Zwischen Habsburg und Hitler: Die österreichische Freimaurerei 1918 bis 1938

Aus Freimaurer-Wiki
Österreich nach 1918: Aus dem großen mittelosteuropäischen Vielvölkerimperium war nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg ein kleiner Staat geworden, der nur wenig Selbstvertrauen hatte.
Jedoch: Anders als in den Habsburger-Zeiten davor war das Land jetzt eine Demokratie, die sich nun auch ein modernes Vereinsrecht gab, wodurch Freimaurerlogen gegründet werden konnten. Doch schon ab Anfang der dreißiger Jahre ging es wieder bergab: das anhaltende Trauma von 1918 und dann ab 1929/30 die große Weltwirtschaftskrise bereiteten den Boden für eine katholisch-faschistische Diktatur. Diese schränkte die Freimaurerei ein, aber sie hat sie - was für Diktaturen ungewöhnlich ist - nicht gänzlich verboten. 1938 war auch das zu Ende: Unterstützt von vielen Österreichern kassierte Hitler das Land, und die Freimaurerlogen wurden brutal zerschlagen.

Zwischen Habsburg und Hitler:
Die österreichische Freimaurerei 1918 bis 1938

Dieser Text wurde von einem Freimaurer aus Graz verfasst, der sich ebenso intensiv wie kompetent mit dem Thema beschäftigt.
Das Freimaurer-Wiki bedankt sich im Namen seiner Leser dafür. Rudi Rabe

Während des Ersten Weltkrieges war in Mitteleuropa jede freimaurerische Tätigkeit vielfach zum Erliegen gekommen, mit Ausnahme humanitärer Aktionen wie der Hilfe an Kriegsgefangene und Kriegsgeschädigte. In Österreich konstituierte sich mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918, als mit dem Zusammenbrechen der großen europäischen Reiche auch das „kurze“ 20. Jahrhundert begonnen hatte, die Freimaurerei neu.

Die Großloge von Wien

Nur zwei Tage nach Gründung der Ersten Republik, am 14. November 1918, entließ die ungarische Großloge 14 Wiener Logen - damals bekannt als sogenannte Pressburger Grenzlogen - aus ihrer Obhut. Bis dahin konnten die Wiener Logen nur im Bereich des ungarischen Königs rituell arbeiten, was ihnen vom österreichischen Kaiser verwehrt war.

Nach den vorbereitenden Arbeiten, bei denen vor allem der Name der neuen Großloge, ihr Sitz und die Frage der Aufnahme von Frauen zu klären waren, fand zu Maria Empfängnis, am 8. Dezember 1918, die Gründung der „Großloge von Wien“ im Wiener Militärkasino statt. Dass sie sich „Großloge von Wien“ nannte und nicht „von Österreich“, geht sicher auch auf die Unsicherheiten zurück, die um die Zukunft der neuen Republik „Deutsch-Österreich“ herrschten. Ihre erste Anerkennung erfuhr die Großloge durch die ihrerseits bereits von der kommunistischen Räteregierung Bela Kun bedrängte Symbolische Großloge von Ungarn. Bis zum Jahr 1938 folgten weitere 62 Anerkennungen ausländischer Großlogen, darunter 1930 auch jene der Vereinigten Großloge von England/UGLE.

Die Wiener Großloge verfügte bei ihrer Gründung über 1.044 Mitglieder in 14 Wiener Logen: Humanitas, Sokrates, Eintracht, Treue, Lessing, Kosmos, Gleichheit, Zukunft, Schiller, Freundschaft, Goethe, Pionier, Zur Wahrheit und Fortschritt. Die meisten dieser Logen arbeiteten in der Folge in der Dorotheergasse 12, lediglich die Logen Zukunft, Fortschritt, Pionier und Zur Wahrheit in der Annagasse 18. Am 23. Dezember 1918 nahm auch das Staatsamt für Inneres die Bildung des Vereins „Großloge von Wien“ zur Kenntnis.

Trotz der schwierigen Bedingungen des ersten Nachkriegswinters 1918/19 (als in Wien Menschen hungerten, kaum Brennstoffe zum Heizen organisiert werden konnten und das Licht vielfach aus Strommangel abgedreht wurde) hielten die Logen bis Jahresende noch 24 rituelle Arbeiten ab, bei denen durchschnittlich 17 Brüder anwesend waren. Einige Freimaurer beteiligten sich in Kärnten auch an den militärischen Aktionen gegen die ins Land eingedrungenen südslawischen Truppen.

Ganz anders verlief die Entwicklung in Ungarn: Dort wurde die Freimaurerei am 23. März 1919 von der kommunistischen Räteregierung als „bürgerliche Institution“ per Verordnung verboten. Dies betraf 102 Logen und etwa 3.000 Freimaurer. Und nach dem Machtwechsel zur Regierung Horthy verbot diese im Mai 1920 die Freimaurer, weil diese „schuldig waren an Destruktion und Entfachung der bolschewistischen Revolution“.

Großmeister Richard Schlesinger:
Er war die führende österreichische Freimaurerpersönlichkeit von 1918 bis 1938.
Im Juni 1938 starb er als Gefangener der Nazis.

Zurück nach Österreich, wo die die Großloge am 31. Mai 1919 schließlich ihre definitive Konstituierung schaffte: Sie wählte ihre Funktionsträger und als Großmeister den Wiener Rechtsanwalt Richard Schlesinger, der die Großloge bis zu deren Auflösung im Zuge der NS- Machtergreifung 1938 führen sollte.

Mit einem Aufruf, der einem Aufschrei gleichkam, wandten sich die österreichischen Freimaurer dann im Juni 1919 an die Weltöffentlichkeit: „An die Freimaurer der ganzen Erde! [...] Einen Notschrei senden wir aus, der Euer Herz erweichen, einen Hilferuf, der Euer brüderliches Gewissen aufrütteln soll [...] Sehet uns mit dem großen Not- und Hilfszeichen vor Euch stehen [...].“ Alle Organisationen sollten sich dafür einsetzen, „dass die alle Grundsätze der Humanität leugnenden und das ganze Volk von Deutsch-Österreich vernichtenden Friedensbestimmungen gemildert werden“ und „um die Leiden des kommenden Winters zu lindern, eine unentgeltliche Hilfe an Kohlen, Lebensmitteln, Medikamenten, Bekleidungsstücken, usw. für Wien“ leisten. So stand es am 23. Juni 1919 auch in der Zeitung Der Morgen“.

Dieser Appell blieb nicht ungehört. Binnen Jahresfrist brachte er neben viel Bargeld vor allem Lebensmittel ein: tonnenweise Haferflocken, Fett, Bohnen und Kondensmilch, tausende Kleidungs- und Wäschestücke, Schuhe und Bettwäsche. Eine große Medikamentensendung der deutschen Freimaurer wurde an mehrere Spitäler verteilt. Die holländischen Freimaurer nahmen zwei Transporte von völlig unterernährten Kindern aus Wien auf.

Soziales, Gesundheit und der Traum eines geeinten Europa

Neben den diversen Aktivitäten der Logen standen drei Freimaurer mit ihren Aufgaben im Bereich der Sozial- und Gesundheitspolitik im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen:

Ferdinand Hanusch, der das Sozialministerium 1918 als „Staatssekretär“ übernommen hatte und zum „Vater“ der österreichischen staatlichen Sozialpolitik avancierte. Marksteine seines Reformwerkes wurden die Gesetze zum 8-Stunden-Arbeitstag, zur Reduktion der Frauen- und Kinderarbeit, zur Arbeitslosenunterstützung, Invaliditätsfürsorge, zum Aufbau der Arbeiterkammern, zum Urlaubsgesetz sowie zur Etablierung der Betriebsräte, mit denen die Sozialdemokraten der kommunistischen Rätebewegung in Österreich den Boden unter den Füßen entzogen. 
Die Sozialgesetze des in ärmsten Verhältnissen gebürtigen Schlesiers Hanusch waren teilweise in den Diskussionen der Loge „Lessing zu den drei Ringen“ entstanden, welcher der Vizepräsident der Wiener Sektion der Industriellenvereinigung, Josef Trebitsch, als Meister vom Stuhl vorstand und wo Hanusch als stellvertretender Meister vom Stuhl fungierte.

 ➤ Julius Tandler, der Anatom, Unterstaatssekretär und Wiener Stadtrat für Gesundheit und Sozialwesen hatte viele Fürsorge- und Sporteinrichtungen für Familien, Mütter, Kinder, Jugendliche und Arbeiter initiiert. Das von ihm konzipierte Fürsorgewesen von Wien erreichte Weltgeltung. Von der Überzeugung geleitet, dass Krankheit vor allem sozial bedingt sei, setzte er ein neues Krankenanstaltengesetz durch, initiierte eine Zentrale für billigere Arzneimittel, eine Invaliden- und eine wirksame Kinderfürsorge und bekämpfte die grassierende Tuberkulose, die „Proletarierkrankheit“ seiner Zeit, an der etwa auch drei der Geschwister von Hanusch und dessen erste Frau gestorben waren. Tandler selbst starb 1936 in Moskau.

 ➤ Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, zu Beginn der zwanziger Jahre ein Bruder der Loge Humanitas. Er gründete bald nach seiner Aufnahme 1923 die „Paneuropa-Bewegung“. Auch seine Ideen und Gedankengänge führten zu zahlreichen Diskussionen innerhalb seiner Loge. Coudenhove-Kalergi schied 1926 aus seiner Loge aus. Die Großloge förderte seine Ideen und Initiativen dennoch weiterhin.



Die Aktivitäten der österreichischen Logen galten neben einer ersten humanitären Hilfe und einer entschieden deponierten Ablehnung des Friedensvertrages von St. Germain en Laye als einem „Unrecht“, das „nur auf dem Wege freundschaftlicher Vereinbarungen getilgt werden“ könne, vor allem dem erfolgreichen Aufbau eines Freimaurer-Netzwerkes in den Nachfolgestaaten der Monarchie (vor allem in Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei). Dazu kamen eine größere Hilfsaktion für die Hungernden in der Ukraine und in Russland (1922), die Unterstützung von freimaurerähnlichen Vereinigungen (wie von „Es werde Licht“ in Wiener Neustadt), die Herausgabe einer „Wiener Freimaurer-Zeitung“ (unter Heinrich Glückmann und Eugen Lennhoff) sowie die Gründung und der Aufbau neuer Logen, vor allem in Wien, Graz (Wolfgang Amadeus Mozart), Wiener Neustadt (Pythagoras) und Klagenfurt (Paracelsus), so dass der „Großloge von Wien“ bald bis zu 26 Logen angehörten, darunter die aus deutschsprachigen Emigranten bestehende Loge in Shanghai „Lux Orientis“ sowie eine Forschungsgemeinschaft „Quatuor Coronati“, die sich 1927 in Wien nach englischem Vorbild gebildet hatte, deren Forschungsmöglichkeiten nach dem Brand des Justizpalastes, bei dem viel Aktenmaterial vernichtet wurde, jedoch schwer litten.

Anfang der zwanziger Jahre beschäftigte die Freimaurerei besonders
➤ Der Ausbau der Logen und die Neuaufnahme von Mitgliedern, wobei das Interesse an der Freimaurerei groß war. Von 1918 bis Jahresende 1925 wurden 1.121 „Suchende“ registriert, im März 1926 hatte man schon 1.510 Mitglieder.
➤ Die Einführung des Hochgradsystem des „Alten und angenommenen schottischen Ritus“ 1925; erster Großkommandeur: Eugen Lennhoff.

➤ Die Frage der Aufnahme von Frauen in den Männerbund (um als „regulär“ anerkannt zu werden, ist die Aufnahme von Frauen in Logen verboten. Es gibt jedoch eigene Frauenlogen.
➤ Die Entwicklung in Italien, wo schon drei Jahre nach der faschistischen 
Machtübernahme, 1925 Mussolini die Diktatur verschärfte, die Pressekontrolle einführte sowie Verhaftungen und Verbannungen auf der Tagesordnung standen. Allen Beamten wurde verboten, „geheimen Gesellschaften“ anzugehören. Als Folge erklärte der Grande Oriente von Italien alle Freimaurer-Logen als aufgelöst.

➤ Die Korrektur von Unterstellungen in Presse und Öffentlichkeit, wonach die Großloge in Wien „von Paris direkt beeinflusst“ würde, aus dem Ausland „Weisungen eingeholt werden müssten“ und man mit dem jüdischen Orden „B’nai B’rith“ enge Verbindungen, bis zur gegenseitigen Mitgliedschaften, unterhalte. Die katholische „Reichspost“ unterstellte der Freimaurerei in Österreich, „eine starke politische Partei zu durchsäuern. Der sozialdemokratische Arbeiter ist ihr Spielzeug geworden […]“ (4. April 1925).

➤ Ein geschlossenes, engagiertes Auftreten für den Frieden in Europa (in Österreich in Zusammenarbeit mit der „Österreichischen Friedensgesellschaft“ Berta v. Suttners und von Alfred Hermann Fried und die 1926 ausdrücklich begrüßte Gründung der „Österreichischen Liga für Menschenrechte“) sowie die Verurteilung der französischen Besetzung des Ruhrgebietes 1923. Das pazifistische Konzept des Friedens-Nobelpreisträgers (1911) und Freimaurers Alfred H. Fried bestimmte auch noch nach dessen Tod 1921 das Denken und Handeln der Großloge von Wien und könnte zudem Einfluss auf Coudenhove- Kalergi gehabt haben. Das Bekenntnis zu den Menschenrechten wurde in Österreich sogar in die Konstitution der Großloge aufgenommen.

Mitte der zwanziger Jahre propagierte die Großloge in Wien gegenüber den befreundeten Großlogen vor allem die pazifistischen Ideen der Pan-Europa- Bewegung“ von Coudenhove-Kalergi und leistete damit einen weltweit anerkannten Beitrag zur Friedensdiskussion in Europa: „Europa hat die Wahl: Entweder sich aus eigener Kraft zu einem demokratischen und pazifistischen Staatenbund zu organisieren – oder in seinem Chaos zu verharren [...].Der Gedanke der Vereinigten Staaten von Europa [...] blieb bis heute Traum [...]. Ziel der Paneuropa-Bewegung ist der Zusammenschluss der europäischen Staaten zu einem politisch-wirtschaftlichen Zweckverband.“ Das Kernproblem Europas sei das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, eine Annäherung dieser beiden Länder zu erreichen, die Hauptaufgabe der Internationalen Freimaurer-Liga/UFL: „Die Vereinigten Staaten von Europa können nur auf der Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich aufgebaut werden“.


Österreichische Freimaurer und Nationalsozialismus

Auf dem internationalen Friedenskongress der Freimaurer in Paris brachte der Wiener Freimaurer Johannes C. Barolin, Träger des tschechischen Friedenspreises, geboren 1857 in Laibach/Ljubljana (das bis 1918 zur Habsburger-Monarchie gehörte) im August 1925 den viel beachteten Vorschlag „Weg zur Völkerversöhnung“ durch, der sich gegen entsprechende Tendenzen in der Wiener Großloge, aber auch gegen die erstmals stärker propagierten nationalsozialistischen Ideen richtete: „Alle Völker sind das Produkt einer Mischung verschiedenster Rassen und daher kann kein Volk den Anspruch auf ‚Reinrassigkeit’ erheben.“ Nur wenige Monate später am 18. Jänner 1926 mahnte der Oberste Rat für Frankreich die Großloge von Wien knapp: „Unterschiede des Glaubens, der Rasse und der Nation dürfen für Brüder Freimaurer nicht existieren“.

Aus diesem klaren freimaurerischen Grundsatz erwuchs in den folgenden Jahren der große Konflikt mit dem NS-Regime, das 1933 in Deutschland an die Macht gekommen war. Seine offene Gegnerschaft gegenüber den Freimaurern, wie man dies seit den zwanziger Jahren in Ansätzen auch schon bei den Regimen in Ungarn oder Italien sehen konnte, nahm zu und übertraf die Maßnahmen in den angrenzenden Staaten bei weitem. Die Freimaurer wurden gemeinsam mit den Juden zu den entscheidenden Feindbildern des Regimes, der Haß auf sie über alle Kanäle der NS- Indoktrination verbreitet. Die Weltwirtschaftskrise, die zunehmende Armut und die sozialen Probleme (über eine halbe Million Arbeitslose in Österreich) verstärkten den Zulauf zu den Nationalsozialisten, die seit 1933 in Österreich verboten waren, auch in der Illegalität weiter und gaben der NS-Propaganda neuen Boden.

In Österreich, das seit den zwanziger Jahren im Inneren zunehmend in zwei Lager gespalten war, wo Manifestationen, Demonstrationen und Gewalt auf der Tagesordnung standen und wo man 1927 und 1928 an einem Bürgerkrieg nur haarscharf vorbei geschrammt war, hatten die Freimaurer ein noch vergleichsweise unbehelligtes Dasein führen können. Dennoch entzweiten erste Präferenzen für die NSDAP auch einzelne Logen, sodass etwa 1927 ernsthaft erwogen wurde, Wahlempfehlungen an die Mitglieder abzugeben, weil „eine ganze Reihe von Brüdern eingestandenermaßen eine Partei gewählt haben, deren erstes Opfer, wäre sie ans Ruder gelangt, die Freimaurerei gewesen wäre“ (Bundesversammlung der Großloge am 7. Mai 1927).

Am 15. Februar 1930 zog die Bundesversammlung der Großloge schließlich einen Trennstrich und erklärte „die Zugehörigkeit zu einer Partei, einem Verein oder einer Organisation, welche die Freimaurerei ablehnen oder bekämpfen oder welche ihr Programm mit Waffengewalt durchzusetzen suchen, [als] mit der Zugehörigkeit zur Freimaurerei unvereinbar.“ Die schwierige soziale Lage mit rund einer halben Millionen Arbeitsloser mit zehntausenden „Ausgesteuerten“, Langzeitarbeitslosen und Bettlern, die aus der Arbeitslosenunterstützung gekippt waren, förderte den Zulauf zu den Nationalsozialisten weiter.

Die Etablierung eines autoritären Regimes 1933/34 durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der Bürgerkrieg 1934 (der faschistische italienische Rundfunk bezichtigte die Großloge, „Drahtzieher der Ereignisse“ zu sein), die Parteienverbote 1933/34, darunter das Verbot der Sozialdemokratie, und schließlich die Errichtung des Ständestaates mit der einzig zugelassenen politischen Bewegung, der „Vaterländischen Front“, am 1. Mai 1934, hatten auch direkte Auswirkungen auf die österreichische Freimaurerei.

➤ Es gab eine große Anzahl an Austritten, und die Klagenfurter Loge Paracelsus wurde überhaupt eingeschläfert, d. h. sie stellte bereits am 23. März 1934 ihre Arbeit ein. Ein Teil der Brüder schloss sich der Wiener Loge Zukunft an. Später stellte sich heraus, dass knapp ein Drittel der Mitglieder inhaftiert wurde, ein Viertel emigrieren konnte, jeder achte verlor Hab und Gut durch Beschlagnahme, ́knapp ein Viertel die Existenz. Trotzdem: Jeder achte Freimaurer schloss sich in Kärnten dem NS-Regime an. Auch die Loge Pythagoras in Wiener Neustadt wurde wegen des „größer werdenden Engagements für das NS- Gedankengut“ aufgelöst.

➤ Kontrollen der Logenarbeiten durch die Polizei. Den Freimaurern wurde intern und in einem Schreiben an Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der nach dem NS-Mord an Dollfuß das Amt übernommen hatte, vorgeworfen, „eine Vereinigung zu sein, die nur jüdische Interessen verfolgt“ (so auch in einem anonymen Schreiben von sieben „aufrechten deutschen Männern“ an Bundeskanzler Schuschnigg). Anzumerken ist dabei freilich, dass rund damals rund 70 Prozent der Brüder jüdischer Abstammung waren.

➤ Die Nötigung von Staatsbeamten, die Freimaurer waren, aus dem Bunde auszutreten. 


Dennoch bezeichnete die Bundesversammlung der Großloge am 6. April 1935 ihr Schicksal als vergleichsweise „noch günstig“. Denn in Österreich gebe „es keine politische Partei, die der Freimaurerei geschlossen gegenübersteht [...]. Bei uns gibt es auch keine Presse von einiger Bedeutung, die den Kampf gegen die Freimaurerei zu ihrem Tagesgeschäft machen würde“. Parallel dazu hatte das NS-Regime im Deutschen Reich Anfang September 1936 die elf bestehenden Großlogen aufgelöst.

Der „Anschluß“ Österreichs und die Auflösung der Großloge von Wien

Freilich hatten die österreichischen Freimaurer ebenfalls nur noch eine kurze Frist. Zunächst wurden sie allerdings von Schuschnigg noch in seine Wahlkampagne für die auf den 12. März 1938 festgesetzte Volksbefragung einbezogen. Dazu wurde der Großindustrielle und Freimaurer Martin Bunzl ins Bundeskanzleramt gebeten und ersucht, die Freimaurer mögen zur Durchführung der Volksbefragung eine materielle Hilfe beisteuern – was Bunzl auch zusagte. Diese von der Großloge nicht unterstützte Zusage wurde den österreichischen Freimaurern nach dem Zweiten Weltkrieg von ausländischen Großlogen tatsächlich vorgeworfen, weil sie sich dadurch „politisch betätigt“ hätten.

Während der „Anschluss“-Tage im März 1938 beriet die Großloge über ihr weiteres Vorgehen, denn allen war klar geworden, dass der politische Umsturz unmittelbar bevorstand. Die letzte (verkürzte) Sitzung des Großbeamtenrates fand am 11. März 1938 in Wien statt. Schon am nächsten Tag um 3 Uhr am Morgen wurde Großsekretär Wladimir Misar verständigt, dass das Logenhaus in der Dorotheergasse 12 von einer Volksmenge belagert werde und die Polizei die Schlüssel verlange, um die Räume zu beschlagnahmen. Die Schlüssel wurden ausgefolgt.

In der Nacht vom 13. auf den 14. März 1938 bemächtigten sich die Nationalsozialisten schließlich der Wohnung von Großmeister Schlesinger und verlangten mit Erfolg die Herausgabe des Vermögens, von „belastendem Material“, von Mitgliederlisten und verhörten die Anwesenden stundenlang.

Der schwer erkrankte Großmeister Schlesinger wurde am 16. März verhaftet und in das Polizeigefängnis an der Elisabeth-Promenade („Liesl“) eingeliefert. Er starb am 5. Juni 1938 an den Folgen der schlechten Behandlung im Gefängnis und in der „Klinik Denk“, wohin man ihn nach Erlag einer Kaution schließlich gebracht hatte. Sein Sohn Hans wurde ebenfalls verhaftet und konnte später das Land verlassen. Ähnlich erging es wenig später nahezu allen Großbeamten und bekannten Freimaurern.

Etwa zur gleichen Zeit verfügte der NS-„Stillhaltekommissar“ für Vereine, Organisationen und Verbände die Auflösung des Vereins „Großloge von Wien“. Die organisierte Freimaurerei hatte damit auch in Österreich, das am 13. März zu einem Teil des „Dritten Reiches“ geworden war, zu existieren aufgehört.

Bereits während des darauf folgenden Zweiten Weltkriegs und dann auch in den darauf folgenden Jahren gründeten emigrierte Wiener Freimaurer im Ausland neue Logen und logenähnliche Verbindungen und unterstützten emigrierte Brüder, etwa in Frankreich, in den USA und in Australien. Im angeschlossenen Österreich gab es während des Kriegs keine Möglichkeiten für geheime Treffen von Freimaurern. Überliefert sind lediglich Zusammentreffen von Freimaurern im Wienerwald und in Villach.

Am 1. März 1942 befahl schließlich Hitler in einem sogenannten Führerbefehl: „Juden, Freimaurer und die mit ihnen verbündeten weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus sind die Urheber des jetzigen gegen das Reich gerichteten Krieges. Die planmäßige geistige Bekämpfung dieser Mächte ist eine kriegsnotwendige Aufgabe. Ich habe daher den Reichsleiter Alfred Rosenberg beauftragt, diese Aufgabe im Einvernehmen mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht durchzuführen. Sein Einsatzstab für die besetzten Gebiete hat das Recht, Bibliotheken, Archive, Logen und sonstige weltanschaulichen und kulturelle Einrichtungen aller Art nach entsprechendem Material zu durchforschen und dieses für die weltanschaulichen Aufgaben der NSDAP und die späteren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten der Hohen Schule beschlagnahmen zu lassen. Der gleichen Regelung unterliegen Kulturgüter, die im Besitz oder Eigentum von Juden, herrenlos oder nicht einwandfrei zu klärender Herkunft sind […]“.

Ein wesentlicher Teil der Akten und Materialien der Großloge von Wien fand sich schließlich zu Beginn der neunziger Jahre im ehemaligen Sonderarchiv des Ministerrates der UdSSR in Moskau, wo sie kopiert und in das Großlogen-Archiv in Wien gebracht werden konnten.

Die österreichischen Freimaurer selbst waren zerstreut worden, viele emigrierten oder wurden in KZ-Lagern ermordet. Andere konnten im Lande selbst überleben. Von den etwa 1.800 Mitgliedern der Großloge von Wien erschienen am 28. Juli 1945 nur mehr 48 Brüder um die Freimaurerei in Österreich wieder zu beleben. Die meisten Freimaurer waren verschleppt oder ermordet worden, ausgewandert, in Kriegsgefangenschaft geraten oder in der Zwischenzeit verstorben.

ÖFlag.jpg

Siehe auch