Rezension: Jochen Schuster: Freimaurer und Justiz in Norddeutschland unter dem Nationalsozialismus (2007)

Aus Freimaurer-Wiki

Rezension: Jochen Schuster: Freimaurer und Justiz in Norddeutschland unter dem Nationalsozialismus (2007)

Jochen Schuster: Freimaurer und Justiz in Norddeutschland unter dem Nationalsozialismus – Die beruflichen Folgen der Mitgliedschaft in Logen für Richter und Staatsanwälte. Frankfurt am Main: Peter Lang 2007.

Besprechung von Roland Müller

Das ist eine sehr gut lesbare und informative Dissertation, die der 38jährige Jurist Jochen Schuster 2006 an der Universität Kiel abgeliefert hat. Wer sensationelle Enthüllungen erwartet, etwa über die Anbiederungstendenzen der Freimaurerlogen in den frühen 1930er Jahren an den nationalsozialistischen „Geist“, wird enttäuscht sein.


Eine totalitäre Weltanschauung

Aber Schuster bietet eine nüchterne Schilderung der nationalsozialistischen Weltanschauung, knapp und präzise, dass den Leser das nackte Entsetzen packt. Wie war es möglich, dass in diesen Jahren ein ganzes Volk solches akzeptierte? Schuster meint; „Ein Merkmal dieser Weltanschauung war die ihr immanente Totalität. Alle Lebensbereiche des Volkes wurden erfasst. Es sollte keine Ausnahme geben, weder im privaten noch im beruflichen Leben der Menschen. Nachdem aber die Nationalsozialisten und Adolf Hitler vor einer exakten ideologischen und programmatischen Festlegung zurückschreckten, blieben die genauen Bestimmungen des Inhalts dieser Weltanschauung unklar. Lediglich die Rassenideologie der arisch nordischen Rasse, der Judenhass, der biologische Auslesekampf und das bedingungslose vertretene Führerprinzip können als Konstanten angesehen werden“ (19).

Die Verschwommenheit der Inhalte führte dazu, dass der Führer und seine Getreuen die Machtausübung ständig den Gegebenheiten anpassen konnten. Das bestimmte auch die Justiz im Dritten Reich. Strenge Gesetzestreue wurde abgelehnt, Im Vordergrund stand die „Volksgemeinschaft“, welche durch Angehörige der arischen Rasse gebildet wurde. Das Individuum zählte wenig: „Entscheidend für die Rechtsstellung des Einzelnen ist nicht mehr sein Personsein überhaupt, sondern sein konkretes Gliedsein“ (30), formulierte Karl Larenz 1934. Der nicht-arische Mensch galt noch weniger.


Verachtung der Justiz und der Juristen

Die NS-Führer waren allerdings nicht um eine systematische Rechtslehre besorgt. Einerseits machten sie keinen Hehl daraus, dass sie die Justiz und die Juristen verachteten, anderseits waren sie an „Recht“ nur „in dem Masse interessiert, wie es zum Machterhalt und zur Machausweitung notwendig war“ (23).

Akribisch stellt Schuster die Instrumente der “völkischen Rechtserneuerung“ dar, beispielsweise die „natürlichen Gemeinsamkeiten des Volkes, wie sie in Blut und Boden gegeben seien“ (24). Als Rechtsquellen dienten der Führerwille, die nationalsozialistische Weltanschauung, das „Gesunde Volksempfinden“ und die „Artgleichheit“ (25). Besonders wirksam wurde das „Willensstrafrecht“: Nicht mehr nur der Erfolg einer Tat war für die Strafzumessung ausschlaggebend, sondern schon „die Intensität des strafbaren Willens“ (27).

Interessant ist, dass alle Versuche der NS-Führer zur Gleichschaltung der Justiz (31-43) wenig fruchteten. Schuster fasst zusammen: „Wider aller Beeinflussungsversuche des Reichsjustizministeriums und der NSDAP und trotz der unfangreichen Veränderungen des Richter- und Beamtenrechts kann in den 1930er Jahren keine umfangreiche Lenkung der Rechtsprechung festgestellt werden“ (41).


Woher rührte der Hass auf die Freimaurer?

Auf gut fünfzig Seiten (49-99) beleuchtet Schuster das Verhältnis von Nationalsozialismus und Freimaurerei. In einer knappen und sachlichen Schilderung von Wesen und Wirken der Freimaurerei zeigt er die Unvereinbarkeit der beiden auf. Besonders die Humanität und Internationalität der Freimaurerei war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, also die „Achtung eines jeden Menschen …unabhängig von der Zufälligkeit der Geburt, des Standes und der Konfession … Die Anerkennung seiner Menschenrechte, insbesondere des Rechtes, seine Vernunft und seine Freiheit zu gebrauchen, führen zu einer Art Gedanken- und Gewissensfreiheit“ (51-52).

Der freimaurerische Liberalismus war dem nationalsozialistischen Rassismus diametral entgegengesetzt (58). Das sahen, sehr spät, einige wenige nüchterne, „wissenschaftliche“ Autoren, wie etwa Dieter Schwarz (1938). Bereits zwei Jahrzehnte lang, seit 1919, hatten jedoch „glühende, freimaurerhassende Fanatiker wie Erich von Ludendorff, Friedrich Hasselbacher, Dr. Friedrich Wichtl, Robert Schneider und Alfred Rosenberg“ (58) die öffentliche Meinung beeinflusst, „Die Werke dieser Autoren zeichneten sich durch eine besondere Hervorhebung tradierter Klischees der freimaurerischen Weltverschwörung und die Rolle des allmächtigen Judentums aus, das in der Freimaurerei ein dankbares Vehikel zur Welteroberung gefunden habe“ (58).

In neun Kapitel schildert Schuster die Vorwürfe gegen die Freimaurerei im Detail.

Die allgemeine Menschenliebe verstosse gegen die „gottgewollte seelische Verschiedenheit der Menschenrassen“ (59) und führe „zu einem internationalen Menschheitsbund, in welchem weder rassische Grenzen noch Nationalitäten die Menschen voneinander trennten“ (63), sie führe „zu einer rassischen Durchmischung der europäischen Völker“ (64) und zu einem „hemmungslosen Individualismus“ (64).

Nicht ganz zu dieser beklagten Menschlichkeit passen die Behauptungen, wonach den Freimaurerei eine Reihe grausiger Verbrechen zur Last gelegt wurden, „Vorwürfe von übelster Tierquälerei bis hin zum Ritualmord“ (65). Die Tötung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo im Jahre 1914 galt aus freimaurerischer Auftragsmord (66), und überhaupt hätten die Freimaurer den Ersten Weltkrieg „gezielt herbeigeführt“ (86): „die Motivation für den Krieg sei der ‚Entscheidungskampf’ zwischen der ‚Autokratie’ und der ‚Demokratie’ gewesen“ (87).

In allen Facetten wurde der Kosmopolitismus der Freimaurer verunglimpft: „Der Freimaurer hat keine völkische Ehre“ (68), hiess es, die weltweiten „obersten Räte“ der Hochgrade betrieben „neben den eigentlichen Staatsführern eine geheime Aussenpolitik“ (69), der Freimaurer entscheide sich grundsätzlich für den Bund der Freimaurer, statt für die Nation, der er angehöre und würde auch einem „Feind“ Hilfe und Beistand leisten – zulasten des Heimatlandes (72). Besonders im Visier standen diesbezüglich die sogenannten Feldlogen des Ersten Weltkrieges (88-94), denn da trafen sich Freund und Feind.

Weitere Standardvorwürfe rankten sich in blühender Phantasie an der „Unterwanderung der Logen durch Juden“ (73-79) und der „Weltverschwörung“ (79-86) empor.

Nach 1933 lautete schliesslich ein Vorwurf, die Freimaurerei sei ein „Sammelbecken reaktionärer Bestrebungen“, welche „im neuen nationalsozialistischen Staate als Staatsfeinde anzusehen seien“ (61).


Massnahmen gegen Freimaurer und Justizbeamte

Nun arbeitet Schuster in knappen Sätzen und sorgfältig heraus, welche staatliche Massnahmen das Dritte Reich gegen Freimaurerlogen im allgemeinen (101-108) und Justizbeamte, welche einer Loge angehörten (108-126), heraus.

Pikanterweise wurden die Logen vorerst nicht verboten, sondern ein „Runderlass vom 8. 1. 1934“ bot nur eine Art „Auflösehilfe“ (102), und war zudem nur an die drei Altpreussischen Grosslogen gerichtet. Er hatte allerdings nicht den gewünschten Erfolg (106), sodass im September 1935 der Reichs- und Preussische Minister des Innern eine Verfügung erliess, dass sämtliche noch nicht aufgelösten Logen zu schliessen und ihre Vermögen zu beschlagnahmen und einzuziehen seien.

Justizbeamte, die sich auf eine neue oder andere Stelle bewarben, mussten seit 1. April 1935 einen Fragebogen ausfüllen, auf dem unter anderem die Zugehörigkeit zu politischen Parteien und Verbänden sowie zur Freimaurerei angegeben werden musste. Da die Nationalsozialisten offenbar erst im Laufe der Zeit nähere Kenntnisse über die Freimaurerei erwarben, wurden die Fragen erst durch zwei Erlasse vom September 1936 (111-114) erweitert auf das Austrittsdatum, die Ausübung höherer Logenämter und die Zugehörigkeit zu Hochgraden. Eine Entfernung aus dem Dienst war nicht vorgesehen. Das hatte zwei Gründe: 1. Das weitere Funktionieren der Verwaltung und der Justiz musste gewährleistet werden. 2. Die Freimaurer schienen weit weniger gefährlich als der Propagandakampf gegen die internationale Freimaurerei weis machen wollte (siehe auch 161).

Erst in einem weiteren Erlass vom Juni 1939 wurde schliesslich bestimmt, dass die Inhaber höherer Ämter (einzige der Zeremonienmeister wurde vergessen, 123) und von Hochgraden „weder als Behördenvorstände noch als Sachbearbeiter in Personalangelegenheiten eingesetzt werden durften“ (116). Da Richter und Staatsanwälte aber kaum je Führungsfunktionen wahrnahmen (132), spielte diese Bestimmung kaum eine Rolle.

Anzumerken ist, dass 1935 auch „freimaurerähnliche Vereinigungen“ sofort aufgelöst werden mussten. Das betraf mehrer Dutzend Organisationen, darunter, wie z. B. 1939 präzisiert wurde, auch der „Druidenorden“ und der „Odd-Fellows-Orden“, aber auch die „Freie Anthroposophische Gesellschaft“, die „Christliche Wissenschaft“ und der Friedensbund der deutschen Katholiken“ (122).


Benachteiligungen für engagierte Freimaurer

Wie sah die Praxis aus? Jochen Schuster konnte die Mitgliedsverzeichnisse von rund 100 Freimaurerlogen in Norddeutschland ab 1926 einsehen, die sich im Geheimen Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem befinden (16; 132). Von diesen etwa 5000 Freimaurern waren 49 als Richter oder Staatsanwälte tätig. Da nicht von allen Personalkaten aufgefunden werden konnten und einige bereits 1933 das Pensionsalter überschritten oder beinahe erreicht hatten, blieben 18 Personen zur genauen Betrachtung übrig. Davon waren 11 in Hamburg, drei in Bremen, zwei in Kiel und je eine in Lübeck resp. im Oberlandesgericht tätig. Schuster nennt von allen die vollen Namen.

Anhand des minutiösen Studiums ihrer Logen- und der teilweise unvollständigen Personalakten konnte er zwei gleichgrosse Gruppen von Beamten bilden. Den einen ist „weitgehend nichts widerfahren“ (134-142), die andern wurden mit „negativen Folgen für ihr berufliches Fortkommen konfrontiert“ (133; 143-149). Worin lag der Unterschied? In der ersten Gruppe befanden sich Beamte, denen keine grosse Bindung zur Freimaurerei zugeschrieben wurde. Sie hatten kein höheres Logenamt bekleidet, waren nicht in die Hochgrade vorgerückt und meistens bereits vor der Machtergreifung (30.1.1933) ausgetreten oder nur kurz dabei gewesen.

In der zweiten Gruppe befanden sich dagegen langjährige Logenmitglieder, die alle ein höheres Amt in der Loge ausgeübt hatten. Drei Angehörige der Altpreussischen Grosslogen und ein weiterer Freimaurer (155) hatten zudem Hochgrade erreicht. Wiederum viel Sorgfalt widmet Schuster den Benachteiligungen, welche diese 9 Beamten erfahren haben. Keiner wurde des Amtes enthoben (145). Fast allen wurde eine Beförderung offiziell verwehrt – auch wenn die Leistungen deutlich über dem Durchschnitt gestanden hätten (146-149; 155-157). Einige wurden vom Straf- an das Zivilgericht versetzt (148-155; 157-159), weil dieses keinen „hoheitlichen Charakter“ hat (152).


Ein eindrückliches Einzelschicksal

Ausserordentlich zurückhaltend und – wiederum – nüchtern schildert Schuster die beruflichen Schwierigkeiten der einzelnen Beamten. Nu in einem einzigen Fall leuchtet etwas von der persönlichen Tragik auf. Der 1874 geborene Dr. G. schreibt in seinem Lebenslauf:

„,,, Nach dem Kriege war ich zuerst wieder in Stuhm, dann von 1. Dezember 1921 ab als Landgerichtsrat in Kiel tätig. Hier wurde ich zum Oberlandesgerichtrat befördert. Zum 1. Januar 1937 wurde ich als Kammergerichtsrat nach Berlin versetzt. Hier war ich im 27. Zivilsenat (Urheber- und Eherecht) tätig. .. Seit dem Jahre 1920 war ich Freimaurer; im Jahre 1934 schied ich zwangsweise mit dem 7. Grade aus. Wegen meiner Logenzugehörigkeit war ich dienstlich in Kiel solchen Anfeindungen ausgesetzt, dass ich um meine Versetzung nach Berlin nachsuchen musste und auch hier, obwohl ich allgemein zum Senatspräsidenten vorgeschlagen worden war, nicht befördert, sondern in einen unpolitischen Senat und alsdann an kleine Amtsgerichte abgeordnet wurde. In Senftenberg [ab 20.10.1943] wurde ich von den Parteileitern derart verleumdet, dass ich von dort weichen musste“ (154).


Fazit

Schuster zieht ein vorsichtiges Fazit:

„Eine generelle und massive Diskriminierung der Richter und Staatsanwälte konnte jedenfalls seitens der Justizverwaltungen nicht festgestellt werden. Die wenigen Fälle, in denen sich eine spezielle Intervention seitens der Parteidienststellen oder des Sicherheitsdienstes gegen einen Richter oder Staatsanwalt in den ausgewerteten Akten nachweisen liess, zeigten im Gegenteil, dass die Justizverwaltungen allen voran die Präsidenten der Gerichte sich schützend vor ihre Beamten stellten. Im Verhältnis der Gerichtspräsidenten zu ihren Beamten stand das tägliche Geschäft deutlich im Vorderrund gegenüber den politischen Anforderungen durch Partei und Staat“ (162).

Siehe auch: