abstinenz“. Bis zum Ersten Weltkrieg apostrophierte er die Freimaurer nur noch ein einziges harmloses Mal.
Die Fackel Nr. 381 - 1913: Kein Spott mehr, nur mäßiger Humor
Damische Unterhaltung. - Liebe Jugend! Bei einem Examen in der Geschichtsstunde einer höheren Töchterschule Bayerns wurde gefragt: Welches sind die drei größten Ritterorden im Mittelalter?
Die gefragte höhere Tochter antwortet: Die Deutschherrn, die Templer und (nach einigem Zögern) die Jesuiten. Großes Hallo in der ganzen Klasse.
Das wird nicht etwa gedruckt, um zu zeigen, wie vertrottelt bereits diese Kinder liberaler Väter sind, für die das Wort »Jesuiten« eine Pointe bedeutet. Das wird vielmehr aus Verständnisinnigkeit gedruckt. Die Jugend lacht, die ‚Jugend‘ druckt. Jesuiten - aha, sehr gut!
Die Freimaurer für einen Ritterorden zu halten, wäre ein schlichter Irrtum, den kein Hallo in der Klasse begleitet. Die höheren Töchter Bayerns haben so viel Humor, daß sie nicht nur der ‚Jugend‘ etwas einschicken, sondern sogar Glossen für den ‚März‘ schreiben sollten.
Wieder ein Jahrzehnt "Freimaurer-Funkstille" über den ganzen Ersten Weltkrieg und die Nachkriegszeit hinweg.
Die Fackel Nr. 657 - 1924: Nach der Implosion des Habsburger-Imperiums stellt sich Karl Kraus plötzlich schützend vor die Freimaurer
Hat man z. B. in der Wiener ‚Reichspost‘ je ein Wort demütiger Selbsterkenntnis und Selbstanklage gelesen, daß die leitenden Klassen der Donaumonarchie durch ihre unselige Politik selber den Zusammenbruch verschuldet haben? Nein, Juden, Freimaurer, Tschechen und Sozialisten tragen die alleinige Schuld.
Waren dann aber Hötzendorf und Berchtold auch Juden? Kam in jener Presse je ein Sündengefühl gegenüber dem Volke zum Ausdruck, dessen Treue so schrecklich durch ein grauenhaftes Hasardspiel und durch ein unverantwortliches Sichgehenlassen mißbraucht worden ist? Nein, nur nicht den andern recht geben, das war der maßgebende Gesichtspunkt!
Auch in Bezug auf die gestürzte Monarchie empfindet man ganz unchristlich. Als ob die Vorsehung hier nicht etwas gestraft hätte, was sie lange genug mit Langmut hatte geschehen lassen! Das Volk hat die Monarchie gehen lassen, nicht aus besonderer Erbitterung gegen den bisherigen Träger der Krone, sondern weil es dunkel und wild empfand, daß das oberste Führertum sich nicht bewährt, nicht die nötige Charakterstärke gezeigt habe, um den Völkermord zu verhindern, und ihm rechtzeitig ein Ende zu machen. Die Monarchie ist in neuester Zeit zu sehr ein Rückhalt von Cliquenherrschaft gewesen, und zwar von machtlüsternen militärischen Cliquen; dies ist es, wogegen das verwerfende Urteil des Volkes sich gerichtet hat, aber leider ist auf seiten der Gestürzten nicht die leiseste christliche Selbsterkenntnis vorhanden!
Bis zum Ende der Fackel kurz vor seinem Tod 1936 kommt das Wort Freimaurer nur hoch einmal 1931 in einem unbedeutenden und daher nicht erwähnenswerten Zusammenhang vor.
Siehe auch
- Österreich
- Hermann Bahr
- Humanitas - die älteste Loge Österreichs
- Gotthold Ephraim Lessing - Ernst und Falk
- Englischer König Eduard VII. *Preußischer König und später Deutscher Kaiser Wilhelm I.
Links
- DIE FACKEL online: https://fackel.oeaw.ac.at