Alexander Giese
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Alexander Giese
Fernsehjournalist, Schriftsteller und Lyriker und ein bedeutender österreichischer Freimaurer in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Zwölf Jahre lang war er Großmeister der Großloge von Österreich: von 1975 bis 1987. Er schrieb zwei wichtige Freimaurer-Bücher. Alexander Giese wurde 94 Jahre alt: Er lebte von 1921 bis 2016. Von Rudi Rabe.
Sein Leben
Geboren am 21. November 1921 als Sohn eines Gewerbetreibenden; Germanistik, Anglistik und Geschichte an der Universität Wien; 1941 mit zwanzig zur Wehrmacht eingezogen; US-Kriegsgefangenschaft; danach Übersetzer beim Alliierten Rat in Wien und schließlich ab 1953 beim Österreichischen Rundfunk (ORF). Dort wurde er im Bereich Kultur einer der prägenden Programmmacher: zuerst beim Radio und ab der großen Rundfunkreform durch Gerd Bacher beim Fernsehen.
1983 ging er im ORF in Pension. Auch danach war er jedoch weiter schriftstellerisch und als Kulturschaffender tätig. 1990 bis 1998 war er Präsident des Österreichischen PEN-Klubs. Man kann ohne Übertreibung sagen: Alexander Giese war noch viele Jahre eine Drehscheibe des österreichischen Kulturbetriebs.
Am 25. September 1982 wurde Alexander Giese zum Ziel eines Sprengstoffattentats: In seiner Wohnung in der Wiener Wohllebengasse explodierte eine Kochtopfbombe. Es war dies einer von zehn rechtsextremen Anschlägen, die 1981 und 1982 in Österreich verübt wurden: mit Rohrbomben und Kochtopfsprengsätzen. Glücklicherweise gab es bei allen Attentaten nur Sachschaden und keine Toten oder Verletzten. Die Opfer waren fast immer jüdische Würdenträger; eines war auch der sogenannte „Nazijäger“ Simon Wiesenthal. Giese war damals Großmeister und Mitglied der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft. Als Täter wurden österreichische und deutsche Neonazis ausgeforscht. Beim Strafprozess 1983 und 1984 standen neun Angeklagte vor Gericht. Die Höchststrafe kassierte mit fünf Jahren der Deutsche Ekkehard Weil. Nur zwei Anschläge konnten ihm nachgewiesen werden. Der auf Giese war nicht dabei.
In seinen allerletzten Jahren lebte Alexander Giese zurückgezogen in Wien. Er sah nur noch sehr schlecht und benötigte den Rollstuhl. Dennoch nahm er hin und wieder an einer Logenarbeit im Wiener Freimaurerhaus teil.
Sein masonisches Vermächtnis
Axel – so nannten ihn seine Brüder – war von 1960 an bis zu seinem Tod Mitglied der Wiener Loge ‚Mozart’: also über ein halbes Jahrhundert lang. Und von 1975 bis 1987 war er zwölf Jahre Großmeister der ‚Großloge von Österreich’. In seiner Loge und in der Großloge hat er viel bewegt: Ideelles aber auch handfest Bleibendes wie den Umzug der Wiener Logen von den gemieteten Räumen in der Dorotheergasse in das neu gekaufte Haus in der Rauhensteingasse. Durch seine Freimaurer-Bücher wurde er weit über die österreichische Kette hinaus als freimaurerischer Denker bekannt.
Bei der Trauerfeier am 28. Jänner 2016 würdigte der amtierende Großmeister Georg Semler die freimaurerischen Verdienste des verstorbenen Bruders: dessen Taten und Gedanken, die man als das masonische Vermächtnis Alexander Gieses bezeichnen kann.
Georg Semler: „Der Verstorbene lebte in einer seltenen Symbiose zwischen masonischem und profanen Dasein. Wir kennen die Ergebnisse seiner kulturpolitischen Ambitionen im wichtigsten Medium des Landes; man hat sie uns gerade erst wieder aufgezählt in den Nachrufen, die ihn abwechselnd als Historiker, als Schriftsteller oder als Journalisten gewürdigt haben.
Wir Freimaurer aber ERkennen ihn als unseren Bruder. Über ein halbes Jahrhundert hat er in verschiedensten Ämtern gedient. Noch 2013 war er Mitglied des Literarischen Komitees seiner Loge.
Vor inzwischen vielen Jahren berief ihn die Kette, für alle Brüder in Österreich da zu sein. Er ist dem Ruf gefolgt und hat fast auf den Tag genau zwölf Jahre das Amt des Großmeisters bekleidet, geführt und die Diskriminierung der Freimaurer im Kirchenrecht beendet. In diese Zeit fällt auch der Erwerb und danach der Umbau des Hauses Rauhensteingasse 3, in dem wir uns heute befinden, und in dem fast auf den Tag genau seit dreißig Jahren die österreichische Freimaurerei ihren Brennpunkt hat. Deshalb ist es gut und wichtig, ihm gerade in dieser Sache besonders für seine Arbeit zu danken – stellvertretend für die große Zahl der Brüder, die vom ersten Tag an Verdienste um das neue Großlogenhaus gesammelt haben.
In die Großmeisterzeit von Bruder Alexander fällt aber ebenso die eindrucksvolle Präsentation unserer Kette nach Innen und Außen: Ich meine jene 200-Jahr-Feier der österreichischen Freimaurerei im Jahre 1984, bei welcher der Lichteinbringung in die „Große Landesloge von Österreich“ gedacht wurde. Sein Verdienst war es, dass das Historische Museum der Stadt Wien in jenem Jahr in einer fundamentalen Ausstellung unter dem Titel „Zirkel und Winkelmaß – solang die Welt besteht“ die Historie aber auch die überzeitlichen Ideen und Ideale der Freimaurerei öffentlich präsentierte.
Im Vorwort zu dem Ausstellungkatalog erklärt Bruder Alexander unter anderem in seiner unnachahmlichen Art das Wesen der Freimaurerei:
‚Die Maurer treten ein für den Abbau von Vorurteilen, sie verwerfen den Klassen- und Rassenhass. Sie treten gegen die Anmaßung dogmatischer, fanatisierter Personen und Institutionen auf – aber nicht anders, als dass sie eben diese Fehlhaltungen bei sich selbst ändern wollen. Den janusköpfigen Fortschritten in Wissenschaft und Technik, den ständig sich verschärfenden Problemen in Wirtschaft und Gesellschaft sucht der Maurer individuell mit einer jahrhundertelang erprobten, sozialpsychologisch und gruppendynamisch erfolgreichen Methode zu begegnen. Seine Absicht ist es, den Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Idee und Wirklichkeit auszugleichen. Nicht im Sinne einer Nivellierung, sondern im Sinne einer fruchtbaren Synthese.’“
Seine Bücher
In seinen Romanen beschäftigte sich Alexander Giese vorwiegend mit historischen Themen, beispielsweise in "Wie ein Fremder im Vaterland" (Porträt des römischen Kaisers Marc Aurel; 1975); "Geduldet euch, Brüder" (die fiktive Lebensgeschichte des heiligen Severin; 1976); oder "Wie Schnee in der Wüste" (vielleicht sein Hauptwerk; er hat es Omar Khaijam und dem Orient gewidmet, mit dem sich Alexander Giese gern beschäftigte, und portraitierte darin die vitale Welt des Islam im elften Jahrhundert; 1976).
1962 hatte er erstmals auch Lyrik veröffentlicht. Und neben seinen Büchern verfasste Giese zahlreiche Rundfunk- und Fernsehsendungen, Hörspiele und Filme. Und er machte sich schließlich einen Namen als Herausgeber (Gedichte und Prosa von Friedrich Hebbel) und Übersetzer (Shakespeare-Sonette und italienische Hörspiele).
Alexander Giese schrieb auch zwei masonische Sachbücher: "Die Freimaurer" (1991) und „Offenbares Geheimnis – Lebens- und Geisteshaltung der Freimaurer“ (2007: Rezensionen hier und hier.
Umschlagtext des Buchs „Die Freimaurer“ von 1991:
„Diese knappe und doch umfassende Darstellung der Freimaurer von ihren Anfängen bis zur Gegenwart ist geeignet, jedermann eingehend über diese „geheimnisvolle“ Gesellschaft zu informieren. Der ethisch-humanitäre Männerbund hat in den verschiedenen europäischen Ländern bei aller Gemeinsamkeit leicht differierende Systeme entwickelt, mehr religiöse oder mehr laizistische Tendenzen verwirklicht und dennoch überall fast gleiche Wirkungen erzielt. Der Leser wird gewahr, dass sich die deutsche oder österreichische von der englischen oder französischen, auch von der italienischen Maurerei nicht im Inhaltlichen, sondern in ihrer äußeren Erscheinungsweise merkbar unterscheidet. So gibt es auch keine “Weltmaurerei“, jedoch arbeiten Freimaurer in allen demokratischen Staaten der Welt und fühlen sich als zusammengehörig. Das ist umso leichter zu verstehen, als Logen in allen Ländern immer auch Keimzellen der Demokratie gewesen sind. Was Freimaurerei im Grunde ist, bedeutet und sein will, darüber berichtet dieses Buch.“
11. November 2021: Hundertjahrfeier in seiner Wiener Loge MOZART
„Axel war als Freimaurer nicht nur mein persönliches Vorbild, er war die Freimaurerei an sich. Alles was ich darüber weiß, weiß ich von ihm“, so sprach sein Bruder Jost am Beginn der Post-Mortem-Festakts zu Axels - wie ihn seine Freunde nannten - hundertstem Geburtstag. Als Höhepunkt der Feier wurden Texte Alexander Gieses vorgetragen: Lyrisches aus dem Buch „Manchmal denk ich, wär’ ich doch ein anderer“, in dem der Österreichische PEN-Club, dessen Präsident Axel Giese auch war, alle seine Gedichte versammelt hat (Buchcover rechts) - und autobiographische Prosa aus seinem unveröffentlichten Nachlass; darin beschreibt er sein Leben vom Kind aus einfachen Verhältnissen bis in die Höhen eines anerkannten Kulturmenschen.
Im letzten Teil dieser von seinen Freimaurerbrüdern aus einen eigenen Texten zusammengestellten Laudatio beschreibt Alexander Giese sein Ankommen in der Freimaurerei als er knapp 40 Jahre alt war. Mit Erlaubnis seines nachlassberechtigten Sohnes geben wir diese Passage im folgenden wieder:
✒︎ ✒︎ ✒︎ Als ich etwa an die Vierzig herankam, dachte ich, im Geheimen, ohnedies alles zu wissen und besser zu wissen als andere, alles zu können und im Grunde nur von anderen an meinem Erfolg gehindert zu sein. Zynisch und jederzeit bereit, auf anderer Kosten ein Bonmot zu machen - auch das hatte ich gelernt. Und wenn ich es mir beruflich auch meistens versagte, offen höhnisch oder zynisch zu reagieren, so habe ich es doch meiner Frau und meinen Bekannten gegenüber nicht lassen können. Ich fühlte mich dazu berechtigt - oder besser - ich reflektierte gar nicht meine Arroganz.
Da wurde ich angesprochen, ob ich nicht den Freimaurern beitreten wolle. Ich nahm an und so wurde ich Mitglied der Loge Mozart.
So war ich genau im richtigen Moment Freimaurer geworden: Auf dem Höhepunkte meines Zynismus und individueller Überschätzung. 1960 trat ich in den Bund ein und seither verwandelte sich die Welt um mich, weil ich versuchte, mich selbst zu verwandeln.
Wie wenig oder wieviel mir das gelungen ist, kann ich nicht abschätzen. Aber eines weiß ich: Ohne die Freimaurerei wäre ich ein ganz anderer geworden.
Nun braucht es nicht die Zugehörigkeit zu diesem Männerbunde, um im Laufe der Jahre Mensch zu werden, aber es hilft sehr, vor allem, weil man lernt, den anderen Menschen wirklich ernst zu nehmen. Und das hatte ich nötig. Und habe es immer noch.
Die Loge wurde zu einer Heimat, für mich, der ich diesen Begriff verlernt hatte auszusprechen. Der ich schon lange nicht mehr wusste, dass es so etwas wie eine geistige Heimat auch konkret gab, nicht nur in Büchern und in den Texten Verstorbener, nicht nur in Dichtung und Philosophie, sondern auch unter lebenden Menschen, die meine Brüder wurden.
- Wer die Wahrheit lernt
- Aus sich selbst,
- Nicht durch Bilder und Worte,
- Was lernt er?
- Wenn der Mensch eins ist
- Mit sich selbst,
- Innerlich einfach wird,
- Mit wem ist er eins?
- Wer dem Reden der Lehrer
- Sein Ohr verschließt,
- In sich hineinhört,
- Wem hört er zu?
- Die Spanne Zeit, dies unser kurzes Leben,
- Form dreifach es, verwandle es in Dauer,
- Sei weise, stark, dann Schönheit wird umgeben
- Dein nicht mehr schwankend Dasein, fest als Mauer.
- Dann kann der Menschenliebe Tempel sich erheben
- In Tod und Leben festlich, fern der Trauer. ✿ ✿ ✿
Das Gemälde unten von Herbert Stepan aus dem Jahr 1988 zeigt Alexander Giese als Großmeister der Großloge von Österreich. Es ist im Besitz der Großloge. Siehe auch: Freimaurer-Ausstellung Wien 2017.
Siehe auch
- Österreich
- Großloge von Österreich
- Die Großmeister der GLvÖ seit ihrer Gründung 1918
- Alexander Giese: Die Freimaurer - Rezension von Rudi Rabe
- Alexander Giese: Freimaurerei heute - Lebens- und Geisteshaltung - Rezension von Roland Müller
- Alexander Giese: Freimaurerei heute - Lebens- und Geisteshaltung - Rezension von Alfred Messerli