Kronprinz Rudolf: „Stiller Gesellschafter“ der Freimaurer
Inhaltsverzeichnis
Rudolf von Österreich-Ungarn:
Kein Freimaurer, aber ...
Von Rudi Rabe.
Auch jenseits der österreichischen Grenzen kennt man mehr als ein Jahrhundert danach die Geschichte: In der Nacht vom 29. auf den 30. Jänner 1889 schied der österreichische Thronfolger Rudolf, Kronprinz von Österreich und Ungarn, in seinem Jagdschloss Mayerling bei Wien durch Suizid aus dem Leben; und mit ihm durch Kopfschuss die noch nicht ganz achtzehnjährige Baroness Mary Vetsera. Ein Riesenskandal! Der Wiener Hof setzte alle Hebel in Bewegung, um zumindest die Details des Geschehens zu vertuschen: Dokumente wurden vernichtet und Zeitzeugen zum Schweigen verpflichtet. Nach dem aktuellen Stand der Forschung erschoss der unter Depressionen leidende Rudolf zunächst seine Geliebte; dann tötete er sich selbst durch einen Kopfschuss.
Rudolf war eine tragische Persönlichkeit. Als Thronfolger erwartete ihn ein Schicksal, dem er nicht gewachsen war. Dafür war er zu sensibel und zu weltoffen-fortschrittlich. Das passte nicht zu den konservativen, rückwärtsgewandten Einstellungen des Hofes und nicht zuletzt auch seines Vaters, des Kaisers Franz Josef I. Die Folge waren Intrigen, Gerüchte und Verunglimpfungen. Eine lautete: Rudolf sei ein heimlicher Freimaurer. Oder in einer abgeschwächten Version: Er stehe unter dem unheilvollen Einfluss der „bösen“ Freimaurer.
Dazu muss man wissen, dass die Freimaurer im österreichischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie praktisch verboten waren. Wer Mitglied werden wollte, musste zu den sogenannten Grenzlogen in die ungarische Reichshälfte ausweichen. Dieses De-facto-Verbot war das Werk der konservativen Wiener Machteliten aus Aristokratie, reaktionärem Beamten- und Bürgertum und katholischem Klerus. Mit dem „Vorwurf“ Freimaurer waren sie schnell zur Stelle, wenn es galt, Modernisierungsideen zu diffamieren. Im Zusammenhang mit Rudolf konnte das sogar noch hundert Jahre später nachhallen: Die Exkaiserin Zita – sie starb 1989 im Alter von 96 – beharrte auch in ihren letzten Lebensjahren darauf, nicht der Kronprinz habe Mary Vetsera erschossen, vielmehr sei diese „politischen Meuchelmördern zum Opfer gefallen“. Was die bekannte österreichische Historikerin Brigitte Haman Jahre später im Magazin ‚Profil’ (42/2005) mit folgendem Satz kommentierte: „Kaiserin Zita ... wollte uns weismachen, dass Rudolf von den bösen Freimaurern hinterrücks ermordet worden sei ... Das war gezielte Vernebelungstaktik.“
Richtig ist: Der Kronprinz war kein Freimaurer. Aber er hatte mehrere sehr gute Freunde, die es waren. Und das passte: Seine Ideen und Einstellungen waren weltoffen und fortschrittlich-liberal. Dies gefiel manchen Einflüsterern ganz und gar nicht, und so vernaderten sie ihn.
Mit Rudolfs Freimaurerfreundschaften hat sich im Detail der Wiener Freimaurerforscher Rüdiger Wolf auseinandergesetzt und seine Erkenntnisse 2009 in einem Aufsatz für die österreichische Forschungsloge ‚Quatuor Coronati’ zusammengefasst. Wir vom Freimaurer-Wiki danken Rüdiger Wolf für die Erlaubnis, den Text hier wiedergeben zu dürfen.
Kronprinz Rudolf - Und seine Freunde Freimaurer
Von Rüdiger Wolf, Freimaurerforscher und ehemaliger Direktor des Österreichischen Freimaurermuseums Rosenau
Kaiser Franz Josef I. und seiner Frau Elisabeth wurden vier Kinder geboren: die drei Erzherzoginnen Sophie, Gisela und Valerie sowie vor 150 Jahren, am 21. August 1858 in Laxenburg, der Sohn Rudolf. Rudolf galt einerseits als Rebell – wenn nicht gar als Verräter – und in den Augen seines Vaters als ein Versager. Viele Liberale setzten Erwartungen in ihn.
Sein Leben und vor allem sein Tod sind von Mythen umgeben, von Legenden umrankt. In der Nacht vom 29. auf 30. Jänner 1889 bereitete er seinem Leben ein Ende, vorher brachte er Freiin Mary Vetsera zu Tode: ein Habsburger als Mörder und Selbstmörder. Schon zu Lebzeiten wurde er im Bunde der Freimaurer vermutet, und in allen namhaften Publikationen wird dies thematisiert.
Hier soll nun erstmals eingehend der Versuch unternommen werden, das masonische Umfeld des Kronprinzen zu beschreiben und den Einfluss seiner Freunde Freimaurer auf ihn zu bewerten.
Die „Freimaurer-Legende“
Es wurde behauptet, Kronprinz Rudolf wurde nach seiner Weltreise vom Prinzen von Wales, dem späteren König Edward VII., Ende der siebziger Jahre in die Freimaurerei eingeführt, wobei Professor Alfred Brehm vorgearbeitet hat. Später sei er auch Mitglied in der Ungarischen Großloge geworden.
Tatsächlich findet sich keine einzige Unterlage, die auf eine Mitgliedschaft Rudolfs hinweist. Es könnte dies ja auch nur in Ungarn möglich gewesen sein. In einem Polizeibericht über die Freimaurerei aus dem Jahre 1903 wird unter anderem festgestellt, dass in den Logenlisten eine Reihe von Brüdern nicht mit ihrem Namen, sondern nur mit Abkürzungen oder Pseudonymen bezeichnet sind. Und weiter heißt es, durchaus kryptisch: „Nicht immer scheint es übrigens mit den Pseudonymen der Wiener Logen-Listen so einfach bestellt gewesen zu sein: es hat eine Zeit gegeben – in den 80er Jahren –, wo für Maurer in Wien eine Periode außergewönlichen Aufschwunges gekommen schien und damals sollen sich hinter den Pseudonymen auch die Träger hoher Namen verborgen haben.“
Gegen eine Mitgliedschaft des Kronprinzen spricht eindeutig die Tatsache, dass er auch als Offizier in Österreich an den Eid gebunden war, keiner Geheimgesellschaft im In- und Ausland anzugehören. Im Jahre 1801 ordnete Kaiser Franz II. an, dass alle öffentlich Bediensteten, Beamte, Offiziere, Notare und selbst Geistliche einen diesbezüglichen Revers unterschreiben mussten. Diese Regelung galt bis zum Ende der Monarchie. An diese Anordnung hielten sich auch die Offiziere in der ungarischen Reichshälfte nach 1867.
Kronprinz Rudolf war Inhaber des Infanterie-Regiments Nr. 19 und erlangte zudem im Jahre 1888 die eigens für ihn geschaffene Stelle eines Generalinfanterie-Inspektors. Er stand auch unter Beobachtung des Feldmarschalls Erzherzog Albrecht, dem die unkonventionelle, liberale Einstellung Rudolfs höchst suspekt war und dem eine Mitgliedschaft Rudolfs bei den Freimaurern früher oder später bekannt gemacht worden wäre. Für eine Mitgliedschaft sprechend, wird manchmal angeführt der Text in der Todesanzeige in der Freimaurerzeitschrift „Der Zirkel“: „...Dir, hochherzigen Prinz Rudolf, Dir legen wir einen Akazienzweig auf Dein stilles Grab...“
Wahrscheinlich hat ein Sekt. Chef Dr. Hans Schlitter recht, wenn er 1937 schreibt: „Die Vermutung liegt nahe, Kronprinz Rudolf sei Mitglied einer Freimaurerloge gewesen. Er war es aber ebenso wenig wie Kaiser Josef II. es gewesen war. ‚Als Offizier’, sagte er ‚darf ich keiner wie immer gearteten geheimen Verbindung angehören, und darauf habe ich geschworen.’ Die strenge Armeedisziplin hinderte jedoch den Kronprinzen nicht, der verpönten geheimen Gesellschaft als ‚stiller Gesellschafter’ anzugehören.“
In seinen Gedanken finden sich zahlreiche Beweise für diese Annahme.
Wie reagierte der Kronprinz?
In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts formierten sich die Gegner der Freimaurer. Vor allem die katholische Kirche schoss sich auf die Freimaurer als Quasi-Anarchisten und Antimonarchisten ein („Anschlag auf Thron und Altar“). Papst Pius IX. richtete 1873 eine Bulle gegen die Freimaurer und Papst Leo XIII. setzte dann 1884 noch eins drauf. Die Prinzen Alfred und Alois Liechtenstein, Georg Rit ter von Schönerer und die Christlichsozialen positionierten sich als deklarierte Gegner der Freimaurer, auch auf dem Boden eines wachsenden Antisemitismus.
Alle, die in Gegnerschaft zu den liberalen Ideen des Kronprinzen standen, konnten sich auf den Freimaurer-Freund Kronprinz Rudolf einschießen.
Der enge Vertraute Rudolfs, der Journalist Moriz Szeps, berichtet von einem Treffen bei Rudolf am 31. Jänner 1883 unter anderem: „Vor zwei Jahren“, sagte er, „da befand ich mich in einer schrecklichen Situation. Man hatte ein Netz um mich geworfen und den Glauben verbreitet, ich sei Mitglied des Freimaurerordens geworden oder irgendeiner anderen geheimen, antireligiösen und revolutionären Verbindung. Diese Beschuldigung trat immer frecher auf, und endlich wusste ich mir nicht anders zu helfen, als daß ich hinging und folgendes sagte: Als Offizier darf ich keiner wie immer gearteten geheimen Verbindung angehören und darauf habe ich geschworen. Man beschuldigt mich, einer solchen Verbindung anzugehören, und ich fordere, wozu ich das Recht habe, die Einsetzung eines Kriegsgerichtes, welches die Sache in der strengsten Weise untersuchen soll.
Als ich darauf beharrte, zogen sich allerdings die Denunzianten scheu zurück, und seit jener Zeit läßt man mich mit dieser Geschichte in Ruhe. Aber wissen Sie, wer einer geheimen Verbindung angehört? Der Erzherzog Albrecht ist es; die Jesuiten haben nämlich einen geheimen Bund gegründet, um Bosnien katholisch zu machen, um Bosnien dem Schisma zu entreißen, und Erzherzog Albrecht steht, wenigstens nominell, an der Spitze dieses Bundes, der uns im Orient noch in große Gefahren hineinreißen wird. Aber der Erzherzog Albrecht ist auch Offizier und darf ebenso wenig, wie ich, einem Geheimbund angehören. Was aber die Jesuiten wollen, das ist offenbar zu tun erlaubt.“
Aus Prag schrieb Kronprinz Rudolf an seinem Freund Moriz Szeps am 13. Jänner 1883 in einem Brief: „...ein Herr sagte mir: ‚Die Statuten dieses gefährlichsten, weil gegen Thron und Altar zugleich gerichtet, über die ganze Welt verbreiteten Geheimbundes verpflichten alle Brüder zu gegenseitiger Hilfe. Ursprünglich waren alle Juden ausgeschlossen, heutzutage sind fast alle reichen Literaten Juden, eifrige Mitglieder, oft zahlreicher in den Logen als Christen’.“
„Anonyme Briefe an mich mit Denunziationen der Herren mit denen ich in Verkehr stehe, Warnungen, Jammerrufe der Gutgesinnten und Frommen und ganz offene Anklagen, Hetzereien und Denunziationen über und gegen mich an sehr hoher Stelle – das habe ich schon alles durchgemacht; als Freimaurer wurde ich ausgegeben mit Hinzufügen aller Daten und Beweise; und ich kenne ja nicht einmal die Statuten dieses Ordens.“
Kronprinz Rudolf schrieb am 23. August 1880 aus Brüssel an Theodor Billroth: „Die Schlagworte Freimaurerverein und antireligiöse Tendenzen sind sehr leicht auszusprechen und Beweise, um die kümmern sich eben gewisse Leute nicht.“ (Rudolf übernahm das Protektorat über den „Rudolfinerverein“. Der Verein stand damals in üblem Ruf, weil man ihm antikatholische/antikirchliche Tendenzen zuschrieb.)
Kronprinz Rudolfs Freunde unter Freimaurern
Wir kennen einige deklarierte Freimaurer, die der Kronprinz zu seinen Freunden zählte und welche dem Hof recht suspekt erschienen (siehe oben: „Anonyme Briefe an mich mit Denunziationen der Herren mit denen ich in Verkehr stehe...“).
Genannt werden hier Hyazinth Rónay, Hans Canon, Alfred Brehm, Heinrich Brugsch und Julius Graf Andrássy.
Titularbischof Hyazinth Rónay
Der Ausbildung des österreichischen Thronfolgers wurde größte Aufmerksamkeit geschenkt. Rudolfs Erziehung wurde Graf Latour anvertraut, der sorgfältig die Auswahl der Lehrer traf. In den Jahren 1864 bis 1877 waren zirka 50 Personen an der Erziehung des Kronprinzen beteiligt. Man sagt, der Kronprinz war damals in Europa der einzige Thronfolger, der eine exzellente Schulung in Volkswirtschaftslehre genoss, sein Lehrer war Carl Menger. In diesem Zusammenhang wurde von der Kaiserin selbst – der ungarischen Nation sehr gewogen – der Lehrer für die Geschichte Ungarns ausgesucht. Auf Empfehlung des Vertrauten der Kaiserin, Julius Graf Andrássy (aufgenommen in Paris am 2. Mai 1854 in die Loge „Le Mont Sinai“) fiel die Wahl auf den Titularbischof Dr. Hyazinth Rónay (1814 – 1889). Rónay ging nach 1848 ins Exil nach London und arbeitete dort auch im Auftrage von Stephan Graf Szécheny an der Verteilung der anonymen Schrift „Der Blick“. Rónay verschickte im Herbst 1859 von London an 2.000 Personen in ganz Europa die Schrift.
Es wurde behauptet, dass Rónay in London dem Bunde beitrat. Auf Anfrage teilt das Archiv/Bibliothek der UGLE im Oktober 2007 mit, dass darüber keine Unterlagen zu finden sind. Es gibt aber in Wien einen Fund im Haus-, Hof- und Staatsarchiv.
Ein Polizeibericht über die Situation der Freimaurerei in Ungarn (1901): „...Interessant erschien es, dass kurze Zeit der Propst und Titularbischof Hyazinth Rónay Mitglied unserer Loge (i.e.: Pressburg) war, nachdem er aber als Erzieher der Erzherzogin Valerie nach Wien berufen worden war, verleugnete er aber jede Gemeinschaft mit den Freimaurern und wurde ein glatter Höfling“.
Als Erzieher der Erzherzogin Valerie konnte er erst nach 1875 fungieren. In der Zeit als Lehrer für ungarische Geschichte bei Kronprinz Rudolf ab 1871 war er offensichtlich schon Freimaurer. Rónay genoss großes Ansehen als Lehrer Rudolfs und vermittelte ihm liberale und wohlwollende Beurteilung der ungarischen Nation. Der Freimaurer Julius Graf Andrássy wird wohl genau gewusst haben, wen er als Geschichtslehrer empfahl.
Der Kronprinz trifft den Maler Hans Canon
Hans Canon (eigentlich Hans von Straširˇipka) – 30 Jahre älter als der Kronprinz, war Hi- storien- und Portraitmaler des Historismus und Zeitgenosse Makarts. Der Kronprinz kam 1878 nach Prag und residierte als Oberst des Infanterieregiments Nr. 30 am Hradschin. Sehr zum Missvergnügen des Kardinals Friedrich Fürst Schwarzenberg bewegte Rudolf sich in Prag in überwiegend bürgerlicher Gesellschaft, wie den Freimaurern Alfred Brehm, Heinrich Brugsch und dem Maler Canon. Canons Ruf in Wien war der eines Bohemiens und sein Auftreten in Prag an der Seite des Kronprinzen galt als Provokation (Hans Canon schuf 1879 in Prag eines der besten Portraits des Kronprinzen).
Es gelang bis jetzt nicht, in deutschen Logenlisten seinen Namen zu finden (Canon lebte 1860 – 1869 in Karlsruhe und von 1869 – 1874 in Stuttgart). Für seine Mitgliedschaft im Bunde der Freimaurer spricht aber eines seiner Werke. Im Depot der Österreichischen Galerie Belvedere befindet sich das monumentale Ölbild (320 x 280 cm) mit dem Titel: „Die Loge Johannis“ (1873). Dieses Bild muss Canon noch in Stuttgart gemalt haben, da er erst ab 1874 wieder in Wien war. Canon bekannte sich öffentlich zu dieser Verherrlichung der Freimaurerei. Rudolf besuchte zusammen mit Canon in Prag spiritistische Sitzungen. In Wien erschien am 12. Jänner 1881 in der „Neuen Freien Presse“ ein angriffiger Artikel gegen den Spiritismus. Darüber schrieb Karl Fürst Khevenhüller: „Es schrieb sie gewiß der Kr. Pr. Mit seinen Juden und dem besoffenen Maler Canon.“
Der Bohemien Canon war für den um 30 Jahre jüngeren Rudolf offenbar ein erfrischender Gefährte. Von Canon stammt das Deckengemälde „Kreislauf des Lebens“ im Wiener Naturhistorischen Museum sowie vier Lünettenbilder in der Wiener Universität.
Der liebe Freund Alfred Edmund Brehm
Kronprinz Rudolf schrieb am 23. 8. 1880 an den Naturforscher Alfred Edmund Brehm: „In alter Freundschaft halten wir zusammen und werden immer zusammenhalten“.
Für die meisten von uns ist die Name „Brehm“ Synonym mit dem sechsbändigen Werk „Brehms Thierleben“ (1864 – 1869). Alfred Brehms Leben (1829 – 1884) ist ausreichend dokumentiert. Uns interessiert hier der Freimaurer Brehm und seine Freundschaft zu Kronprinz Rudolf. Brehm wurde 1858 auf Empfehlung seines Freundes Moritz Ziller (Meister vom Stuhl der Loge „Apollo“), in die Leipziger Joh. Loge „Apollo“ rezipiert (1861: Geselle, 1863: Meister). Er hielt Baustücke, u.a. über die Freimaurerei in Ägypten.
Der Kronprinz lernt den damals schon international anerkannten Zoologen Brehm im Mai 1873 auf der Wiener Weltausstellung kennen. In der im Jahre 1878 erschienenen 2. Auflage von „Brehms Thierleben“ stammen drei ornithologische Beiträge vom Kronprinzen. Im Frühjahr 1878 besucht Rudolf Brehms Vorlesungen an der Wiener Universität, und sie unternahmen gemeinsam im April/Mai eine Dampferfahrt auf der Donau zur Adlerbeobachtung. Während der Zeit Rudolfs in Prag (1878 – 1883) war Brehm oftmals Gast im Hradschin und ging dort aus und ein. Im April/Mai 1879 begleitete Brehm den Kronprinzen auf einer Spanienreise. Die beiden Freunde betrieben eifrig vogelkundliche Studien. Das Verhältnis der beiden Männer war zu dieser Zeit schon sehr freundschaftlich. In den langen Briefen an Brehm sprach der Kronprinz seinen Briefpartner an als: „Lieber Brehm!, Lieber Freund!“, „in treuer Freundschaft“, „Ihr treuer Freund“.
Am Wiener Hof wurde alles versucht, um die freundschaftliche Verbindung zu stören. In diesem Sinne ist folgender Brief Rudolfs an Brehm – nach der Spanienreise – vom 10. Oktober 1879 aus Prag zu verstehen: „Ich freue mich schon sehr Sie wieder zu sehen. Ich würde Sie bitten, mich anfangs November hier zu besuchen, aber keinen Vortrag hier zu halten. Ich werde Ihnen die Gründe, die mich dazu bewegen, mündlich mitteilen, sage Ihnen aber schon jetzt, dass Sie mir dadurch viele Unannehmlichkeiten ersparen würden. Ich werde viel von gewissen Parteien wegen meiner freien Richtung, meiner Liebe zu den Naturwissenschaften mit scheelen Augen betrachtet. Ich habe keinen angenehmen Sommer zugebracht, das weitere mündlich. Eines ist gewiß, meine Freundschaft zu Ihnen ist unerschütterlich, da kann geschehen, was da will.“
Im Sommer 1879 machten sowohl der Kaiser als auch der Großonkel Erzherzog Albrecht dem Kronprinzen Vorhaltungen wegen des Umganges Rudolfs mit dem Protestanten, Freimaurer und Anhänger der Lehren Darwins, Alfred Brehm. Dazu kamen aus Prag die Attacken des Kardinal Schwarzenberg wegen des Freundes. Er drängte darauf, Brehm aus der Nähe Rudolfs zu entfernen.
Als Neujahrsgruß schrieb am 27. 12. 1879 der Kronprinz aus Wien an Brehm: „Lieber Freund ... in treuer wunderbarer Freundschaft übersende ich Ihnen, meine herzlichsten, innigsten Glückwünsche. ... Ein langes Jahr voll schöner Erinnerungen für uns Beide liegt hinter uns, auch garstige, traurige Erfahrungen haben wir in diesem Zeitabschnitt gehabt ... möge es die Verblendung und die heimtückische Niedrigkeit unsere Gegner zerstreuen und unschädlich machen.“
Bis zum Tode Brehms am 11. 11. 1884 hielt der Kronprinz zu seinem Freund, obwohl er wusste, dass dies in reaktionär katholischen Kreisen Österreichs Argwohn und feindselige Haltung gegenüber dem Freimaurer Brehm und dem Kronprinzen selbst nach sich zog. Wir können davon ausgehen, dass die beiden Männer auf den beiden Reisen und während langer, gemeinsam verbrachter Zeit in Prag nicht nur ornithologische Gespräche führten.
Ein weiterer Reisegefährte: der Freimaurer Heinrich Brugsch
Heinrich Karl Brugsch (1827 – 1894) war ein deutscher Ägyptologe mit hoher Reputation. In seiner Jugend wurde er von König Friedrich Wilhelm IV. und Alexander von Humboldt (der später auch sein Trauzeuge war) gefördert. Nach mehreren Reisen nach Ägypten repräsentierte er dieses Land in Wien 1873 bei der Weltausstellung.
Im Jahre 2001 erschien eine Abhandlung: „Heinrich Brugsch – ein Potsdamer Freimaurer am Nil (1827 – 1894)“. Eine dort offene Frage nach einer weiteren Mitgliedschaft kann hier geklärt wer- den. Heinrich Brugsch findet sich im Mitgliederverzeichnis der St. Joh. Loge „Teutonia zur Weisheit“, Orient Potsdam, im Jahre 1863 im 3. Grad im Alter von 36 Jahren. (Aufgenommen wurde er am 22. 12. 1859.) Brugsch wechselte naturgemäß oftmals den Wohnort. 1864 deckte er seine Potsdamer Loge und affilierte am 10. 9. 1888 – wieder in Berlin in der Warnuserstraße wohnend – in die Loge „Zum Pilgrim“, Or. Berlin. Es ist davon auszugehen, dass Brugsch der Freimaurerei sehr verbunden war; dafür spricht, dass er nach vielen Jahren Auslandstätigkeit, wieder in Berlin sesshaft geworden, im Wege der Affilation nach 20 Jahren wieder aktives Mitglied wurde.
Wie kam es zur Verbindung Brugsch mit Kronprinz Rudolf? Nach den Turbulenzen, ausgelöst durch die Freundschaft Kronprinz–Brehm wurde dem Kronprinzen Rudolf eine Reise nach Ägypten und Palästina „verordnet“. Gleichsam zur Neutralisierung des Einflusses, den Brehm auf Rudolf hatte, wurde als Reisebegleiter der Burgpfarrer Dr. Laurenz Mayer, neben einigen Jägern, gewählt. Zu dieser Zeit war der Berliner Brugsch bereits der berühmte Ägyptologe. Gerade diesen Mann – um 30 Jahre älter als Rudolf – schlug der österreichische Gesandte in Kairo als Reiseführer vor. Brugsch war am Wiener Hof bekannt: Brugsch begleitete Kaiser Franz Josef I. als Reiseführer während dessen Aufenthaltes in Kairo Ende November 1869 anlässlich der Eröffnung des Suez-Kanals. Was den Hofkreisen in Wien aber entging: Heinrich Brugsch war ein engagierter Freimaurer!
Während Rudolfs Reisebegleiter in Ägypten der Jagd frönten, führte Brugsch den Kronprinzen in die Kultur und Religion der Ägypter ein. Brugsch und Rudolf fanden offenbar rasch zu einem freundschaftlichen Verhältnis. Es ist auch hier – wie im Falle Brehm – anzunehmen, dass auch über Gedanken der Freimaurer gesprochen wurde. Mit Sicherheit hatten für Rudolf während der Reise durch Oberägypten die Kontakte mit Brugsch größeren Stellenwert als zum mitreisenden Burgpfarrer Dr. Laurenz Mayer.
Für Rudolf war Brugsch auf dieser Reise die wichtigste Bezugsperson. Brugsch wiederum be- richtet mit Freude, mit welchem Interesse der Kronprinz seinen Erklärungen folgte. Er war überrascht über den „Eifer, mit dem er meinen täglichen Vorträgen über altägyptische Geschichte, Geographie, Mythologie, Baukunst folgte.“
Auch Heinrich Brugsch besuchte den Kronprinzen in Prag (1883) während einiger Wochen und traf dort auch den Maler Hans Canon an. Brugsch berichtet: „...stundenlang von den ernstesten Dingen zu reden und meine eigene Meinung über die schwierigsten Dinge einzuholen. Wissenschaft und Kunst, Politik und Religion gaben den Stoff dazu her und ich war erstaunt, bei dem unter strengster Obhut aufgewachsenen Prinzen den freisinnigsten Ansichten zu begegnen, die er in seinen akademischen Zwiegesprächen mit aller Wärme vertrat.“
Sowohl auf den Reisen (Donau, Spanien und Ägypten) als auch in Prag war Kronprinz Rudolf mit den bekennenden Freimaurern Alfred Brehm und Heinrich Brugsch in engem freundschaftlichen Verhältnis. Hans Canon bereicherte diese Runde durch seine Leichtigkeit. Gegen Rudolfs Freimaurer-Freunde und vor allem gegen Brehm intervenierte der Prager Kardinal Schwarzenberg persönlich in Wien bei Hofe. Dem Kronprinz war dies bekannt, und er hielt seinerseits mit seinen Ansichten über den Kirchenfürsten im Briefwechsel mit Freunden (Moriz Szeps) nicht zurück: „... Er ist von allem Aristokrat dann erst Priester... Der volle lächerliche Dünkel, das Sich-für-etwas-anderes-und-Besseres-Halten, die angeborene und ererbte Noblesse des böhmischen Adels steckt auch vollkommen in seinen Gliedern.“ (1883 Brief an Moriz Szeps)
Versuch einer Bewertung des Einflusses
Welchen Einfluss übten die Freimaurerfreunde auf den Kronprinz aus? Der Kronprinz genoss eine Ausbildung, die beispielhaft war, und seine liberal denkende Mutter nahm Einfluss auf die Auswahl seiner Lehrer, so zum Beispiel Hyazinth Rónay, den Freimaurer. Aber auch Personen wie der Nationalökonom Carl Menger oder der Historiker Anton Gindely (Prag) vermittelten Toleranz und Verstehen zwischen Deutschen, Böhmen und Ungarn. Man lehrte den jungen Prinzen Absage an Deutschtümelei, Antisemitismus und Engstirnigkeit.
Als Rudolf 1878 – als Zwanzigjähriger – nach Prag ging, hatte er schon ein liberales, tolerantes und antiklerikales Weltbild. Hier traf er wieder seinen engen Freund, den Freimaurer Brehm und dazu Brugsch und Canon. Nach der „Brehm-Affäre“ war Rudolf vermehrt den Angriffen reaktionär-katholischer Kreise ausgesetzt. Rudolfs Ansichten erregten zunehmend das Missfallen des Hofes und der Kirche. Sehr bald wurden die Freimaurerei und seine „verjudeten“ Freunde, Journalisten wie Moriz Szeps, als Ursache seiner „Verirrungen“ gesehen. Vor allem war es Alfred Brehm, der aus dem Dunstkreis des Kronprinzen entfernt werden musste; die Freundschaft zwischen den Männern blieb davon unberührt.
Viele Aussagen des Kronprinzen könnten auch einem Freimaurer zugeordnet werden. So schrieb er am 3. 11. 1884 an seinen Vertrauten Moriz Szeps zu dessen 50. Geburtstag Wünsche: „... wünsche Ihnen ... alles Gute ... um die Grundsätze wahrer Aufklärung, echter Bildung, Humanität und liberalen Fortschrittes zu bekennen und zu verfechten. Durch Ideen – und Gesinnungsgemeinschaft sind wir verwandt; denselben Zielen streben wir zu.“
Im Nachlass von Rudolf findet sich ein bemerkenswertes Schriftstück, offenbar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und als „Gebet“ bezeichnet: „... Du mächtiger Lenker der Gestirne, Du Schöpfer und Herr ... Gebieter des Weltalls; Jahrtausende, von Deinen Werken verehrt; Du olympischer Zeus der Hellenen; segenspendende Isis der Ägypter, Brahma der Inder, Sonnengott der Perser, mächtiger Allah! des Islams, versöhnender Gott der Liebe Jesus, als Mensch am Kreuz gestorben ... Du Schöpfer des menschlichen Geistes, lasse uns fortschreiten in wahrer Erkenntnis, in der Art der Veredelung des Denkens. In gleicher Liebe wechselseitig vereint, mögen Deine Völker preisen immerdar: den Herrn des Weltalls.“
Dies verkörpert die Nähe zum Begriff des ‚Großen Baumeisters aller Welten’ (G.B.A.W.) und ist weniger Ausdruck katholischer Glaubenslehre.
Es gibt kein Dokument, welches die Zugehörigkeit des Kronprinzen zum Bund der Freimaurer erweist. Seine engen, sehr freundschaftlichen Verbindungen zu Freimaurern haben sicher sein liberales Weltbild erweitert und seine antiliberalen, reaktionär-klerikalen Feinde sehr irritiert. Kronprinz Rudolf hielt an seinen Freunden Freimaurern und jüdischen Intellektuellen fest.
Letztlich ist es gar nicht so wichtig, seine Mitgliedschaft zu ergründen, es reicht ja auch ein Befund, wie Hans Schlitter dies 1937 ausdrückte: „... es hinderte jedoch den Kronprinzen nicht, der verpönten geheimen Gesellschaft als ‚stiller Gesellschafter’ anzugehören.“
So legte man im Nachruf „den Akazienzweig auf sein stilles Grab“.
Wollen wir es so lassen.
Siehe auch
Weitere Forschungsarbeiten von Rüdiger Wolf mit masonischem Bezug:
- Die Protokolle der Prager Freimaurerloge „Zu Den Drei Gekrönten Säulen“ 1783-1785
- Die Wiener Albertina: das Werk eines Freimaurers
- Conrad Dominik Bartsch: Mozarts fast vergessener Bruder
- Wenzel Tobias Epstein: ein faszinierender Freimaurer in Wien um 1800
- Die Freimaurerei in der Tschechoslowakei zwischen den beiden Weltkriegen