Rezension: Hans-Hermann Höhmann - Identität und Gedächtnis
Die "völkische Freimaurerei" in Deutschland und wie man sich nach 1945 an sie erinnerte.
Oder nicht erinnerte. Oder unehrlich erinnerte. Und wie man Legenden in die Welt setzte, die uns bis heute irreleiten. Damit beschäftigt sich dieses Buch. Eine Rezension von Rudi Rabe aus Wien.
Gleich am Beginn schreibt Hans-Hermann Höhmann, warum er dieses Buch, das nicht alle freuen wird, vorlegt: „Mich als sozialwissenschaftlichen Autor und engagierten Freimaurer hat das kollektive Wegschauen großer Sektoren der deutschen Freimaurerei gegenüber so mancher völkischer Verirrung seit langem bedrückt.“
Gemeint ist das langsame Hinübergleiten großer Teile der deutschen Freimaurerei zuerst in den Nationalismus und dann den Nationalsozialismus. Und gemeint ist die Beschönigung, die Leugnung und die Verdrängung nach 1945.
Das Buch ist gespickt mit längeren Zitaten führender Freimaurer aus der Zeit vor 1945 und danach: Beweisstücke eines doppelten Versagens.
Begonnen hat alles schon lange vor der Nazizeit
Nämlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Im Gleichschritt mit dem tonangebenden deutschen Bürgertum, aus dessen Reihen sich die Freimaurer rekrutierten, wurden auch die Brüder immer nationaler; weg vom Weltenbund und hin zur eigenen Nation, an deren Wesen schließlich die Welt genesen sollte.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem ungerechten Friedensvertrag von Versailles verschärfte sich diese Entwicklung: wieder im Gleichschritt mit dem national-konservativen Bürgertum. Wobei jetzt noch dazukam, dass die deutschen Großlogen überkompensierten. Damit wollten sie Vorwürfe von ganz rechts abwehren, sie seien Teil einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung, die das deutsche Volk vernichten wolle.
Viele Freimaurer wollten sich dann Hitler anschließen
Höhmann schert die deutsche Freimaurerei nicht undifferenziert über einen Kamm. In der Zwischenkriegszeit gab es auch zwei Großlogen die dagegen hielten: der ‚Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne’ (FzaS) und die ‚Symbolische Großloge von Deutschland’. Doch diese vereinten nur drei Prozent der Brüder. Aber drei Viertel konzentrierten sich bei den drei sogenannten altpreußischen Großlogen, und diese waren von Anfang an die Hauptträger des deutschen Sonderwegs. Dazwischen lagen die uneinheitlich positionierten humanitären Großlogen; zu diesen gehörte knapp ein Viertel der damaligen deutschen Freimaurer. Wiki-Link: Die komplizierte deutsche ‚Logenlandschaft’ in der Zwischenkriegszeit
Aber Hitler wollte sie nicht
Als dann Hitler an die Macht kam, waren die Altpreußischen bereit, ihm wie reife Äpfel in den Schoß zu fallen: Sie tauften sich in deutsch-christliche Orden um und germanisierten ihre Rituale (Baldursage statt Hiramslegende).
Doch der Diktator erhörte sie nicht. Da halfen auch die vielen Huldigungsadressen nichts. Höhmann zitiert einige, zum Beispiel ein Gedicht des Vorsitzenden Meisters des St. Johannis-Konvents ‚Zum Pelikan’ der ‚Großen Landesloge von Deutschland’:
„An den Führer!
...
Und schenke Deiner Führung Segen
Auch uns, daß wir im Vaterland
Die höchsten Güter können pflegen
Mit Dir vereint, an Deiner Hand.
Als deutsche Christen woll’n wir treu sie halten.
Um uns’re Kraft, Dir folgend, zu entfalten.“
Das ist nur die letzte Strophe: eine lustvolle Unterwerfung. In seiner Gesamtheit ist es ein Klagegedicht, weil Hitler es ablehnte, die Freimaurerei in das neue Nazisystem einzugliedern, was ja vor allem die altpreußische Mehrheitsmaurerei erflehte. Im Gegenteil: 1935 ließ er die letzten Logen schließen. Höhmann: „Was diese Freimaurer störte ... war weit weniger der Nationalsozialismus selbst als der von den Nazis verfügte Umstand, dass sie als Freimaurer… am Aufbau des neuen Deutschlands nicht teilhaben sollten."
Die große Verdrängung nach 1945
Im zweiten Teil des Buchs wendet sich Hans-Hermann Höhmann der Nachkriegszeit zu, also der Zeit der Umdeutung und Verdrängung, und damit ist er bei seinem eigentlichen Anliegen: „Zwar wurden Irrtümer und Fehlentwicklungen der deutschen Freimaurerei in der Weimarer Republik und in den Jahren von 1933 bis 1935 nicht generell geleugnet. Zu wirklichem Mut und ganzer Wahrheit im Umgang mit der völkischen Vergangenheit konnten sich die deutschen Freimaurer jedoch nicht entschließen.“
Paradigmatisch für viele: August Horneffer
Er war vor dem Krieg ein hochrangiger Freimaurer, eine Art „Chefideologe“. Und nach dem Krieg wieder. Paradigmatisch für viele wird er von Höhmann immer wieder zitiert. August Horneffer gehörte zu denen, die schon 1924 einen Arierparagraphen durchgesetzt hatten, weil „wir volks- und artfremde Elemente nicht brauchen können.“ Und 1932, also Monate vor der Machtübernahme durch die Nazis, schrieb er über Hitler in der Zeitschrift seiner Großloge: „Er ist der gewaltige Motor, der Vulkan, der aus der Tiefe seines urdeutschen und urkräftigen Wesens die Gedanken oder richtiger die Forderungen herausschleudert, die er nicht aus Büchern, sondern aus dem Leben geschöpft hat.“ Und er bot sogar die aktive Selbstauflösung der Freimaurerlogen an, wenn diese der schönen neuen Zeit im Wege stünden: „Sollte der Orden für die völlige Hingabe unserer Persönlichkeit nur das kleinste Hindernis bilden, ... unser Sein für die von unserem Volkskanzler ausgerichteten Ziele einzusetzen, dann muss er verschwinden.“ Und so weiter.
August Horneffer wurde auch nach dem Krieg wieder ein führender Freimaurer. Von seinen Bekenntnissen wollte er jetzt nichts mehr wissen. Aber durch weitere Zitate macht Höhmann klar, wie sehr diese in Wahrheit seinem inneren Wesen entsprachen. Und Horneffer ist nur ein Beispiel für viele der damaligen deutschen Freimaurer.
Drei Strategien der Umdeutung
Im Umgang mit der Vergangenheit macht Höhmann für die Nachkriegsfreimaurerei drei Strategien aus: „Erstens wurde Verfolgung in Widerstand umgedeutet.“ Als Kronzeugen wurden zum Beispiel Nazigegner und Naziopfer wie Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky präsentiert: Brüder, die beim ‚Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne’ waren, der in der Zwischenkriegszeit von fast allen anderen Großlogen als 'irregulär' ausgegrenzt worden war. Nun wurden sie posthum eingemeindet und zu Zeugen der eigenen Redlichkeit umgelogen.
„Zweitens wurden Anpassung und geistige Selbstgleichschaltung als Tarnung gekennzeichnet. ... Drittens wurde auf bessere, unbelastete Phasen der Geschichte des Freimaurer Bundes in Deutschland verwiesen,“ also auf unverdächtige Heroen wie Goethe und Lessing.
Letztlich lief alles auf folgende "reinliche Scheidung" hinaus: "Nazis, das waren deutlich abgrenzbar JENE, das heißt die anderen - Nicht-Nazis, Verfolgte und Opfer, das waren ebenso deutlich abgrenzbar WIR. De facto hat es eine solche 'reinliche Scheidung' allerdings nicht gegeben."
Besonders dem ersten Großmeister Theodor Vogel sei es mit solchen Argumenten gelungen, „das Misstrauen sowohl der Besatzungsbehörden als auch der amerikanischen, britischen und französischen Großlogen ... allmählich abzubauen.“
Und heute? Die Verdrängung der Verdrängung?
Was die schweren Nachkriegsjahre betrifft, könnte man für solche erzählerischen Notkonstruktionen sogar ein gewisses Verständnis aufbringen. Aber heute? Nach so langer Zeit? Höhmann warnt davor, dass jetzt aus diesen unwahren „Notkonstruktionen Mythen werden, die sich im Bewusstsein heutiger Freimaurer zu Realitäten verdichten, die es so nicht gab“, wodurch ein zweiter Verdrängungsprozess angestoßen wird: „ein Prozess der Verdrängung der Verdrängung.“ „Wir Heutigen haben als Bürger und Freimaurer nicht die Vergangenheit der 1920iger und 1930iger Jahre zu verantworten.“ Wohl aber „haben wir die Art und Weise zu verantworten, wie wir mit Vergangenheit erinnernd und handelnd umgehen.“
Mehrmals weist Höhmann auch darauf hin, dass die besten Analysen des Geschehens von Nichtfreimaurern stammen: von Helmut Neuberger etwa und anderen. Und er plädiert dafür, unabhängige Wissenschaftler mit der Aufarbeitung zu betrauen.
Hans-Hermann Höhmann sieht auch Zeichen der Hoffnung
So wie bei der Darstellung der verhängnisvollen Entwicklung vor dem Krieg differenziert Hans-Hermann Höhmann auch seine Kritik an der allgemeinen deutsch-masonischen Amnesie in den Jahrzehnten seit 1945. Als Hauptverdränger identifiziert er die (ehemals) altpreußische ‚Große Landesloge von Deutschland’ (GLL); das betont er immer wieder. Weniger die (ehemals) altpreußische Große National-Mutterloge ‚Zu den drei Weltkugeln’ (3WK): Dieser bescheinigt er „das erfreulich deutliche und mutige Heraustreten ... aus dem Kreis der Vergangenheitsleugner.“
Zeichen der Hoffnung sieht Höhmann auch bei der ‚Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland’ (AFAM), in der sich ja verschiedene Strömungen der Vorkriegsmaurerei vereinigt haben: Durch ihren Großmeister Axel Pohlmann sei im Oktober 2013 bei einer Rede „zum ersten Mal ein Vorsteher einer Großloge mit klaren Worten vom bisherigen Kurs der Verdrängung abgerückt.“
Und er hofft auf eine heilsame Verärgerung durch sein Buch
Diese Hoffnung äußert Hans-Hermann Höhmann in der folgenden eineinhalb Seiten kurzen Schlussbemerkung dieses lesenswerten Buches:
„Ja: Deutsche Freimaurer, insbesondere die Leiter der christlich-altpreußischen Großlogen, waren in den 1920iger Jahren immer stärker ins national-völkische Lage geraten und hatten der Versuchung, sich um einen anerkannten Platz im NS-System zu bemühen, nicht widerstanden.
Nein: Deutsche Freimaurer waren – von löblichen Ausnahmen abgesehen – nicht bereit, sich nach dem Zweiten Weltkrieg dieser Vergangenheit redlich und ehrlich zu stellen.
Diese Versäumnisse sollten zügig überwunden werden, vor allem seitens derer, die das Erbe der Hauptbeteiligten anzutreten hatten. Historische Erbschaften lassen sich nicht ausschlagen. Das Gewesene hängt nicht von den Opportunitätsbedürfnissen der Gegenwärtigen ab. Es sind reichlich Quellen vorhanden, die Gesamtheit der Vergangenheit zu dokumentieren, selbstverständlich auch das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus unter den Freimaurern.
Doch eines muss – wenn von heute aus an das Ende der Freimaurerei im Jahre 1935 zurückgedacht wird – immer im Bewusstsein bleiben: Die endgültige Auflösung der Freimaurerei unter den Druck des NS-Systems hat wenigstens den weiteren, vermutlich endgültigen Wesens- und Substanzverlust des Bundes verhindert. Die Frage, wie eine deutsche Freimaurerei ausgesehen hätte, die nicht nur bereit gewesen wäre, als Teil des Systems auf Dauer mit dem Nationalsozialismus zu koexistieren, sondern die von den Machthabern auch die ersehnte Zustimmung dazu erhalten hätte, ist offenbar so bedrückend, dass sie bisher kaum gestellt wurde. Was wäre geschehen, wenn Hitler die von mir zitierte Bitte der altpreußischen Großmeister erfüllt hätte, „unseren Orden einen Platz in der nationalen Bewegung anzuweisen, an dem wir für unser Volk und Vaterland wirken können“?
Wenn ich mit diesen Feststellungen meine Dokumentation und Analyse beschließe, so rechne ich nicht mit allseitiger Zustimmung. Im Gegenteil: Ich bin mir sicher, dass diese Schrift nicht nur Anerkennung finden, sondern auch Verärgerung auslöst. Wenn diese dazu führt, dass mit Argumenten und Widerlegungen durch Quellen reagiert wird, wenn Bemühungen die Folge sind, auch schmerzhafte Vergangenheiten aufzuhellen und mehr Wissen darüber sowie Verständnis dafür zu generieren, dann hätte diese Verärgerung einen durchaus produktiven Charakter. Die für die Freimaurerei so 'dunkle Zeit' des Nationalsozialismus, von der wir oft gesprochen haben, ist leider irreversibel, doch die Verdunkelungen unserer Erinnerung daran, die können wir überwinden.“
Publiziert wurde das Buch vom Salierverlag Leipzig; dieser pflegt innerhalb seines Programms eine eigene Freimaurerreihe.
Eine persönliche Nachbetrachtung:
Ich bin Österreicher. Und Österreich gehörte ja vor 1945 als 'Ostmark' sieben Jahre lang zu Hitlerdeutschland. Große Teile der Gesellschaft waren 1938 mit fliegenden Fahnen zu Hitler übergelaufen, so dass die Staatsführung in Wien schließlich kapitulierte. Österreich war also dabei. Das war nachher höchst unangenehm. Also strickte man in Österreich die Legende vom 'ersten Opfer Hitlers'. Diese Lebenslüge kam mit der Waldheim-Krise in den späten 1980iger Jahren gegen viele Widerstände an ihr Ende. Österreich hatte dazu leider länger gebraucht als die Bundesrepublik Deutschland. Daran erinnerte ich mich beim Lesen dieses Buches immer wieder. Und ich wunderte mich, dass offenbar Teile der deutschen Freimaurerei bis heute nicht den Mut aufbringen, dem Vorbild ihres Staates zu folgen und der unangenehmen historischen Wahrheit ins Auge zu blicken.
Übrigens: Ganz anders als die damalige österreichische Bevölkerung entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit die österreichische Freimaurerei. Im Gegensatz zur deutschen war sie international orientiert und pazifistisch. Folgerichtig brachen fast alle deutschen Großlogen schon in den 1920iger Jahren die Beziehungen zu den Österreichern ab. Und beim Anschluss Österreichs an das nazistische Deutsche Reich ließen die neuen Herren die österreichischen Logen schlagartig zusperren. Anders als die 1945 wiedergegründeten Republik hatte die österreichische Freimaurerei also kein Vergangenheitsproblem.